Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 17.08.1990; Aktenzeichen L 1 An 9/90)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 17. August 1990 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind der Klägerin nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Vormerkung eines Ausfallzeittatbestandes.

Die 1952 geborene Klägerin studierte vom 16. September 1971 bis August 1975 an der M. … -L. … -Universität H. … -W. … Staats- und Rechtswissenschaft. Am 27. August 1975 wurde ihr der akademische Grad „Diplom-Jurist” verliehen. Nachdem die Klägerin im August 1982 nach Berlin (West) übergesiedelt war, anerkannte der Senator für Justiz des Landes Berlin am 29. September 1982 ihre an der M. … -L. … -Universität abgelegte juristische Diplomprüfung als der Ersten juristischen Staatsprüfung gleichwertig an. Mit Schreiben vom selben Tag empfahl er der Klägerin, „sich die für einen erfolgreichen Abschluß des juristischen Vorbereitungsdienstes erforderlichen Kenntnisse des hiesigen Rechts durch ein Studium von etwa vier Semestern an einer Hochschule oder durch geeignetes Privatstudium zu verschaffen”. Die Klägerin studierte hierauf vom Sommersemester 1983 (Beginn: 1. April 1983) bis zum Wintersemester 1984/85 (Ende: 31. März 1985) als eingeschriebene Studentin der Fachsemester 8 bis 11 an der Freien Universität (FU) B. … Rechtswissenschaft und absolvierte im Anschluß daran erfolgreich den juristischen Vorbereitungsdienst (Zweite juristische Staatsprüfung abgelegt am 13. Januar 1988).

Die Beklagte anerkannte mit bestandskräftigem Bescheid vom 2. Mai 1983 bei der Klägerin ua für die Zeit vom 16. September 1971 bis zum 27. August 1975 Pflichtbeiträge „während Ausfallzeit”) nach § 15 Fremdrentengesetz (FRG) und merkte diese Zeit als „Ausfallzeit-Tatsache” (Hochschulausbildung) nach § 36 Abs 1 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) vor. Auf einen Kontenklärungsantrag der Klägerin vom 2. Juni 1988 lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 16. Juni 1988 (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 15. November 1988) aber ab, die Zeit des Studiums an der FU B. … vom 1. April 1983 bis zum 31. März 1985 als Ausfallzeit anzuerkennen, weil die Zeit einer Hochschulausbildung lediglich bis zu ihrem ersten Abschluß Ausfallzeit sein könne. Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ Berlin vom 8. November 1989, Urteil des Landessozialgerichts ≪LSG≫ Berlin vom 17. August 1990). Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, daß das Studium der Klägerin in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und an der FU B. … nicht als zusammenhängende Einheit betrachtet werden könne, weil wegen der Anerkennung des „DDR-Juristen-Diploms” als der Ersten juristischen Staatsprüfung gleichwertig das juristische Studium der Klägerin iS von § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b Regelung 3 AVG als abgeschlossen angesehen werden müsse.

