Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit. Berufsschutz. Verweisungstätigkeit. Mehrstufenschema. Kranführer

 

Orientierungssatz

Zur Einordnung in das Mehrstufenschema und Bestimmung der zumutbaren Verweisungstätigkeit bei einem als Kranführer und Anbinder tätig gewesenen Versicherten.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs. 2 S. 2

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 30.09.1993; Aktenzeichen L 16 Ar 553/91)

SG Bayreuth (Urteil vom 23.04.1991; Aktenzeichen S 9 Ar 175/87)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Gewährung von Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU). Umstritten ist dabei vornehmlich, ob der Kläger aufgrund seiner letzten Tätigkeit als Kranführer und Anbinder den Berufsschutz eines Facharbeiters oder angelernten Arbeiters im oberen Bereich genießt.

Der im Jahre 1940 geborene Kläger ist türkischer Staatsbürger. Nach seinen eigenen Angaben hat er in der Türkei keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet. In der Bundesrepublik war der Kläger vom 10. März 1970 bis zum 31. März 1982 versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt ab dem 3. September 1973 bei der B. GmbH in B. , wo er als Kranführer und Anbinder tätig war. Anschließend bezog der Kläger bis zum 30. September 1982 Krankengeld und vom 1. Oktober 1982 bis zum 17. August 1984 Leistungen von der Bundesanstalt für Arbeit. Am 28. September 1984 kehrte der Kläger in die Türkei zurück.

Den vom Kläger im Oktober 1984 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. April 1986 nach medizinischer Sachaufklärung mit der Begründung ab, der Kläger könne leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten, er sei deshalb weder erwerbs- noch berufsunfähig. Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 17. September 1986, Urteile des Sozialgerichts Bayreuth ≪SG≫ vom 23. April 1991 und des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 30. September 1993). Das LSG hat seine Entscheidung im wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

Der Kläger genieße keinen Berufsschutz. Er habe keinen Beruf erlernt. Die von ihm in Deutschland zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Kranführer sei, wenn sie überhaupt eine längere Anlernzeit erfordere, auf der unteren Ebene der angelernten Berufe einzuordnen. Damit könne der Kläger auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden. Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen sei der Kläger noch imstande, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchschnittlich leichtere Arbeiten, zeitweise oder überwiegend im Sitzen, in geschlossenen Räumen vollschichtig mit den üblichen Unterbrechungen zu verrichten. Bei ihm lägen keine besonders einschneidenden Behinderungen vor, auch sei seine Arbeitsfähigkeit nicht durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen gemindert. Eine konkrete Verweisungstätigkeit müsse somit nicht benannt werden. Folglich sei der Kläger nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend:

Das Urteil des LSG beruhe auf einer Verletzung des § 1246 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Darin fehle es an einer Feststellung dazu, ob er seinen bisherigen Beruf als Kranführer noch verrichten könne. Des weiteren könne es keinen Bestand haben, ihn pauschal auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Die Zumutbarkeit eines Verweisungsberufes richte sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes. Dabei sei für die Einordnung eines bestimmten Berufes nicht ausschließlich die absolvierte förmliche Berufsausbildung entscheidend. Gerade bei Kranführern komme im Hinblick auf die mit dieser Tätigkeit verbundenen qualitativen Anforderungen eine höhere Wertigkeit in Betracht. Dennoch habe das LSG dazu keine Feststellungen getroffen. Wenn seine letzte Tätigkeit - ggf aufgrund einer entsprechenden tarifvertraglichen Einstufung - derjenigen eines Facharbeiters oder eines angelernten Arbeiters im oberen Bereich gleichzuerachten sei, hätte zumindest eine zumutbare und geeignete Verweisungstätigkeit ermittelt und konkret benannt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

1.

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. September 1993 aufzuheben,

2.

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unzulässig, soweit er weiterhin Rente wegen EU begehrt. Hinsichtlich dieses selbständigen Streitgegenstandes fehlt es an einer hinreichenden Revisionsbegründung (vgl § 164 Abs 2 SGG). Das Vorbringen des Klägers bezieht sich ausschließlich auf seine Berufsausübungsfähigkeit und seinen Berufsschutz als Kranführer. Beide Gesichtspunkte können allein für den Anspruch auf Versichertenrente wegen BU von Bedeutung sein. Dementsprechend ist auch nur eine Verletzung von § 1246 Abs 2 RVO gerügt worden.

