Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 06.11.1989)

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. November 1989 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin und den Beigeladenen die außergerichtlichen Kosten im Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin begehrt von der beklagten Bundesanstalt für Arbeit (BA) Arbeitslosenhilfe (Alhi) nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG).

Die 1958 geborene Klägerin ist verheiratet. Sie und ihr Ehemann waren nach der Geburt ihrer Tochter (3. September 1984) verschiedentlich gleichzeitig arbeitslos. Jeder der beiden Ehegatten sah sich als verfügbar und die Betreuung der Tochter durch den anderen Ehegatten als sichergestellt an, solange dieser arbeitslos war.

Nach Ablauf der Mutterschutzfrist bezog die Klägerin vom 3. Oktober 1984 bis zum 9. Juni 1986 Alhi in Höhe von zuletzt 209,40 DM wöchentlich.

Ihr Anspruch auf Alhi ist der Beigeladenen zu 1) abgetreten und von den Beigeladenen zu 2) bis 6) gepfändet.

Die Klägerin meldete sich bei der Beklagten ab, als ihr Ehemann am 5. Mai 1986 eine Tätigkeit als Lagerarbeiter aufnahm. Am 2. Oktober 1986 wurde der Ehemann erneut arbeitslos. Die Klägerin beantragte am 21. Oktober 1986 die Wiederbewilligung der Alhi. Sie konnte außer ihrem Ehemann keine Betreuungsperson für ihre Tochter vorweisen.

Die BA bewilligte dem Ehemann Alhi ab 2. Oktober 1986 in Höhe von zuletzt 177,36 DM wöchentlich. Den Antrag der Klägerin lehnte die Beklagte ab, da diese außer ihrem Ehemann keine Betreuungsperson für ihr Kind vorweisen könne (Bescheid vom 11. November 1986; Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1987).

Im Februar 1987 teilte die Stadt B. der Beklagten mit, daß die Klägerin seit dem 25. September 1986 Sozialhilfe in Höhe von 541,87 DM monatlich beziehe, und meldete Erstattungsansprüche an.

Am 6. April 1987 nahm der Ehemann der Klägerin Arbeit auf. Die Klägerin nahm ihren Alhi-Antrag mit Wirkung von diesem Tage zurück. Am 9. Juli 1987 meldeten sich die Klägerin und ihr Ehemann erneut arbeitslos und beantragten die Wiederbewilligung von Alhi. Die Beklagte bewilligte wiederum dem Ehemann Alhi in Höhe von 177,36 DM wöchentlich. Den Antrag der Klägerin lehnte sie wegen fehlender Verfügbarkeit wiederum ab (Bescheid vom 15. September 1987; Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1987). Am 28. März 1988 überreichte die Klägerin eine Bestätigung von Frau W., daß diese bereit sei, die Tochter ganztägig zu betreuen. Am 5. April 1988 nahm die Klägerin eine Arbeit auf.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verurteilt, Alhi für die Zeit vom 21. Oktober 1986 bis zum 4. April 1987 und vom 9. Juli 1987 bis zum 4. April 1988 zu gewähren (Urteil vom 8. Juni 1988). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 6. November 1989).

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung der §§ 134 Abs 1 Nr 1, Abs 4 iVm 103 Abs 1 Nr 1 AFG, 103 Satz 1, 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Wenn das LSG die Klägerin für Zeiträume vor der Vorlage der Betreuungsbescheinigung einer dritten Person trotz der Betreuung des Kleinkindes als verfügbar angesehen habe, so verletze dies die angeführten Rechtsvorschriften. Für die Zeit nach Vorlage der Betreuungsbescheinigung (28. März bis 4. April 1988) hat die Beklagte den Alhi-Anspruch anerkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Klägerin Alhi für Zeiten vor dem 28. März 1988 begehrt.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die angefochtene Verurteilung zur Gewährung von Alhi für Zeiten vor der Vorlage der Betreuungsbescheinigung ist rechtmäßig.

Pfändung und Abtretung der laufenden Zahlungsansprüche hindern die Klägerin nicht an der Geltendmachung des Sozialleistungsanspruchs hinsichtlich des Stammrechts, das vorgenannte Rechtsnachfolger nicht geltend machen dürfen (BSGE 48, 159 = SozR 2200 § 119 Nr 1).

