Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.06.1991; Aktenzeichen L 4 Vs 81/90)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 18. Juni 1991 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin auch im Revisionsverfahren.

 

Tatbestand

I

Die Klägerin bezieht seit 1982 Ausgleichsrente, deren Höhe unabhängig von Einkünften aus Haus- und Grundbesitz errechnet worden ist, weil der in § 12 Abs 1 Ausgleichsrentenverordnung (AusglV) festgelegte Grenzwert für den Einheitswert (15.000,– DM) unterschritten war. Im Juni 1985 verkaufte die Klägerin das Haus für 150.000,– DM. Von dem Verkaufserlös gab sie 112.500,– DM ihrem Sohn. Von dem ihr verbliebenen Betrag renovierte sie eine gemietete Wohnung, kaufte Einrichtungsgegenstände und finanzierte einen Urlaub. Den Rest von 5.300,– DM legte sie als Sparguthaben an. Nach Anhörung hat der Beklagte mit Bescheid vom 19. Mai 1988 die Anpassungsbescheide aus den Jahren 1986 und 1987 mit Wirkung vom 1. August 1985, inzwischen beschränkt auf die Zeit ab 1. Juli 1986, teilweise zurückgenommen und ab diesem Zeitpunkt bei der Feststellung der Ausgleichsrente Einkünfte aus Kapitalvermögen in Form tatsächlich erzielter und fiktiver Guthabenzinsen aus einem verbleibenden Vermögensbetrag von 93.700,– DM angerechnet; die sich hieraus ergebende Überzahlung in Höhe von 1.792,– DM hat der Beklagte zurückgefordert. Nach seiner Auffassung hat die Klägerin ohne verständigen Grund ihr Vermögen abgegeben; dem Sohn habe als Pflichtteil nur ein geringer Betrag zugestanden. Die rückwirkende Aufhebung der Bescheide sei berechtigt, weil die Klägerin grob fahrlässig gehandelt habe; sie sei durch Bescheidzusätze darauf hingewiesen worden, daß die Übergabe von Haus- und Grundbesitz stets mitzuteilen sei.

Beim Sozialgericht (SG) ist die Klägerin erfolglos geblieben (Urteil vom 12. Juni 1990). Das Landessozialgericht (LSG) hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben, weil der Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, die Anpassungsbescheide als ursprünglich rechtswidrig teilweise zurückzunehmen; die Bescheide seien nicht rechtswidrig gewesen, solange der anzupassende Grundlagenbescheid nicht aufgehoben worden sei. Dieser hätte zwar wegen Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden können. Dies sei jedoch nicht geschehen. Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin stehe einer Umdeutung entgegen (Urteil des LSG vom 18. Juni 1991).

Mit der vom Senat zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, bei einkommensabhängigen Leistungen seien auch die Anpassungsbescheide rechtswidrig,

wenn sich die Einkommensverhältnisse änderten. Sie basierten insoweit auf den jeweils aktuellen Angaben des Berechtigten; das gelte auch, wenn zufällig keine Einkommensüberprüfung stattgefunden habe.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil – jedenfalls im Ergebnis – für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Beklagte nicht befugt ist, die Ausgleichsrente der Klägerin zu kürzen. Durch den Verkauf des kleinen Einfamilienhauses und die Weitergabe des Erlöses haben sich ihre Einkünfte nicht so verändert, daß dies die Höhe der Ausgleichsrente beeinflußt. Die tatsächlich erzielten Zinserträge überschreiten insgesamt jährlich 300,– DM nicht und sind daher gemäß § 11 AusglV (Bezeichnung der Verordnung neu gefaßt durch Verordnung vom 20. Dezember 1988 ≪BGBl I 2451≫ in der hier noch maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1975 ≪BGBl I 1769≫, geändert durch Gesetz vom 4. Juni 1985 ≪BGBl I 510≫), von der Anrechnung ausgenommen. Fiktive Einkünfte sind der Klägerin auch nicht gemäß § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV anzurechnen.

