Entscheidungsstichwort (Thema)

Tariflicher Abfindungsanspruch bei Entlassung

 

Leitsatz (redaktionell)

Bestätigung des Urteils des Vierten Senats vom 10. November 1993 – 4 AZR 184/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Einzelhandel; Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) vom 28. Januar 1991 §§ 3, 5; Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) vom 28. Januar 1991 §§ 3, 5 und 8

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 15.04.1993; Aktenzeichen 7 Sa 123/92)

ArbG Berlin (Urteil vom 24.08.1992; Aktenzeichen 74 A Ca 26613/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15. April 1993 – 7 Sa 123/92 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 24. August 1992 – 74 A Ca 26613/91 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin von der Beklagten Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag über die Qualifizierung und Milderung wirtschaftlicher Nachteile im Zusammenhang mit der Privatisierung (GPH-TV) verlangen kann. Diesen Tarifvertrag hat die GPH – Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH am 28. Januar 1991 mit der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen abgeschlossen.

Die Klägerin war Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft. Die Beklagte ist Rechtsnachfolgerin der U mbH Berlin, die nach der Anlage zum GPH-TV zu den von der Gesellschaft zur Privatisierung des Handels mbH bei Abschluß des Tarifvertrages vertretenen Unternehmen gehörte. Die U mbH war im Jahre 1990 aus der HO Berlin hervorgegangen, bei der die Klägerin seit dem 1. September 1960 in den Bereichen Rundfunk/Fernsehen und Haushaltswaren beschäftigt gewesen war. Sie war zuletzt als stellvertretende Verkaufsstellenleiterin eingesetzt worden. Im Februar 1991 stand der Klägerin ein monatliches Bruttogehalt von 1.596,– DM zu.

Die Verkaufsstelle, in der die Klägerin zuletzt beschäftigt war, wurde zusammen mit dem Warenbestand und den Einrichtungsgegenständen im März 1991 mit Wirkung zum 1. Mai 1991 an die P & Co. KG veräußert. Die Klägerin widersprach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf diese Erwerberin. Unter Hinweis auf diesen Widerspruch und die Einstellung der eigenen Tätigkeit zum 30. Juni 1991 kündigte die U mbH der Klägerin mit Schreiben vom 10. Mai 1991 zum 31. Dezember 1991.

Die Parteien streiten darum, ob die Klägerin aufgrund dieser betriebsbedingten Kündigung eine Abfindung nach dem GPH-TV verlangen kann. In diesem Tarifvertrag heißt es:

㤠2 Geltungsbereich

1. Der Tarifvertrag gilt

a) für alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis durch eine nach dem 31. Dezember 1990 zugegangene Arbeitgeberkündigung oder einvernehmlich durch Aufhebungsvertrag auf Veranlassung des Arbeitgebers beendet wird,

§ 3 Grundsätze

Der Tarifvertrag soll dazu beitragen, daß

  • Arbeitsplätze erhalten werden
  • von Entlassungen betroffene Arbeitnehmer durch Qualifizierungsmaßnahmen auf neue Tätigkeiten vorbereitet werden
  • durch Festlegung von Abfindungen wirtschaftliche Nachteile gemildert werden.

§ 5 Maßnahmen der beruflichen Bildung

1. Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht auf einen Erwerber übergegangen ist, erhalten die Möglichkeit der beruflichen Qualifizierung. Die Arbeitnehmer sind über Qualifizierungsmöglichkeiten in geeigneter Weise zu unterrichten.

2. Entscheidet sich ein Arbeitnehmer für eine von der Bundesanstalt für Arbeit geförderte Qualifizierungsmaßnahme, so wird neben dem Unterhaltsgeld nach dem AFG ein monatlicher Vorschuß auf die Abfindung gemäß § 8 bezahlt. Der Vorschuß beträgt 17 % des für die Bemessung des Unterhaltsgeldes maßgebenden Einkommens.