Einer sachlich-rechtlichen Entscheidung des Revisionsgerichts steht nicht entgegen, daß der Sozialhilfeträger, der für die Zeit ab September 1986 einen Erstattungsanspruch bei der BA gemeldet hat, zu dem Rechtsstreit nicht beigeladen worden ist. Beigeladen sind nur die Gläubiger, die den streitigen Alhi-Anspruch aufgrund von Abtretungen oder Pfändungen in Anspruch nehmen. Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung zählt zwar zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmängeln (BSG SozR 1500 § 75 Nr 1 stete Rechtsprechung). Jedoch ist ein Fall der notwendigen Beiladung im Verhältnis zum Sozialhilfeträger nicht gegeben.

Der Tatbestand notwendiger Beiladung nach § 75 Abs 2 erste Alternative SGG setzt die Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis zwischen beiden Parteien und dem Dritten voraus. Die Entscheidung muß aus Rechtsgründen nur einheitlich ergehen können. Es genügt weder, daß die Entscheidung logisch notwendig einheitlich ergehen muß, weil in beiden Rechtsverhältnissen über dieselben Vorfragen zu entscheiden ist, noch, daß die tatsächlichen Verhältnisse eine einheitliche Entscheidung erfordern. Die Beiladung ist aus Rechtsgründen notwendig, wenn die vom Kläger begehrte Sachentscheidung nicht getroffen werden kann, ohne daß dadurch gleichzeitig unmittelbar und zwangsläufig Rechte des Beigeladenen gestaltet, bestätigt oder festgestellt, verändert oder aufgehoben werden (BSG SozR 1500 § 75 Nr 71 S 83 mwN).

Das ist zB der Fall, wenn zu entscheiden ist, ob der streitige Leistungsanspruch dem ursprünglich Leistungsberechtigten zusteht, oder aber auf einen Dritten übergegangen ist. Für Bezugszeiten vor dem 1. Juli 1983 hat die Rechtsprechung hinsichtlich des Sozialhilfeträgers einen Fall der notwendigen Beiladung angenommen, wenn dieser nach § 90 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) aF den Leistungsanspruch auf sich übergeleitet hatte (BSG Urteil vom 14. März 1985 – 7 RAr 72/84 – DBlR 2988a, SGG/§ 75).

Mit dem 1. Juli 1983 ist an die Stelle der Anspruchsüberleitung der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers nach Maßgabe des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) getreten verbunden mit der Regelung, daß der Leistungsanspruch nach Maßgabe des § 107 SGB X durch die Leistung des ersatzberechtigten Trägers als erfüllt gilt.

Bei den Erstattungsansprüchen nach den §§ 102 ff SGB X handelt es sich nicht um von der Rechtsposition des Versicherten abgeleitete, sondern um eigenständige Ansprüche (BSGE 57, 146, 147 = SozR 1300 § 103 Nr 2; SozR 1300 § 104 Nr 6; BSGE 58, 119, 125 f = SozR 1300 § 104 Nr 7; SozR 1300 § 103 Nr 3). Diese sind jedoch mit dem Anspruch des Leistungsberechtigten durch die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X eng verbunden. Soweit ein Erstattungsanspruch zuerkannt wird, ist der Leistungsanspruch wegen Erfüllung abzuweisen.

Im Streit über den Leistungsanspruch wird über den Bestand des Erstattungsanspruchs und die dadurch bewirkte Erfüllung des Leistungsanspruchs nach Auffassung des 7. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) nur als Vorfrage entschieden (BSGE 57, 15, 19 = SozR 4100 § 105b Nr 1).

Demgegenüber liegt nach Auffassung des 8. und des 5. Senats des BSG ein Fall der notwendigen Beiladung vor, soweit im Erstattungsverhältnis und im Leistungsverhältnis über das Entstehen eines Erstattungsanspruchs zu entscheiden ist (BSG SozR 1500 § 75 Nr 60 und Nr 80).

Der erkennende Senat hat die Frage, welcher Auffassung zu folgen ist, im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde offengelassen (Beschluß vom 25. April 1991 – 11 BAr 111/90 –). Er hat dort den Tatbestand einer notwendigen Beiladung für den Fall verneint, daß im Erstattungsstreit allein der Ablauf der Ausschlußfrist des § 111 SGB X streitig ist, da der Ablauf der Ausschlußfrist an der Erfüllungsfiktion nichts ändert.

