Entscheidungsstichwort (Thema)

Abfindungsanspruch - Verringerung wegen Rente

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Verringerung des Abfindungsanspruchs nach § 2 Abs 7 in Verbindung mit § 2 Abs 6 des Tarifvertrags soziale Absicherung vom 6.7.1992 setzt voraus, daß nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem nach diesen Bestimmungen maßgebenden Zeitraum ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht (Bestätigung der Rechtsprechung des Senats aus dem Urteil vom 1. Juni 1995 - 6 AZR 926/94 - BAGE 80, 158 = AP Nr 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR).

2. Ein Anspruch auf Altersrente nach Erreichen der in Art 2 § 4 RÜG bezeichneten Regelaltersgrenze entsteht nur, wenn die Rente in der nach Art 2 § 1 Abs 1 Nr 3 RÜG maßgeblichen Zeit beginnt.

 

Normenkette

TVG § 1; SGB IV § 19; SGB VI §§ 34, 39, 99, 115; RÜG Art. 2 §§ 2, 44

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Entscheidung vom 09.02.1995; Aktenzeichen 13 (3) Sa 125/94)

ArbG Dresden (Entscheidung vom 03.12.1993; Aktenzeichen 7 Ca 3770/93)

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt eine Abfindung wegen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die am 1. Januar 1932 geborene Klägerin war bei dem Beklagten und dessen Rechtsvorgängern seit 1958 als Fürsorgerin und Krankenschwester in der Medizinischen Akademie "C " beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der tarifgebundenen Parteien fand der Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - BAT-O vom 10. Dezember 1990 Anwendung. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin wegen mangelnden Bedarfs zum 31. Dezember 1992. Seit dem 1. Januar 1993 bezieht die Klägerin Altersübergangsgeld nach § 249 e AFG. Einen Antrag auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung hat die Klägerin nicht gestellt.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten die Zahlung einer Abfindung nach dem Tarifvertrag zur sozialen Absicherung vom 6. Juli 1992 (TV soziale Absicherung). Der Beklagte lehnte dies mit dem Hinweis ab, daß die Klägerin nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Altersrente beziehen könne und der Anspruch auf Abfindung somit ausgeschlossen sei. Im TV soziale Absicherung heißt es:

"...

§ 1

Geltungsbereich

Dieser Tarifvertrag gilt für die unter den BAT-O

... fallenden Arbeitnehmer.

§ 2

Abfindung

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis

gekündigt wird, weil

a) er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr ver-

wendbar ist oder

b) ...

erhält eine Abfindung. Das gleiche gilt, wenn ein

Arbeitnehmer bei Vorliegen der Voraussetzungen

für eine Kündigung nach Satz 1 aufgrund eines

Auflösungsvertrages ausscheidet.

(2) Die Abfindung beträgt für jedes volle Jahr

der Beschäftigungszeit (§ 19 BAT-O ohne die nach

der Übergangsvorschrift Nr. 3 hierzu berücksich-

tigten Zeiten bzw. die vergleichbaren, für die

Arbeiter geltenden Bestimmungen) ein Viertel der

letzten Monatsvergütung (§ 26 BAT-O zuzüglich der

allgemeinen Zulage) bzw. des letzten Monatstabel-

lenlohnes (§ 21 Abs. 3 MTArb-O, § 20 Abs. 2 BMT--

G-O ggf. zuzüglich des Sozialzuschlags), minde-

stens aber die Hälfte und höchstens das Fünffache

dieser Vergütung bzw. dieses Lohnes. Sie darf den

Betrag von 10.000,-- DM nicht übersteigen. ...

...

(3) Der Anspruch auf Abfindung entsteht am Tag

nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. ...

...

(6) Tritt der Arbeitnehmer in ein Arbeitsver-

hältnis bei einem Arbeitgeber im Sinne des § 29

Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT ein und ist die Zahl

der zwischen der Beendigung des alten und der Be-

gründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden

Kalendermonate geringer als die der Abfindung zu-

grunde liegende Anzahl von Bruchteilen der Mo-

natsvergütung/des Monatslohnes (Absatz 2), ver-

ringert sich die Abfindung entsprechend. Über-

zahlte Beträge sind zurückzuzahlen.

(7) Absatz 6 gilt entsprechend, wenn innerhalb

des gleichen Zeitraums ein Anspruch auf Rente aus

der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht."