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG und trägt vor, die bloß formale Gleichstellung ihrer Diplomprüfung mit der Ersten juristischen Staatsprüfung führe nicht dazu, daß ihre Berufsausbildung bereits mit dieser Gleichstellung abgeschlossen war, denn nicht bereits hierdurch, sondern erst durch ihr „Ergänzungsstudium” an der FU B. … sei ihr der Weg ins Berufsleben eröffnet gewesen (Hinweis auf BSGE 59, 27 = SozR 2200 § 1259 Nr 92). Erst durch das „Ergänzungsstudium” habe sie die Möglichkeit erworben, den Vorbereitungsdienst mit Aussicht auf Erfolg zu durchlaufen und die Zweite juristische Staatsprüfung bestehen zu können. Im übrigen lasse die Senatsverwaltung der Justiz in Berlin eine dritte Wiederholung der Zweiten Staatsprüfung nur dann zu, wenn Diplomjuristen vor Eintritt in den Vorbereitungsdienst ein wenigstens viersemestriges Ergänzungsstudium durchgeführt haben.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 17. August 1990 sowie des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 8. November 1989 und des Bescheides vom 16. Juni 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. November 1988 zu verurteilen, die Zeit vom 1. April 1983 bis 31. März 1985 „im Rahmen der gesetzlichen Höchstdauer” als Ausfallzeit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das Urteil des LSG hinsichtlich seines Ergebnisses und seiner Begründung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin erstrebt mit ihrer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht die leistungsrechtliche Anrechnung der Zeit ihres Studiums an der FU B. … als Ausfallzeit. Vielmehr geht es ihr bislang nur um die Vormerkung, daß diese Zeit eine Ausfallzeittatsache iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG idF des Art 1 § 2 Nr 13 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S 1965) ist (dazu BSGE 56, 151 = SozR 2200 § 1259 Nr 82 S 225; BSGE 31, 226 ff = SozR Nr 30 zu § 1259 RVO). Über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten kann dagegen erst bei Eintritt des Versicherungsfalles entschieden werden (§ 104 Abs 3 AVG in der ab 1. Januar 1987 geltenden Fassung; Urteile des Senats vom 29. August 1991 – 4 RA 87/90 und vom 21. März 1991 – 4/1 RA 35/90 – zur Veröffentlichung vorgesehen – jeweils mwN).

Nach § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG sind Ausfallzeiten ua Zeiten einer nach Vollendung des 16. Lebensjahres liegenden abgeschlossenen Hochschulausbildung bis zur Höchstdauer von fünf Jahren. Zu Recht haben die Vorinstanzen verneint, daß die Klägerin mit ihrem Studium der Rechtswissenschaft an der FU B. … eine Hochschulausbildung „abgeschlossen” hat.

Abgeschlossen iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG ist eine Hochschulausbildung dann, wenn sie – nicht nur zeitlich erfolgreich beendet worden ist. Sieht ein Studiengang – wie derjenige der Rechtswissenschaft – eine Abschlußprüfung vor, so weist allein das Bestehen dieser Prüfung den Ausbildungserfolg nach (BSGE 20, 35, 36 = SozR Nr 9 zu § 1259; BSGE 59, 27, 28 = SozR 2200 § 1259 Nr 92 S 247; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 86 S 231; BSG SozR 2200 § 1259 Nr 14 S 53). Die Klägerin hat indessen die das Studium der Rechtswissenschaft an der FU B. … abschließende Erste juristische Staatsprüfung nicht abgelegt (zum Erfordernis der Ersten juristischen Staatsprüfung vgl § 5 Abs 1 Deutsches Richtergesetz ≪DRiG≫ idF der Bekanntmachung vom 19. April 1972, BGBl I S 713 iVm §§ 1 bis 5 des Gesetzes über die juristische Ausbildung im Land Berlin vom 29. April 1966, GVBl S 735 idF vom 26. November 1984, GVBl S 1683, §§ 1 bis 19 der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen im Land Berlin vom 26. November 1984, GVBl S 1688). Schon deswegen hat die Klägerin das Studium an der FU B. … nicht im Sinne der gesetzlichen Anforderungen abgeschlossen.

