Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.08.1993; Aktenzeichen L 6 I 232/90)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. August 1993 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten sind insbesondere der Zeitpunkt des Eintritt des Versicherungsfalls und das Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der 1940 geborene Kläger hat den Beruf des Schlossers erlernt und 1972 die Meisterprüfung abgelegt. Bis Juni 1978 war er in diesem Beruf versicherungspflichtig beschäftigt, anschließend führte er bis Juli 1988 selbständig einen Schlossereibetrieb. Ab November 1988 arbeitete er als Wachmann; vom 7. April 1989 bis 4. Oktober 1990 war er arbeitsunfähig krank und bezog anschließend Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.

Den im Dezember 1989 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung von Rente wegen BU oder Erwerbsunfähigkeit (EU) lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. April 1990 ab. Das Sozialgericht Koblenz (SG) hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung BU-Rente zu gewähren (Urteil vom 27. Mai 1992).

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (LSG) das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Berufungsurteil vom 20. August 1993 ist auf folgende Erwägungen gestützt: „Bisheriger Beruf” des Klägers sei der eines Schlossers, den er bis 1978 versicherungspflichtig ausgeübt habe. Aufgrund seiner erheblich eingeschränkten Leistungsfähigkeit könne er diesen Beruf zwar seit Juni 1984 nicht mehr ausüben. Aufgrund der Ausführungen der medizinischen Sachverständigen sei davon auszugehen, daß dem Kläger bereits damals wegen einer fortschreitenden Arthrose der Hüftgelenke mit schmerzhaften Bewegungseinschränkungen nur noch leichte Arbeiten ohne Zwangshaltungen und ohne Heben und Tragen zumutbar gewesen seien. Es komme hinzu, daß eine chronisch obstruktive Emphysembronchitis bereits seit Juli 1983 zu einer deutlichen Leistungseinschränkung geführt habe; Arbeiten in Kälte, Hitze, Zugluft und mit Staubeinwirkungen seien zu meiden. Dennoch sei der Versicherungsfall der BU nicht bereits im Juni 1984 eingetreten.

Mit seiner Tätigkeit als Schlosser sei der Kläger der Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf des Facharbeiters zuzuordnen; die bereits 1972 abgelegte Meisterprüfung führe nicht zu einer Einstufung in die höchste Gruppe, weil der Kläger weder gegenüber anderen Facharbeitern weisungsbefugt gewesen sei noch Lehrlinge ausgebildet habe. Ein Facharbeiter könne zumutbar auf angelernte Tätigkeiten verwiesen werden. Der Kläger sei daher im Juni 1984 auf höherwertige Büroarbeiten, die üblicherweise eine längere Anlernzeit als 3 Monate voraussetzten, verweisbar gewesen. In kürzerer Zeit könne sich in einen solchen Anlernberuf normalerweise nur ein Versicherter einarbeiten, der bereits gewisse Vorkenntnisse besitze. Angesichts der Tatsache, daß der Kläger im Jahre 1972 die Meisterprüfung bestanden und seit 1978 einen selbständigen Schlosserbetrieb geführt habe, sei indes davon auszugehen, daß er im kaufmännischen Bereich bereits gewisse Vorkenntnisse besessen habe, die es ihm ermöglicht hätten, sich innerhalb einer Anlernzeit von 3 Monaten vollwertig in eine solche Tätigkeit einzuarbeiten. Nach den vorliegenden Gutachten sei davon auszugehen, daß der Kläger im Jahre 1984 auch gesundheitlich in der Lage gewesen sei, diese Tätigkeiten auszuüben und sich innerhalb dieses Zeitraums einzuarbeiten. Auch die vom Kläger vorgelegten Bewerbungsunterlagen aus den Jahren 1986 bis 1990 wiesen auf einen durchaus gewandten Stil hin.

Allerdings sei er dazu aufgrund eines Psychosyndroms mit Hirnatrophie seit 1987 nicht mehr in der Lage und damit seither berufsunfähig. Bei Eintritt des Versicherungsfalles zu diesem Zeitpunkt habe er aber nicht mehr die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 1246 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) erfüllt, weil für ihn letztmalig im Juni 1978 Pflichtbeiträge entrichtet worden seien. Auch die Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) greife nicht ein; zwar habe der Kläger vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt, erfülle jedoch nicht die zusätzliche Voraussetzung, daß jeder Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder mit Zeiten nach § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO belegt sei.

