Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. dauerhaft besonders hoher Bedarf an medizinischer Behandlungspflege. Vergütungsanspruch einer stationären Pflegeeinrichtung dem Grunde nach vor Entscheidung der Krankenkasse auch ohne vorherigen Vertragsschluss

 

Leitsatz (amtlich)

Bis zur Entscheidung der Krankenkasse über ärztlich verordnete medizinische Behandlungspflegeleistungen für Versicherte mit einem auf Dauer besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erwirbt eine den Anforderungen der Versorgung genügende stationäre Pflegeeinrichtung Anspruch auf deren Vergütung durch die Krankenkasse dem Grunde nach auch dann, wenn zuvor noch kein Vertrag über die Einzelheiten der Versorgung und deren Preise bestanden hat.

 

Normenkette

SGB V § 37 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 Fassung: 2007-03-26, S. 3 Fassung: 2007-03-26, § 37c Abs. 1 S. 1 Fassung: 2020-10-23, § 37 Abs. 4, § 132a Abs. 4 S. 1; HKPRL § 6 Abs. 6

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 18.08.2021; Aktenzeichen L 5 KR 2044/19)

SG Stuttgart (Urteil vom 17.05.2019; Aktenzeichen S 19 KR 722/17)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. August 2021 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 9790 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Im Streit steht die Vergütung von Beatmungsleistungen.

Die Klägerin betreibt eine vollstationäre Pflegeeinrichtung nach dem SGB XI. Sie erbrachte vom 4.7. bis zu dessen Versterben am 24.10.2012 Leistungen nach Pflegestufe II für einen Versicherten der beklagten Krankenkasse, dem nach einem Krankenhausaufenthalt vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) als begründet erachtete Leistungen der medizinischen Behandlungspflege zur invasiven Beatmung insbesondere in der Nacht bis zum 30.9.2012 ärztlich verordnet worden waren; ein Vertrag nach § 132a SGB V über die Einzelheiten der Versorgung und die Preise bestand und besteht zwischen Klägerin und Beklagter nicht. Die von der Klägerin für die Versorgung des Versicherten mit den Beatmungsleistungen beanspruchte Vergütung in Höhe von 9790 Euro beglich die Beklagte nicht; die Forderung sei jedenfalls verjährt, weshalb auch einem Schiedsverfahren nach § 132a SGB V nicht zugestimmt werde. Eine Entscheidung über die verordneten Leistungen traf die Beklagte bis zum Versterben des Versicherten ebenfalls nicht.

Das SG hat die Klage auf Abschluss eines Vertrags nach § 132a SGB V und Zahlung hieraus abgewiesen (Urteil vom 17.5.2019), das LSG hat die Berufung zurückgewiesen: Für die Klage auf Verurteilung zum Vertragsabschluss bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis, da die Klägerin die Möglichkeit habe, ein Schiedsverfahren durchzuführen. Vertragliche oder außervertragliche Zahlungsansprüche bestünden nicht (Urteil vom 18.8.2021).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 132a Abs 2 Satz 6 SGB V aF. Die Leistungsklage sei zulässig, insbesondere bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis. Es liege eine Ausnahmesituation vor, weil die Beklagte den Abschluss eines Vertrags abgelehnt und sich einem Schiedsverfahren verschlossen habe. Der von der Beklagten erhobene Verjährungseinwand greife nicht, weil bislang noch keine vertragliche Grundlage existiere, nach der ein Anspruch habe entstehen können.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. August 2021 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 17. Mai 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

1.

mit ihr einen Einzelfallvertrag über die Vergütung der Beatmung des W in der Zeit vom 4. Juli bis 30. September 2012 in Höhe von 110 Euro täglich abzuschließen und ihr hieraus 9790 Euro nebst Zinsen in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 15. Dezember 2016 zu zahlen,

2.

sie von den außergerichtlichen Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten in Höhe von 887,03 Euro freizustellen.

