Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruchsüberleitung gemäß § 90 BSHG. notwendige Beiladung des Sozialhilfeträgers

 

Orientierungssatz

Eine gemäß § 90 BSHG (in der bis zum 30.6.1983 geltenden Fassung) bewirkte Anspruchsüberleitung ist durch das Inkrafttreten des SGB 10 3. Kapitel nicht hinfällig geworden; im Prozeß des Leistungsberechtigten gegen die BA begründet sie auch über den 30.6.1983 hinaus die Notwendigkeit der Beiladung des Sozialhilfeträgers.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; BSHG § 90 Abs 1 S 1 Fassung: 1976-02-13

 

Verfahrensgang

SG Trier (Entscheidung vom 28.11.1983)

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Weigerung der Beklagten, ihr Arbeitslosengeld (Alg) oder Arbeitslosenhilfe (Alhi) zu bewilligen.

Die 1961 geborene Klägerin begann im August 1979 eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Vom 16. August 1979 bis 15. Juni 1981 besuchte sie im sog ersten Ausbildungsabschnitt die Fachschule für Sozialwesen in P.. Nach Ablegung der daran anschließenden ersten Teilprüfung durchlief sie als zweiten Ausbildungsabschnitt vom 15. August 1981 bis 14. August 1982 ein berufspraktisches Ausbildungsjahr als Erzieherin. Während dieses Praktikums erhielt sie kein Entgelt, die Beschäftigungsstelle führte jedoch Sozialversicherungsbeiträge nach einem fiktiven monatlichen Betrag von 30,-- DM an die Krankenkasse ab. Nach Ablegung der Prüfung, die sie berechtigte, die Bezeichnung "staatlich anerkannte Erzieherin" zu führen, meldete die Klägerin sich am 23. Juli 1982 arbeitslos und beantragte Alg.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, daß die Klägerin weder für einen Anspruch auf Alg noch für einen Anspruch auf Alhi die Anwartschaftszeit in Form ausreichend langer beitragspflichtiger Beschäftigung erfülle; die Praktikantenbeschäftigung habe nicht der Beitragspflicht unterlegen (Bescheid vom 16. November 1982; Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1983).

Mit Schreiben vom 15. November 1982 teilte die Verbandsgemeindeverwaltung P. dem Arbeitsamt Trier mit, daß der Klägerin eine Überbrückungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) von 250,-- DM gezahlt worden sei und deswegen hinsichtlich der Ansprüche der Klägerin auf Leistungen nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) "Ersatzanspruch nach § 90 BSHG" angemeldet werde. Gleichzeitig wurde eine entsprechende Abtretungserklärung der Klägerin vom 15. November 1982 vorgelegt.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Abänderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin antragsgemäß Alg und ggf ergänzende Leistungen zu gewähren; es hat die Beschäftigung der Klägerin während des Berufspraktikums als beitragspflichtig erachtet (Urteil vom 28. November 1983).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Entscheidung des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das LSG hat die Rechtsauffassung des SG verneint, daß die Klägerin in der hier maßgeblichen Zeit des Berufspraktikums beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei. Dieses Praktikum vollziehe sich nach der seit 1. August 1980 anzuwendenden Rheinland-Pfälzischen Landesverordnung über die Bildungsgänge für Sozialwesen der Fachschule vom 14. März 1978 (GVBl Rhl-Pfalz 1978, 196) im Rahmen einer einphasigen Ausbildung mit der Maßgabe, daß an die Stelle des bisher selbständigen Praktikums (sog Anerkennungsjahr) ein gelenktes, durch Teilzeitunterricht begleitetes Berufspraktikum für Schüler getreten sei. Es handele sich damit nicht um eine betriebliche Ausbildung, sondern insgesamt um eine solche schulischer Art. Deshalb entfalle Beitragspflicht nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG. Selbst wenn man aber Praktikanten dieser Art zum Personenkreis der nach § 168 Abs 1 Satz 1 AFG in die Beitragspflicht einbezogenen Arbeitnehmer rechnen wollte, ergäbe sich deren Versicherungsfreiheit hier deshalb, weil sie als während ihrer fachlichen Schulausbildung gegen Entgelt beschäftigte Schüler iS des § 169 Nr 1 AFG iVm § 172 Abs 1 Nr 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen und deshalb versicherungsfrei seien. Das LSG führt dies des Näheren aus.

