Entscheidungsstichwort (Thema)

Fassadenarbeiten als Baugewerbe

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Urteil des Senats vom 24. Februar 1988 – 4 AZR 640/87 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge Dachdecker; Fassadenbauarbeiten als Baugewerbe; Arbeiten des Dachdeckerhandwerks

 

Normenkette

TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker; BRTV-Bau § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Wiesbaden (Urteil vom 08.12.1989; Aktenzeichen 4 Ca 7108/87)

Hessisches LAG (Urteil vom 04.07.1989; Aktenzeichen 5 Sa 95/89)

 

Tenor

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 4. Juli 1989 – 5 Sa 95/89 – wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Betrieb der Beklagten dem Geltungsbereich der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes unterfällt.

Die Klägerin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Sie zieht nach näherer tariflicher Regelung die Beiträge für die Sozialkassen des Baugewerbes ein.

Die Beklagte unterhält seit mindestens 1982 einen Betrieb, in dem von den Arbeitnehmern arbeitszeitlich überwiegend Fassaden mit Elementen aus Kunststoff und Fiberglas verkleidet werden. Zu etwa einem Drittel der Gesamtarbeitszeit wird auch ein Dachdeckermeister zur Ausführung von mit den Fassadenbauarbeiten in Zusammenhang stehenden Dachdeckerarbeiten beschäftigt. Seit 14. Februar 1989 ist sie mit dem Dachdeckerhandwerk in die Handwerksrolle eingetragen.

Die Streithelferin ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien des Dachdeckerhandwerks. Sie ist die tariflich vorgesehene Einzugsstelle der Beiträge für Lohnausgleich, Zusatzversorgung und Berufsbildung im Dachdeckerhandwerk.

Mit ihren Klagen vom 24. November 1987 und 19. Februar 1988 verlangt die Klägerin für die Zeit von Dezember 1982 bis Januar 1988 Auskunft über die Zahl der beschäftigten Arbeiter, deren Bruttolohnsumme und die Höhe der abzuführenden Beiträge. Weiterhin begehrt sie für die Zeit von Mai 1985 bis Januar 1988 Auskunft über die Zahl der technischen und kaufmännischen Angestellten sowie Poliere und Schachtmeister und die Höhe der Beiträge; jeweils für den Fall der Nichterteilung die Zahlung einer Entschädigung.

Die Klägerin hat vorgetragen, die Beklagte beschäftigte keine gelernten Dachdecker, sondern nur gelernte Maurer bzw. Bauhilfsarbeiter. Reine Dachdeckerarbeiten seien nicht ausgeführt worden. Der Betrieb der Beklagten befasse sich u.a. mit Maurerarbeiten und Verputzarbeiten. Fassadenverkleidungen entsprächen dem Berufsbild des Zimmererhandwerks, Trockenbaumonteurs und des Maurers. Im gesamten Klagezeitraum sei der Betrieb vom Geltungsbereich der Bautarifverträge erfaßt gewesen, weil es sich nicht um einen solchen des Dachdeckerhandwerks handele. Sie handele nicht treuwidrig, da sie von der Existenz des Betriebs erst im August 1987 erfahren habe. Die Beklagte sei vielmehr bei Betriebsbeginn verpflichtet gewesen, sich bei der Klägerin zu melden. Die Verwirkung tariflicher Rechte sei gemäß § 4 Abs. 4 TVG ausgeschlossen. Tarifkonkurrenz liege nicht vor, denn die Bautarife enthielten bis 31. Dezember 1987 die Ausnahmeklausel hinsichtlich des Betriebs des Dachdeckerhandwerks. Von einer Tarifkonkurrenz könne allenfalls ab 1. Januar 1988 gesprochen werden.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. der Klägerin auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,

    1. wieviel Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung über die Rentenversicherung der Arbeiter (RVO) versicherungspflichtige Tätigkeiten ausüben, in den Monaten Dezember 1982 bis Januar 1988 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden sowie in welcher Höhe die lohnsteuerpflichtige Bruttolohnsumme insgesamt für diese Arbeitnehmer und die Beiträge für die Sozialkassen der Bauwirtschaft in den genannten Monaten angefallen sind,
    2. wieviel technische und kaufmännische Angestellte sowie Poliere und Schachtmeister in den Monaten Mai 1985 bis Januar 1988 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden und in welcher Höhe Beiträge für die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG in den genannten Monaten angefallen sind.
  2. Für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung innerhalb einer Frist von 2 Wochen nach Urteilszustellung nicht erfüllt wird, an die Klägerin folgende Entschädigung zu zahlen:

    zu 1. a)

    78.000,– DM

    zu 2. b)

    5.020,– DM

    Gesamtbetrag:

    83.020,– DM.

