Die betriebliche Übung hat nicht wie Tarifverträge oder Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen eine normative Wirkung auf den Arbeitsvertrag, sondern sie wird nach ständiger Rechtsprechung zum Bestandteil des Arbeitsvertrags, vergleichbar einer Nebenabrede.[1] Im öffentlichen Dienst ist eine Nebenabrede nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart wurde. Dieses konstitutive Schriftformerfordernis gilt grundsätzlich auch für die betriebliche Übung, wenn diese ihrem Inhalt nach zu den Nebenabreden gehört. Damit wird die Entstehung einer betrieblichen Übung im öffentlichen Dienst sowohl durch staatliche Festlegungen als auch durch die im Tarifvertrag enthaltene Formvorschrift regelmäßig verhindert.

6.1 Einschränkungen gemäß § 2 Abs. 2 TVöD

Das Entstehen betrieblicher Übungen soll durch ein konstitutives Schriftformerfordernis wie das des § 2 Abs. 2 TVöD verhindert[1] und damit eine Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen des öffentlichen Dienstes gesichert werden. Eine stillschweigende Leistungsgewährung kann zudem keine weitergehenden Rechte als eine ausdrückliche Regelung, die gegen § 2 Abs. 2 TVöD verstoßen würde, begründen.[2]

Sofern es nicht um die Sicherung dieser Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen geht, z. B. weil der Arbeitgeber nicht staatlichen Festlegungen (s. o.) unterliegt, verhindert auch das Formerfordernis nicht die Entstehung einer betrieblichen Übung.[3]

 
Praxis-Beispiel

So sind nach der Rechtsprechung des BAG von einer Sparkasse mündlich erteilte Versorgungszusagen wirksam. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf die Formnichtigkeit nach § 2 Abs. 2 TVöD berufen. Im zu entscheidenden Fall hatte der Vorstand einer Sparkasse mittels eines förmlich bekannt gegebenen Vorstandsbeschlusses die Grundlage für die dann durchgeführte betriebliche Übung der Zahlung einer Versorgungszusage geschaffen. Der Zweck des § 2 Abs. 2 TVöD, die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen zu sichern und sicherzustellen, dass abweichende Absprachen einer dienstaufsichtsrechtlichen Überprüfung nicht verborgen bleiben, ist vorliegend nicht berührt. Aufgrund des Vorstandsbeschlusses wurden die Arbeitsbedingungen einheitlich behandelt, zudem obliegt dem Vorstand zugleich die Dienstaufsicht. Dem Normzweck des § 2 Abs. 2 TVöD war damit auch ohne Schriftformerfordernis Genüge getan.

Ob bei einem in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenem Tochterunternehmen einer Kommune eine betriebliche Übung entstehen kann, hat das BAG bislang offen gelassen. Ein Unternehmen, das öffentlichen Nahverkehr betreibt, war aufgrund der Mitgliedschaft in einem kommunalen Arbeitgeberverband an die von diesem Arbeitgeberverband abgeschlossenen Tarifverträge gebunden. Das Gericht wies darauf hin, dass eine entsprechende Bindung aber auch für Arbeitgeber der Privatwirtschaft gelten würde, die einem Arbeitgeberverband angehören. Da für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gelten, müsse eine Nebenabrede, die auf eine betriebliche Übung zurückgeht, wegen § 2 Abs. 2 TVöD schriftlich niedergelegt werden. Dies haben die Beschäftigten, die das Entstehen einer Nebenabrede auf eine betriebliche Übung stützen, auch dann vorzutragen, wenn sich der Arbeitgeber nicht auf die Verletzung der Schriftform beruft.[4]

6.2 Einschränkungen im Bereich der AVR

Das BAG hat bei Einrichtungen, die der evangelischen oder katholischen Kirche verbunden sind und die Regelungen der AVR-Diakonie anwenden, Ansprüche der Beschäftigten aus betrieblicher Übung bejaht, weil das Diakonische Werk rechtlich bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu seinen Beschäftigten freier als ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sei, da es nicht den gleichen strengen haushaltsrechtlichen Überwachungsbestimmungen unterliege. Die Nichteinhaltung der in § 5 Abs. 4 AVR-Diakonie für Vertragsänderungen bzw. Nebenabreden vorgesehene Schriftform stehe der Anspruchsbegründung durch eine betriebliche Übung nicht entgegen. Eine Besonderheit im entschiedenen Fall war, dass im Arbeitsvertrag vereinbart war, dass die Vergütung in freier Vereinbarung erfolgt und sich der Arbeitgeber hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses bei objektiver Betrachtung vom Empfängerhorizont gesehen nicht streng an die AVR-Diakonie binden wollte.[1]

Ob diese Rechtsprechung auch bei einer strengen Anwendung der AVR-Diakonie aufrechterhalten werden kann, erscheint zweifelhaft. Bei einem Mitglied des Caritasverbandes, das die AVR-Caritasverband umfassend und einschränkungslos anwandte, soll eine betriebliche Übung durch eine jahrelange irrtümliche Zahlung einer Psychiatriezulage nicht entstehen können. Zwar seien das Diakonische Werk und der Caritasverband in der Gestaltung der Arbeitsverträge freier als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, dieser größere rechtliche Freiraum soll aber nicht genügen, um ohne Weiteres bei Arbeitsverhältnissen, die umfassend den AVR un...

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