Leitsatz (amtlich)

1. Lehnt der Versicherungsträger die Eintragung von Ersatz- oder Ausfallzeiten in Versicherungskarten ab, so ist die erhobene Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zu deuten, mit der die Verurteilung des Versicherungsträgers zur Eintragung der Ersatz- oder Ausfallzeiten in eine Versicherungskarte begehrt wird.

2. Die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in Versicherungskarten durch den Versicherungsträger ist ein Verwaltungsakt mit dem der Versicherungsträger die Ersatz- und Ausfallzeiten von Versicherten feststellt.

3. Eine Referendarzeit ist keine Lehrzeit iS des AVG § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst a (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 4 Buchst a).

 

Normenkette

SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, § 123 Fassung: 1953-09-03; AVG § 36 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; RVO § 1259 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. a Fassung: 1965-06-09; AVG § 134 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1412 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 6. April 1967 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Die Beteiligten streiten über die Frage, ob die - nicht nachversicherte - Referendarzeit des Klägers im Justizdienst vom 23. September 1953 bis 28. Februar 1957 Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ist.

Der 1924 geborene Kläger beantragte im Mai 1964 bei der Beklagten, ihm Ersatz- und Ausfallzeiten zu bescheinigen. Die Beklagte vermerkte darauf Kriegs-, Schul- und Hochschulzeiten in der Versicherungskarte Nr. 3 und erteilte dem Kläger eine Ergänzungsbescheinigung zur Aufrechnungsbescheinigung. Die Referendarzeit bezeichnete sie als nicht vormerkungsfähig. Den erneuten Antrag, diese als Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG anzuerkennen, lehnte die Beklagte ab, weil die Referendarzeit keine Lehrzeit im Sinne dieser Vorschrift sei (Bescheid vom 13. Oktober und Widerspruchsbescheid vom 10 Dezember 1965).

Das Sozialgericht (SG) hob die Bescheide der Beklagten auf und verurteilte sie, die Referendarzeit als Ausfallzeit anzuerkennen. Es wertete die Klage als Anfechtungs- und Feststellungsklage und hielt die letztere aufgrund des § 55 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für zulässig (Urteil vom 25. Oktober 1966). Das Landessozialgericht (LSG) wies die Klage dagegen ab. Die Referendarzeit sei keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG. Dieser Begriff dürfe nicht extensiv ausgelegt werden; der Auffassung des Sozialgerichts, daß er neben der eigentlichen Lehrzeit auch sonstige Zeiten der Berufsausbildung umfasse, sei nicht beizutreten. Ebensowenig sei eine analoge Anwendung möglich, weil die Tätigkeit von Lehrlingen und Referendaren nicht gleichartig sei. Hiernach könne dahinstehen, ob das SG die Beklagte nicht lediglich zur Eintragung einer Ausfallzeit hätte verurteilen dürfen (Urteil vom 6. April 1967).

Mit der zugelassenen Revision hat der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Er rügt eine Verletzung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG und des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Während des Revisionsverfahrens hat der Kläger seinen Klagantrag neu gefaßt. Er begehrt jetzt neben der Aufhebung der angefochtenen Bescheide,

die Beklagte zu verurteilen, die Referendarzeit als Ausfallzeit anzurechnen, falls bei Eintritt des Versicherungsfalles die Voraussetzungen des § 36 Abs. 3 AVG und des Art. 2 § 54 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) erfüllt seien,

hilfsweise,

sie zu verurteilen, die Referendarzeit als Ausfallzeit in eine Ergänzungs-Aufrechnungsbescheinigung einzutragen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Klagen mit dem Antrag, den Versicherungsträger schon vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu verurteilen, Ersatz- bzw. Ausfallzeiten "anzuerkennen", "vorzumerken", "anzurechnen", "festzustellen" usw., sind vom Bundessozialgericht (BSG), soweit ersichtlich (vgl. die Urteile des 4. Senats in BSG 23, 89, 92 und in SozR Nr. 26 zu § 1251 RVO und des 12. Senats in SozR Nr. 23 zu § 1259 RVO und Nr. 41 zu § 1251 RVO), stets als Verbindung einer Anfechtungsklage mit einer Klage auf Verurteilung des Versicherungsträgers zur Eintragung der Ersatz- bzw. Ausfallzeiten in Versicherungskarten behandelt worden. Dem schließt sich der erkennende Senat an.