Die Beklagte und ihr Streithelfer haben beantragt, die Klagen abzuweisen und die Ansicht vertreten, der Betrieb der Beklagten unterfalle nicht dem Geltungsbereich der Bautarifverträge. Sie haben vorgetragen, das Unternehmen gehöre zum Dachdeckerhandwerk, weil ein Dachdeckermeister und Dachdeckerhelfer beschäftigt seien. Die Arbeiten stünden unter der Aufsicht eines technischen Betriebsleiters und Dachdeckermeisters, der die ihm unterstellten Kräfte in den Fertigkeiten und Kenntnissen des Dachdeckerhandwerks unterrichte und unterweise. Er habe auch an Ort und Stelle mitgearbeitet. Die Arbeiten würden demzufolge nach den Methoden des Dachdeckerhandwerks ausgeführt. Die hinterlüftete, ggf. isolierte Fassade sei erstrangig dem Bereich des Dachdeckerhandwerks zuzuordnen. Die Tarifverträge des Dachdeckerhandwerks gingen jedenfalls im Wege der Spezialität für sie vor, da die von ihr verrichteten Fassadenbauarbeiten solche des Dachdeckerhandwerks seien. Schließlich seien die Ansprüche der Klägerin zumindest teilweise verjährt.

Das Arbeitsgericht hat – nach Verbindung der Prozesse – der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat – nach der Vernehmung von zwei Zeugen – der Berufung der Beklagten und des Streithelfers stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte und die Streithelferin beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

Die Beklagte war im Klagezeitraum Dezember 1982 bis Januar 1988 nicht verpflichtet an die Klägerin die von dieser verlangten Auskünfte zu erteilen.

I.1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß Anspruchsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Auskunftsanspruch ab Dezember 1982 § 2 Ziff. 6 des Tarifvertrages über das Verfahren für den Urlaub, den Lohnausgleich und die Zusatzversorgung im Baugewerbe vom 12. November 1960, ab 1. Januar 1984 § 13 des gleichnamigen Tarifvertrages vom 19. Dezember 1983, ab 1. Januar 1986 dieser Tarifvertrag in der Fassung vom 17. Dezember 1985 und ab 1. Januar 1987 § 27 Abs. 2 des Tarifvertrages über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VerfTV) vom 12. November 1986 ist.

2. Damit kommt es für die Entscheidung des Rechtsstreits darauf an, ob im Anspruchs Zeitraum im Betrieb der Beklagten vom betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV erfaßte Tätigkeiten verrichtet worden sind. Maßgebend ist die arbeitszeitlich überwiegende Tätigkeit der Arbeitnehmer der Beklagten; dagegen ist nicht auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz und Verdienst oder handels- und gewerberechtliche Merkmale abzustellen (BAG Urteile vom 24. Februar 1988 – 4 AZR 640/87 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Dachdecker; BAGE 56, 227, 230 = AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und BAGE 56, 214, 220 = AP Nr. 87 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Weiter ist davon auszugehen, daß unter den betrieblichen Geltungsbereich des Verfahrens-TV diejenigen Betriebe fallen, in denen überwiegend im Abschnitt V von § 1 Abs. 2 Verfahrens-TV konkret genannte Beispielstätigkeiten ausgeführt werden, ohne daß dann noch die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III der vorgenannten Tarifnorm zu prüfen sind (BAG Urteile vom 24. Februar 1988 – 4 AZR 640/87 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Dachdecker; vom 14. Oktober 1987 – 4 AZR 342/87 – AP Nr. 88 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und vom 25. Februar 1987 – 4 AZR 240/86 – BAGE 55, 78 = AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau, im Anschluß an BAGE 45, 11, 17 = AP Nr. 60 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau).

3. Solche Tätigkeiten werden im Betrieb der Beklagten ausgeführt, denn sie führt unstreitig überwiegend die in Nr. 11 des § 1 Abschnitt V der Sozialkassentarifverträge genannten Fassadenbauarbeiten aus.

