Sieben Fakten zur Arbeitszeiterfassung
In seinem Beschluss vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) hat das BAG festgestellt, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, ein System zur Zeiterfassung einzuführen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat daraufhin am 18. April 2023 einen Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes vorgelegt, der es bislang nicht ins Gesetzgebungsverfahren geschafft hat. Der Entwurf sieht folgendes vor:
1. Tatsächliche Arbeitszeit ist zu erfassen
Arbeitgeber müssen Beginn, Dauer und Ende der Arbeitszeit erfassen - einschließlich Überstunden und Pausenzeiten. Folglich besteht die Zeiterfassungspflicht für die tatsächliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin. Ein Schicht- oder Dienstplan wird zukünftig nicht mehr ausreichend sein.
Die Arbeitszeitdaten müssen nicht nur erhoben, sondern so erfasst und aufgezeichnet werden, dass eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden möglich ist. Der Referentenentwurf regelt daher eine Aufbewahrungspflicht der Arbeitszeitdaten von zwei Jahren. Nicht ausreichend ist es, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmenden lediglich ein Zeiterfassungssystem anbietet und ihnen freistellt, ob sie das System nutzen oder nicht. Zu beachten ist weiterhin, dass auch Arbeitnehmende eine Kopie der aufgezeichneten Zeitdaten einfordern können.
Zudem stellt das BAG fest, dass es möglich ist, die Aufzeichnung der Arbeitszeiten an die Arbeitnehmenden zu delegieren. In der Unternehmenspraxis bietet sich hierfür eine entsprechende Richtlinie sowie – in den mitbestimmten Unternehmen – eine Betriebsvereinbarung an, in denen das Verfahren zur Zeiterfassung verbindlich geregelt ist und die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zur ordnungsgemäßen Nutzung des Zeiterfassungssystems verpflichtet.
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2. Arbeitszeiterfassung in der Regel elektronisch
Lange war unklar, in welcher Form die Arbeitszeiten zu erfassen sind. Hier hat der Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) etwas mehr Klarheit geschaffen. Grundsätzlich soll eine Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung gelten. Genauere Anforderungen werden jedoch nicht vorgegeben. Das bedeutet, dass wohl die meisten gängigen Programme und Apps zulässig sein dürften sowie auch eine tabellarische Zeiterfassung.
Für die Einführung entsprechender Systeme gelten Übergangsfristen, die ab dem Inkrafttreten des Gesetzes laufen:
- weniger als 50 Beschäftigte: fünf Jahre
- weniger als 250 Beschäftigte: zwei Jahre
- 250 oder mehr Beschäftigte: ein Jahr
Ausgenommen von der Pflicht zur elektronischen Zeiterfassung sind lediglich Unternehmen mit zehn oder weniger Beschäftigten – sie dürfen die Arbeitszeiten auch analog erfassen.
3. Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin möglich
Im Hinblick auf Vertrauensarbeitszeit (im eigentlichen Sinn) ergeben sich keine tiefgreifenden Änderungen. Vertrauensarbeitszeit meint dabei, dass die Arbeitnehmenden den Beginn und das Ende ihrer täglichen Arbeitszeit selbst bestimmen können. Der Arbeitgeber verzichtet dafür auf Kontrollen, dass die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeiten auch einhalten (so auch BAG, Urteil vom 26. Juni 2019, Az. 5 AZR 452/18). Dabei sind die gesetzlichen Regelungen des Arbeitszeitgesetzes wie Höchstarbeitszeiten, Ruhepausen, Ruhezeiten sowie das Sonn- und Feiertagsarbeitsverbot – vor wie nach dem Beschluss des BAG – zu beachten. § 16 Abs. 4 des Referentenentwurfs sieht vor, dass Arbeitgeber auf die Kontrolle der Arbeitszeiten verzichten können, wenn die Aufzeichnung durch die Arbeitnehmenden erfolgt. Das soll zumindest dann gelten, wenn trotzdem sichergestellt ist, dass dem Arbeitgeber etwaige Verstöße bekannt werden, beispielsweise durch Warnmeldungen des Zeiterfassungssystems.
Neu ist, dass Arbeitgeber nicht mehr auf jedwede Dokumentation der Arbeitszeit verzichten können. Das BAG hat in seinen Urteilsgründen klargestellt, dass Beginn und Ende (und damit die Dauer) der täglichen Arbeitszeit sowie Pausenzeiten und Überstunden erfasst werden müssen. Die Möglichkeit, dass die Arbeitszeit erst gar nicht erfasst werden muss, wird also für den Großteil der Arbeitnehmenden nicht mehr bestehen.