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Anspruch auf Abfindung werde dadurch, daß sie Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen könne, nicht ausgeschlossen. Ein Anspruch auf Rente entstehe i.S. von § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung erst, wenn sie einen Rentenantrag stelle.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 10.000,-- DM

Abfindung nebst 4 % Zinsen seit dem 28. Juni 1993

zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und darauf verwiesen, daß die Klägerin bereits an ihrem 60. Geburtstag, dem 1. Januar 1992, und damit schon ein Jahr vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erworben habe. Nicht entscheidend sei, daß die Klägerin den Rentenantrag nicht gestellt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der vom Bundesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung nach dem TV soziale Absicherung.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a TV soziale Absicherung, der für die Klägerin als unter den BAT-O fallende Arbeitnehmerin gilt (§ 1 TV soziale Absicherung), erhält ein Arbeitnehmer eine Abfindung, dessen Arbeitsverhältnis gekündigt wird, weil er wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß diese Voraussetzungen bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1992 vorlagen. Der Anspruch hat sich aber nach § 2 Abs. 7 i.V.m. Abs. 6 TV soziale Absicherung auf Null verringert, weil unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Anspruch der Klägerin auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entstanden ist.

1. Nach § 2 Abs. 6 TV soziale Absicherung verringert sich der Anspruch auf Abfindung, wenn der wegen mangelnden Bedarfs ausgeschiedene Arbeitnehmer wieder in ein Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber i.S. des § 29 Abschn. B Abs. 7 BAT-O/BAT eintritt und die Zahl der zwischen Beendigung des alten und Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses liegenden Kalendermonate geringer als die der Abfindung zugrundeliegende Zahl von Bruchteilen der Monatsvergütung (Abs. 2) ist. Die in diesem Fall eintretende entsprechende Verringerung der Abfindung bewirkt den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs, wenn das neue Arbeitsverhältnis unmittelbar an das alte anschließt.

Nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung gilt Abs. 6 entsprechend, "wenn innerhalb des gleichen Zeitraums" ein Anspruch auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsteht. Mit dem "gleichen Zeitraum" im Sinne dieser Bestimmung ist, wie im Falle des Absatzes 6, ein mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginnender Zeitraum gemeint, der die tarifliche Rechtsfolge der Verringerung der Abfindung dann auslöst, wenn die Zahl der ihn umfassenden Kalendermonate die der Abfindung zugrundeliegende Anzahl von Bruchteilen der Monatsvergütung unterschreitet. An die Stelle der Begründung des neuen Arbeitsverhältnisses (Abs. 6) tritt in Abs. 7 die Entstehung des Anspruchs auf Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der in § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung bezeichnete Zeitraum liegt also, ebenso wie der in Abs. 6 bezeichnete, nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Urteil des Senats vom 1. Juni 1995 - 6 AZR 926/94 - BAGE 80, 158 = AP Nr. 24 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR).

2. Der Anspruch der Klägerin auf Altersrente ist unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden und hat daher den völligen Wegfall des Abfindungsanspruchs zur Folge.

a) Nach § 39 Satz 1 SGB VI haben versicherte Frauen Anspruch auf Altersrente, wenn sie das 60. Lebensjahr vollendet, nach Vollendung des 40. Lebensjahres mehr als 10 Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt haben. Diese nach § 34 Abs. 1 SGB VI erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen waren bei der Klägerin unstreitig am 1. Januar 1993 gegeben.

b) Der Rentenanspruch ist am 1. Januar 1993 entstanden, obwohl die Klägerin die Rente nicht beantragt hat.

Zwar wird die Altersrente nach § 39 SGB VI auf Antrag geleistet (vgl. § 19 SGB IV, § 115 Abs. 1 SGB VI). Unabhängig vom Antrag entsteht jedoch das Stammrecht auf die Rente schon in dem Zeitpunkt, in dem alle materiellrechtlichen Voraussetzungen für die Berechtigung vorliegen. Allein auf diesen Zeitpunkt kommt es für die Rechtsfolge des § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung an. Der erkennende Senat verweist insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen auf seine Ausführungen im Urteil vom 1. Juni 1995 (aaO, zu I 1 der Gründe).