Mit der Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 104 ff, 168 ff AFG durch das LSG. Sie legt im einzelnen ihre Rechtsansicht dar, daß sie während der Zeit ihres Praktikums beitragspflichtig beschäftigt gewesen sei und beantragt (sinngemäß), das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Trier vom 28. November 1983 zurückzuweisen, bzw die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für richtig.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.

Bei einer zulässigen Revision sind, bevor sachlich-rechtlich über den streitigen Anspruch entschieden werden kann, die Voraussetzungen zu prüfen, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Zu den von Amts wegen zu berücksichtigenden Mängeln, die zur Unwirksamkeit des Urteils führen, zählt die Unterlassung einer notwendigen Beiladung (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nrn 34, 36, 37, 39, 40, 44, 48). Das LSG hat bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt, daß an dem Rechtsstreit der örtlich zuständige Sozialhilfeträger derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG). Der Klageanspruch steht diesem nämlich teilweise zu, weil er der Klägerin am 15. November 1982 zur Sicherstellung des Lebensbedarfs eine Überbrückungshilfe von 250,-- DM gewährt und dies mit Schreiben vom gleichen Tage der Beklagten mitgeteilt sowie angezeigt hat, daß der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen gemäß § 90 BSHG auf ihn übergegangen sei. Die Geltendmachung dieses Forderungsübergangs ist ungeachtet der Verwendung des Wortes "Ersatzanspruch" in dem oa Schreiben nicht zweifelhaft, zumal da der Sozialhilfeträger zugleich eine schriftliche Erklärung der Klägerin vorgelegt hat, wonach diese ihre Ansprüche gegen die Beklagte in Höhe der Überbrückungshilfe an den Sozialhilfeträger abtritt.

Der § 90 BSHG ist hier in der bis zum 30. Juni 1983 geltenden Fassung maßgebend (Art II § 14 Nr 8, § 25 des Sozialgesetzbuches - Zehntes Buch, III. Kapitel - vom 4. November 1982, BGBl I 1450 - SGB 10 -). Diese Überleitung ist nicht deshalb hinfällig geworden, weil gem Art II § 21 SGB 10 bereits begonnene Verfahren nach den neuen Vorschriften zu Ende zu führen sind, dh die Regelung alle Verfahren erfaßt, die noch nicht endgültig abgeschlossen sind. Das mag zwar auch für Verfahren gelten, die noch vor den Gerichten anhängig sind (Schroeder-Printzen ua, Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren-, ErgBd Art II § 21; BSGE 52, 98, 100; 54, 223, 226 für Art II § 37 Abs 1 SGB 10 und BSG vom 1. Dezember 1983 - 4 RJ 91/82 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu Art II § 21 SGB 10); dennoch hat dies nicht zur Folge, daß im vorliegenden Falle aufgrund der Neufassung des § 90 Abs 1 Satz 1 BSHG, nach der nur noch eine Überleitung gegenüber Personen möglich ist, die nicht Leistungsträger iS von § 12 des Sozialgesetzbuches - Erstes Buch - (SGB 1) sind, gegenstandslos geworden ist, und dem Sozialhilfeträger danach nur noch die Möglichkeit gegeben ist, seine Ansprüche wegen eines Erstattungsanspruchs gemäß §§ 102 ff SGB 10 geltend zu machen. Dem steht schon entgegen, daß hier nicht die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige im Streit steht. Streitgegenstand ist vorliegend vielmehr die Frage, ob der Klägerin die begehrte Leistung zusteht. Ein Verfahren iS von Art II § 21 SGB 10 ist daher nicht anhängig. Außerdem kann sich diese Vorschrift nur auf Erstattungsansprüche, dh auf Ansprüche, die der betreffende Leistungsträger kraft originären Rechts geltend macht, auswirken. Nicht davon erfaßt sein können Ansprüche, die der Leistungsträger aufgrund eines Forderungsüberganges erworben hat. Es ist nichts dafür ersichtlich, daß mit der vorstehend angeführten Vorschrift ein Rechtsübergang rückgängig gemacht werden sollte, der bereits erfolgt ist (Schroeder-Printzen ua aaO, Anm 9 vor § 102). Ob dies auch gilt, wenn die Überleitungsanzeige selbst angefochten wird, kann hier dahinstehen, da dies nicht geschehen ist (vgl die unveröffentlichten Urteile des erkennenden Senats vom 12. April 1984 - 7 RAr 27/83 - vom 24. Mai 1984 - 7 RAr 70/83 - und vom 25. Oktober 1984 - 7 RAr 5/84 -).