Die Frage, ob über die Erfüllungsfiktion nur als Vorfrage zu entscheiden ist, oder ob insoweit eine Identität des Streitgegenstandes vorliegt, kann auch hier offenbleiben. Denn im Leistungsstreit ist der Tatbestand einer notwendigen Beiladung hinsichtlich des erstattungsberechtigten Leistungsträgers jedenfalls dann zu verneinen, wenn im Leistungsstreit nicht darüber zu entschieden ist, wem der Leistungsanspruch bis zur Höhe des Erstattungsanspruchs (Sockelbetrag) zusteht, sondern nur über den Leistungsanspruch soweit dieser den Erstattungsanspruch übersteigt (Spitzbetrag).

Im vorliegenden Revisionsverfahren ist weder über die Höhe des Sockelbetrages zu befinden noch darüber, ob dieser der Klägerin zusteht oder dem Sozialhilfeträger bzw den als Beigeladene zu 1) bis 6) beteiligten „Gläubigern”. Das SG hat die Beklagte für die streitigen Zeiträume zur Zahlung von Alhi nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften verurteilt. Es hat damit über die Klage nur dem Grunde nach entschieden (Grundurteil). Dabei ist mit dem LSG davon auszugehen, daß die begehrte Alhi die bezogene Sozialhilfe übersteigt. Die Sozialhilfe betrug monatlich 541,87 DM. Das sind wöchentlich (3/13) 125,– DM. Die Alhi, deren Wiederbewilligung die Klägerin für die streitigen Zeiträume begehrt, betrug zuletzt 209,40 DM wöchentlich. Da damit die Sozialhilfe in Anwendung des § 107 SGB X nicht den vollen Anspruch auf Alhi zum Erlöschen gebracht haben kann, bedurfte es zum Erlaß des Grundurteils insoweit keiner weiteren Feststellungen. Mit der Frage, ob die Sozialhilfe zu einer Minderung der zustehenden Alhi führt, hat sich das SG nicht befaßt. Über diese Frage, die in den Streit über den Grund des Anspruchs einbezogen werden darf, ist damit nicht entschieden. Die Klägerin hat eine Entscheidung über die Anrechnung der Sozialhilfe vor dem SG nicht begehrt und auch vor dem LSG nicht (im Wege der Anschließung) geltend gemacht. Über sie ist daher erst bei der Festsetzung der Höhe des Anspruchs im Ausführungsbescheid zu befinden (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 104 Nr 3).

Da demnach über den Sockelbetrag nicht zu befinden ist, braucht der Senat nicht mehr darauf einzugehen, ob auch beim Streit um den Sockelbetrag die Notwendigkeit der Beiladung im Erstattungsstreit anders als im Leistungsstreit beurteilt werden kann (vgl hierzu BSGE 61, 66, 68 = SozR 2200 § 182 Nr 104).

Die Klägerin hatte für die streitigen Zeiträume Anspruch auf Alhi. Das bedarf nur hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzung der Verfügbarkeit näherer Begründung. Nach § 103 Abs 1 Satz 1 AFG in der zu Beginn der beiden streitigen Zeiträume (vom 21. Oktober 1986 bis zum 4. April 1987 und vom 9. Juli 1987 bis zum 28. März 1988) geltenden Fassung durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1981, 1497) steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer ua eine längere als kurzzeitige zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr 1) und bereit ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf.

Die Änderung des Wortlauts der Nr 1 durch das Achte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes vom 14. Dezember 1987 (BGBl I 2602) ist wegen ihres zeitlichen Geltungsbereichs ab 1. Januar 1988 für den hier zu beurteilenden Sachverhalt ohne Bedeutung.

Das LSG hat in tatsächlicher Hinsicht zur subjektiven Verfügbarkeit festgestellt, daß die Klägerin bereit war, eine längere als kurzzeitige Tätigkeit aufzunehmen. Die Beklagte rügt zu Unrecht, die Tatsachengerichte hätten sich gedrängt sehen müssen, zur Aufklärung des Sachverhalts den widersprüchlichen Angaben beider Ehegatten nachzugehen; das Unterlassen derartiger Ermittlungen stelle einen Verstoß gegen § 103 SGG dar. Damit ist eine Verletzung des § 103 SGG schon deswegen nicht ausreichend gerügt, weil die nach Auffassung der Beklagten notwendigen Ermittlungsmaßnahmen und deren Ergebnisse nicht konkret bezeichnet werden (BSG SozR Nr 28 zu § 164 SGG, ständige Rechtsprechung). Im übrigen hat die Beklagte den Anspruch auf Alhi für die Zeit nach Vorlage der Betreuungsbescheinigung anerkannt. Sie geht somit selbst davon aus, daß weder die Arbeitslosigkeit beider Ehegatten noch das Vorhandensein eines Kleinkindes den Arbeitswillen der Klägerin ausschließt.