II.1. Für die Zeit bis 31. Dezember 1986 ist der Betrieb der Beklagten allerdings vom betrieblichen Geltungsbereich der Verfahrens-TV ausgenommen, da es sich um einen Betrieb des Dachdeckerhandwerks handelt (§ 1 Abs. 2 Abschnitt VII Nr. 2).

a) Wegen der Zuordnung von Betrieben, die Fassadenbauarbeiten ausführen, zu den Betrieben des: Baugewerbes oder zu denen des Dachdeckergewerbes hat der Senat in inzwischen gefestigter Rechtsprechung auch hier anzuwendende Rechtsgrundsätze aufgestellt (vgl. BAG Urteile vom 6. Mai 1987 – 4 AZR 664/86 – nicht veröffentlicht; vom 14. Oktober 1987 BAGE 56, 214 = AP Nr. 87 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau und vom 24. Februar 1988, a.a.O.). Danach können Fassadenbauarbeiten sowohl von Angehörigen des Baugewerbes wie von Dachdeckern ausgeführt werden. Die Zuordnung eines solchen Betriebes zum Dachdeckerhandwerk hängt davon ab, ob in dem Betrieb auch in nicht unerheblichem Umfang Arbeiten ausgeführt werden, die ausschließlich dem Dachdeckerhandwerk vorbehalten sind, wie z.B. Arbeiten an Steildächern. Werden diese Arbeiten nicht von gelernten Dachdeckern ausgeführt, kommt es darauf an, ob sie zumindest von einem Fachmann des Dachdeckerhandwerks beaufsichtigt werden (vgl. neben den zuvor zitierten Entscheidungen auch die Urteile vom 14. September 1988 – 4 AZR 218/88 – nicht veröffentlicht und – 4 AZR 307/88 – nicht veröffentlicht). Dabei hat der Senat in den beiden Entscheidungen vom 14. September 1988 (a.a.O.) ausgesprochen, die Entscheidung darüber, ob eine Beschäftigung von Dachdeckern in nicht unerheblichem Umfang vorliege, stehe im Ermessensspielraum der Tatsacheninstanz, der im allgemeinen dann nicht verletzt sei, wenn zumindest 20 v.H. der Arbeiten von gelernten Dachdeckern ausgeführt werden (vgl. auch BAG Urteil vom 14. Oktober 1987, a.a.O.).

b) Diese Rechtsgrundsätze hat das Landesarbeitsgericht beachtet. Nach seinen nicht angefochtenen Feststellungen, an die der Senat mithin gebunden ist (§ 561 ZPO), verrichten die Arbeitnehmer der Beklagten im Zusammenhang mit den Fassadenbauarbeiten reine Dachdeckerarbeiten an Steildächern zu etwa 1/3 der Gesamtarbeitszeit, die nicht nur unter der Aufsicht eines Dachdeckermeisters standen, sondern von diesem zusammen, mit den Arbeitnehmern der Beklagten ausgeführt wurden.

Selbst wenn, worauf die Revision abstellt, die Arbeitnehmer der Beklagten bei den Steildacharbeiten nur Hilfstätigkeiten ausübten, ändert dies an dem Charakter der von ihnen ausgeführten Arbeiten nichts, zumal sie zumindest unter unmittelbarer Aufsicht und Mitarbeit eines Dachdeckermeisters arbeiteten. Damit kommt es aber auf die Frage, in welchem Rechtsverhältnis der Dachdeckermeister J. zu der Beklagten stand, nicht mehr an.

2. Nach alledem hat der Betrieb der Beklagten den Charakter eines Betriebes des Dachdeckerhandwerks, so daß er in der Zeit bis zum 31. Dezember 1986 von dem fachlichen Geltungsbereich der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes ausdrücklich ausgenommen ist.

3. Für die Zeit ab 1. Januar 1987 gilt das gleiche aufgrund der Tarifkonkurrenz (vgl. hierzu Senatsurteil vom 5. September 1990 – 4 AZR 59/90 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, m.w.N.), da es sich bei dem Betrieb der Beklagten, wie ausgeführt, um einen solchen des Dachdeckerhandwerks handelt, der damit dem Geltungsbereich des ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags über das Verfahren für den Lohnausgleich, die Zusatzversorgung und den Beitragseinzug für die Berufsbildung im Dachdeckerhandwerk vom 17. Dezember 1980 unterfiel.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

 

Unterschriften

Schaub, Dr. Freitag, Schneider, Dr. Börner, Pahle

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1073622

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