Der Vorschuß wird für eine Dauer von bis zu 6 Monaten bezahlt. Für Arbeitnehmer, die älter als 45 Jahre sind und eine Betriebszugehörigkeit von mindestens 10 Jahren haben, verlängert sich der Zeitraum auf höchstens 9 Monate. Der Anspruch auf Vorschußzahlung endet ohne Rücksicht auf die Dauer der Qualifizierungsmaßnahme jedoch spätestens am 31.12.1991.

3. Der Vorschuß wird auf die nach § 8 zu zahlende Abfindung in der Weise angerechnet, daß für jeden vollen Monatsvorschuß die Abfindung um 8,5 % des gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 maßgebenden Tarifbruttomonatseinkommens im Sinn des § 8 Abs. 1 gekürzt wird.

§ 8 Abfindung

1. Alle Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nicht auf einen neuen Arbeitgeber übergeht und gekündigt oder auf Veranlassung des Arbeitgebers durch Aufhebungsvertrag beendet wird, erhalten eine Abfindung in Höhe von 25 % ihres tariflichen Bruttomonatseinkommens pro anrechnungsfähigem Beschäftigungsjahr. Stichtag für die Bemessung des Bruttomonatsgehaltes ist der 1.2.1991 oder ein früherer Zeitpunkt des Ausscheidens. Keine Abfindung erhalten Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund außerordentlich oder verhaltensbedingt ordentlich gekündigt wird; der Arbeitgeber trägt die Beweislast für den Kündigungsgrund.

2. Die Abfindung wird fällig, wenn das Arbeitsverhältnis endet und feststeht, daß der Arbeitnehmer nicht an einer geförderten Qualifizierungsmaßnahme teilnimmt, frühestens am 1.7.1991.

4. Hat der Arbeitnehmer Vorschüsse auf die Abfindung gemäß § 5 erhalten, so gilt:

  1. Die Restabfindung ist mit Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme fällig, frühestens am 1.7.1991.
  2. Der Arbeitnehmer, der an einer mindestens 2 Monate dauernden Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat, erhält eine Mindestrestabfindung, die bei einem Lebensalter von

    bis zu 35 Jahren 25 %

    35 bis zu 49 Jahren 50 %

    mindestens 50 Jahren 75 %

    eines Tarifbruttomonatseinkommens im Sinne des Abs. 1 beträgt; der Betrag gemäß Abs. 1 erhöht sich rechnerisch entsprechend.

  3. Übersteigt der Vorschuß den Abfindungsbetrag gemäß Abs. 1 und besteht kein Anspruch gemäß Buchstabe b), so ist die Rückzahlung ausgeschlossen.

5. Arbeitnehmer, die den Übergang des Arbeitsverhältnisses auf einen Erwerber durch Widerspruch verhindert haben, besitzen Anspruch auf Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen gemäß § 5. Der Abfindungsanspruch ist jedoch auf die Leistungen beschränkt, die sich aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchstabe b) ergeben. Eventuelle Leistungen des Übernehmers in diesem Zusammenhang werden angerechnet.”

Die Klägerin hat den Standpunkt vertreten, ihr stehe eine Abfindung in Höhe von 12.369,– DM zu. Weder ihre Nichtteilnahme an einer Qualifizierungsmaßnahme, noch der Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses verhindere diesen Anspruch. § 8 Abs. 5 GPH-TV könne den Wegfall des Abfindungsanspruchs nicht rechtfertigen. Dies ergebe sich auch aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Begründung des Widerspruchsrechts. Als ihre Verkaufsstelle im Mai 1991 von der P & Co. KG (Obst und Gemüse) erworben worden sei, habe sie sich zudem gesundheitlich und fachlich nicht in der Lage gefühlt, in dieser Branche zu arbeiten. Sie habe auch nicht gewußt, was in Zukunft in Bezug auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes auf sie zukommen würde.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 12.369,– DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung ist nach § 8 Abs. 5 GPH-TV aufgrund des unbegründeten Widerspruchs der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses jeder Abfindungsanspruch ausgeschlossen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitgericht hat die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach § 8 Abs. 1 GPH- TV, weil sie durch ihren Widerspruch den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin verhindert hat. Ihre Klage ist deshalb entgegen der Auffassung der Vorinstanzen abzuweisen.