Die Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Ob und inwieweit der Klägerin eine Vergütung für Leistungen der medizinischen Behandlungspflege bei der Beatmung des Versicherten zusteht, kann ohne Schiedsspruch nach § 132a SGB V und weitere Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden; das - sowie dass ein solcher Anspruch nicht ausgeschlossen ist - hat das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der von der Klägerin mit einer bezifferten Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) kombinierte Anspruch auf Abschluss des zur Bestimmung der Vergütung erforderlichen Vertrags nach § 132a Abs 4 Satz 1 SGB V (hier in der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung des Dritten Pflegestärkungsgesetzes - PSG III - vom 23.12.2016, BGBl I 3191; zum Zeitpunkt der Leistungserbringung noch § 132a Abs 2 Satz 1 SGB V idF des GKV-Modernisierungsgesetzes - GMG - vom 14.11.2003, BGBl I 2190). Der Sache nach zielt das statthaft darauf, dass zunächst die für die Geltendmachung des Vergütungsanspruchs noch fehlende Vereinbarung nach § 132a SGB V über die Parameter der Vergütung von Beatmungsleistungen im hier streitbefangenen Zeitraum ersetzt (vgl zur Statthaftigkeit der Ersetzungsklage als besondere Leistungsklage für den Fall, dass ein Beteiligter mit einem Schiedsspruch nach § 132a SGB V nicht einverstanden ist, BSG vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 17 ff) und sodann auf dieser Grundlage die Beklagte für die in der Zeit vom 4.7. bis zum 30.9.2012 bei der Beatmung ihres Versicherten erbrachten Bedienungs- und Überwachungsleistungen an - wie mit der Klage geltend gemacht - 89 Tagen zur Zahlung nach einem Satz von täglich 110 Euro verurteilt wird. Ob die Ersetzungsklage in einer Konstellation wie hier schon unzulässig ist, kann mangels Entscheidungserheblichkeit offenbleiben.

2. Rechtsgrundlage des streitbefangenen Vergütungsbegehrens ist (hier noch) § 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 und Satz 3 SGB V (in der im Streitzeitraum geltenden Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes - GKV-WSG - vom 26.3.2007, BGBl I 378; vgl nunmehr § 37c Abs 1 Satz 1 SGB V idF des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes - GKV-IPReG - vom 23.10.2020, BGBl I 2220) iVm § 132a Abs 4 Satz 1 SGB V sowie § 6 Abs 6 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (HKP-RL; hier in der im Zeitpunkt der Leistungserbringung maßgebenden Fassung der Änderung vom 21.10.2010, BAnz Nr 8 vom 14.1.2011 S 140; im Wesentlichen inhaltsgleich nunmehr § 6 Abs 6 HKP-RL in der zuletzt geänderten Fassung vom 19.11.2021, BAnz AT 25.3.2022 B1). Hiernach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (§ 37 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V), und zwar in zugelassenen Pflegeeinrichtungen iS des § 43 SGB XI ausnahmsweise auch dann, wenn diese auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, einen besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege haben (§ 37 Abs 2 Satz 3 SGB V). Soweit dieser Anspruch reicht, ist leistungserbringungsrechtlich einerseits die von der Pflegeeinrichtung zu beanspruchende - und wegen der Deckelung der Pflegeleistungen im Ergebnis von den Pflegebedürftigen oder deren Kostenträgern zu tragende - Vergütung für die allgemeinen Pflegeleistungen auf den nicht von ihm umfassten Teil der medizinischen Behandlungspflege beschränkt (§ 82 Abs 1 Satz 2, 3 SGB XI idF des GKV-WSG). Andererseits erwerben geeignete Pflegeeinrichtungen in einem solchen Fall auch ohne zuvor geschlossenen Vertrag nach § 132a SGB V dem Grunde nach einen gesetzlichen Vergütungsanspruch für ärztlich verordnete und ordnungsgemäß erbrachte Leistungen der häuslichen Krankenpflege gegenüber der Krankenkasse, die sie bis zu deren förmlicher Entscheidung über die ihr vorgelegten Verordnungen erbracht haben (dazu sogleich 3.) und über dessen Höhe mit der Krankenkasse entweder einvernehmlich oder im Schiedsverfahren nach § 132a SGB V zu entscheiden ist, ohne dass vor dem Abschluss dessen die Einrede der Verjährung greift (dazu 4. und 5.). Erst im Anschluss daran steht der Weg offen für eine gerichtliche Geltendmachung des Vergütungsanspruchs, ggf - steht der Schiedsspruch (selbst) ebenfalls noch im Streit - im Rahmen einer Stufen- oder Widerklage (dazu 6.).