Entgegen der Meinung des LSG scheitert die Berücksichtigung der geänderten Verhältnisse nicht am Verwaltungsverfahrensrecht. Zwar ist dem LSG darin zuzustimmen, daß bei nachträglichen Änderungen in den Verhältnissen, die für die Bewilligung einer Dauerleistung maßgeblich waren, verwaltungsverfahrensrechtlich nach § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) vorzugehen ist, und zwar auch dann, wenn dem Grundlagenbescheid – wie im Sozialrecht allgemein üblich – Anpassungsbescheide gefolgt sind (vgl BSG SozR 3-1300 § 48 Nr 11 und BSG SozR 1300 § 48 Nrn 49 und 51). Das beruht darauf, daß die Anpassungsbescheide nach den §§ 56, 90 Bundesversorgungsgesetz (BVG) – auch für die hier streitige Ausgleichsrente nach § 41 BVG – keine Entscheidung dem Grunde nach treffen, sondern an den bisherigen Grundlagenbescheid anknüpfen. Für einkommensabhängige, also variable, öffentliche Leistungen gilt insoweit nichts besonderes, wie der Senat bereits dargelegt hat (SozR 3-1300 § 48 Nr 11). Ändern sich die für den Grundlagenbescheid maßgeblichen rechtlichen Verhältnisse, bleiben die Anpassungsbescheide rechtmäßig, bis durch einen auf § 48 SGB X gestützten Änderungsbescheid die für den Anpassungsbescheid maßgeblichen Faktoren rechtswirksam geändert sind (vgl BSG SozR 3642 § 9 Nr 3 = BSGE 63, 266).

Die mit dem angefochtenen Bescheid beabsichtigte Anpassung des Zahlbetrags der Ausgleichsrente an den vom Beklagten für maßgeblich erachteten Sachverhalt durfte daher nicht auf § 45 SGB X gestützt werden. Das hat das LSG zutreffend entschieden. Allein deshalb sind die Bescheide jedoch nicht aufzuheben. Denn das LSG mußte zugleich darüber entscheiden, ob die angefochtenen Bescheide als Änderungsbescheide nach § 48 SGB X rechtmäßig wären. Dabei kann offenbleiben, ob schon im Wege der Auslegung aus der Begründung der angefochtenen Bescheide zu entnehmen ist, daß der Beklagte die Verwaltungsakte über die Anpassung an geänderte Einkommensverhältnisse ohnedies auf § 48 SGB X stützen wollte (vgl zum Umfang möglicher Auslegung Urteil vom 11. Dezember 1992 – 9a RV 20/90 – zur Veröffentlichung bestimmt). Denn jedenfalls können die Bescheide nach § 43 SGB X in Änderungsbescheide auf der Grundlage des § 48 SGB X umgedeutet werden.

Nach § 43 SGB X kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und -form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlaß erfüllt sind (Abs 1). Zugleich darf der umgedeutete Verwaltungsakt nicht der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widersprechen und in seinen Rechtsfolgen für den Betroffenen nicht ungünstiger sein als der fehlerhafte Verwaltungsakt (Abs 2). Die Voraussetzungen für den Vorgang der Umdeutung sind hier erfüllt, weil der Sache nach die Verwaltung die Rechtswirkungen des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X herbeiführen wollte und entgegen der Auffassung des LSG dem auch kein Rechtsschutzinteresse der Klägerin entgegensteht. Die Rechtsfolgen, die § 48 SGB X auslöst, sind bei einer Änderung der Verhältnisse durch Erzielung von Einkommen in der Regel nicht ungünstiger als diejenigen nach § 45 SGB X. Sofern das Berufungsgericht der Auffassung sein sollte, daß die Klägerin ein Interesse daran hat, daß ein sie belastender rechtswidriger Verwaltungsakt nicht durch Umdeutung rechtswirksam gemacht wird, weil dann die Belastung tatsächlich eintritt, so kann dies nicht als ein beachtliches Rechtsschutzinteresse gewertet werden, das vor der Zielsetzung des § 43 SGB X Bestand hat. § 43 SGB X ist nicht auf begünstigende Verwaltungsakte beschränkt. § 43 SGB X bewirkt daher, daß ein fehlerhafter belastender Verwaltungsakt erst durch die Umdeutung Bestand erhält und so die beabsichtigte belastende Wirkung herbeigeführt wird. Das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen ist durch die Gesetzesfassung darauf beschränkt, daß die Rechtsfolgen für ihn nicht ungünstiger sein dürfen als die des fehlerhaften Verwaltungsaktes. Dabei muß für den Vergleich der Belastungen dessen Wirksamkeit unterstellt werden. Anderenfalls würde man bei belastenden Verwaltungsakten durch Umdeutung immer eine Verschlechterung in den Rechtsfolgen herbeiführen, weil der ursprüngliche Verwaltungsakt unrichtig und daher aufzuheben wäre, der durch Umdeutung gewonnene Verwaltungsakt aber belastenden Bestand hätte.