Im übrigen ist die Revision dahingehend begründet, daß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist. Ob dem Kläger die begehrte BU-Rente zusteht, kann erst aufgrund weiterer Tatsachenfeststellungen beurteilt werden, die der erkennende Senat als Revisionsinstanz nicht selbst vornehmen kann (vgl § 163 SGG). Insbesondere ist der Sachverhalt zum bisherigen Beruf des Klägers weiter aufzuklären.

Der Anspruch des Klägers auf Versichertenrente wegen BU richtet sich hier noch nach § 1246 RVO, da der Rentenantrag bereits im Jahre 1984 - also bis zum 31. März 1992 - gestellt worden ist und sich auch auf die Zeit vor dem 1. Januar 1992 bezieht (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫; vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29 S 102). Berufsunfähig ist nach § 1246 Abs 2 RVO ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit des Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Ausgangspunkt für die Prüfung der BU ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) der "bisherige Beruf" des Versicherten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 107, 169). Dieser ist zuerst zu ermitteln und sodann zu prüfen, ob der Versicherte diesen noch ohne wesentliche Einschränkung weiterhin ausüben kann. Ist der Versicherte nämlich in seinem Beruf noch ausreichend erwerbsfähig iS des § 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO, so ist er nicht berufsunfähig, ohne daß es auf seine Erwerbsfähigkeit in weiteren sogenannten Verweisungstätigkeiten ankommt (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 126). Bisheriger Beruf iS des § 1246 Abs 2 RVO ist, wie das BSG in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 130, 164), in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste gewesen ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 53, 66).

Das LSG hat zwar zur Feststellung des bisherigen Berufs des Klägers zutreffend dessen letzte versicherungspflichtig ausgeübte Beschäftigung bei der B. GmbH zugrunde gelegt. Der erkennende Senat vermag der vorinstanzlichen Beurteilung jedoch bereits insoweit nicht zu folgen, als das LSG dabei von einem bisherigen Beruf des Klägers als (bloßer) Kranführer ausgegangen ist. Denn nach den tatbestandlichen Feststellungen des LSG hat der Kläger zuletzt nicht ausschließlich als Kranführer, sondern als Kranführer und Anbinder gearbeitet. Dementsprechend wäre zu prüfen gewesen, ob es sich dabei um eine einheitliche oder um eine gemischte Tätigkeit gehandelt hat, die hinsichtlich der Anforderung an Kenntnisse und Fähigkeiten anders zu beurteilen ist als eine ausschließliche Tätigkeit als Kranführer.

Darüber hinaus fehlt im vorinstanzlichen Urteil auch eine eindeutige Feststellung dazu, ob der Kläger seinen bisherigen Beruf noch verrichten kann. Für diese Frage kommt es nicht auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausscheidens aus der Versicherungspflicht, sondern darauf an, welche Anforderungen die betreffende Tätigkeit in dem vom Rentenantrag erfaßten Zeitraum (ab Oktober 1984) gestellt hat (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 22 S 83 f). Angesichts der technischen Weiterentwicklung könnte es heutzutage eine ausreichende Anzahl von Kranführer-Arbeitsplätzen geben, die auch für gesundheitlich beeinträchtigte Arbeitnehmer in Betracht kommen, weil sie zB nicht das Besteigen von Leitern voraussetzen.

Zwar darf ein Gericht die Frage einer Erwerbsfähigkeit des Versicherten im bisherigen Beruf offenlassen, wenn es ihn auf andere zumutbare Tätigkeiten verweist. Aufgrund der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG kann jedoch die von ihm vorgenommene pauschale Verweisung des Klägers auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, wie dieser zu Recht rügt, keinen Bestand haben.

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit beurteilt sich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufs. Zur Erleichterung dieser Beurteilung hat die Rechtsprechung des BSG die Berufe der Versicherten in Gruppen eingeteilt. Diese Berufsgruppen sind ausgehend von der Bedeutung gebildet worden, die Dauer und Umfang der Ausbildung für die Qualität eines Berufs haben. Dementsprechend werden die Gruppen durch den Leitberuf des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hochqualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert (vgl zB BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 138, 140). Die Einordnung eines bestimmten Berufs in dieses Mehrstufenschema erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der absolvierten förmlichen Berufsausbildung. Ausschlaggebend hierfür ist vielmehr allein die Qualität der verrichteten Arbeit, dh, der aus einer Mehrzahl von Faktoren zu ermittelte Wert der Arbeit für den Betrieb. Es kommt auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufs, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird (vgl zB BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 27, 33). Grundsätzlich darf der Versicherte im Vergleich zu seinem bisherigen Beruf auf die nächstniedrige Gruppe verwiesen werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 mwN; SozR 3-2200 § 1246 Nr 5).