4. Zeiterfassung gilt nicht für leitende Angestellte
Bereits das Arbeitszeitgesetz ist nicht anwendbar auf "echte" leitende Angestellte. Zu dieser Gruppe dürften allerdings nur die wenigsten Arbeitnehmenden zählen, da die Anforderungen hierfür recht hoch sind. Das betrifft insbesondere Führungskräfte, die zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Mitarbeitenden berechtigt sind oder eine nicht unbedeutende Prokura haben.
Weitere Ausnahmen sind nach der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) für Arbeitnehmende möglich, deren Arbeitszeit wegen besonderer Merkmale der Tätigkeit nicht bemessen und/oder vorherbestimmt ist oder von den Arbeitnehmenden selbst bestimmt werden kann. Von dieser Möglichkeit hat der Gesetzgeber jedoch bisher keinen Gebrauch gemacht. Denkbar wäre es etwa – wie in anderen EU-Staaten –, Lohngrenzen festzulegen, oberhalb derer die Aufzeichnungspflicht nicht gilt.
5. Pflicht zur Zeiterfassung ist Arbeitsschutz
Anlass der Entscheidung des BAG war ursprünglich ein mitbestimmungsrechtliches Thema: Ein Betriebsrat wollte bei der Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems mitbestimmen. Ein Mitbestimmungsrecht ist jedoch ausgeschlossen, wenn der Arbeitgeber bereits gesetzlich zu einer bestimmten Maßnahme verpflichtet ist. Eine solche gesetzliche Verpflichtung zur umfangreichen Zeiterfassung sieht das BAG im Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG). Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein "objektives, verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung" einzurichten, sei § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG so auszulegen, dass der Arbeitgeber die gesamte tatsächliche Arbeitszeit der Arbeitnehmenden erfassen muss. Konkretisiert werden soll diese Pflicht nun durch eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes.
6. Bei Zeiterfassung kein Initiativrecht für den Betriebsrat
Nach dem Beschluss des BAG steht jedenfalls fest, dass der Betriebsrat die Einführung eines (elektronischen) Zeiterfassungssystems nicht verlangen kann. Sofern die Vorgaben des BAG im Betrieb nicht umgesetzt werden, hat der Betriebsrat grundsätzlich keine Möglichkeit, die Zeiterfassung gerichtlich durchzusetzen.
Ein Mitbestimmungsrecht besteht aber bei der konkreten Ausgestaltung des Zeiterfassungssystems. Ausdrücklich formuliert das BAG in seinen Entscheidungsgründen, dass die Ausgestaltung "Raum für eine Mitbestimmung des Betriebsrats" lässt. Den Betriebsparteien kommt dabei ein Gestaltungsspielraum zu, in welcher Art und Weise – gegebenenfalls differenziert nach Art der Tätigkeiten – die Zeiterfassung erfolgen soll.
7. Verstoß gegen Pflicht zur Zeiterfassung führt noch nicht zu unmittelbaren Konsequenzen
Laut dem BAG besteht für Arbeitgeber eine "objektive gesetzliche Handlungspflicht", ein Zeiterfassungssystem einzurichten. Grundsätzlich müssen Arbeitszeiten daher ab sofort erfasst werden. Ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz ist jedoch nach der aktuellen Gesetzeslage noch keine Ordnungswidrigkeit – Bußgelder können nur verhängt werden, wenn der Arbeitgeber zuvor bereits von einer Aufsichtsbehörde zur Arbeitszeiterfassung aufgefordert wurde und dem nicht Folge leistet.
Sobald die Gesetzesänderung jedoch in Kraft getreten ist, werden Verstöße unmittelbar bußgeldbewährt sein. Arbeitgeber, die die Arbeitszeiten nicht ordnungsgemäß erfassen oder die Nachweise nicht über den vorgeschriebenen Zeitraum von zwei Jahren aufbewahren, müssen mit einer Geldbuße von bis zu 30.000 Euro rechnen.
Arbeitszeiterfassung frühzeitig einführen
Nichtsdestotrotz gilt die Devise, dass sich Arbeitgeber – auch wenn die geplante Änderung des Arbeitszeitgesetzes aktuell noch nicht in Kraft getreten ist – zwingend mit dem Thema Arbeitszeiterfassung auseinandersetzen sollten. Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit besteht bereits jetzt. Gerade die Implementierung digitaler Zeiterfassungssysteme, ihre Einbindung in bereits bestehende HR-Software und -Prozesse sowie etwaige Verhandlungen mit dem Betriebsrat können zeitintensiv sein. Hier kann mit entsprechender Vorarbeit wichtige Zeit bei der Umsetzung eingespart werden, wenn es alsbald zu einer Regelung durch den Gesetzgeber kommt.
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