Mit seiner vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung verschiedener verfahrensrechtlicher Vorschriften:

Die angefochtene Entscheidung beruhe auf einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Verstoß gegen §§ 62, 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Der Sachverständige Dr. Sch … sei in seinem nach Aktenlage erstatteten Gutachten vom 1. Juni 1993 zu dem Ergebnis gekommen, die Fähigkeit des Klägers zur Einarbeitung in die Tätigkeit einer Bürofachkraft innerhalb von drei Monaten sei auch im Juni 1984 eingeschränkt gewesen. Das LSG sei dieser Beurteilung nicht gefolgt und habe zur Begründung insbesondere auf einen „gewandten Stil” von Bewerbungsunterlagen des Klägers aus den Jahren 1986 bis 1990 hingewiesen. Im Berufungsverfahren habe das LSG weder auf seine Bedenken gegenüber der Beurteilung durch Dr. Sch … hingewiesen noch sei zur Sprache gekommen, daß er – der Kläger – die Bewerbungsunterlagen nicht selbst erstellt und in anderem prozessualen Zusammenhang eingereicht habe.

Unabhängig davon habe das Berufungsgericht gegen seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verstoßen. Das Gutachten des Dr. Sch … zeige zumindest, daß die Beweisfrage, ob er – der Kläger – im Juni 1984 noch in der Lage gewesen sei, sich innerhalb von drei Monaten in die Tätigkeit einer Bürokraft einzuarbeiten, nur aufgrund der Akten nicht hinreichend sicher zu beantworten gewesen sei. Eine persönliche Exploration durch den Sachverständigen oder eine Parteivernehmung durch das Gericht zur Feststellung der Tatsachen, von denen der Sachverständige auszugehen hatte, sei jedoch nicht erfolgt. Bereits der Sachverständige Dr. R … habe aus der Betriebsabmeldung des Klägers im Jahre 1987 geschlossen, sein Leistungsvermögen sei bis zu diesem Zeitpunkt erhalten gewesen. Ihm sei aber nicht bekannt gewesen, daß er seinen Betrieb bereits zwischen dem 2. Januar 1984 und dem 1. April 1985 aus gesundheitlichen Gründen abgemeldet gehabt habe. Wären die erforderlichen Ermittlungen angestellt worden, so hätte sich herausgestellt, daß im Jahre 1984 der Höhepunkt seines Alkoholabusus erreicht gewesen, ihm aus diesem Grunde im Jahre 1985 der Führerschein entzogen worden sei und er im Jahre 1988 beim Entzug einen Krampfanfall erlitten habe.

Dem Sachverständigen Dr. Sch … sei zudem als einzige berufskundliche Information die Berufsinformationskarte „BO 781/II Bürofachkraft” der Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung gestellt worden, deren Inhalt nicht ausreiche, um einen arbeitsmedizinisch und berufskundlich nicht ausgebildeten Mediziner wie Dr. Sch … in den Stand zu versetzen, sein Restleistungsvermögen ordnungsgemäß in Beziehung zum Anforderungsprofil der benannten Verweisungstätigkeit zu bringen und zu vergleichen, wie es das Urteil des erkennenden Senats vom 8. Oktober 1992 – 13/5 RJ 24/90 – (= SozR 3-2200 § 1246 Nr 29) verlange. Darin liege eine weitere Verletzung der Amtsermittlungspflicht. Bei Versorgung der Sachverständigen mit ausführlicheren und konkreteren Informationen hätten diese eine zweifelsfreie Beurteilung darüber abgeben können, ob das Anforderungsprofil das Restleistungsvermögen des Klägers übersteigt.