Bei dem Schreiben des Sozialhilfeträgers vom 15. November 1982 handelt es sich um einen Verwaltungsakt, der den Übergang des Anspruchs auf Alg der Klägerin in Höhe der ihr gewährten Überbrückungshilfe auf den Sozialhilfeträger bewirken soll, sofern die Klägerin einen entsprechenden Anspruch hat. Da außerdem auch die Hilfe, wegen der die Überleitung erfolgt, angegeben ist, sind die an die Überleitungsanzeige zu stellenden Anforderungen erfüllt (vgl BVerwGE 29, 229, 231; 34, 219, 225; 42, 198, 200).

Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 21. Juli 1981 (SozR 1500 § 75 Nr 37) entschieden hat, sagt die Überleitung nichts über Bestand, Höhe und Inhalt des übergeleiteten Anspruchs aus, sondern bewirkt lediglich den Gläubigerwechsel. Der Anspruch wird durch die Überleitung nicht verändert. Dem Schuldner verbleiben alle Rechtseinwendungen auch gegenüber dem Sozialhilfeträger, wie sie ihm gegenüber dem eigentlichen Anspruchsinhaber zustanden. Der Sozialhilfeträger kann den übergeleiteten Anspruch nur in dem Maße und unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Hilfeempfänger. Die Befugnis der Beklagten, Ansprüche auf Leistungen nach dem AFG durch Verwaltungsakt zu regeln, wird daher durch die Überleitung eines solchen Anspruchs nicht beeinträchtigt. Hinsichtlich des übergeleiteten Anspruchs kommt dem Sozialhilfeträger nur die Stellung zu, die auch dem Hilfeempfänger gegenüber seinem Schuldner zusteht. Damit greift jede gerichtliche Entscheidung über die hier streitige Leistung, die den Grund des Anspruchs betrifft, in die Rechtssphäre des Trägers der Sozialhilfe unmittelbar ein. Der Sozialhilfeträger ist mithin an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt, daß nach dem sachlich-rechtlichen Inhalt des Begehrens der Klägerin lediglich eine Entscheidung des Rechtsstreits möglich ist, die auch gegenüber dem Sozialhilfeträger nur einheitlich ergehen kann. Der Sozialhilfeträger muß daher zu dem Rechtsstreit beigeladen werden.

Da Beiladungen im Revisionsverfahren in Angelegenheiten des Alg oder der Alhi gemäß § 168 SGG unzulässig sind, führt der Verfahrensmangel ohne weiteres zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Mangels Beteiligung aller am Verfahren Betroffener ist es dem Senat verwehrt, zur materiell-rechtlichen Seite Stellung zu nehmen. Das LSG wird bei seiner erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1656489

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