Der Senat ist an die Fassung der gestellten Anträge nicht gebunden (§ 123 SGG). Nach seiner Auffassung wird diese Deutung des Klageantrages auch hier dem verfolgten Klageziel gerecht. Der Kläger will bereits jetzt und nicht erst bei Eintritt eines Versicherungsfalles verbindlich geklärt wissen, ob seine Referendarzeit eine Ausfallzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG ist. Das kann er nur in dem aufgezeigten Klageweg erreichen.

Eine Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG müßte daran scheitern, daß der Streit nur die Teilvoraussetzung (einen Berechnungsfaktor) einer später möglicherweise zu zahlenden Rente, also kein Rechtsverhältnis (BSG 4, 184) und auch keinen Beitragsstreit im Sinne des § 55 Abs. 2 SGG betrifft. Einem Feststellungsverlangen nach § 145 Abs. 3 Satz 1 AVG (§ 1423 Abs. 3 Satz 1 RVO) stünde entgegen, daß hier nicht um den Bestand eines gültigen Versicherungsverhältnisses gestritten wird. Auch eine Anerkennung durch den Versicherungsträger im Sinne des folgenden Satzes 2, selbst wenn sie im Rechtsweg erstreitbar wäre, kommt nach der herrschenden Meinung (vgl. SozR Nr. 21 zu Art. 2 § 42 ArVNG) bei Ersatz- und Ausfallzeiten nicht in Betracht. Eine Verurteilung der Beklagten entsprechend der letzten Fassung des Hauptantrages der Klage schließlich läßt schon § 168 SGG nicht zu; dieses Begehren enthält nämlich eine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung, weil es nicht mehr auf ein gegenwärtig, sondern auf ein erst in ungewisser Zukunft zu vollziehendes Verwaltungshandeln der Beklagten abzielt.

Die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in Versicherungskarten ist demgegenüber im AVG ausdrücklich vorgesehen. Nach § 134 Abs. 3 AVG trägt die Ausgabestelle Ersatz- und Ausfallzeiten, die der Versicherte nachweist, in die umgetauschte Versicherungskarte und in die Aufrechnungsbescheinigung ein (vgl. dazu § 17 der allgemeinen Verwaltungsvorschrift über Versicherungskarten und Aufrechnungsbescheinigungen - VVA - vom 27. Mai 1964 idF vom 19. Dezember 1967, Bundesanzeiger 99/1964 und 239/1967 - BABl 1964, 393 und 1968, 173). Nach dem Gesetz ist aber auch der Versicherungsträger für diese Verwaltungsgeschäfte zuständig (§ 136 Abs. 1 AVG, vgl. ferner § 135 Abs. 1 AVG). Er hat sinngemäß die für die Ausgabestellen geltenden Verwaltungsvorschriften anzuwenden (§§ 17, 32 VVA). An den für die Ausgabestellen festgelegten Zeitpunkt der Eintragung (§ 17 Abs. 2 VVA: Umtausch von Versicherungskarten) ist er nicht gebunden; es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte hier die Entscheidung über das Eintragungsbegehren des Klägers bis zum nächsten Kartenumtausch hätte zurückstellen müssen.

Eine Eintragungsklage könnte allerdings das Klageziel des Klägers dann nicht erreichen, wenn der Versicherungsträger mit der Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in Versicherungskarten nur eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 418 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (vgl. SozR Nr. 41 zu § 1251 RVO) erstellen würde. Denn diese würde nur für die darin bezeugten Tatsachen vollen Beweis begründen und das auch nur vorbehaltlich eines Gegenbeweises (vgl. § 418 Abs. 2 ZPO). Dem Kläger geht es aber nicht um das Festhalten von Tatsachen. Er will eine verbindliche Klärung der Rechtsnatur seiner Referendarzeit, ihre rechtliche Würdigung als Ausfallzeit. Hierzu würde es ihm wenig nützen, daß auch vor Erstellung von Beweisurkunden für Ersatz- und Ausfallzeiten vorab zu prüfen wäre, ob die Referendarzeit eine Ausfallzeit ist; denn im Falle einer bloßen Beweisurkunde wäre der Versicherungsträger an das Ergebnis dieser Prüfung selbst dann nicht gebunden, wenn sie in einem gerichtlichen Verfahren erfolgte.