3. Bis zur Entscheidung der Krankenkasse über ärztlich verordnete medizinische Behandlungspflegeleistungen für Versicherte mit einem auf Dauer besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege erwirbt eine den Anforderungen der Versorgung genügende stationäre Pflegeeinrichtung Anspruch auf deren Vergütung durch die Krankenkasse dem Grunde nach auch dann, wenn zuvor noch kein Vertrag über die Einzelheiten der Versorgung und deren Preise bestanden hat.

a) Für den Zeitraum bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die - genehmigungsbedürftige (vgl § 19 Satz 1 SGB IV; vgl letztens BSG vom 12.8.2021 - B 3 KR 8/20 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4-2500 § 33 Nr 56, RdNr 12) - Versorgung mit Leistungen der häuslichen Krankenpflege gilt nach § 6 Abs 6 HKP-RL: "Die Krankenkasse übernimmt bis zur Entscheidung über die Genehmigung die Kosten für die von der Vertragsärztin oder dem Vertragsarzt verordneten und vom Pflegedienst erbrachten Leistungen entsprechend der vereinbarten Vergütung nach § 132a Absatz 2 SGB V, wenn die Verordnung spätestens an dem dritten der Ausstellung folgenden Arbeitstag der Krankenkasse vorgelegt wird. Das Nähere regeln die Partner der Rahmenempfehlungen nach § 132a Absatz 1 SGB V".

b) Diese Vertrauensschutzregelung schützt den Leistungserbringer nach der Rechtsprechung des Senats bis zur Entscheidung der Krankenkasse über die beantragte Genehmigung einer ihr - rechtzeitig (vgl BSG vom 20.4.2016 - B 3 KR 17/15 R - BSGE 121, 119 = SozR 4-2500 § 37 Nr 14, RdNr 23) - vorgelegten vertragsärztlichen Verordnung davor, dass die Krankenkasse den Leistungsanspruch nachträglich mangels medizinischer Erforderlichkeit oder wegen Unwirtschaftlichkeit verneint und damit seinem Vergütungsanspruch die Grundlage entzieht. Danach kann dem Vergütungsanspruch des auf der Basis einer vertragsärztlichen Verordnung tätig gewordenen Leistungserbringers das Fehlen der medizinischen Notwendigkeit nur entgegengehalten werden, wenn für ihn klar erkennbar war, dass sie nicht wie verordnet medizinisch notwendig sein konnte. Hiermit soll ihm das Risiko genommen werden, dass sich die verordnete Leistung bei der Prüfung im Genehmigungsverfahren ganz oder teilweise als medizinisch nicht notwendig erweisen sollte, damit der Versicherte für den Zeitraum des Genehmigungsverfahrens nicht auf eigenes Risiko in Vorleistung treten muss und er selbst - der Leistungserbringer - von Anfang an zur Leistungserbringung bereit ist (vgl BSG vom 20.4.2016 - B 3 KR 17/15 R - BSGE 121, 119 = SozR 4-2500 § 37 Nr 14, RdNr 16, 22).