A. Das Landesarbeitsgericht begründet seine Rechtsauffassung damit, § 8 Abs. 5 GPH-TV spreche nur auf den ersten Blick dafür, daß ein Abfindungsanspruch durch einen Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen werde. Berücksichtige man Sinn und Zweck der Vorschrift, erweise sich dies als nicht richtig. Auch dann, wenn ein Arbeitnehmer berechtigterweise dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widerspreche, gehe der Abfindungsanspruch nicht verloren. Andernfalls werde das Recht eines Arbeitnehmers, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses zu widersprechen, in unzulässiger Weise eingeschränkt oder sogar beseitigt. Bei einem Betriebsübergang sei ein Arbeitnehmer befugt, den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber durch Widerspruch zu verhindern, weil ihm aus verfassungsrechtlichen Gründen kein anderer Arbeitgeber aufgezwungen werden dürfe. Dann könne aber mit einem Widerspruch auch nicht der Verlust von Rechten gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber verbunden sein. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV könne ohne weiteres auch so verstanden werden, daß auch nach einem Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses der Abfindungsanspruch nicht berührt werden solle.

B. Dem folgt der Senat nicht. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV schließt die Klägerin aus dem Kreis der abfindungsberechtigten Personen aus. Dieser Anspruchsausschluß ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

I. Nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV hat ein Arbeitnehmer, dem betriebsbedingt gekündigt worden ist, keinen Abfindungsanspruch aus § 8 Abs. 1 GPH-TV, wenn er zuvor den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber durch Widerspruch verhindert hat; lediglich die Rechte aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 b GPH-TV kommen in Betracht. Dies ergibt eine an Wortlaut, tariflicher Systematik und Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Tarifnorm (ebenso BAG Urteil vom 10. November 1993 – 4 AZR 184/93 –, zu B II 2 der Gründe, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

1. § 8 GPH-TV ist mit „Abfindung” überschrieben. Schon dies zeigt, daß § 8 Abs. 5 GPH-TV eine nähere Regelung der Zahlungsansprüche eines Arbeitnehmers trifft, dessen Arbeitsverhältnis nicht auf einen anderen Arbeitgeber übergegangen ist, sondern gekündigt oder durch arbeitgeberseitig veranlaßten Aufhebungsvertrag beendet wurde. Hatte ein solcher Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Übergang auf einen Betriebserwerber durch Widerspruch verhindert, stehen ihm nur wenige Rechte zu. Nach § 8 Abs. 5 Satz 1 GPH-TV bleibt ihm zwar die Möglichkeit, an beruflichen Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen (§ 5 GPH-TV). Der Abfindungsanspruch, der aufgrund einer vom Arbeitgeber ausgehenden Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 8 Abs. 1 GPH-TV an sich entstehen würde, wird aber nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV „beschränkt”. Dem Arbeitnehmer stehen nur die Rechte zu, die sich aus § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV ergeben: Der Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat, kann während der Zeit einer Qualifizierungsmaßnahme, in der er Unterhaltsgeld bezieht, einen monatlichen Vorschuß auf die Abfindung in einer in § 5 Abs. 2 GPH- TV näher bestimmten Höhe verlangen. Hat die Qualifizierungsmaßnahme mindestens zwei Monate gedauert, ist nach § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV vom Arbeitgeber außerdem eine Mindestrestabfndung zu zahlen, die je nach Lebensalter des Arbeitnehmers bis zu 75 % eines tariflichen Bruttomonatseinkommens beträgt. Einen Anspruch darauf, daß ihm im Ergebnis die gesamte Abfindung zufließt, hat ein solcher Arbeitnehmer aber auch dann nicht, wenn er an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat. § 8 Abs. 4 Buchst. a GPH-TV, der einen Anspruch auf die durch die Vorschüsse nach § 5 Abs. 2 GPH-TV nicht abgedeckte restliche Abfindung (§ 8 Abs. 1 GPH-TV) gibt, wird in § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV nicht in bezug genommen. Die Vorschrift findet auf Arbeitnehmer, die ihr Widerspruchsrecht ausgeübt haben, keine Anwendung.