Das LSG hat es offengelassen, ob für die Tätigkeit des Kranführers eine längere Anlernzeit erforderlich ist, und den Kläger, ausgehend von der Feststellung, dieser habe keinen Beruf erlernt, als angelernten Arbeiter des unteren Bereichs eingeordnet. Dieser Bewertung kann ohne weitere Ermittlungen nicht gefolgt werden. Die Feststellungen des Berufungsgerichts ermöglichen keine Zuordnung des bisherigen Berufs des Klägers zu einem der genannten Leitberufe.

Zunächst ist ein Berufsschutz des Klägers als Facharbeiter nicht auszuschließen. Allerdings ist nach den vom Kläger nicht wirksam angegriffenen und damit für den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG davon auszugehen, daß der Kläger keinen anerkannten Ausbildungsberuf iS des § 25 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) mit mehr als zweijähriger Ausbildungszeit erlernt hat (BSG SozR 2200 Nr 140). Anhaltspunkte für den Abschluß einer derartigen, auf dem bisherigen Beruf des Klägers als Kranführer (und Anbinder) bezogenen Ausbildung liegen nicht vor. Dem Leitberuf des Facharbeiters ist jedoch auch zuzuordnen, wer in einem nach dem BBiG anerkannten Ausbildungsberuf wettbewerbsfähig gearbeitet hat, ohne die erforderliche Ausbildung durchlaufen zu haben. Dazu muß der Betreffende die theoretischen und praktischen Fähigkeiten aufweisen, die von einem Facharbeiter "gemeinhin" erwartet werden (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 168, 169). Hierzu fehlen Feststellungen im Berufungsurteil. Sofern der Kläger im Baubereich tätig war, wäre zB darauf einzugehen gewesen, daß es seit 1977 eine Prüfung zum anerkannten Abschluß "Geprüfter Baumaschinenführer" gibt (vgl die Verordnung vom 12. Dezember 1977 - BGBl I S 2539).

Schließlich gehören zur Gruppe der Arbeiter mit dem Leitberuf des Facharbeiters auch diejenigen Versicherten, die in Tätigkeitsbereichen ohne anerkannte Ausbildung oder mit einer Ausbildung bis zu zwei Jahren arbeiten (oder zuletzt gearbeitet haben), wenn diese Tätigkeiten den anerkannten Ausbildungsberufen mit einer mehr als zweijährigen Ausbildung - insbesondere wegen ihrer Bedeutung für den Betrieb - qualitativ gleichgestellt sind. Eine derartige Wertigkeit des bisherigen Berufs kann sich insbesondere aus einer entsprechenden tarifvertraglichen Einstufung der betreffenden Tätigkeiten herleiten lassen.

Soweit die Tarifvertragsparteien eine bestimmte Berufsart im Tarifvertrag aufführen und einer Tarifgruppe zuordnen, kann in der Regel davon ausgegangen werden, daß die tarifvertragliche Einstufung der einzelnen in einer Tarifgruppe genannten Tätigkeit auf deren Qualität beruht (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 111, 116, 122, 123, 164). Denn die Tarifpartner als die unmittelbar am Arbeitsleben Beteiligten nehmen relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vor. Dieser Bewertung kommt daher eine besondere Bedeutung für die Einordnung des Berufes in das Mehrstufenschema und die Bewertung der Qualität des Berufs in bezug auf die nach § 1246 Abs 2 RVO maßgeblichen Merkmale zu. Demgemäß läßt die abstrakte (tarifvertragliche) Einordnung einer bestimmten Berufstätigkeit in eine Tarifgruppe, die hinsichtlich der Qualität der hier aufgeführten Arbeiten durch den Leitberuf des Facharbeiters geprägt ist, in der Regel den Schluß zu, daß diese Berufstätigkeit als Facharbeitertätigkeit zu qualifizieren ist (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 14, 32). Von dem Grundsatz, daß von der tariflichen Einstufung einer Berufsart auszugehen ist, werden in der Rechtsprechung des BSG Ausnahmen nur anerkannt, wenn die Einstufung durch qualitätsfremde Merkmale bestimmt ist (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 101, 123; SozR 3-2200 § 1246 Nr 13).