c) In den Geltungsbereich dieser Vertrauensschutzregelung einbezogen ist eine stationäre Pflegeeinrichtung auch, wenn sie vor der (erstmaligen) Erbringung von Leistungen der medizinischen Behandlungspflege noch keinen Vertrag über die Einzelheiten der Versorgung und deren Preise mit der jeweiligen Krankenkasse des von ihr versorgten Versicherten nach § 132a Abs 4 Satz 1 SGB V geschlossen hatte. Erbringt die Krankenkasse solche Leistungen - wie regelmäßig - nicht durch eigene Kräfte (vgl § 37 Abs 4 SGB V), erhalten die Versicherten sie abweichend von den allgemeinen Vorschriften nicht als Sachleistung (§ 2 Abs 2 Satz 1 SGB V), sondern durch Kostenerstattung nach § 37 Abs 4 SGB V. Anders als im Sachleistungssystem rechtfertigt diese Ausgestaltung die Inanspruchnahme von geeigneten Leistungserbringern auch dann, wenn diese im Zeitpunkt der Leistungserbringung noch nicht mit der leistungsverpflichteten Krankenkasse nach § 132a SGB V vertraglich verbunden waren; insoweit kommt dem Vertrag statusbegründende Wirkung nicht zu (vgl zuletzt nur BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 42 mwN). Entsprechend hat der Senat wegen des uneingeschränkten Vorbehalts der Preisfindung im Vereinbarungswege nach § 132a SGB V die rückwirkende Festsetzung mit Blick auf das Schutzinteresse des Leistungserbringers als geboten angesehen, wenn er nach den Umständen des Einzelfalls einen Vergütungsanspruch dem Grunde nach erworben haben konnte (vgl zuletzt BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 54 unter Verweis auf BSG vom 24.1.2008 - B 3 KR 2/07 R - BSGE 99, 303 = SozR 4-2500 § 132a Nr 4, RdNr 30; anders hingegen BSG vom 20.4.2016 - B 3 KR 18/15 R - SozR 4-2500 § 132a Nr 9 RdNr 22 f). Daran ist weiter festzuhalten; mit Blick auf die vertragliche Einbindung nach dem SGB XI einerseits und den dort weniger regelmäßigen Anfall von Behandlungspflegeleistungen nach § 37 Abs 2 Satz 3 SGB V andererseits bei stationären Pflegeeinrichtungen erst recht.

d) Dass bis dahin eine "vereinbarte Vergütung" iS von § 6 Abs 6 Satz 1 HKP-RL noch nicht bestimmt worden ist, steht dem nicht entgegen. Jedenfalls mit der Umgestaltung der Schiedsverfahrensregelung des § 132a SGB V in einen gesetzlichen Anspruch - "Im Falle der Nichteinigung wird der Vertragsinhalt durch eine von den Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige Schiedsperson innerhalb von drei Monaten festgelegt." (vgl § 132a Abs 2 Satz 6 SGB V idF des Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 21.12.2015, BGBl I 2408; nunmehr § 132a Abs 4 Satz 9 SGB V) - hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass das Vertragsmodell des § 132a SGB V ausschließlich auf die nähere Ausgestaltung der "Einzelheiten der Versorgung" gerichtet ist und nicht dem Anspruch dem Grunde nach gilt; er wird von der Regelung vorausgesetzt. Hat eine stationäre Pflegeeinrichtung vor der Erbringung von Behandlungspflegeleistungen, an deren Kosten sich eine Krankenkasse nach § 37 Abs 2 Satz 3 SGB V zu beteiligen hat, Regelungen mit dieser über die Einzelheiten der Versorgung iS von § 132a Abs 4 Satz 1 SGB V noch nicht getroffen (zum Zeitpunkt der Leistungserbringung § 132a Abs 2 Satz 1 SGB V), trägt sie deshalb zwar das Risiko, dass die Leistung (berechtigten) qualitativen Anforderungen der Krankenkasse nicht genügt oder sich ihre Vergütungsvorstellungen nicht realisieren lassen. Dass eine ordnungsgemäße Leistung überhaupt nicht vergütet wird und deshalb auch nachträglich eine "vereinbarte Vergütung" iS von § 6 Abs 6 Satz 1 HKP-RL nicht bestimmbar ist, muss die Pflegeeinrichtung in dem aufgezeigten Regelungszusammenhang hingegen nicht hinnehmen. Als in diesem Sinne vom Zeitpunkt der Leistungserbringung an anspruchsberechtigt dem Grunde nach ist deshalb eine stationäre Pflegeeinrichtung in den Geltungsbereich der Vertrauensschutzregelung des § 6 Abs 6 Satz 1 HKP-RL auch dann einbezogen, wenn eine Vergütungsvereinbarung zu diesem Zeitpunkt noch nicht getroffen (oder ersetzt worden) war; insoweit hält der Senat an früheren Bedenken nicht fest (vgl BSG vom 20.4.2016 - B 3 KR 18/15 R - SozR 4-2500 § 132a Nr 9 RdNr 22 f).