Die Beklagte kann sich hinsichtlich der angegriffenen Feststellung auch nicht auf den Grundsatz berufen, daß widersprüchliche Tatsachenfeststellungen das Revisionsgericht nicht binden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 139). Zum Arbeitswillen des Ehemanns sind dem Berufungsurteil zumindest keine ausdrücklichen Feststellungen zu entnehmen. Solche Feststellungen sind auch nicht erforderlich, da hier nur über den Alhi-Anspruch der Ehefrau zu entschieden ist. Gleichwohl ist dem Gesamtzusammenhang die Feststellung zu entnehmen, daß jeder der beiden Ehegatten während der beiderseitigen Arbeitslosigkeit bereit war, jede zumutbare Beschäftigung aufzunehmen, und überdies bereit war, bis zur Aufnahme einer solchen Beschäftigung das Kind zu betreuen, wenn der andere Ehegatte vorher eine Arbeit fand. Hierin liegt nicht die Feststellung von zwei Tatsachen, die sich gegenseitig ausschließen. Der Wille, eine Arbeit aufzunehmen, schließt den Willen, bis zur Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme das Kind zu betreuen, nicht aus. Desgleichen schließt der Umstand, daß ein Ehegatte einen solchen Willen hatte, es nicht aus, daß auch der andere Ehegatte in dieser Form sowohl zur Arbeitsaufnahme als auch zur Betreuung des Kindes bis zur Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme bereit war. Ob der so beschriebene Arbeits- und Betreuungswille unter Berücksichtigung der Betreuungspflicht Verfügbarkeit begründet, ist nicht eine Frage der Beweiswürdigung und der Amtsermittlung, sondern der Anwendung des materiellen Rechts.

Objektive Verfügbarkeit iS von § 103 AFG bedeutet, daß der Arbeitslose durch nichts gehindert sein darf, ohne Verzug eine mehr als kurzzeitige bzw eine beitragspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Er muß sich der Vermittlungstätigkeit des Arbietsamtes aktuell zur Verfügung halten (BSG Urteil vom 29. September 1987 – 7 RAr 24/87 – SozSich 1988, 288; BSG Urteil vom 21. Juli 1977 – 7 RAr 38/76BSGE 44, 188 = SozR 4100 § 103 Nr 8).

Allein die Tatsache, daß eine Arbeitslose ihr Kind während ihrer Arbeitslosigkeit allein betreut hat, schließt ihre Verfügbarkeit nicht aus, soweit trotz bestehender Betreuungspflicht anzunehmen ist, daß die Betreuung nach einer Arbeitsaufnahme anderweitig erfolgt. Insoweit bedarf es keiner Feststellungen zum Umfang der tatsächlich erfolgten Kinderbetreuung, insbesondere nicht dazu, inwieweit in den Zeiträumen, in denen die Klägerin und deren Ehemann arbeitslos waren, das Kind tatsächlich von seiner Mutter und nicht von seinem Vater beaufsichtigt wurde. Selbst wenn die Klägerin während ihrer Arbeitslosigkeit ihr Kind tatsächlich in einem Umfang beaufsichtigt hat, der nach Aufnahme einer mehr als kurzzeitigen Beschäftigung nicht hätte fortgesetzt werden können, würde das ihre Verfügbarkeit nicht ausschließen. Der 7. Senat des BSG hat zwar entschieden, daß eine Betätigung, die auf längere Dauer angelegt und planvoll gestaltet ist, sowie derart betrieben wird, daß sie die für eine Berufstätigkeit erforderliche Zeit vollständig in Anspruch nimmt, die mithin für jeden Tag, an dem sie stattfindet, die Möglichkeit ausschließt, berufstätig zu sein, objektive Verfügbarkeit auch dann ausschließe, wenn der Arbeitslose jederzeit bereit gewesen sei, im Falle eines Arbeitsangebots diese Tätigkeit aufzugeben (BSGE 62, 166 = SozR 4100 § 103 Nr 39). Er hat hiervon jedoch Betätigungen im Bereich kultureller, karitativer, sportlicher oder gesundheitlicher Interessen ausdrücklich ausgenommen. Diesen Lebensbereichen ist auch die Pflege oder Betreuung von Angehörigen zuzuordnen. Die Verfügbarkeit einer Arbeitslosen entfällt also nicht, wenn sie für die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit die Pflege ihres pflegebedürftigen Ehegatten (BSG Urteil vom 12. Dezember 1990 – 11 RAr 137/89 –) oder – wie hier – die Betreuung ihres Kindes selbst übernimmt.