§ 43 Abs 3 SGB X steht der Umdeutung nicht entgegen; dort ist der umgekehrte Fall geregelt. Es ist verboten, eine gebundene Entscheidung in eine Ermessensentscheidung umzudeuten, weshalb ein auf § 48 SGB X gestützter Bescheid nicht in einen solchen nach § 45 SGB X umgedeutet werden darf (vgl BSG SozR 1300 § 43 Nr 1). Die Umdeutung eines auf § 45 SGB X gestützten Bescheides in einen solchen nach § 48 SGB X ist hingegen grundsätzlich zulässig. Ob und in welchem Umfang sich aus dem Verschlechterungsverbot Einschränkungen ergeben mögen, was insbesondere bei Gutgläubigen und beim Tatbestand des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nicht völlig auszuschließen ist, bleibt der Einzelfallprüfung vorbehalten.

Diese ist hier indessen entbehrlich. Denn auch in der durch Umdeutung gewonnenen Gestalt haben die angefochtenen Bescheide keinen Bestand. Es fehlt an einer Änderung der wesentlichen Verhältnisse iS des § 48 SGB X, obgleich die Klägerin ihr Haus entgeltlich veräußert hat und über das hierbei erzielte Einkommen weiter verfügt hat.

Die Ausgleichsrente nach § 41 BVG hängt von der Höhe des anderweitigen Einkommens ab. Was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei der Feststellung der Ausgleichsrente zu berücksichtigen sind, richtet sich nach § 14 Abs 1 iVm den §§ 1 bis 12 AusglV. Dabei sind nach § 1 Abs 1 AusglV sämtliche Einkünfte in Geld oder Geldeswert ohne Rücksicht auf ihre Quelle und Rechtsnatur zu berücksichtigen. Zu den Einkünften gehören nach der ausdrücklichen Regelung des § 1 Abs 1 Nrn 1 und 2 AusglV ausdrücklich auch Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz sowie die Einkünfte aus Kapitalvermögen. Einkünfte aus Haus- und Grundbesitz sind nach § 12 AusglV jedoch nicht zu berücksichtigen, wenn der Einheitswert des Hausgrundstücks insgesamt nicht höher als 15.000,– DM liegt. Daher hatte die Klägerin bis zur Veräußerung ihres Hauses kein anrechenbares Einkommen. Auch nach der Veräußerung des Hauses hat sie kein tatsächliches anrechenbares Einkommen erzielt, weil ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen unter der in § 11 AusglV ausgewiesenen Grenze von 300,– DM jährlich liegen.

Dies hat der Beklagte auch nicht verkannt. Er hat vielmehr fiktives Einkommen nach § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV angerechnet, weil nach seiner Auffassung die Klägerin über Vermögenswerte in einer Weise verfügt hat, daß dadurch ein bei der Feststellung der Ausgleichsrente berücksichtigungsfähiges Einkommen gemindert worden ist. Dieser Tatbestand ist jedoch nicht erfüllt. Denn die Klägerin hat durch ihre Vermögensverfügungen bisher anrechenbare Einkünfte nicht gemindert; sie begehrt keine höhere Ausgleichsrente. Sie hat es allerdings unterlassen, vorhandenes Vermögen so ertragreich anzulegen, daß die Ausgleichsrente gemindert wird. Hierzu verpflichtet die Ausgleichsverordnung den Versorgungsberechtigten aber nicht.