4. Im Hinblick auf den seit der Leistungserbringung verstrichenen Zeitraum steht der Geltendmachung der streitbefangenen Vergütungsansprüche weder die Verjährungseinrede der Beklagten entgegen noch ist die Klägerin unter Verwirkungsgesichtspunkten gehindert, das Verfahren der Vergütungsbestimmung nach § 132a SGB V weiter zu betreiben.

a) Einer Verjährung vertraglicher Zahlungsansprüche steht bereits entgegen, dass diese mangels - auch rückwirkend zulässigen - Vertrags zwischen den Beteiligten bislang nicht konkretisiert worden sind (vgl BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 24 ff, 54).

b) Einer Verjährung des von der Klägerin verfolgten Anspruchs auf Abschluss eines Einzelvertrags für von ihr erbrachte häusliche Krankenpflege steht entgegen, dass dieser von vornherein nicht der Verjährung unterliegt.

Es handelt sich insoweit nicht um ein "Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen" (§ 194 Abs 1 BGB), hier etwa die Abgabe einer Willenserklärung durch die Beklagte, das eingeklagt werden und dessen Geltendmachung verjähren könnte. Vielmehr zielt das Begehren der Klägerin auf die nach § 132a SGB V leistungserbringungsrechtlich vorgegebene Schaffung einer Vertragsgrundlage zwischen ihr als Leistungserbringer und Krankenkasse über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege einschließlich deren Vergütung, ggf bei Nichteinigung mithilfe einer Schiedsperson (vgl zur Erforderlichkeit von Vertrag bzw Schiedsspruch nach der gesetzlichen Regelungskonzeption näher BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 39 ff). An einer Verständigung über einen solchen Vertrag und an einem entsprechenden Schiedsverfahren im Fall der Nichteinigung haben Leistungserbringer wie Krankenkasse nach der gesetzlichen Konzeption mitzuwirken. Die Ausübung des der Klägerin als Leistungserbringer gesetzlich zustehenden Rechts, bei Nichteinigung mit der Krankenkasse einen Schiedsspruch herbeizuführen, um einen Vertrag zu erreichen ("Schiedsrecht", so BSG aaO, RdNr 44), ist in dem Normzusammenhang hier der Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern im Bereich der häuslichen Krankenpflege etwas anderes als ein bloßer gegen die Beklagte als Krankenkasse gerichteter Anspruch. Dies schließt es aus, einen Anspruch auf Abschluss eines Vertrags nach § 132a SGB V für bereits erbrachte häusliche Krankenpflege und damit auch die Einleitung eines Schiedsverfahrens der Verjährung zu unterwerfen. Für ein solches Schiedsverfahren gelten keine Ausschlussfristen (BSG aaO, RdNr 54).