Die Klägerin war in den streitigen Zeiträumen der Jahre 1986 bis 1988 durch die Rechtspflicht, ihr am 3. September 1984 geborenes Kind zu beaufsichtigen, nicht gehindert, sich der Vermittlungstätigkeit der BA aktuell zur Verfügung zu halten. Nach § 1606 Abs 3 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfüllt die Mutter ihre Verpflichtung, zum Unterhalt eines minderjährigen unverheirateten Kindes beizutragen, in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Innerhalb der funktionierenden Ehe hängt die Gestaltung der elterlichen Unterhaltspflicht von dem jeweiligen Ehetyp ab. In der Doppelverdienst- und Zuverdienstehe bestehen Ansprüche des Kindes auf Betreuung und Barunterhalt gegebenenfalls gegen beide Ehegatten. Der Anspruch des Kindes auf Betreuungsunterhalt konnte die Klägerin in den streitigen Zeiträumen nicht daran hindern, eine Arbeit aufzunehmen.

Einer Arbeitsaufnahme der Klägerin hätte das Kind nicht widersprechen können, solange der Ehemann der Klägerin arbeitslos war und das Kind betreute. Daß sich der Ehemann verfügbar halten wollte, kann ihn von seiner Betreuungspflicht jedenfalls so lange nicht freistellen, als er tatsächlich keine Arbeit hatte. Damit entfällt für die Zeiten der Arbeitslosigkeit des Ehemanns für die Klägerin der Tatbestand der rechtlichen Bindung.

Dem steht die für den Tatbestand der Kinderbetreuung in § 103 Abs 1 Satz 3 Nr 1 AFG getroffene Regelung, die nach § 134 Abs 4 Satz 2 AFG modifiziert auch für die Alhi gilt, nicht entgegen. Der Gesetzgeber hat zwar bei Schaffung dieser Vorschrift in erster Linie an berufstätige Mütter gedacht in der Annahme, daß Kinder regelmäßig von ihrer Mutter betreut werden. Diese Vorstellung ist bei der Auslegung der Norm zu berücksichtigen. Betreut eine andere Person als die Mutter ein aufsichtsbedürftiges Kind, so kann diese sich auf die genannte Vorschrift nur berufen, wenn sie sich in zeitlicher Hinsicht zumindest in annähernd gleichem Umfang wie die Mutter dem Kind widmet. Nur dann können annähernd gleiche Verhältnisse entstehen, wie wenn das Kind von der Mutter betreut wird (BSGE 51, 18, 21 = SozR 4100 § 103 Nr 32). Der dem § 103 AFG zugrundeliegende Maßstab der berufstätigen Mutter besagt aber nicht, daß eine Mutter auch bei eigener Berufstätigkeit vor dem Vater zur tatsächlichen Betreuung verpflichtet ist. Die Privilegierung des § 103 Abs 1 Satz 3 Satz 2 AFG gilt vielmehr auch dem Vater (vgl hierzu BSG SozR 3-4100 § 134 Nr 5).

Die Beklagte kann ihre Entscheidung, in den streitigen Zeiträumen nur dem Ehemann und nicht der Klägerin Alhi zu gewähren, auch nicht mit dem Einwand rechtfertigen, es könnten in einem solchen Falle unabhängig von den Betreuungspflichten der Ehegatten nach der Funktion der Verfügbarkeit nicht beide Ehegatten als verfügbar angesehen werden, da sie nicht beide gleichzeitig jederzeit aktuell eine Arbeit aufnehmen könnten. Selbst wenn hieraus folgen würde, daß nur einer der Ehegatten Alhi erhalten könnte, so wäre es nicht gerechtfertigt, gerade den Anspruch der Klägerin zu verneinen, zumal die Klägerin zuletzt 209,40 DM, ihr Ehemann aber nur 177,36 DM Alhi wöchentlich bezogen hat. In derartigen Fällen unabhängig von der Höhe des Alhi-Anspruchs immer die Ehefrau allein wegen ihres Geschlechts auszuschließen, würde gegen Art 3 Abs 2 Grundgesetz (GG) verstoßen.