c) Der Rentenanspruch der Klägerin ist nicht vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden, so daß dies die Verringerung der Abfindung nach § 2 Abs. 7 TV soziale Absicherung nicht ausschließt (vgl. dazu in einem eine Berufsunfähigkeitsrente betreffenden Fall: Urteil des Senats vom 1. Juni 1995, aaO).

aa) In der Zeit zwischen der Vollendung des 60. Lebensjahres am 1. Januar 1992 und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 1992 konnte der Rentenanspruch nach § 39 SGB VI nicht entstehen, weil die Klägerin weiterhin voll berufstätig war und somit die den Rentenanspruch ausschließende gesetzliche Hinzuverdienstgrenze überschritt. Nach § 34 Abs. 2 SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen Alters vor Vollendung des 65. Lebensjahres nur, wenn die Hinzuverdienstgrenze nach § 34 Abs. 3 SGB VI nicht überschritten wird. Die Einhaltung dieser Grenze ist negative Anspruchsvoraussetzung (vgl. KassKomm-Niesel, Stand Oktober 1996, § 34 SGB VI Rz 5). Obwohl die Klägerin bereits zum 1. Januar 1992 das 60. Lebensjahr vollendet hatte, konnte sie, weil sie weiterhin in ihrem bisherigen Arbeitsverhältnis voll berufstätig war, bis zu dessen Beendigung am 31. Dezember 1992 den Rentenanspruch nach § 39 SGB VI nicht erwerben.

bb) Auch nach dem Gesetz zur Herstellung der Rechtseinheit in der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung (Renten-Überleitungsgesetz - RÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1606, 1663) ist ein Anspruch der Klägerin auf Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht entstanden.

Zwar haben nach diesem Gesetz Frauen in den neuen Bundesländern (vgl. Art. 2 § 1 Abs. 1 Nr. 2 RÜG) für eine Übergangszeit bis zum 31. Dezember 1996 die Möglichkeit, wahlweise statt der Leistungen nach dem SGB VI Leistungen nach dem RÜG in Anspruch zu nehmen. Sie haben daher nach Art. 2 § 4 Abs. 1 RÜG mit Vollendung des 60. Lebensjahres Anspruch auf Altersrente, ohne daß es, wie bei der Altersrente nach § 39 SGB VI, auf die Einhaltung einer Hinzuverdienstgrenze ankommt (vgl. Klattenhoff in Hauck/Haines, SGB VI, Stand April 1997, K § 34 Rz 12). Dennoch ist der Rentenanspruch nach dem RÜG vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entstanden, weil die Rente der Klägerin nicht vor dem 1. Januar 1993 begonnen hat.

Nach Art. 2 §1 Abs. 1 Ziff. 3 RÜG setzt der Anspruch auf Rente voraus, daß die Rente in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1996 beginnt (vgl. Diel in Hauck/Haines, SGB VI, Stand April 1997, K § 1 RÜG Rz 6). Art. 2 § 44 RÜG bestimmt, daß die Vorschriften des SGB VI über den Beginn von Renten entsprechend anzuwenden sind. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung wie die Altersrente der Klägerin von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des 3. Kalendermonats nach Ablauf des Kalendermonats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird die Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird. Der Rentenanspruch nach dem RÜG hängt somit anders als der nach § 39 SGB VI vom Beginn der Rente und damit von der Stellung des Rentenantrags ab. Einen solchen hat die Klägerin jedoch nicht gestellt, so daß auch ein Rentenanspruch nach dem RÜG vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entstanden ist.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Dr. Freitag Dr. Armbrüster

Hinsch Schneider

 

Fundstellen

Haufe-Index 440917

BB 1997, 2008 (Leitsatz 1-2)

DB 1997, 2183-2184 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

BuW 1997, 877-878 (Leitsatz und Gründe)

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 235/97 (Leitsatz 1-2)

NZA 1997, 1239

NZA 1997, 1239-1240 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

RdA 1997, 377 (Leitsatz 1-2)

ZTR 1997, 560-561 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

AP § 1 TVG Tarifverträge: DDR, Nr 31

AP § 4 TVG Rationalisierungsschutz, Nr 23

AR-Blattei, ES 10 Nr 20 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

ArbuR 1997, 406 (Leitsatz 1)

EzA § 4 TVG Personalabbau, Nr 6 (Leitsatz 1-2 und Gründe)

NJ 1997, 615-616 (Leitsatz 1-2, Kurzwiedergabe)

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