Die Klägerin kann auch nicht für sich in Anspruch nehmen, daß in ihrem besonderen Fall die Nichtberücksichtigung der Studienzeit an der FU B. … eine ganz besondere Härte oder eine grobe Unbilligkeit darstellte. Die vom Senator für Justiz in Berlin erteilte Gleichwertigkeitsbescheinigung wirkte sich nämlich rentenrechtlich zu Gunsten der Klägerin aus insoweit, als die Beklagte das Studium der Staats- und Rechtswissenschaft der Klägerin in der ehemaligen DDR bereits in seinem vollen Umfang von annähernd vier Jahren als abgeschlossenes Hochschulstudium iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG anerkannt und entsprechende Ausfallzeittatbestände vorgemerkt hat. Dabei hat die Beklagte – auch insoweit zu Gunsten der Klägerin – nicht geprüft, ob die DDR-Hochschulausbildung für ihr Berufsleben tatsächlich von Nutzen gewesen ist (BSGE 48, 219, 222 = SozR 2200 § 1259 Nr 42 S 111) oder ob die hochschulrechtlichen Voraussetzungen der vom Senator für Justiz ausgestellten Gleichwertigkeitsbescheinigung tatsächlich vorlagen (zu den Voraussetzungen der Anerkennung des DDR-Juristen-Diploms vgl § 92 Abs 2, Abs 3 Bundesvertriebenengesetz vom 28. Oktober 1961, BGBl I S 1883, idF des Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Deutsche aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und dem sowjetisch besetzten Sektor von Berlin vom 10. Mai 1971, BGBl I S 445, § 1 Abs 1 Satz 1, 3, § 20 Abs 2 Flüchtlingshilfegesetz idF vom 15. Mai 1971, BGBl I S 682; zur Anwendbarkeit dieser Vorschriften – insbesondere des § 92 Abs 3 Bundesvertriebenengesetz – neben § 112 DRiG vgl BVerwG MDR 1970, 263 – Urteil vom 16. Oktober 1969 – I C 71/67 –, ablehnend: Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz, 4. Aufl 1988, § 112 RdZiff 1, 2; zur Gleichstellung des Abschlusses eines rechtswissenschaftlichen Studiums als Diplom-Jurist nach der Herstellung der Einheit Deutschlands vgl Art 8 Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III 8 Buchst y, gg des Einigungsvertrages, BGBl 1990 Teil II S 889, 931).

Andererseits markiert das in der DDR mit der Diplomprüfung erfolgreich abgeschlossene Studium zu Lasten der Klägerin rentenversicherungsrechtlich das Ende der Hochschulausbildung mit der Folge, daß die Anerkennung (weiterer nicht mit einer vorgeschriebenen Prüfung abgeschlossenen) Studienzeiten als Ausfallzeittatbestand ausscheidet. Da grundsätzlich nur eine einzige erfolgreich abgeschlossene Hochschulausbildung als Ausfallzeit berücksichtigt werden kann, sind nach dem Erreichen des ersten möglichen Abschlusses weitere Ausbildungsabschnitte an einer Hoch- oder Fachschule kein Ausfallzeittatbestand. Das Bundessozialgericht (BSG) hat es deshalb etwa abgelehnt, den Besuch einer Steuerfachschule durch einen bereits zugelassenen Rechtsanwalt zur Weiterbildung (BSGE 52, 131 = SozR 2200 § 1259 Nr 56 S 150), ein Zweit- oder Zusatzstudium (BSG SozR 2200 § 1259 Nr 38; BSGE 59, 27, 28 ff = SozR 2200 § 1259 Nr 92), einen berufspraktischen Ausbildungsabschnitt (BSGE 54, 162, 165 = SozR 2200 § 1259 Nr 71: Predigerseminar nach Abschluß eines evangelischen Theologiestudiums) oder eine Assistententätigkeit während eines Promotionsverfahrens (BSGE 20, 35, 36 = SozR Nr 9 zu § 1259) als weitere Ausfallzeit anzuerkennen. Dies gilt erst recht, wenn ein Studium nur der Vertiefung, Auffrischung oder gar dem erstmaligen Erwerb der Kenntnisse gilt, deren Nachweis eine bereits erfolgreich abgelegte Abschlußprüfung dient (ähnlich Zweng/Scheerer/Buschmann, Rentenversicherung, 2. Aufl 36. Lieferung, § 1259 Anm II 8 B; zur Fort- und Weiterbildung BSGE 52, 131, 132 = SozR 2200 § 1259 Nr 56 S 150). Das Gesetz berücksichtigt nicht jede Berufsausbildung als Ausfallzeit, sondern nur bestimmte typische Ausbildungszeiten mit geregeltem Ausbildungsgang. Hierbei ist die Hochschulausbildung nur bis zu dem Abschluß zu berücksichtigen, der den Weg ins Berufsleben eröffnet. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist dies nicht erst dann der Fall, wenn der Versicherte die (seiner Meinung nach) hierfür erforderlichen Kenntnisse tatsächlich besitzt; dies würde nämlich uU langwierige und schwierige Ermittlungen des Versicherungsträgers erfordern, die der Praktikabilität des Rentenverfahrens abträglich wären und zu einer weitgehenden Kasuistik führen müßten (BSGE 48, 219, 222 = SozR 2200 § 1259 Nr 42 S 111). Maßgeblich ist vielmehr, ab welchem Zeitpunkt dem Versicherten der Weg ins Berufsleben erstmals rechtlich eröffnet ist (vgl im Ergebnis so bereits BSGE 52, 131, 133 = SozR 2200 § 1259 Nr 56 S 151; BSGE 59, 27, 28 = SozR 2200 § 1259 Nr 92 S 247; Urteil des Senats vom 29. März 1990 – 4 RA 37/89 S 7). Dies war bei der Klägerin indessen nicht erst nach ihrem Studium an der FU B. …, sondern bereits mit Erteilung der Gleichwertigkeitsbescheinigung des Senators für Justiz nach dem in der ehemaligen DDR abgeschlossenen Studium der Rechts- und Staatswissenschaft der Fall. Von diesem Zeitpunkt an war die Klägerin sowohl hochschulrechtlich als auch rentenversicherungsrechtlich so zu behandeln, als habe sie ein Studium der Rechtswissenschaft erfolgreich abgeschlossen. Wenn sie gleichwohl nicht in der Lage war, mit den bis dahin erworbenen Kenntnissen den Vorbereitungsdienst mit Aussicht auf Erfolg zu durchlaufen, so ändert dies nichts an der Tatsache, daß die Klägerin jedenfalls berechtigt war, den Vorbereitungsdienst aufzunehmen oder einen allein die Erste juristische Staatsprüfung voraussetzenden Beruf (vgl zu solchen Berufen Schmidt-Räntsch, aaO, § 5 RdZiff 6; Götz, JuS 1983, 565 ff; von Nieding, Berufschancen für Juristen, 3. Aufl 1986, S 39, 127 ff) oder einen sonstigen rentenversicherungspflichtigen Beruf zu ergreifen. Die von der Klägerin an der FU B. … aufgewendete Zeit honoriert der Gesetzgeber nicht durch die Anerkennung als Ausfallzeit, sondern weist sie – wie zB notwendige Ausbildungszeiten, die die gesetzlichen Zeitgrenzen überschreiten – dem persönlich zu verantwortenden Lebensbereich des Versicherten zu (BSGE 52, 131, 132 = SozR 2200 § 1259 Nr 56 S 150).

Eine Vormerkung der Zeit des Studiums der Klägerin an der FU B. … nach den Grundsätzen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches (zu dessen Voraussetzungen vgl BSGE 63, 112, 114 = SozR 1200 § 14 Nr 28 mwN) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Abgesehen davon, daß ein Herstellungsanspruch nicht zu einer dem Gesetz und Recht widersprechenden Handlung eines Sozialleistungsträgers führen darf (vgl BSGE 66, 258, 265 = SozR 3-4100 § 125 Nr 1 mwN), hat der Senator für Justiz des Landes Berlin gegenüber der Klägerin weder eine Aussage über die Anrechenbarkeit des von ihm ua empfohlenen Studiums der Rechtswissenschaft als Ausfallzeit iS des § 36 Abs 1 Satz 1 Nr 4 Buchst b AVG getroffen noch hat er die Anerkennung der DDR-Diplom-Prüfung als der Ersten juristischen Staatsprüfung gleichwertig von einem weiteren Studium an der FU B. … oder an einer sonstigen deutschen Hochschule (rechtlich) abhängig gemacht. Ein Tatbestand, aufgrund dessen die Klägerin mit der Anrechnung ihres Studiums an der FU B. … als Ausfallzeit rechnen konnte und durfte, liegt mithin nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173715

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