Die BA kann auch nicht einwenden, jeder Betreuungspflichtige müsse zur Herstellung der Verfügbarkeit eine Betreuungsperson nachweisen, die sich zu Beginn der Bezugszeit binde, jederzeit aktuell die Betreuung zu übernehmen (Arbeitsbereitschaft), was dann deren Verfügbarkeit ausschließe. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Klägerin auch während der beiderseitigen Arbeitslosigkeit wegen ihres höheren Anspruchs auf Alhi nur nachrangig zur Betreuung des Kindes verpflichtet war, so daß die Beklagte nur vom Ehemann eine Betreuungsbescheinigung hätte fordern können. Die Klägerin war aber selbst bei Annahme einer gleichrangigen Betreuungspflicht berechtigt, ihren Ehemann für die Dauer seiner Arbeitslosigkeit als Betreuungsperson zu benennen. Die zeitliche Begrenzung der Bereitschaft auf die Zeit bis zur Aufnahme einer eigenen Arbeit ist dabei jedenfalls dann unschädlich, wenn die Betreuungsperson keine Leistungen bezieht und sich deshalb nicht verfügbar halten muß. Auch für die Frage, ob die Betreuungsperson iS einer vertraglich ausbedungenen Arbeitsbereitschaft zur Verfügung stehen muß, oder ob eine rechtlich nicht verpflichtende Bereitschaft oder ein Vorvertrag ausreicht, kommt der Befristung auf die Zeit der eigenen Arbeitslosigkeit keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Im Gesetz ist nicht ausdrücklich geregelt, in welcher Weise eine anderweitige Betreuung sicherzustellen ist. Die Forderung der BA nach einer die eigene Verfügbarkeit ausschließenden Betreuungsbereitschaft berücksichtigt nicht ausreichend, daß schon mit dem Hinzutritt einer nur vorvertraglich gebundenen Person, die bis zum Nachweis einer eigenen Arbeitsmöglichkeit bereit ist, die Betreuung zu übernehmen, die Bindung des Arbeitslosen im wesentlichen entfällt. Die dann noch bestehende Rest-Bindung schließt nur eine gleichzeitige Arbeitsaufnahme beider Betreuungspersonen aus, und das auch nur, wenn aus dem doppelten Verdienst nicht sofort eine andere Betreuungsperson gewonnen werden kann. Die Vermittlungstätigkeit der BA wird hierdurch kaum erschwert, worauf schon das SG hingewiesen hat. Auf der andere Seite wäre es für den Arbeitslosen mit Kosten verbunden, wenn er während der Arbeitslosigkeit eine Betreuungsperson rechtlich binden und in Arbeitsbereitschaft halten müßte. Die im Sinne einer vorvertraglichen Bindung für die Zeit bis zur Aufnahme einer eigenen Arbeit von der Betreuungsperson erklärte Bereitschaft, die Betreuung des Kindes zu übernehmen, wenn die arbeitslose Mutter eine Arbeit aufnehmen kann, wird regelmäßig kostenlos zu erhalten sein. Müßte die Betreuungsperson sich sogleich iS einer Arbeitsbereitschaft, also iS eines Arbeitsverhältnisses binden, was Verfügbarkeit hinsichtlich eines eigenen Anspruchs auf Alg oder Alhi ausschließen würde, so müßte dies bezahlt werden. Derartige Kosten sind – verglichen mit der dadurch bewirkten geringen Erhöhung der Verfügbarkeit – unzumutbar, insbesondere bei allein erziehenden Müttern, aber auch allgemein in Fällen, in denen ein Arbeitnehmer aus seinem Verdienst eine ihm obliegende Pflegeleistung bestreitet und seine Berufstätigkeit durch Anstellung einer Betreuungsperson ermöglicht. Auch in einer Doppelverdienerehe sind Betreuungskosten für ein Kind nur zumutbar, solange beide Ehegatten Arbeitseinkommen erzielen.

Hinsichtlich der hier betroffenen Kinderbetreuung ist auch zu berücksichtigen, daß in ehelichen oder eheähnlichen Gemeinschaften, solange beide Partner arbeiten, die Betreuungskosten die Beitragslast nicht mindern. Ob es Art 6 GG nahelegt, wegen der Betreuungslast die Beitragslast zu mindern, ohne den Leistungsanspruch zu mindern, mag dahinstehen. Stünde aber wegen der Betreuungslast der doppelten Beitragslast nur eine Leistungsanwartschaft gegenüber, wie dies die Beklagte annimmt, würde sich also die Betreuungslast ausschließlich sozialleistungsmindernd auswirken, so würde dies der Wertung des Art 6 GG widersprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1172911

NZA 1992, 48

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