Schließlich beruhe das angefochtene Berufungsurteil auch auf einem Verstoß gegen § 61 Abs 2 SGG, § 192 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) und § 202 SGG iVm § 551 Nr 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Nach Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 20. August 1993 habe sich der Senat in das Beratungszimmer zurückgezogen. Unmittelbar darauf habe er – der Kläger -sich mit seinem Prozeßbevollmächtigten auf den Gerichtsflur begeben. Gerade dort angekommen, habe sich die Tür des Beratungszimmers geöffnet und der Richter H … sowie die Richterin S … hätten das Beratungszimmer verlassen. Nach einiger Zeit seien sie zurückgekehrt; nur wenige Sekunden danach habe der Senat geschlossen den Verhandlungsraum betreten und der Vorsitzende habe das Urteil verkündet. In der kurzen Zeit, in welcher der Senat vollzählig im Beratungszimmer gewesen sei, könne eine ordnungsgemäße Beratung nicht stattgefunden haben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 20. August 1993 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 27. Mai 1992 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angfochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör liege nicht vor. Er habe die Bewerbungsunterlagen selbst vorgelegt, ohne etwas dazu vorzutragen und habe damit rechnen müssen, daß das LSG sie in seine Beweiswürdigung einbeziehen werde. Im übrigen hätte das LSG die Rechts- und Sachlage auch ohne Berücksichtigung der Bewerbungsunterlagen nicht anders gewürdigt. Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht sei ohne Bezugnahme auf einen von dem Kläger gestellten Beweisantrag nicht bedeutsam.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen reichen – ungeachtet der Verfahrensrügen des Klägers – für eine abschließende Entscheidung nicht aus. Insbesondere bedarf es weiterer Aufklärung des Sachverhalts zum bisherigen Berufs des Klägers, zu den für ihn zumutbaren Verweisungstätigkeiten sowie den besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen.

Der Anspruch des Klägers auf BU-Rente richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO, denn der Rentenantrag ist bereits im Dezember 1989 – also bis zum 31. März 1992 – gestellt worden und bezieht sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 (§ 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29).

Der danach anzuwendende § 1246 Abs 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden – neueren – Fassung (nF) setzt voraus, daß der Versicherte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (§ 1246 Abs 1 und 3 RVO nF), berufsunfähig ist (§ 1246 Abs 1 und 2 RVO nF) und zuletzt vor Eintritt der BU eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat (§ 1246 Abs 1 und 2a RVO nF). Da der Kläger nach den gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG vor dem 1. Januar 1984 bereits eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt hatte, ist die Wartezeit gemäß § 1246 Abs 3 RVO nF jedenfalls für einen Versicherungsfall der BU nach diesem Zeitpunkt erfüllt.

Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO nF ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der „bisherige Beruf”, den der Versicherte ausgeübt hat (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). In der Regel ist dies die letzte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit, von der auch bei nur kurzfristiger Ausübung auszugehen ist, wenn sie zugleich die qualitativ höchste im Berufsleben des Versicherten gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164). Dies gilt auch dann, wenn während einer späteren selbständigen Beschäftigung freiwillige Beiträge entrichtet worden sind (vgl BSGE 7, 66, 69; BSG SozR Nrn 10, 25, 65, 67, 69, 92, 112 zu § 1246 RVO; SozR 3-2200 § 1230 Nr 1; zur Verfassungsgemäßheit s BVerfG SozR 2200 § 1246 Nrn 28, 156; Urteil des erkennenden Senats vom 25. August 1993 ≪SozR 3-2200 § 1246 Nr 34≫). Eine Lösung von der bisherigen Berufstätigkeit ist grundsätzlich rechtlich unerheblich und führt nicht zum Verlust des Berufsschutzes, wenn der Versicherte diese Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, weil dann gerade solche Gründe zur Lösung geführt haben, für welche die gesetzliche Rentenversicherung einzustehen hat (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 38 mwN).

Das LSG ist zu dem Ergebnis gekommen, die letzte vom Kläger versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit in diesem Sinne und damit „bisheriger Beruf” sei die eines (angestellten) Schlossers. Da nach seinen nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffenen und damit den erkennenden Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen (§ 163 SGG) der letzte Pflichtversicherungsbeitrag für den Kläger im Juni 1978 entrichtet worden sein soll und er sich von diesem Beruf aus gesundheitlichen Gründen gelöst hat, die spätere Tätigkeit eines Wachmannes also nicht zu berücksichtigen ist, kann dies im Revisionsverfahren nicht beanstandet werden. Diesen Beruf kann der Kläger nach den für den Senat ebenfalls bindenden berufungsgerichtlichen Feststellungen aus gesundheitlichen Gründen bereits seit Juni 1984 nicht mehr ausüben.

Bei der nunmehr erforderlichen Suche nach einer Verweisungstätigkeit ist zu beachten, daß sich deren Zumutbarkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs beurteilt. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Berufe der Versicherten in verschiedene „Leitberufe” untergliedert, nämlich die des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140; SozR 3-2200 § 1246 Nr 17).

Zur Gruppe mit dem Leitbild des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters gehören Versicherte, die ihre zur Gruppe der Facharbeiter zählenden Arbeitskollegen wegen der qualitativen, insbesondere geistigen und persönlichen Anforderungen ihrer bisherigen, tatsächlich verrichteten Arbeiten deutlich überragt haben und deswegen – soweit eine tarifliche Einstufung erfolgt ist – der Spitzengruppe der Lohngruppeneinteilung zugeordnet waren. Besonders hoch qualifizierte Facharbeiter sind ua Versicherte, die eine Tätigkeit ausgeübt haben, zu der sie sich zusätzlich zu einer vorgeschriebenen, mit einer Facharbeiter- oder Gehilfenprüfung abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf durch eine längere planmäßige spezielle weitere Ausbildung mit Prüfungsabschluß qualifiziert haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 37, 103, 144 mwN). Facharbeiter mit Vorgesetztenfunktion müssen Weisungsbefugnis gegenüber mehreren anderen Facharbeitern gehabt haben und dürfen selbst nicht Weisungen eines anderen Beschäftigten im Arbeiterverhältnis unterlegen haben (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 44, 145 mwN).

Ob die Tätigkeit des Klägers im Jahre 1978 als die eines besonders hoch qualifizierten Facharbeiters oder lediglich – wie es das LSG angenommen hat – als die eines (einfachen) Facharbeiters zu qualifizieren war, kann aufgrund der Tatsachenfeststellungen des LSG nicht mit der erforderlichen Sicherheit beurteilt werden. Das LSG hat lediglich festgestellt, daß der Kläger den Beruf des Schlossers erlernt, im Jahre 1972 die Meisterprüfung abgelegt, keine Lehrlinge ausgebildet hat und auch nicht gegenüber anderen Facharbeitern weisungsbefugt gewesen ist. Über die weiteren wertbestimmenden Faktoren seiner Tätigkeit hat es keine Feststellungen getroffen. Hierzu hätte jedoch besondere Veranlassung bestanden.

Zwar reichen die Feststellungen des LSG aus, um eine Qualifizierung der Tätigkeit des Klägers als die eines Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion auszuschließen, denn die Weisungsbefugnis gegenüber anderen Facharbeitern ist hierfür unerläßlich (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 44, 145 mwN). Der Kläger könnte aber als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter versicherungspflichtig tätig gewesen sein. Durch die Absolvierung der mit der Gesellenprüfung abgeschlossenen Schlosserausbildung und der durch Ablegung der Meisterprüfung beendeten zusätzlichen Ausbildung zum Schlossermeister hat er eine Qualifikation erlangt, welche die der übrigen Facharbeiter erheblich übertrifft. Er hat durch die Meisterprüfung seine Fähigkeit nachgewiesen, einen Handwerksbetrieb selbständig zu führen, Lehrlinge ordnungsgemäß auszubilden sowie die in seinem Handwerk gebräuchlichen Arbeiten meisterhaft verrichten zu können; er hat zudem dargetan, daß er die notwendigen Fachkenntnisse sowie die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, kaufmännischen, rechtlichen und berufserzieherischen Kenntnisse besitzt (s §§ 48, 49 der Handwerksordnung ≪HandwO≫; vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 145 mwN).

Voraussetzung für den Berufsschutz als besonders hoch qualifizierter Facharbeiter ist aber außerdem, daß der Kläger eine entsprechende Tätigkeit auch tatsächlich verrichtet hat. Ein versicherungspflichtig beschäftigter Handwerksmeister, der Lehrlinge ausbildet, erfüllt nach der Rechtsprechung des BSG die Voraussetzungen für die Einstufung in die höchste Gruppe des Mehrstufenschemas immer (vgl BSG Urteile vom 21. Februar 1985 – 4 RJ 25/84 – und vom 21. Juli 1978 – 4a RJ 71/86 – ≪= SozR 2200 § 1246 Nr 145≫). Daraus ist jedoch entgegen der Ansicht des LSG nicht der Schluß zu ziehen, die Arbeit eines Handwerksmeisters im Arbeiterverhältnis besitze nur dann die erforderliche besonders hohe Qualität, wenn er mit der Ausbildung von Lehrlingen betraut war. Entscheidend ist vielmehr das Gesamtbild seiner Tätigkeit; hierfür müssen seine meisterlichen Kenntnisse und Fähigkeiten prägend gewesen sein. Das ist der Fall, wenn der Versicherte überwiegend mit Arbeiten befaßt war, welche die durch die Zusatzausbildung zum Meister vermittelten besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten auf betriebswirtschaftlichem, kaufmännischem, rechtlichem und berufserzieherischem – aber auch handwerklichem – Gebiet erforderten; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für die Beurteilung der Wertigkeit der Tätigkeit eines selbständigen Handwerksmeisters (vgl dazu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 35). Diese Voraussetzungen können auch dann vorliegen, wenn der Versicherte keine Lehrlingsausbildung betrieben hat (vgl etwa BSG Urteil vom 31. März 1981 – 5b/5 RJ 48/79 –; Senatsurteil vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 – ≪= SozR 3-2200 § 1246 Nr 34≫).

Ob der Kläger danach tatsächlich eine seiner besonders hohen Qualifikation entsprechende Tätigkeit versicherungspflichtig ausgeübt hat, ist anhand der berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht zu beurteilen. Das LSG hätte (auf der Grundlage seiner Feststellungen) ermitteln müssen, welche Tätigkeiten der Kläger als Schlossermeister im Arbeiterverhältnis zu verrichten hatte und ob hierfür überwiegend meisterliche Fähigkeiten benötigt wurden. Weiter wäre unter diesen Voraussetzungen zu untersuchen gewesen, ob der Kläger bei tariflicher Entlohnung einer der Spitzengruppen der Berufsgruppeneinteilung zugeordnet war (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 103). Sollte der Kläger indes in einem Familienbetrieb als Angehöriger der Familie des Betriebsinhabers beschäftigt gewesen sein, so hätte die konkrete tarifliche Einstufung keine Indizwirkung für die qualitative Wertigkeit der verrichteten Tätigkeit (vgl Senatsurteil vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 – ≪= SozR 3-2200 § 1246 Nr 34≫).

Auch wenn der Kläger – wie es das LSG angenommen hat – in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters einzustufen ist, ihm also Verweisungstätigkeiten sozial zuzumuten sind, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 16, 21, 109, 147; SozR 3-2200 § 1246 Nr 17), reichen die berufungsgerichtlichen Feststellungen nicht aus, um den Eintritt von BU vor 1987 zu verneinen. In diesem Falle wären dem Kläger solche Tätigkeiten sozial zumutbar, die zumindest im Wege einer tarifvertraglichen Gleichstellung der Gruppe mit dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzurechnen sind (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17). Zum Nachweis geeigneter Verweisungstätigkeiten genügt es nicht, einzelne Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale anzugeben, wie es das LSG getan hat. Erforderlich ist vielmehr die Benennung eines typischen Arbeitsplatzes mit der üblichen Berufsbezeichnung (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 98), wobei vorrangig zu versuchen ist, dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeiten aufzufinden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 16; SozR 3-2200 § 1246 Nr 34). Im einzelnen muß festgestellt werden, welche Anforderungen in gesundheitlicher und fachlicher Hinsicht die in Betracht gezogene berufliche Tätigkeit stellt und ob der Versicherte diesen Anforderungen nach seinem gesundheitlichen und geistigen Leistungsvermögen sowie seinem beruflichen Können und Wissen gewachsen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 36, 68, 72, 98; SozR 3-2200 § 1246 Nr 29). Einzuholen ist also eine typisierende Arbeitsplatzbeschreibung über den tatsächlichen Umfang der Anforderungen sowie den Arbeitsablauf und typische Belastungssituationen (vgl BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 8 und SozR 3-2200 § 1246 Nrn 29, 33); diese Informationen sind den medizinischen Sachverständigen zur Verfügung zu stellen.

Diesen rechtlichen Anforderungen genügen die Ausführungen des LSG nicht. Zwar ist eine Tätigkeit, die in die Vergütungsgruppe VIII BAT eingestuft ist, einem Facharbeiter grundsätzlich zumutbar, weil es sich nach den für diese Vergütungsgruppe aufgestellten Tätigkeitsmerkmalen um Tätigkeiten handelt, die zumindest eine Anlernzeit von mehr als drei Monaten erfordern (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 17, 34). Dies gilt entgegen der Ansicht des LSG jedoch nicht für Tätigkeiten der Vergütungsgruppe IX, deren allgemeine Merkmale nicht den Schluß auf die Erforderlichkeit einer solchen echten Anlernzeit zulassen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17 unter Aufgabe von BSGE 44, 10 = SozR 2200 § 1246 Nr 17). Im Hinblick auf das Gebot der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit reicht es jedoch nicht aus, einige der in dieser Vergütungsgruppe genannten Arbeitsvorgänge oder Tätigkeitsmerkmale anzugeben (etwa „Führung häufig wiederkehrenden Schriftwechsels nach Vordruck”). Diese dienen nur als Kriterien für die Bewertung eines konkreten Arbeitsplatzes, an dem verschiedene Arbeitsvorgänge zu erledigen sein und mehrere der genannten Tätigkeitsmerkmale vorliegen können (vgl § 22 Abs 2 BAT). Zu nennen ist vielmehr ein typischer Arbeitsplatz, der im öffentlichen Dienst angeboten wird und der nach seinen qualitativen Merkmalen mindestens in die zumutbare Gruppe VIII BAT einzugruppieren ist. Dessen Anforderungsprofil in fachlicher und gesundheitlicher Hinsicht ist zu ermitteln. Diese Tatsachen sind auch im Bereich der beruflichen Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung nicht allgemeinkundig, zumal sie dem BAT selbst nicht zu entnehmen sind.

Der erkennende Senat kann die somit noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen (§ 163 SGG). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Im Rahmen der nunmehr anzustellenden weiteren Ermittlungen dürfte hier allerdings für das LSG auch Veranlassung bestehen, die Richtigkeit seiner bisherigen Feststellungen hinsichtlich der letzten für die Bestimmung des „bisherigen Berufs” maßgeblichen Tätigkeit zu überprüfen. Es ist im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen seines Urteils davon ausgegangen, daß der letzte Pflichtbeitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Kläger im Jahre 1978 geleistet worden sei und daß er während des anschließenden selbständigen Betriebs seiner Schlosserei lediglich zeitweilig freiwillige Beiträge entrichtet habe. Diese Feststellungen widersprechen aber dem Inhalt des dem Kläger erteilten Versicherungsverlaufs vom 13. Januar 1990, der sich in der Verwaltungsakte der Beklagten befindet, auf die das LSG „wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes” Bezug genommen hat. Daraus ist zu entnehmen, daß für den Kläger Pflichtbeiträge nicht letztmalig für Juni 1978 entrichtet wurden, sondern auch in den Jahren 1981, 1982 und 1983 – also während des Zeitraums, in dem der Kläger nach den Feststellungen des LSG einer selbständigen Tätigkeit nachgegangen sein und nur zeitweilig freiwillige Beiträge entrichtet haben soll. Sollte es sich dabei um Pflichtbeiträge nach dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) oder aufgrund der Zugehörigkeit zum versicherungspflichtigen Personenkreis nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO handeln, so wäre zu berücksichtigen, daß sich der Versicherungsschutz für den Fall der BU nach dem qualitativen Wert der danach pflichtversicherten selbständigen Tätigkeit richtet (vgl Senatsurteil vom 25. August 1993 – 13 RJ 59/92 – ≪= SozR 3-2200 § 1246 Nr 34≫).

Falls die Feststellungen des LSG ergeben, daß der Kläger in die oberste Gruppe des Mehrstufenschemas mit dem Leitberuf des besonders qualifizierten Facharbeiters einzustufen ist, kann er sozial zumutbar nur auf Tätigkeiten dieser und der nächstniedrigen Gruppe des Mehrstufenschemas, also der mit dem Leitberuf des Facharbeiters verwiesen werden (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 31, 37, 49, 70), wobei auch hier vorrangig zu versuchen ist, dem bisherigen Beruf verwandte Tätigkeiten aufzufinden (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 16).

Nach Feststellung des Zeitpunktes, in dem der Versicherungsfall der BU eingetreten ist, wird zu untersuchen sein, ob der Kläger zuletzt vor Eintritt dieses Ereignisses eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat (§ 1246 Abs 1 und 2a RVO nF). Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, regelt § 1246 Abs 2a RVO nF. Grundsätzlich wird in § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO nF verlangt, daß von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der BU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind (Nr 1 aaO) oder daß die BU aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist (Nr 2 aaO). Das LSG hat diese Voraussetzung – ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls der BU im Jahre 1987 – nicht als gegeben angesehen, weil der Kläger davor letztmalig im Juni 1978 Pflichtbeiträge entrichtet habe. Abgesehen davon, daß hier angesichts der im Versicherungsverlauf wiedergegebenen Daten eine Überprüfung der Feststellungen über den Umfang der tatsächlich entrichteten Pflichtbeiträge angezeigt erscheint, fehlen auch jegliche Feststellungen über sog „Streckungszeiten” iS des § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF. Nach dieser Vorschrift werden bestimmte Arten von Zeiten, die nicht mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind, bei den 60 Kalendermonaten nicht mitgezählt, verlängern also den Rahmenzeitraum, in dem die erforderlichen 36 Kalendermonate mit versicherungspflichtiger Beschäftigung oder Tätigkeit zurückgelegt sein müssen.

Allerdings bedarf es einer Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen in § 1246 Abs 1 und 2a RVO nF nicht, wenn die Übergangsregelung des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG eingreift. Nach dieser Vorschrift ist das vor dem 1. Januar 1984 geltende Recht, das die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch nicht enthält, auf Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben, bei drei Fallgruppen weiterhin anzuwenden:

  1. wenn in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles jeder Kalendermonat mit Beiträgen oder den bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs 2a RVO nF nicht mitzuzählenden Zeiten belegt ist (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG),
  2. wenn der Versicherungsfall in der Zeit bis zum 30. Juni 1984 eingetreten ist (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 2 ArVNG),
  3. wenn der Versicherungsfall in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1984 eingetreten ist und die Voraussetzungen der ersten Fallgruppe im ersten Kalenderhalbjahr 1984 vorliegen (Art 2 § 6 Abs 2 Satz 3 ArVNG).

Falls die Ermittlungen des LSG ergeben, daß der Versicherungsfall der BU nicht bis zum 30. Juni 1984, sondern erst später eingetreten ist, wird bei dessen Eintritt im zweiten Halbjahr 1984 zu prüfen sein, ob das erste Halbjahr 1984 durch die im Versicherungsverlauf vom 13. Januar 1990 vermerkte Zeit vom 1. Januar bis 12. August 1984 „krank/Gesundheitsmaßnahme”) iS des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 3 iVm Satz 1 Nr 2 ArVNG belegt ist.

Bei einem noch später eingetretenen Versicherungsfall der BU kommt allein noch die Übergangsregelung des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG in Betracht. Bei Anwendung dieser Vorschrift wird das LSG zu beachten haben, daß zu deren Erfüllung die Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles und nicht – wovon das LSG offenbar ausgeht – bis zum Tag des Eintritts des Versicherungsfalles mit den dort genannten Beiträgen oder Verlängerungszeiten belegt sein muß. Sollten dabei Lücken in der Belegung festzustellen sein, wird die Vorinstanz zu untersuchen haben, ob der Kläger diese noch durch Nachentrichtung freiwilliger Beiträge schließen kann. Allerdings sind nach § 1418 Abs 1 RVO in der für den gesamten Zeitraum ab Januar 1984 geltenden Fassung freiwillige Beiträge unwirksam, wenn sie nach Ablauf des Kalenderjahres, für das sie gelten sollen, entrichtet werden. Anhaltspunkte für eine Unterbrechung dieser Frist durch eine rechtzeitige Bereiterklärung (vgl § 1420 Abs 1 Nr 2 RVO) oder ein laufendes Rentenverfahren (vgl § 1420 Abs 2 RVO) sind nicht ersichtlich. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumung oder ein Recht zur nachträglichen Entrichtung von Beiträgen nach Treu und Glauben im Wege der sog „Nachsichtgewährung” kommen nicht in Betracht (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nrn 9, 12).

Ein Recht zur Nachentrichtung von Beiträgen muß dem Kläger aber möglicherweise im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eingeräumt werden. Dieser von der Rechtsprechung entwickelte Anspruch verpflichtet die Behörde, dort, wo dem Versicherten durch Verwaltungsfehler ein Nachteil in seinen sozialen Rechten entstanden ist, den sozialrechtlichen Zustand herzustellen, der bestanden hätte, wenn die Behörde von Anfang an richtig gehandelt hätte (vgl etwa BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 9). Hier kommt nach Lage der Sache ein Beratungsfehler in Betracht, der dazu geführt hat, daß es der Kläger versäumt hat, seine Anwartschaft auf eine Rente wegen Erwerbsminderung durch rechtzeitige Entrichtung freiwilliger Beiträge zu sichern. Zwar wird eine Pflicht zur Beratung gemäß § 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) in der Regel erst durch ein entsprechendes Begehren ausgelöst (vgl BSG SozR 1200 § 14 Nrn 9, 12; SozR 3-1200 § 14 Nr 12). Der Versicherungsträger ist jedoch, auch wenn – wie wohl hier – ein solches Beratungsbegehren fehlt, gehalten, den Versicherten bei Vorliegen eines konkreten Anlasses von sich aus „spontan” auf klar zutage liegende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, die sich offensichtlich als zweckmäßig aufdrängen und die von jedem verständigen Versicherten mutmaßlich genutzt werden (vgl BSG SozR 3-1200 § 14 Nr 12 mwN). Die Verwaltungsakten der Beklagten enthalten einen ua im Jahre 1984 mit dem Kläger geführten umfangreichen Schriftwechsel über die Versicherungspflicht und Zahlung von Pflichtbeiträgen nach dem HwVG. Falls die Beklagte den Kläger anläßlich dieses Vorgangs nicht auf die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung seiner Anwartschaft und die Möglichkeiten dazu – ua die Entrichtung freiwilliger Beiträge, falls Versicherungspflicht nicht vorlag – hingewiesen haben sollte, könnte dies einen entsprechenden sozialrechtlichen Herstellungsanspruch des Klägers ausgelöst haben (vgl BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 7).

Sollte das LSG zu der Überzeugung gelangen, daß der Kläger wegen Eintritts des Versicherungsfalles der BU und Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach zulässiger Beitragsnachentrichtung BU-Rente beanspruchen könnte, so müßte es ihm Gelegenheit geben, ggf seine Klage auf die Gewährung einer Versichertenrente unter der Bedingung der Beitragsnachentrichtung zu erweitern (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 54 Nr 3; Senatsurteile vom 25. August 1993 – 13 RJ 43/92 –, vom 16. Dezember 1993 – 13 RJ 19/92 – und vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 25/93 –). Dabei ist auch § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist für den Bezug einer BU-Rente eine Belegung der Kalendermonate mit Anwartschaftserhaltungszeiten, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, nicht erforderlich. Diese Regelung greift auch dann ein, wenn eine Beitragszahlung nur aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zulässig ist (vgl BSG SozR 3-2600 § 240 Nr 1 und Senatsurteil vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 67/93 – ≪= SozR 3-2600 § 240 Nr 2). Dem Kläger stünde dann ggf ein Wahlrecht zu, die Gewährung von BU-Rente ohne Nachentrichtung von Beiträgen erst ab 1. Januar 1992 oder unter der Bedingung der Nachentrichtung der erforderlichen Beiträge schon von einem früheren Zeitpunkt an (vgl § 1290 RVO) zu verlangen (vgl dazu und zur prozessualen Problematik Senatsurteil vom 16. Juni 1994 – 13 RJ 67/93 – ≪= SozR 3-2600 § 240 Nr 2≫).

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173158

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