Eine solche Verpflichtung kann dem Gesetz auch durch Auslegung nicht entnommen werden. Die Anrechnung vorhandener Einkünfte und die Verpflichtung, Einkünfte zu erzielen, sind so unterschiedlicher Natur, daß sie nicht notwendig Hand in Hand gehen. Der Einsatz des Vermögens ist dementsprechend in unterschiedlichen Sozialleistungsbereichen, die von einem Bedarf abhängig sind, auch unterschiedlich geregelt. Wird das Vermögen selbst nicht angerechnet, hat es in seiner Höhe keinen Einfluß auf die Feststellung der Bedürftigkeit. Wenn nach den einschlägigen Rechtsvorschriften der Bedarf nur von den Einkünften aus Vermögen und nicht vom Einsatz des Vermögens abhängig gemacht wird, würde es dem Willen des Gesetz- und Verordnungsgebers widersprechen, wollte man den Einsatz des Vermögens über das Tatbestandsmerkmal des verständigen Grundes doch verlangen. Dies geschieht, wenn mittels des verständigen Grundes über die Anlageformen und mögliche Erträgnisse durch Verwaltung und Gerichte befunden wird. Insoweit bestehen rechtlich erhebliche Unterschiede beispielsweise zur Berücksichtigung und Verwertung von Vermögen nach der Arbeitslosenhilfeverordnung (≪AlhiVO≫ vom 7. August 1974 ≪BGBl I 1929≫, geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 1991 ≪BGBl I 1497≫). Ebenso muß nach den §§ 88, 89 des Bundessozialhilfegesetzes (≪BSHG≫ idF der Bekanntmachung vom 10. Januar 1991 ≪BGBl I 94 berichtigt 808≫) das Vermögen selbst zur Minderung der Bedürftigkeit eingesetzt werden. Dasselbe gilt bei der Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Prozeßkostenhilfe (§ 115 Abs 2 Zivilprozeßordnung). In derartigen Fällen ist jede Vermögensverfügung für den Leistungsanspruch von Bedeutung. Das gilt für die AusglV gerade nicht. Der Anspruch auf Ausgleichsrente ist grundsätzlich ein Entschädigungsanspruch und nicht allgemein allen anderen Erwerbschancen gegenüber subsidiär. Das hat der Senat in seinem Urteil vom 24. April 1991 (BSGE 68, 244, 247 f = SozR 3-3100 § 32 Nr 1) im Zusammenhang mit der Auslegung des § 4 Abs 1 AusglV bereits klargestellt.

Diese Qualität als Entschädigungsanspruch entbindet den Versorgungsberechtigten jedoch nicht von der grundsätzlichen Pflicht, bestehende Ansprüche geltend zu machen. Dies ergibt sich aus § 1 Abs 2 Satz 1 AusglV, wonach das Unterlassen auf einen verständigen Grund beruhen muß. Insofern wird das Erzielen von Einkünften dem Unterlassen gleichgesetzt. Eine solche Gleichstellung findet sich jedoch in Satz 2 der Vorschrift nicht. Wer keine Kapitaleinkünfte erzielt, weil er Vermögen nicht gewinnbringend anlegt, wird nicht so behandelt, als mache er einen bestehenden Anspruch nicht geltend. Wer so handelt, verschafft sich keinen Anspruch auf Einnahmen, der geltend gemacht werden könnte. Die Vorschrift trifft schon ihrem Wortlaut nach nicht zu.

Aus dem Zusammenhang der Sätze 1 und 2 in § 1 Abs 2 AusglV läßt sich schließen, daß das Gesetz dem Versorgungsberechtigten nicht die Verpflichtung auferlegt, Vermögen gewinnbringend anzulegen mit dem Ziel, die Versorgungsverwaltung zu entlasten. Der Gedanke, daß auch die Ausgleichsrente eine Leistung der Kriegsopferversorgung ist, hat es verhütet, von dem Berechtigten zu verlangen, etwa ererbte Kunst- und Gebrauchsgegenstände zu veräußern, um anrechenbare Kapitaleinkünfte zu erzielen. Auch das in einem Einfamilienhaus mit geringem Einheitswert brachliegende Kapital muß nicht ertragreich angelegt werden. Vermögensverfügungen und Umschichtungen des Vermögens, die nicht zu einer Mehrleistung, also zu einer Erhöhung der Ausgleichsrente führen, stehen daher dem Berechtigten frei. Die Frage, ob eine Vermögensverfügung mit oder ohne verständigen Grund getroffen worden ist, darf erst dann gestellt werden, wenn durch sie das bisher zu berücksichtigende Einkommen gemindert wird. Daher gibt der für die soziale Entschädigung allein zuständige Senat die entgegenstehende Rechtsauffassung des 10. Senats auf, die im Urteil vom 27. März 1974 (SozR 3100 § 40a Nr 1) sowie in Anschlußentscheidungen (zB SozR 3660 § 1 Nr 5) vertreten worden ist.

