Ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers auf eine Gratifikation entsteht häufig auch ohne ausdrückliche Vereinbarung, d. h. ohne dass es eine tarifvertragliche oder ausdrückliche arbeitsvertragliche Regelung gibt, durch betriebliche Übung beim Arbeitgeber und damit oft vom Arbeitgeber ungewollt. Die betriebliche Übung ist nicht gesetzlich geregelt, sondern eine Anspruchsgrundlage, die von der Rechtsprechung entwickelt worden ist. Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden.

Der zur gefestigten, ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG)[1] seit 1963 gewordene Grundsatz lautet:

Hat ein Arbeitgeber wiederholt und vorbehaltlos eine Gratifikation gewährt, so ist er nach dreimaliger vorbehaltloser Gewährung für die Zukunft gebunden.

 
Praxis-Beispiel

Betriebliche Übung

Gewährt der Arbeitgeber also in den Jahren 2020, 2021 und 2022 jeweils vorbehaltlos ein Weihnachtsgeld an sämtliche Arbeitnehmer des Unternehmens, haben sämtliche Mitarbeiter im Dezember 2023 auch dann einen Anspruch auf Zahlung des Weihnachtsgeldes für dieses Jahr.

Dabei kann eine betriebliche Übung auch für die Arbeitnehmer entstehen, die neu eingestellt wurden, soweit gegenüber den "Alt- Arbeitnehmern" bereits wirksam eine betriebliche Übung begründet wurde.[2]

Eine betriebliche Übung kann zudem gegenüber Betriebsrentnern entstehen, z. B. durch regelmäßige, vorbehaltlose Weihnachtsgeldzahlungen an ehemalige Arbeitnehmer im Rentenstand.[3]

Der entstandene Rechtsanspruch der begünstigten Arbeitnehmer ist bindend und kann nicht einfach wieder vom Arbeitgeber einseitig, z. B. durch einen Aushang im Betrieb oder ein Rundschreiben beseitigt werden.

Der Arbeitgeber kann sich von der zum Gegenstand des Arbeitsverhältnisses gewordenen Verpflichtung zur Zahlung einer Gratifikation ohne Mitwirkung des Arbeitnehmers nur im Wege der Änderungskündigung wieder lösen.[4] Die Hürden, die das Bundesarbeitsgericht beim Abbau von sozialen Leistungen durch Änderungskündigung aufstellt, sind allerdings sehr hoch.

Eine einmal entstandene betriebliche Übung kann auch nicht durch eine "gegenläufige betriebliche Übung" geändert werden.[5] Die frühere, arbeitgeberfreundlichere Rechtsprechung wurde insoweit aufgegeben. Auch wenn der Arbeitgeber unwidersprochen 3 Jahre in Folge darauf hinweist, dass er künftig nur noch freiwillig und ohne Schaffung eines Rechtsanspruchs Gratifikationen zahlen will, bleibt daher eine vorher entstandene betriebliche Übung erhalten.

 
Praxis-Tipp

Unbedingt Freiwilligkeitsvorbehalt mitteilen!

Schutz vor der unerwünschten Rechtsfolge des Entstehens einer betrieblichen Übung bietet ein rechtswirksamer, dem Arbeitnehmer mitgeteilter sog. Freiwilligkeitsvorbehalt. Hierbei ist darauf zu achten, dass nicht nur die "Freiwilligkeit" der Zahlung zum Ausdruck kommt, sondern vor allem, dass kein Rechtsanspruch für die Zukunft entstehen soll (mehr hierzu unter dem Punkt "Lösungsmöglichkeiten durch Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt").

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