Nach der Auffassung des Senats ist die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten durch den Versicherungsträger - für die Eintragung durch die Ausgabestellen bedarf das hier keiner Entscheidung - jedoch ein Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger in bindender Weise die Ersatz- und Ausfallzeiten von Versicherten feststellt. Dem steht nicht entgegen, daß die Eintragung unter Schlüsselzahlen (§ 17 Abs. 4 VVA i. V. m. den Anlagen 1 und 3, bei Lehrzeiten unter der Schlüsselzahl 59) erfolgt; das geschieht aus Abkürzungsgründen, der feststellende Verfügungssatz, d. h. die mit der Eintragung getroffene Feststellung, bleibt gleichwohl erkennbar.

Diese Wertung von Eintragungen des Versicherungsträgers ergibt sich freilich noch nicht zwingend aus dem Wortlaut des AVG und der VVA. § 1 VVA sagt nur, daß die Versicherungskarten (neben dem Nachweis der Beiträge usw.) dem Nachweis der Ersatz- und Ausfallzeiten dienen und daß ihre sorgfältige Behandlung und Aufbewahrung die richtige und rechtzeitige Gewährung der Rente und der sonstigen Leistungen erleichtern soll. Der hier und in § 134 Abs. 3 AVG verwendete Begriff des Nachweises braucht jedoch in diesem Zusammenhang schon nicht streng auf Tatsachen beschränkt zu sein; die richtige und rechtzeitige Leistungsgewährung wird zudem durch eine Eintragung, welche die Ersatz- und Ausfallzeiten verbindlich feststellt, sicher mehr gefördert (erleichtert) als durch eine bloße Beweisurkunde. Ausschlaggebend ist indessen, daß im Grunde nur die verbindliche Feststellung der Ersatz- und Ausfallzeiten den Bedürfnissen der Versicherten und des Versicherungsträgers gerecht wird. Der Kläger hat darauf hingewiesen, daß er gemäß Art. 2 § 54 a AnVNG idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 ab Januar 1968 jährlich mindestens neun halbe Höchstbeiträge entrichten muß, wenn er seine Ausfallzeiten gemäß § 36 Abs. 3 AVG später angerechnet haben will, und daß seine Entschließung für oder gegen eine solche Beitragsentrichtung wesentlich vom Umfang der Ausfallzeiten abhängt. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an gegenwärtiger verbindlicher Klärung des Ausfallzeitcharakters der Referendarzeit; das wird auch von der Beklagten anerkannt. In vergleichbarer Lage können sich andere Versicherte befinden; als weiteres Beispiel nennt die Beklagte Personen, deren Recht zur Weiterversicherung davon abhängt, ob Ersatz- und Ausfallzeiten bei der Ermittlung des Zehnjahreszeitraumes des § 10 Abs. 1 AVG zu berücksichtigen sind. Daß dem Interesse der Versicherten, schon vor dem Eintritt von Versicherungsfällen Klarheit über ihre versicherungsrechtliche Stellung zu erlangen, im Recht der Rentenversicherung möglichst entsprochen werden soll, zeigen die Vorschriften der §§ 145 Abs. 3 AVG, 55 Abs. 2 SGG, die auch diesem Gedanken Rechnung tragen. Sie beschränken sich zwar auf die Klärung der Versicherungspflicht, der Versicherungsberechtigung sowie der Wirksamkeit und Anrechnung von Beiträgen. Das aber kann im heutigen Recht der Rentenversicherung, dessen Leistungen von Ersatz- und Ausfallzeiten wesentlich mitbestimmt werden, nicht mehr genügen; das gilt vollends dann, wenn die Bestrebungen, den Versicherten jährliche Kontoauszüge mitzuteilen, verwirklicht werden. Es wird heute zudem als staatspolitisches Anliegen angesehen, die rechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsträgern und Versicherten möglichst so zu gestalten, daß sie jederzeit durchschaubar sind. Dem entspricht es aber, den Kläger hier nicht bis zum Eintritt eines Versicherungsfalles im Ungewissen zu lassen, sondern ihm schon vorher die Möglichkeit einer verbindlichen Klärung des Rechtscharakters seiner Referendarzeit im Eintragungsverfahren zu eröffnen.