Eine Minderung ist durch die von der Klägerin getroffenen Verfügungen nicht eingetreten. Sie hat über Kapital in Form von Haus- und Grundbesitz, dessen Erträgnisse nicht anrechenbar waren, so verfügt, daß weiterhin keine anrechenbaren Erträgnisse vorhanden sind, weil die gezahlten Zinsen den gesetzlichen Freibetrag nicht überschreiten. Die Übergabe eines Teils des Verkaufserlöses in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Veräußerung hat ebenfalls das Einkommen der Klägerin nicht gemindert, weil aus dem Verkaufserlös – schon angesichts der Kürze der Zeit – überhaupt kein Einkommen erzielt worden ist. Die Verfügung hat insgesamt keine Einkommensminderung, sondern lediglich eine Vermögensminderung herbeigeführt.

Ob und in welchem Umfang Vermögensverfügungen, die eine naheliegende und zumutbare Einkommenserzielung vereiteln (zB große Geldbeträge werden überhaupt nicht angelegt), aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben in entsprechender Anwendung von § 1 Abs 2 Satz 2 AusglV zur Anrechnung fiktiver Einkünfte führen können, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Das Verhalten der Klägerin ist nicht in diesem Sinne treuwidrig. Das gilt offenkundig für den Teil des Veräußerungserlöses, der den Erbanspruch des Sohnes nach seinem Vater abdeckte. Die Verweisung auf den Pflichtteil, die nach Auffassung des Beklagten allein verständig wäre, entspricht nicht den familien- und erbrechtlichen Beziehungen bei intakten Familienverhältnissen. Die Auskehrung eines vollen Erbteils wird in aller Regel auf einem verständigen Grund beruhen; sie ist jedenfalls ersichtlich nicht rechtsmißbräuchlich. Auch im übrigen können derartige Vermögensverfügungen mit Familienangehörigen, die zB einem Abkömmling den Hausbau ermöglichen, nicht als zu mißbilligende Vermögensverschwendung gebrandmarkt werden.

Im übrigen führt der Senat seine Rechtsprechung zur unentgeltlichen Verfügung über einkommensirrelevante Vermögensstücke fort (vgl BSG SozR 3660 § 12 Nr 4). Wenn die Bezieher von einkommensabhängigen Leistungen über ein Grundstück unter der Anrechnungsgrenze unentgeltlich verfügen, das gesamte Grundstück also einem Kind zuwenden können, ohne daß fiktives Einkommen in Höhe des möglichen Verkaufserlöses anzurechnen ist, kann eine entgeltliche Verfügung mit Übergabe des Verkaufserlöses nicht iS des § 1 AusglV derart mißbilligt werden, daß auch dann fiktives Einkommen anzurechnen wäre, wenn eine Einkommensverschlechterung hierdurch nicht eingetreten ist. Zwar zerfällt hier das Rechtsgeschäft in zwei selbständige Teilbereiche. Nicht das Haus- und Grundvermögen ist Gegenstand der Schenkungsverfügung, sondern erst der erzielte Verkaufserlös. Wirtschaftlich sind aber beide Rechtsgeschäfte gleichwertig, weil dem Begünstigten der wirtschaftliche Wert des Hausgrundstückes ganz oder teilweise zugute kommt. Angesichts der mit einer Grundstücksveräußerung verbundenen Formalitäten, der anfallenden Grunderwerbssteuer sowie der Notariats- und Gerichtsgebühren geben die Betroffenen aus Kostengründen häufig dem von der Klägerin gewählten Weg den Vorzug. Würde zunächst das Grundstück schenkweise übertragen und sodann vom Empfänger veräußert, minderte sich der Vermögenswert um die anfallenden Gebühren und Kosten durch die zwischenzeitliche Übertragung des Eigentums. Wie im Rundschreiben des BMA vom 27. März 1984 – VIa 1-53110 (BVBl 1984 S 9) aufgezeigt wird, bestand insoweit ein Widerspruch in den Rechtsfolgen zwischen der unentgeltlichen Verfügung über das Hausgrundstück und der entgeltlichen Verfügung unter Weitergabe des Verkaufserlöses, der durch Aufgabe der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung in der Entscheidung vom 27. März 1974 (SozR 3100 § 40a Nr 1) beseitigt wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1174712

NJW 1994, 677

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt TVöD Office Professional. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge