Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 17.05.1988; Aktenzeichen L 4 Vs 44/87)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Mai 1988 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren.

 

Tatbestand

I

Steitig ist, ob der Beklagte berechtigt war, die Ausgleichsrente der Klägerin für die Zeit von Juni bis September 1986 wegen eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren Ehemann zu mindern.

Die Klägerin wurde im Zweiten Weltkrieg schwerbeschädigt, ist seit 1949 verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in häuslicher Gemeinschaft. Sie bezieht Versorgungsleistungen nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) unter Einschluß einer besonderen beruflichen Betroffenheit von 90 vH, ua auch Ausgleichsrente und Berufsschadensausgleich. Bei der Festsetzung der Ausgleichsrente prüfte der Beklagte seit dem Bescheid vom 20. Januar 1981 auch, ob die Klägerin einen anzurechnenden Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann hat. Zur Ermittlung des für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Einkommens zog er von dessen Nettoeinkommen zusätzlich die Aufwendungen für die Abzahlung und den Unterhalt eines im Eigentum des Ehemannes stehenden Einfamilienhauses ab, so daß er kein höheres Einkommen des Ehemannes als das der Klägerin und deswegen keinen Unterhaltsanspruch gegen den Ehemann errechnete. Wegen der schwankenden Ausgaben für das Eigenheim setzte der Beklagte in der Folgezeit stets die Ausgleichsrente zunächst vorläufig fest und ersetzte später die vorläufigen durch endgültige Bescheide. Ein anrechenbarer Unterhaltsanspruch ergab sich dabei nicht. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 3. August 1986 stellte der Beklagte die bis einschließlich Mai 1986 vorläufig festgelegte Ausgleichsrente nach der bisherigen Berechnungsweise endgültig fest, berechnete sie aber für die Zeit von Juni bis September 1986 unter Berufung auf § 48 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) anders.

Nunmehr lies er die Hauskosten als Kosten der gemeinsamen Lebenshaltung beim Nettoeinkommen des Ehemannes unberücksichtigt und errechnete wegen des jetzt höheren Einkommens des Ehemannes einen Unterhaltsanspruch der Klägerin in Höhe der Hälfte der Differenz zwischen den Einkommen, den er als Einkommen der Klägerin auf die Ausgleichsrente anrechnete. Dadurch verringerte sich die Ausgleichsrente. Der Beklagte errechnete außerdem eine Überzahlung und forderte diese von der Klägerin zurück.

Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Sozialgerichts ≪SG≫ vom 18. August 1987). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) den Beklagten verurteilt, über den 31. Mai 1986 hinaus die Ausgleichsrente unter Anwendung derselben Rechenmethode wie im Bescheid vom 20. Januar 1981 zu gewähren. Das LSG hat es für unzulässig gehalten, ohne Änderung der Verhältnisse auch bei vorläufigen Bescheiden von der einmal gewählten Berechnungsmethode abzuweichen.

Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten. Er vertritt die Auffassung, daß er wegen der schwankenden Ausgaben für das Eigenheim berechtigt gewesen sei, die Ausgleichsrente zunächst jeweils nur vorläufig festzusetzen. Bei der endgültigen Festsetzung sei er an den dabei zugrunde gelegten Maßstab nicht gebunden. Nach der für den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch unter zusammenlebenden Ehegatten von den Zivilgerichten angewandten Berechnungsmethode errechne sich abweichend von der früheren Berechnung ein Unterhaltsanspruch der Klägerin, der nach Maßgabe des Gesetzes und der dazu ergangenen Verordnungen auf die volle Ausgleichsrente anzurechnen sei.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts zu ändern und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag, schließt sich aber der Auffassung des beklagten Landes an.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist nicht begründet.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß auf die Ausgleichsrente der schwerbehinderten Klägerin kein Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann anzurechnen ist. Das LSG hat dies damit begründet, in den Gründen des Bescheids vom 20. Januar 1981 sei unanfechtbar entschieden worden, daß die Aufwendungen des Ehemannes für sein Einfamilienhaus sein Einkommen mindern, so daß nach § 4 der Ausgleichsrentenverordnung ≪AusglV≫ (idF der Bekanntmachung vom 1. Juli 1975 – BGBl I 1769, die insoweit nicht geändert worden ist) kein Unterhaltsanspruch der Klägerin festzustellen sei. Der Beklagte sei deshalb nach Verwaltungsverfahrensrecht gehindert, seine jetzt geänderte Auffassung zur Geltung zu bringen und die Ausgleichsrente der Klägerin zu kürzen.

Es kann offenbleiben, ob bei der Berechnung einer Ausgleichsrente, deren Höhe von einem Unterhaltsanspruch abhängt, über das maßgebliche Einkommen des Unterhaltspflichtigen eine der Bindung fähige Entscheidung getroffen werden kann. Hier durfte die Beklagte nicht nur wegen geringeren Einkommens des Unterhaltsverpflichteten, sondern schon dem Grunde nach keinen Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Ehemann auf die Ausgleichsrente anrechnen: § 4 AusglV erlaubt es nicht, die Ausgleichsrente einer schwerbeschädigten Person zu kürzen, die nach der Schädigung heiratet und deren Ehegatte zum Familienunterhalt finanziell mehr beiträgt als sie.

Nach § 32 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten Schwerbeschädigte Ausgleichsrente, wenn sie infolge ihres Gesundheitszustandes oder hohen Alters oder aus einem sonst von ihnen nicht zu vertretenden Grund eine zumutbare Erwerbstätigkeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben können. Die Ausgleichsrente ist nach der Höhe der MdE gestaffelt. Die volle Ausgleichsrente ist nach § 33 BVG um das anzurechnende Einkommen zu mindern, wobei der Gesetzgeber zwischen Einkünften aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit und den übrigen Einkünften unterscheidet. Die Bundesregierung ist nach § 33 Abs 5 BVG ermächtigt, darüber, was als Einkommen gilt und welche Einkünfte bei Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt bleiben, eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassen. Dies ist in der AusglV geschehen.

Die Besonderheiten von Unterhaltsansprüchen und Unterhaltsleistungen werden in der Verordnung an verschiedenen Stellen erwähnt. So gelten Leistungen aufgrund von Unterhaltsansprüchen nach § 1 Abs 3 Nr 8 AusglV nur insoweit als Einkommen, als sie bei der Feststellung der Ausgleichsrente zu berücksichtigen sind. Nach § 2 Abs 1 Nr 19 AusglV bleiben bei der Feststellung der Ausgleichsrente unberücksichtigt Leistungen aufgrund von Unterhaltsansprüchen und freiwilligen Unterhaltsleistungen, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Dazu bestimmt § 4 Abs 1 Satz 1 AusglV, daß als anzurechnende Einkünfte „bei verheirateten Schwerbeschädigten auch die Leistungen des Ehegatten aufgrund eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen” sind. Diese Vorschrift rechtfertigt aber nicht die Berücksichtigung eines Unterhaltsanspruchs zwischen zusammenlebenden Ehegatten. Das folgt schon aus dem Wortlaut dieser Vorschrift, denn einen solchen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten, mit dem man zusammenlebt, gibt es jedenfalls seit Inkrafttreten des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 (BGBl I 609) nicht mehr. § 1360 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vergleicht nicht die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zusammenlebender Ehegatten, um den einen als Unterhaltsverpflichteten und den anderen als Unterhaltsberechtigten zu definieren. Das Gesetz schreibt vielmehr vor, daß die Beiträge, die die Ehegatten zum Familienunterhalt leisten, als gleichwertig anzusehen sind, selbst wenn nur einer der Ehegatten Erwerbseinkommen erzielt und der andere den Haushalt führt. § 1360 BGB verpflichtet die Ehegatten, „die Familie”, nicht den jeweiligen anderen Ehegatten, angemessen zu unterhalten. Bei immerhin denkbaren gerichtlichen Streitigkeiten auch zwischen zusammenlebenden Ehegatten kann der Ehegatte, der seinen Beitrag zum Familienunterhalt nicht leistet, nicht zu Unterhaltsleistung an den anderen Ehegatten, sondern nur zur Leistung dieses Beitrages – allerdings zu Händen des anderen Ehegatten – verurteilt werden (vgl Palandt/Diederichsen, Komm zum BGB, 50. Aufl 1991, § 1360 RdNr 3).

§ 4 Abs 1 Satz 1 AusglV kann nicht deshalb anders ausgelegt werden, weil er so zu einer Zeit geschaffen worden ist, als § 1360 BGB in seiner alten Fassung galt, wonach auch zwischen zusammenlebenden Ehegatten Unterhaltsansprüche bestanden, die grundsätzlich der Ehefrau und in Ausnahmefällen dem Ehemann zugebilligt worden sind. Die Änderung des § 1360 BGB hatte allerdings zur Folge, daß eine Reihe von sozialrechtlichen Vorschriften nicht mehr nach dem Wortlaut angewandt werden konnten, der noch auf § 1360 BGB aF abgestimmt war. Das hat die Rechtsprechung veranlaßt, nach dem Sinn der jeweiligen sozialrechtlichen Vorschrift denjenigen Ehegatten, der weniger zum Familienunterhalt beitrug als der andere, als unterhaltsberechtigt zu behandeln. Bei der Mitversicherung (§ 205 Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF) und der Witwerversorgung (§ 1266 RVO aF, § 43 BVG aF) führte dies zu Ergebnissen, die dem Zweck der jeweiligen sozialrechtlichen Vorschrift entsprachen: Wer entgegen dem Leitbild des § 1360 BGB nF tatsächlich wirtschaftlich von einem erwerbstätigen Ehepartner abhängig war, konnte, wie bisher, Sozialleistungen beziehen (vgl BSGE 19, 282 = SozR RVO § 205 Nr 15 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung ua des Bundesverfassungsgerichts). Diese Betrachtung ermöglichte auch eine angemessene Beitragsbemessung in der Krankenversicherung (vgl BSG, Beschluß des Großen Senats vom 24. Juni 1985, in BSGE 58, 184 = SozR 2200 § 180 Nr 27).

Im Falle des § 4 Abs 1 Satz 1 AusglV führt die Behandlung der Ehegatten als Unterhaltsverpflichtete und Unterhaltsberechtigte jedoch zu einem Ergebnis, das Sinn und Zweck der Ausgleichsrenten widerspricht. „Unterhaltsberechtigt” wäre vielfach gerade der schwerbeschädigte Ehegatte, dessen Schwerbeschädigung einerseits seine Fähigkeit, zum Familienunterhalt beizutragen, begrenzt, andererseits noch zusätzlichen persönlichen Bedarf erzeugt. Diese Schädigungsfolgen würden nach der Auffassung der Beklagten aber nicht zur Gewährung von Sozialleistungen, sondern gerade zur Kürzung oder zu ihrem Entzug führen. Je bedürftiger der Ehegatte infolge der Schädigung ist, umso höher würde jedenfalls tendenziell sein von der AusglV unterstellter „Unterhaltsanspruch” sein und umso geringer wäre sein Anspruch auf Ausgleichsrente. Daß das dem Grundgedanken des Entschädigungsrechts, auch des sozialen Entschädigungsrechts widerspricht, ist eindeutig. Im Zivilrecht hat dieser allgemeine Rechtsgedanke in § 843 Abs 4 BGB Ausdruck gefunden, wonach auf den Schaden keine Leistungen anzurechnen sind, die ihrer Natur nach dem Schädiger nicht zugute kommen sollen (vgl Palandt/Thomas, Bürgerliches Gesetzbuch, 50. Aufl 1991 § 843 RdNr 22 unter Bezugnahme auf BGH NJW 63, 1051). Insbesondere schließt der Anspruch auf Familienunterhalt bei Verletzung eines nicht berufstätigen Ehegatten nicht aus, daß dieser einen Schadensersatzanspruch wegen Minderung seiner häuslichen Arbeitsleistung hat (BGHZ ≪GrS≫ 50, 304).

Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, die Ausgleichsrente habe nicht nur Entschädigungscharakter, sondern diene auch fürsorgerischen Zielen, und es sei deshalb gerechtfertigt, diejenigen Personen von der Ausgleichsrente auszuschließen, die durch ihren Ehegatten sozial abgesichert sind. Dieser Einwand konnte allenfalls bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) beachtlich sein. Denn nur bis zu dieser Zeit war nach § 32 BVG idF vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791) die Ausgleichsrente der Schwerbeschädigten davon abhängig, daß „ihr Lebensunterhalt nicht auf andere Weise sichergestellt ist”. Nach der Streichung dieser Einschränkung durch das Erste Neuordnungsgesetz kann die Anrechnung eines sog Unterhaltsanspruchs entgegen der Regelung des § 1360 BGB nicht mehr mit dem Wortlaut des § 32 BVG begründet werden. Ob damit nach dem Gesetz alle Unterhaltsansprüche für die Ausgleichsrente bedeutungslos sind, kann unentschieden bleiben.Nicht anrechenbar sind jedenfalls Ansprüche, die daraus abgeleitet werden könnten, daß ein schwerbeschädigter Ehegatte wegen der Schwerbeschädigung keinen wirtschaftlich gleichwertigen Beitrag zum Familienunterhalt iS des § 1360 BGB leisten kann oder einen schädigungsbedingten Mehrbedarf hat. § 4 Abs 1 Satz 1 AusglV ist im Zweifel zugunsten des Geschädigten auszulegen (vgl § 2 Abs 1 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil –) und damit bei zusammenlebenden Ehegatten nicht anzuwenden. Andernfalls könnte die Norm auch nicht mit Art 6 Grundgesetz (GG) in Einklang gebracht werden, denn mit der Eheschließung würden Entschädigungsansprüche wegen verminderter Erwerbsfähigkeit dem Familienverband überbürdet.

Wenn § 34 Abs 2 BVG bei jugendlichen Schwerbeschädigten die Ausgleichsrente auch von den wirtschaftlichen Verhältnissen der unterhaltspflichtigen Angehörigen abhängig macht, kann daraus nichts Gegenteiliges gefolgert werden, weil es sich um einen Sonderfall handelt. Jugendliche sind in der Regel auch ohne Schwerbeschädigung unterhaltsbedürftig. Die Verwaltungsvorschrift Nr 1 Satz 2 zu § 34 BVG stellt im übrigen zutreffend klar, daß bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs schädigungsbedingte Mehraufwendungen außer Betracht bleiben. Damit ist ebenfalls gewährleistet, daß die Versorgungslast nicht zusätzlich durch eine Erhöhung des Unterhaltsanspruchs dem Familienverband überbürdet wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1175060

BSGE, 244

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