Aus dieser Regelung folgt zugleich, daß ein Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen und anschließend nicht an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat, keinen Zahlungsanspruch aus § 8 GPH-TV hat. Die Ansprüche auf Zahlung von Vorschüssen und der Mindestrestabfindung hängen davon ab, daß der Arbeitnehmer tatsächlich an einer Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV enthält eine Rechtsgrundverweisung, nicht lediglich eine Rechtsfolgenverweisung. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift. Dies folgt darüber hinaus aber auch daraus, daß die Vorschrift als Rechtsfolgenverweisung nicht umgesetzt werden könnte. Die Rechtsfolgen der § 5 Abs. 2 und § 8 Abs. 4 Buchst. b GPH-TV hängen in ihrem Umfang auch davon ab, wielange der Arbeitnehmer tatsächlich an einer geförderten Qualifizierungsmaßnahme teilgenommen hat.

2. Dieses Auslegungsergebnis entspricht auch dem im Gesamtzusammenhang zum Ausdruck gekommenen Sinn und Zweck der tariflichen Regelung. Nach § 3 GPH-TV soll der Arbeitgeber zunächst versuchen, Arbeitsplätze zu erhalten. Dies kann angesichts der umfassenden Privatisierungsaufgabe im Bereich der Handelsorganisation (HO) nur in der Form geschehen, daß Betriebe oder Betriebsteile an Private veräußert werden. Gelingt dies nicht, sollen die wirtschaftlichen Nachteile des Arbeitsplatzverlustes durch Abfindungszahlungen gemindert werden. Mit dieser Stufenfolge von Regelungszielen stimmt der weitgehende Anspruchsausschluß in § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV überein. Arbeitnehmer sollen grundsätzlich keine Abfindung erhalten, wenn sie freiwillig auf ihren durch eine Betriebsteilveräußerung erhaltenen Arbeitsplatz dadurch verzichtet haben, daß sie dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprochen haben.

II. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV ist rechtswirksam. Die Vorschrift begegnet keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.

1. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV greift nicht in die Freiheit ein, einen bestimmten Beruf zu wählen oder dies zu unterlassen. Aus dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG kommt nur eine Einschränkung der Berufsausübungsfreiheit in Betracht, die aber in jedem Falle sachlich gerechtfertigt wäre. Ein Arbeitnehmer, der im Geltungsbereich des GPH-TV dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen Betriebserwerber widerspricht, nimmt den Verlust seines Arbeitsplatzes bewußt in Kauf. Es besteht hier von vornherein erkennbar keine Möglichkeit für den Arbeitnehmer, auf Dauer weiterbeschäftigt zu werden. Vor diesem Hintergrund verstoßen die Tarifvertragsparteien nicht gegen höherrangiges Recht, wenn sie davon ausgehen, daß bei einem Arbeitnehmer, der den Übergang seines Arbeitsverhältnisses durch Widerspruch verhindert hat, typischerweise durch den Arbeitsplatzverlust ein wesentlich geringerer wirtschaftlicher Nachteil eintritt, als bei einem Arbeitnehmer, dem nach gescheiterter Privatisierung gekündigt werden muß. Unter den besonderen Bedingungen im Beitrittsgebiet ist es nicht zu beanstanden, wenn solche Arbeitnehmer grundsätzlich von jedem Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile wegen des Arbeitsplatzverlustes ausgenommen werden.

2. § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV steht auch nicht im Widerspruch zu der verfassungsrechtlich aus Art. 1 und Art. 12 GG hergeleiteten Rechtsposition des Arbeitnehmers, aus der sich das Recht ergibt, bei einem Betriebsübergang dem Übergang des Arbeitsverhältnisses rechtsgestaltend zu widersprechen. Dieses Recht besteht, damit sich ein Arbeitnehmer bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang frei entscheiden kann, ob er trotz des Wechsels des Arbeitgebers seinen bisherigen Arbeitsplatz beibehalten will oder nicht (vgl. zuletzt BAG Urteil vom 7. April 1993 – 2 AZR 449/91 B – AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu II 3 b bb der Gründe mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Dies bedeutet aber nicht, daß das aufgrund der freien Entscheidung des Arbeitnehmers erhalten gebliebene Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer in jedem Fall so behandelt werden müßte wie das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der sein Arbeitsverhältnis nicht mit einem Betriebserwerber hätte fortsetzen können. Das Recht der Europäischen Gemeinschaft, auf das die Regelung des § 613 a BGB zurückgeht, enthält hierfür keine Vorgaben (EuGH Urteil vom 16. Dezember 1992 – Rs C 132/91, 138/91, 139/91 – AP Nr. 97 zu § 613 a BGB). Auch im nationalen Recht ist eine Gleichbehandlung nicht geboten. Ebenso wie bei der Anwendung der Grundsätze über die soziale Auswahl (BAG aaO) ist auch bei der Gestaltung von Sozialplänen oder sozialplanähnlichen Tarifverträgen die Möglichkeit für eine differenzierte Regelung gegeben. Ein Anspruch auf eine Abfindung wird bei solchen Regelungen deshalb in dem Umfang eingeräumt, wie aufgrund der betriebsbedingten Beendigung des Arbeitsverhältnisses typischerweise wirtschaftliche Nachteile eines Arbeitnehmers auszugleichen sind. Bei der hierfür erforderlichen Prognose können die Tarifvertragsparteien an die Ausübung eines Widerspruchs gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses anknüpfen und hieraus auf einen fehlenden Ausgleichungsbedarf schließen (ebenso schon BAG Urteil vom 10. November 1993 – 4 AZR 184/93 –, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

3. Im Hinblick auf den Regelungszweck des GPH-TV und die Wertungen der Art. 1 und 12 GG kommt allenfalls eine einschränkende Auslegung des § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV in Betracht. Der Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses kann dann abfindungsunschädlich sein, wenn das Arbeitsverhältnis auch ohne den Widerspruch des Arbeitnehmers vorhersehbar aus betrieblichen Gründen alsbald geendet hätte (BAG Urteil vom 24. November 1993 – 4 AZR 407/92 –, zu III 2 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen). Dieselbe Rechtsfolge liegt nahe, wenn der Widerspruch maßgeblich aus sachlich gerechtfertigten Gründen erfolgte, die im Betrieb, in der Person oder in einem Verhalten des neuen Arbeitgebers lagen.

Inwieweit eine solche einschränkende Auslegung geboten ist, kann letztlich offenbleiben. Die Gründe, welche die Klägerin für ihren Widerspruch genannt hat, können den Abfindungsanspruch aus § 8 Abs. 1 GPH-TV in keinem Falle erhalten.

Die Klägerin hat den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin durch ihren Widerspruch verhindert. Sie hat auch nicht an Qualifizierungsmaßnahmen teilgenommen, so daß sie nach § 8 Abs. 5 Satz 2 GPH-TV keinen Abfindungsanspruch hat. Zur Begründung für ihren Widerspruch hat die Klägerin in den Vorinstanzen zunächst nur darauf hingewiesen, sie habe nicht gewußt, was in Zukunft in bezug auf die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes auf sie zukommen werde. Sie hat nicht einmal behauptet, daß in irgendeiner Weise durch die Erwerberin der Anschein erweckt worden ist, sie werde bei ihr kein vollwertiges Arbeitsverhältnis erhalten. Auch ihr weiterer Vortrag, sie habe sich fachlich und gesundheitlich nicht in der Lage gefühlt, in der Obst- und Gemüsebranche der P & Co. KG, der Erwerberin, zu arbeiten, rechtfertigt ihren Widerspruch nicht. Die Klägerin trägt nicht einmal konkret vor, daß in der fraglichen Verkaufsstelle überhaupt Obst und Gemüse verkauft werden sollte. Sie legt auch nicht dar, aufgrund welcher besonderen Anforderungen dieser Branche sie körperlich oder fachlich außerstande war, in einer solchen Verkaufsstelle zu arbeiten. Es muß deshalb beim Anspruchsausschluß aus § 8 Abs. 2 GPH-TV bleiben.

 

Unterschriften

Griebeling, Bröhl, Bepler, Dr. Bächle, H. Frehse

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951999

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