c) Allenfalls kann das Begehren eines Leistungserbringers auf Schaffung einer Vertragsgrundlage für erbrachte häusliche Krankenpflege verwirkt sein. Die Annahme einer Verwirkung scheidet vorliegend indes aus (zu den im Sozialrecht anzuwendenden Grundsätzen der Verwirkung vgl letztens etwa BSG vom 26.1.2022 - B 6 KA 4/21 R - vorgesehen für SozR 4 RdNr 39 ff). Es fehlt bereits an der Schaffung eines Vertrauenstatbestands durch ein Verwirkungsverhalten der Klägerin, da eine dauerhafte Rechtsbeziehung zwischen ihr und der Beklagten nicht bestand, die Ausgestaltung des Rechtsschutzes zum Erreichen eines rückwirkenden Vertrags durch den Leistungserbringer nicht bereits vor dem Urteil des Senats vom 29.6.2017 (B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11) als höchstrichterlich geklärt angesehen werden konnte und die Klägerin eine Einigung mit der Beklagten erneut erstrebte, nachdem sie 2016 in einem Verfahren mit einer anderen Krankenkasse in einer vergleichbaren Konstellation einen ihr günstigen Schiedsspruch nach § 132a SGB V erlangt hatte.

5. Ungeachtet dessen ist die von der Klägerin erhobene Zahlungsklage derzeit jedenfalls - von fehlenden und vom LSG nach dem gegenwärtigen Stand zu Recht nicht erhobenen Feststellungen zu Art und Umfang der von ihr erbrachten Leistungen abgesehen (dazu unter RdNr 25) - ebenso unbegründet wie sie mit der Klage auf Ersetzung des Schiedsspruchs nach § 132a Abs 4 Satz 9 SGB V nicht durchdringen kann; das hat das LSG im Ergebnis zutreffend ausgeführt. Wie der Senat bereits entschieden und im Einzelnen dargelegt hat, ist bei einem Streit über die Höhe der Vergütung von Leistungen der häuslichen Krankenpflege zunächst obligatorisch das Schiedsverfahren nach § 132a SGB V durchzuführen, bevor eine etwaige Unbilligkeit des rechtlich notwendigen Schiedsspruchs einer sozialgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden kann (vgl BSG vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 16 ff, 31 f; BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 39 ff), weshalb sich das Zahlungsbegehren jedenfalls als zur Zeit unbegründet erweist (BSG vom 29.6.2017 aaO, RdNr 24 ff). Zivilrechtliche Ansprüche sind insoweit schon dem Ansatz nach ausgeschlossen (vgl nur BSG vom 29.6.2017 aaO, RdNr 52).

6. Ob die Klägerin Anspruch auf die geltend gemachte Vergütung in Höhe von 9790 Euro für die Versorgung des Versicherten der Beklagten zur Deckung eines besonders hohen Bedarfs an medizinischer Behandlungspflege iS von § 37 Abs 2 Satz 3 SGB V an 89 Tagen bei einem Satz von täglich 110 Euro hat, kann demgemäß nur in weiteren Schritten wie folgt geklärt werden:

a) Zunächst ist auf der ersten Stufe von einer noch zu bestimmenden Schiedsperson der Tagessatz festzulegen, der für eine Versorgung, wie sie dem Versicherten der Beklagten hier ärztlich verordnet worden war und vom MDK als medizinisch begründet erachtet worden ist, in der Einrichtung der Klägerin im fraglichen Zeitraum im Vergleich mit anderen Heimbewohnern mit Pflegestufe II nach Maßgabe des durchschnittlichen zusätzlichen Zeitaufwands und der dafür aufzuwendenden Personalkosten zusätzlich angefallen ist.