Die Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in die Versicherungskarten durch den Versicherungsträger ist somit ein feststellender Verwaltungsakt, mit dem der Versicherungsträger gesetzliche Tatbestandsmerkmale einer künftigen Leistungsgewährung ausnahmsweise im voraus feststellt. Die Tragweite der Eintragung kann dabei im Einzelfall verschieden sein; bei Ausfallzeiten wird beispielsweise über die in § 36 Abs. 2 ff AVG gesondert geregelte spätere "Anrechenbarkeit" noch nicht entschieden; das braucht aber nicht abschließend erörtert zu werden. Gegen die Ablehnung einer Eintragung von Ersatz- und Ausfallzeiten in die Versicherungskarte durch den Versicherungsträger ist nach alledem eine Anfechtungsklage möglich; mit ihr ist eine Verpflichtungsklage im Sinne des § 54 Abs. 1 SGG zu verbinden, die auf Verurteilung des Versicherungsträgers zur Eintragung der streitigen Zeiten als Ersatz- und Ausfallzeiten in eine umgetauschte Versicherungskarte gerichtet ist. Die vom Kläger erhobene Klage ist in seinem Interesse als eine solche Klage zu verstehen. Sie ist zulässig, sachlich jedoch nicht begründet.

Nach der Rechtsprechung des BSG ist der juristische Vorbereitungsdienst vor dem 1. März 1957 weder nachversicherungsfähig (auch nicht bei späterem Ausscheiden, BSG 17, 206), noch ist er eine Hochschulausbildung im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 b AVG (BSG 19, 239; 20, 35; Urteil des Senats vom 19. Januar 1966 - 11 RA 144/64). Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Referendarzeit aber auch keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1.-6. Aufl., Band III Seite 700 m; Koch/Hartmann/von Altrock/Fürst, AVG, 2. und 3. Aufl., § 36 Anm. B V 2 a). Der Kläger muß selbst einräumen, daß die Referendarzeit nur bei einer extensiven Auslegung als Lehrzeit - in weiterem Sinne - verstanden werden kann. Seine Auffassung, daß Lehrzeiten im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG alle Zeiten einer praktischen Berufsausbildung seien, kann der Senat jedoch nicht teilen.

Im Bereich der Sozialversicherung haben das Reichsversicherungsamt (AN 1938, 311) und ihm folgend das BSG (BSG 6, 147) ein Lehrverhältnis bejaht, wenn eine Beschäftigung in einem Betrieb hauptsächlich der Fachausbildung dient, diesem Ziel entsprechend geleitet wird und der Auszubildende tatsächlich die Stellung eines Lehrlings einnimmt. Diese Voraussetzungen sind bei einer Referendarzeit schon deshalb nicht erfüllt, weil Referendare nicht die Stellung von Lehrlingen haben. Für eine weitergehende Auslegung des Begriffs der Lehrzeit in § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG, die auch Referendarzeiten einschließen würde, fehlen ausreichende Anhaltspunkte. Dagegen spricht schon ein Vergleich mit anderen gesetzlichen Vorschriften im Rentenversicherungsrecht. So unterscheidet § 2 Abs. 1 Nr. 1 AVG (§ 1227 Abs. 1 Nr. 1 RVO) "Personen, die als Lehrling oder sonst zu ihrer Ausbildung für den Beruf eines Angestellten beschäftigt sind", während die §§ 39, 44 AVG (§§ 1262, 1267 RVO) Kinderzuschuß und Waisenrente über das 18. Lebensjahr schlechthin bei "Berufsausbildung" gewähren. Das Gesetz stellt demnach den Lehrzeiten sonstige Zeiten der Berufsausbildung gegenüber, wobei die Berufsausbildung der weitergehende, die Lehrzeit der engere Begriff ist. Zu Unrecht beruft sich der Kläger demgegenüber auf die Entstehungsgeschichte des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG; diese bestätigt im Gegenteil die hier vertretene Auslegung. Die Vorschrift geht zurück auf eine Empfehlung des Bundesrates (Anlage 2 zu BT-Drucks. IV/2572 S. 33); darin war festgestellt, daß im Gegensatz zu den Zeiten des Schulbesuchs "versicherungsfreie Lehrzeiten und sonstige Zeiten der Berufsausbildung nicht als Ausfallzeiten angerechnet (werden), obwohl die Lehre zumindest in gleichem Maße der Vorbereitung auf den späteren Beruf dient wie der Schulbesuch". Der Bundesrat bediente sich also ebenfalls der im Gesetz enthaltenen Terminologie, er hielt im übrigen nur eine "eingehende Prüfung dieses Problems" für erforderlich. Trotz des Widerspruchs der Bundesregierung, die auf die finanziellen Mehrbelastungen verwies, beschloß dann der Bundestagsausschuß für Sozialpolitik die - später auch Gesetz gewordene - Erstreckung der Ausfallzeiten wenigstens auf die Lehrzeiten; daß damit nicht alle sonstigen Ausbildungsverhältnisse mitumfaßt werden sollten, zeigen zusätzlich die Ausführungen des Berichterstatters (Bericht des Abgeordneten Ollesch zu BT-Drucks IV/3233 S. 5), in denen die "Lehrzeiten" wiederholt mit "Lehrlingszeiten" gleichgesetzt werden.

Die Hinweise des Klägers auf die mit dem Ersten Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 verfolgte Tendenz zur Beseitigung von Härten und auf die soziale Gerechtigkeit enthalten allgemeine Erwägungen, die bei der Lösung der hier aufgeworfenen konkreten Frage nicht weiterhelfen. Der Erstreckung der Lehrzeiten auf Referendarzeiten stehen aber andererseits noch folgende Überlegungen entgegen: Jede Ausdehnung der - beitragslosen - Ausfallzeiten vermehrt die finanziellen Belastungen der Versichertengemeinschaft. Der Gesetzgeber kann daher triftige Gründe gehabt haben, nur bestimmte typische Ausbildungszeiten wie Lehrzeiten, Schulzeiten, Fachschulzeiten, Hochschulzeiten als Ausfallzeiten rentensteigernd zu berücksichtigen. Er kann ihre Anerkennung in zeitlicher Hinsicht beschränken und hat dies bei den Schul-, Fachschul- und Hochschulzeiten ausdrücklich getan. Wenn er das bei den Lehrzeiten nicht getan hat (vgl. den Bericht des Abgeordneten Ollesch), dann dürfte der Grund darin liegen, daß Lehrzeiten regelmäßig nicht länger als drei Jahre dauern. Mit dieser Konzeption wäre es nicht vereinbar, wenn alle Zeiten praktischer Berufsausbildung ohne zeitliche Grenze als Lehrzeiten Ausfallzeiten wären. Bei der Referendarzeit kommt hinzu, daß dann auch weitere Zeiten einer akademischen Berufsausbildung nach der Hochschulausbildung noch Ausfallzeiten sein könnten. Der Gesetzgeber hat aber erkennbar die Zeiten akademischer Berufsausbildung längstens bis zum Abschluß der Hochschulausbildung anrechnen wollen. Er hat durch das RVÄndG die Frist für die Aufnahme einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung nach dem Ende der Hochschulausbildung von zwei auf fünf Jahre verlängert, weil "bei den meisten wissenschaftlichen Ausbildungen im Anschluß an das Hochschulstudium eine weitere Ausbildung, die keine Hochschulausbildung ... ist und oftmals länger dauert als zwei Jahre", erforderlich ist (vgl. BT-Drucks. IV/2572 S. 26). Solche weiteren Ausbildungen sind aber häufig gerade Referendarzeiten. Die Erweiterung der Anschlußfrist von zwei auf fünf Jahre würde ihre eigenständige Bedeutung verlieren, wenn solche zusätzlichen Ausbildungszeiten als Lehrzeiten anzusehen wären; es würde damit ein weiterer Ausfallzeittatbestand geschaffen, der die Verlängerung der Anschlußfrist erübrigt hätte.

Auch eine analoge Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG kommt, wie das LSG zutreffend entschieden hat, nicht in Betracht, weil nicht angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber die an die Hochschulausbildung noch anschließenden weiteren Ausbildungszeiten übersehen hätte. Ebensowenig verstößt § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber kann seine Gesetze besonders im Bereich der gewährenden Staatstätigkeit weitgehend frei gestalten (BVerfG 17, 210, 216; 18, 121, 124). Es ist keine Willkür, wenn er die an die Hochschulausbildung anschließende Referendarzeit nicht auch noch als Ausfallzeit anerkannt hat. Durch die rentensteigernde Anrechnung der Schul- und Hochschulausbildung war den Studierenden schon ein Vorteil verschafft, der es gerechtfertigt erscheinen ließ, den einen Lehrberuf ergreifenden Personen die Lehrzeit ebenfalls als Ausfallzeit anzurechnen. Der Kläger wird nicht schlechter als solche Lehrlinge gestellt, er wird im Gegenteil eher noch bevorzugt durch die Anrechnung einer Schul- und Hochschulzeit bis zu neun Jahren. Daß das Beamtenrecht den im Staatsdienst tätigen Juristen eine Referendarzeit vor dem 1. März 1957 als ruhegehaltsfähige Dienstzeit anrechnet, kann die Auslegung des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG nicht beeinflussen.

Der Kläger hat somit für die Zeit vor dem 1. März 1957 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Eintragung seiner Referendarzeit als Ausfallzeit in die Versicherungskarte. Seine Revision muß daher als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 226

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