Rz. 3

Der Beitragsanspruch des Versicherungsträgers entsteht ohne besonderen Bescheid. Es müssen lediglich die gesetzlich vorgeschriebenen Voraussetzungen vorliegen. Dies hat zur Folge, dass Beitragsansprüche in der Sozialversicherung in dem Augenblick entstehen, in dem ihre im Gesetz, in einer Rechtsverordnung oder Satzung festgelegten Voraussetzungen vorliegen, und zwar unabhängig vom Willen der Beteiligten. Das bedeutet, dass der Anspruch auf Sozialversicherungsbeiträge in der Regel entsteht, sobald im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses das Arbeitsentgelt erzielt oder der Anspruch darauf fällig geworden ist (vgl. z. B. § 226 SGB V, § 162 SGB VI). Bei freiwillig Versicherten (Versicherungsberechtigten) ergibt sich das Entstehen des Beitragsanspruchs aus der aufgrund gesetzlicher Vorschriften durchgeführten freiwilligen Versicherung.

 

Rz. 4

Der Eintritt von Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung knüpft i. d. R. an das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses i. S. d. § 7 Abs. 1 an. Trotz der Vorschriften über die Anmeldung von Beschäftigten nach § 28a entsteht die Versicherungspflicht und Beitragspflicht auch dann, wenn der Arbeitgeber die Anmeldung unterlässt.

Für die gesetzliche Unfallversicherung entsteht der Beitragsanspruch, wenn Arbeitnehmer gegen Arbeitsentgelt beschäftigt wurden oder sonstige Voraussetzungen für die Versicherung von Personen in der gesetzlichen Unfallversicherung vorliegen (z. B. ehrenamtlich Tätige). Auch hier entsteht der Beitragsanspruch des Unfallversicherungsträgers ohne das Erfordernis eines Beitragsbescheides.

Bereits in seinem Urteil v. 26.10.1982 (12 RK 8/81) und seither in ständiger Rechtsprechung (BSG, Urteil v. 20.3.2013, B 12 KR 7/11 R m. w. N.) hat das BSG ausgeführt, dass sich der Beitragsanspruch grundsätzlich nicht erst nach der tatsächlichen Zahlung des Lohnes oder Gehaltes ergibt, sondern dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Lohn oder Gehalt schuldet (vgl. zum sog. Entstehungsprinzip auch die Komm. zu § 14 Rz. 6 ff.). Das trifft insbesondere für solche Fälle zu, in denen der Arbeitgeber geschuldetes und vom Arbeitnehmer auch gefordertes Arbeitsentgelt bei Fälligkeit nicht gezahlt hat. Der Arbeitgeber kann sich nicht allein durch Nichtzahlung des Arbeitsentgelts seiner öffentlich-rechtlichen Beitragspflicht entziehen, andernfalls wären schwerwiegende Nachteile für die Arbeitnehmer – vor allem in der Rentenversicherung – nicht auszuschließen.

Die Entstehung des Beitragsanspruchs in der Sozialversicherung setzt grundsätzlich nicht die Durchsetzbarkeit der Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsvertrag voraus. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob der Anspruch auf Arbeitsentgelt nach den vertraglichen Vereinbarungen oder arbeitsrechtlichen Grundsätzen verjährt, verwirkt, verfallen oder aus sonstigen Gründen nicht mehr realisierbar ist (vgl. zu tarifvertraglichen Verfallsklauseln BSG, Urteil v. 30.8.1994, 12 RK 59/92). Die Beitragsforderung ist eine öffentlich-rechtliche Forderung, die hinsichtlich ihres Entstehens, ihrer Fälligkeit und ihrer Verjährung dem öffentlichen Recht unterliegt (§§ 22, 23, 25).

Eine Ausnahme vom Entstehungsprinzip hat der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 2 insbesondere für einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 23a) geregelt. Hieraus entstehen Beitragsansprüche erst bei tatsächlicher Auszahlung. Mit Urteil v. 10.12.2019 (B 12 R 9/18 R) hat das BSG die Zahlung von Mehrarbeitsvergütung bei Auflösung eines Arbeitszeitkontos gestützt auf § 22 Abs. 1 Satz 2 als Arbeitsentgelt qualifiziert, welches nach § 23a zu verbeitragen ist. Dies sei unabhängig davon, ob das entsprechende Arbeitszeitkonto in Zeit oder in Geld geführt worden sei.

2.1.1 Beitragspflicht bei gesetzlichen Mindestlöhnen und bei allgemeinverbindlichen Tarifverträgen

 

Rz. 5

Mit Blick auf das Entstehungsprinzip wird bei Betriebsprüfungen i. d. R. eingehend geprüft, ob die gesetzlichen Mindestlöhne (vgl. insbesondere ab 1.1.2015 das Mindestlohngesetz als Art. 1 des Tarifautonomiestärkungsgesetzes v. 11.8.2014, BGBl. I S. 1348; § 8 AÜG i. d. F. v. 1.4.2017 – "Equal-Pay"-Prinzip) oder die nach allgemein verbindlichen Tarifverträgen (§ 5 Tarifvertragsgesetz) zustehenden Arbeitsentgelte der Beitragsberechnung zugrunde gelegt wurden. Soweit festgestellt wird, dass die den Arbeitnehmern gesetzlich zustehenden Löhne oder das Arbeitsentgelt nach dem allgemein verbindlichen Tarifvertrag nicht gezahlt und auch nicht für die Beitragsberechnung herangezogen wurden, werden die Beiträge für die Differenz zwischen dem gezahlten Arbeitsentgelt und dem zustehenden Arbeitsentgelt nacherhoben.

 

Rz. 6

 
Praxis-Beispiel
  • Eine Einzelhändlerin beschäftigte mehrere Aushilfskräfte, darunter eine Frau zu einem Entgelt knapp unter der Geringfügigkeitsgrenze. Bei einer Betriebsprüfung stellte der Rentenversicherungsträger fest, dass die Beschäftigte nach Tarifverträgen, die für allgemein verbindlich erklärt waren, Anspruch auf ein höheres Arbeitsentgelt und auf Sonderzuwendungen gehabt habe. Deshalb sei die Geringfügigkeitsgrenze überschritten gewesen und es ...

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