Auf die Einleitung dieses Verfahrens hat die Klägerin Anspruch, nachdem die Verhandlungen über den insoweit anzusetzenden Betrag gescheitert sind, wie zuletzt die mündliche Verhandlung vor dem Senat nachdrücklich bestätigt hat, ohne dass die Beklagte dem die Einrede der Verjährung oder auf die Versorgung des Versicherten bezogene Einwände entgegenhalten könnte (BSG vom 29.6.2017 - B 3 KR 31/15 R - BSGE 123, 254 = SozR 4-2500 § 132a Nr 11, RdNr 43). Gegenstand dieses Verfahrens ist ausschließlich der Zusatzaufwand für die Erbringung der hier (dem Versicherten der Beklagten) ärztlich verordneten Leistungen in vergleichbarer Weise, wie er zwischen den Vertragsbeteiligten nach § 132a Abs 4 Satz 1 SGB V ansonsten für künftige Leistungen prospektiv festzulegen ist, nicht aber der Aufwand für die tatsächliche Versorgung des Versicherten; soweit darüber Streit bestehen sollte, kann dies ausschließlich Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein (vgl BSG vom 14.7.2022 - B 3 KR 1/22 R - RdNr 19).

Wie der Senat bereits entschieden hat, sind insoweit die Grundsätze für die Vergütung von Pflegeeinrichtungen zu übertragen, die er aus den entsprechenden Vergütungsbestimmungen des SGB XI abgeleitet hat (BSG vom 23.6.2016 - B 3 KR 26/15 R - BSGE 121, 243 = SozR 4-2500 § 132a Nr 10, RdNr 40). Im Rahmen der in diesem Aushandlungsprozess bestehenden Darlegungslasten obliegt es demgemäß zunächst der Einrichtung, den Zeitaufwand für eine Versorgung wie hier verordnet und die dazu für sie erforderlichen Gestehungskosten zu belegen, worauf die Krankenkasse substantiiert auf Unschlüssigkeiten im Vorbringen der Einrichtung hinzuweisen oder durch geeignete Unterlagen anderer Einrichtungen mit Verweis auf deren Kostenstruktur konkret darzulegen hat, dass die geltend gemachten Gestehungskosten nicht plausibel und/oder im Kostenvergleich mit vergleichbaren Einrichtungen nicht gerechtfertigt erscheinen (vgl grundlegend BSG vom 29.1.2009 - B 3 P 7/08 R - BSGE 102, 227 = SozR 4-3300 § 85 Nr 1, RdNr 38 ff; vgl dazu für die Bemessung des Zusatzbedarfs in zeitlicher Hinsicht Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes vom 6.12.2013, Häusliche Krankenpflege in stationären Pflegeeinrichtungen nach § 37 Abs 2 Satz 3 SGB V, Niederschrift über die Sitzung der Fachkonferenz Pflege beim GKV-Spitzenverband am 16.10.2013, TOP 8, Die Leistungen 2014, 25 ff).

b) Ob die nach Maßgabe eines Schiedsspruchs zu vergütende Leistung von der Klägerin tatsächlich in dem geltend gemachten Umfang erbracht worden ist und inwiefern sie dem verordneten Umfang nach - mit wie vom LSG festgestellt invasiver Beatmung "insbesondere in der Nacht" - einen besonders hohen, von der Beklagten zu tragenden Bedarf an medizinischer Behandlungspflege iS von § 37 Abs 2 Satz 3 SGB V begründet, kann hingegen bei weiter anhaltendem Streit über die Vergütung der streitbefangenen Versorgung nur gerichtlich entschieden werden. Soweit darüber hinaus auch über die (Un-)Billigkeit des Schiedsspruchs Streit bestehen sollte, könnte zur Beschleunigung des Verfahrens eine Verbindung dieser Fragen entweder im Wege der auch im sozialgerichtlichen Verfahren statthaften Stufenklage (dazu nur BSG vom 11.9.2018 - B 1 KR 7/18 R - BSGE 126, 277 = SozR 4-7610 § 812 Nr 8, RdNr 9) oder der Widerklage nach § 100 SGG zu erwägen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 GKG.

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Fundstellen

BSGE 2023, 270

KrV 2022, 251

SGb 2022, 550

SGb 2023, 333

Breith. 2023, 737

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