Die betriebliche Übung hat nicht wie Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen eine normative Wirkung auf den Arbeitsvertrag, sondern sie wird nach ständiger Rechtsprechung zum Bestandteil des Arbeitsvertrages, vergleichbar einer Nebenabrede.[1] Im öffentlichen Dienst ist eine Nebenabrede nur wirksam, wenn sie schriftlich vereinbart wurde. Dieses konstitutive Schriftformerfordernis gilt grundsätzlich auch für die betriebliche Übung, wenn diese ihrem Inhalt nach zu den Nebenabreden gehört.

6.1 Einschränkungen gemäß § 4 Abs. 2 BAT

Das Entstehen betrieblicher Übungen soll durch das konstitutive Schriftformerfordernis des § 4 Abs. 2 BAT verhindert[1] und damit eine Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen des öffentlichen Dienstes gesichert werden. Eine stillschweigende Leistungsgewährung kann zudem keine weitergehenden Rechte als eine ausdrückliche Regelung, die gegen § 4 Abs. 2 BAT verstoßen würde, begründen.[2]

Sofern es nicht um die Sicherung dieser Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen geht, z. B. weil der Arbeitgeber nicht staatlichen Festlegungen (s. o.) unterliegt, verhindert auch das Formerfordernis nicht die Entstehung einer betrieblichen Übung.[3]

 
Praxis-Beispiel

So sind nach der Rechtsprechung des BAG von einer Sparkasse mündlich erteilte Versorgungszusagen wirksam. Der Arbeitgeber kann sich nicht auf die Formnichtigkeit nach § 4 Abs. 2 BAT berufen. Im zu entscheidenden Fall hatte der Vorstand einer Sparkasse mittels eines förmlich bekannt gegebenen Vorstandsbeschlusses die Grundlage für die dann durchgeführte betriebliche Übung der Zahlung einer Versorgungszusage geschaffen. Der Zweck des § 4 Abs. 2 BAT, die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen zu sichern und sicherzustellen, dass abweichende Absprachen einer dienstaufsichtlichen Überprüfung nicht verborgen bleiben, ist vorliegend nicht berührt. Auf Grund des Vorstandsbeschlusses wurden die Arbeitsbedingungen einheitlich behandelt, zudem obliegt dem Vorstand zugleich die Dienstaufsicht. Dem Normzweck des § 4 Abs. 2 BAT war damit auch ohne Schriftformerfordernis Genüge getan.

Ob bei einem in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft betriebenem Tochterunternehmen einer Kommune eine betriebliche Übung entstehen kann, hat das BAG bislang offen gelassen. Ein Unternehmen, das öffentlichen Nahverkehr betreibt, war auf Grund der Mitgliedschaft in einem kommunalen Arbeitgeberverband an die von diesem Arbeitgeberverband abgeschlossenen Tarifverträge gebunden. Das Gericht wies darauf hin, dass eine entsprechende Bindung aber auch für Arbeitgeber der Privatwirtschaft gelten würde, die einem Arbeitgeberverband angehören. Da für das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes gelten, müsse eine Nebenabrede, die auf eine betriebliche Übung zurückgeht, wegen § 4 Abs. 2 BMT-G bzw. § 4 Abs. 2 BAT schriftlich niedergelegt werden. Dies habe der Arbeitnehmer, der das Entstehen einer Nebenabrede auf eine betriebliche Übung stützt, auch dann vorzutragen, wenn sich der Arbeitgeber nicht auf die Verletzung der Schriftform beruft.[4]

6.2 Einschränkungen im Bereich der AVR

Das BAG hat bei Einrichtungen, die der evangelischen oder katholischen Kirche verbunden sind und die Regelungen der AVR-Diakonie anwenden, Ansprüche der Arbeitnehmer aus betrieblicher Übung bejaht, weil das Diakonische Werk rechtlich bei der Gestaltung der vertraglichen Beziehungen zu seinen Arbeitnehmern freier als ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes sei, da es nicht den gleichen strengen haushaltsrechtlichen Überwachungsbestimmungen unterliege. Die Nichteinhaltung der in § 5 Abs. 4 AVR-Diakonie und in § 9 des Arbeitsvertrages für Vertragsänderungen bzw. Nebenabreden vorgesehene Schriftform stehe der Anspruchsbegründung durch eine betriebliche Übung nicht entgegen. Eine Besonderheit im entschiedenen Fall war, dass im Arbeitsvertrag vereinbart war, dass die Vergütung in freier Vereinbarung erfolgt und sich der Arbeitgeber hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses bei objektiver Betrachtung vom Empfängerhorizont gesehen nicht streng an die AVR-Diakonie binden wollte.[1]

Ob diese Rechtsprechung auch bei einer strengen Anwendung der AVR-Diakonie aufrechterhalten werden kann, erscheint zweifelhaft. Bei einem Mitglied des Caritasverbandes, das die AVR-Caritasverband umfassend und einchränkungslos anwandte, soll eine betriebliche Übung durch eine jahrelange irrtümliche Zahlung einer Psychiatriezulage nicht entstehen können. Zwar seien das Diakonische Werk und der Caritasverband in der Gestaltung der Arbeitsverträge freier als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, dieser größere rechtliche Freiraum soll aber nicht genügen, um ohne weiteres bei Arbeitsverhältnissen, die umfassend den AVR unterstellt sind, einen Anspruch aus betrieblicher Übung entstehen zu lassen. Die mit der Kirche verbundenen Einrichtungen seien gehalten, die AVR umfass...

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