Das LSG hat zur tarifvertraglichen Einstufung der Tätigkeit des Klägers keine Feststellungen getroffen, obwohl gerade bei Kranführern im Hinblick auf die mit dieser Tätigkeit verbundenen qualitativen Anforderungen eine höhere Wertigkeit in Betracht kommt, als sie sich allein aus der Dauer einer Ausbildungs- oder Anlernzeit ablesen läßt (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 99; siehe auch Urteil des Senats vom 25. August 1993, Az: 13 RJ 61/92). Insofern wäre die tarifvertragliche Einstufung der Tätigkeit des Klägers bei der Beendigung seiner letzten versicherungspflichtigen Beschäftigung zu ermitteln gewesen. Denn dieser Zeitpunkt ist für die Beurteilung der Wertigkeit des bisherigen Berufes maßgebend (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 22, 32). Sofern sich aus dem einschlägigen Tarifvertrag keine abstrakte Einordnung der Tätigkeit als Kranführer und Anbinder ergibt, kommt auch der individuellen Eingruppierung des Klägers durch seinen letzten Arbeitgeber Bedeutung zu (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn 13, 14).

Da einerseits einem Facharbeiter nur solche Verweisungstätigkeiten sozial zugemutet werden können, die zumindest angelernten Tätigkeiten tarifvertraglich gleichgestellt sind (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 17 S 65 f), andererseits das LSG den Kläger nur pauschal auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen hat, kann die Frage eines Berufsschutzes des Klägers als Facharbeiter hier nicht offenbleiben. Die insoweit noch erforderliche Sachaufklärung kann der erkennende Senat nicht selbst nachholen. Demzufolge ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Bei der weiteren Bearbeitung des Rechtsstreits wird das LSG ua folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben:

Sollte sich aus den nunmehr vorzunehmenden Ermittlungen ergeben, daß für den Kläger ein Berufsschutz als Facharbeiter nicht in Betracht kommt, so bedarf es eines näheren Eingehens auf die Frage, ob der Kläger dem Leitberuf des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren), und zwar dem oberen Bereich dieser Gruppe (vgl dazu Senatsurteil vom 29. März 1994 - 13 RJ 35/93 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 45), zuzuordnen ist. Falls der bisherige Beruf des Klägers (ggf aufgrund tarifvertraglicher Gleichstellung) als gehobene Anlerntätigkeit anzusehen ist, wäre zumindest eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 143 S 473).

Sofern das LSG aufgrund weiterer Sachverhaltsaufklärung erneut zu dem Ergebnis gelangt, daß der bisherige Beruf des Klägers lediglich dem unteren Bereich der Gruppe mit dem Leitbild des angelernten Arbeiters zuzuordnen ist, kann der Kläger zwar auf das allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden, wobei nur Tätigkeiten mit qualitativ ganz geringem Wert ausschieden (vgl BSGE 43, 243, 246 f = SozR 2200 § 1246 Nr 16); nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG muß eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit dann regelmäßig nicht konkret bezeichnet werden (vgl etwa BSG SozR 2200 § 1246 Nrn 30, 90, 104, 117, 136). Der erkennende Senat hat jedoch Bedenken, ob diese Rechtsprechung in Fällen wie dem vorliegenden noch beibehalten werden kann. In einer Reihe von Verfahren haben sich nämlich nach Anhörung von Sachverständigen erhebliche Anhaltspunkte dafür ergeben, daß für ungelernte Arbeiter und angelernte Arbeiter des unteren Bereiches, die nur noch körperlich leichte Arbeiten mit weiteren Einschränkungen verrichten können, wegen Veränderungen in der Struktur des allgemeinen Arbeitsmarktes nur ein sehr eingeengtes Verweisungsspektrum zur Verfügung steht. Der erkennende Senat hat daher dem Großen Senat des BSG diesbezügliche Fragen zur Fortbildung des Rechts vorgelegt (Senatsbeschlüsse vom 23. November 1994 - 13 RJ 19/93, 13 RJ 71/93, 13 RJ 73/93 und 13 RJ 1/94). Insofern obliegt es dem LSG zu prüfen, ob und ggf welche Konsequenzen aus diesen Umständen für die Entscheidung des vorliegenden Falles zu ziehen sind.

Das LSG wird auch über die gesamten Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben. Obwohl die Revision nur insoweit im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung Erfolg hat, als es um den Anspruch des Klägers auf Rente wegen BU geht, ist die Kostenentscheidung des LSG ganz aufzuheben. Wer die Kosten eines Gerichtsverfahrens in welchem Umfang zu tragen hat, hängt nämlich vom Ausgang des gesamten Rechtsstreits ab (vgl BSG SozR 5870 § 2 Nr 62 S 201 mwN).

 

Fundstellen

SozSi 1997, 74

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