Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialkassenverfahren im Baugewerbe – Asbestsanierungsarbeiten. Zusammenhangstätigkeiten. Mischbetrieb. Winterbauförderung

 

Orientierungssatz

1. Die Teilnahme an der Winterbauförderung läßt nicht den Schluß zu, es liege auch ein Betrieb des Baugewerbes iSd. VTV vor.

2. Bauliche Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV sind nur Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken und Bauwerksteilen. Nebenarbeiten wie das Einrichten von Baustellen, Reinigungsarbeiten sowie Aufnahme, Sortieren, Verpacken und Transport von Asbestabfällen sind selbst keine baulichen Leistungen, sondern können zu den Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken und Bauwerksteilen nur hinzugerechnet werden, soweit sie als sogenannte Zusammenhangstätigkeiten mit erledigt werden.

3. Werden von einem Betrieb sowohl Asbestsanierungsarbeiten iSd. VTV als auch Nebenarbeiten der genannten Art ohne einen Zusammenhang mit eigenen baulichen Leistungen durchgeführt, handelt es sich um einen sogenannten Mischbetrieb. Dieser unterfällt nur dann dem Anwendungsbereich des VTV, wenn die Asbestsanierungsarbeiten nebst Zusammenhangstätigkeiten arbeitszeitlich überwiegen.

 

Normenkette

VTV § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3, §§ 24, 27; TRGS 519 „Asbest”; SGB III § 209 ff.

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 06.07.2001; Aktenzeichen 2 Sa 1907/00)

ArbG Berlin (Urteil vom 06.07.2000; Aktenzeichen 64 Ca 73458/00)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 6. Juli 2001 – 2 Sa 1907/00 – aufgehoben.

2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über Beitragsansprüche der Klägerin für die Zeiträume von Februar 1998 bis April 1998 in Höhe von 11.448,93 Euro (22.392,17 DM), Zinsforderungen für 1998 in Höhe von 441,39 Euro (863,28 DM) und Auskunftsansprüche für den Zeitraum von Mai 1998 bis Dezember 1999 nach dem Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (im folgenden: VTV).

Die Klägerin ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes VVaG (im folgenden: ZVK) und als gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nach näherer tariflicher Maßgabe die Einzugsstelle für die Beiträge zu den Sozialkassen des Baugewerbes. Die Beklagte nimmt an der Winterbauförderung teil.

Die ZVK hat vorgetragen, daß die Beklagte in den Jahren von 1997 bis 1999 mit 16 Beschäftigten zu mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten der Sanierung und Entsorgung von Asbestzementplatten an Dächern, Wänden und Decken, des Entfernens asbesthaltigen Materials an Bauwerken bzw. Bauwerksteilen und dessen Abtransports zu einer zugelassenen Sonderabfalldeponie, der Feinreinigung und der Behandlung der Oberflächen mit einem Restfaserbindemittel im Rahmen der Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken bzw. Bauwerksteilen und der Sanierungsarbeiten zum Brandschutz ausgeübt habe. Damit seien überwiegend Tätigkeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV erledigt worden. Auch das zuständige Arbeitsamt habe in seinem Prüfbericht vom 18. Mai 1995 festgestellt, daß die Arbeitnehmer der Beklagten arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten nach der Baubetriebe-Verordnung ausüben. An diesen festgestellten betrieblichen Tätigkeiten habe sich auch in den Jahren von 1997 bis 1999 nichts geändert.

Die ZVK hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. an sie 22.392,17 DM zu zahlen,
  2. an sie weitere 863,28 DM zu zahlen,
  3. ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,

    wieviele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten Mai 1998 bis März 1999 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in diesem Zeitraum angefallen sind,

    für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt werde, an sie eine Entschädigung von 68.250,00 DM zu zahlen,

  4. ihr auf dem vorgeschriebenen Formular Auskunft darüber zu erteilen,

    wieviele gewerbliche Arbeitnehmer, die eine nach den Vorschriften des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) versicherungspflichtige Tätigkeit ausübten, in den Monaten April bis Dezember 1999 in dem Betrieb der Beklagten beschäftigt wurden, welche Bruttolohnsumme und welche Sozialkassenbeiträge insgesamt für diese Arbeitnehmer in diesem Zeitraum angefallen sind,

    für den Fall, daß diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Urteilszustellung erfüllt werde, an sie eine Entschädigung von 53.100,00 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, ihr Betrieb werde vom Geltungsbereich des VTV nicht erfaßt. An der Winterbauförderung nehme sie freiwillig teil. Bauliche Tätigkeiten erbringe sie nur zu maximal 35 % der gesamtbetrieblichen Arbeitszeit. Insoweit seien Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken und Brandschutzsanierungsarbeiten nebst Zusammenhangstätigkeiten erledigt worden. Die von der ZVK vermuteten baulichen Tätigkeiten vergebe die Beklagte, soweit damit beauftragt, an Subunternehmer. Sie selbst befasse sich dann allein mit den im Rahmen einer Asbestsanierung anfallenden sonstigen Arbeiten. Diese seien jedoch keine Asbestsanierungsarbeiten „an Bauwerken”. Nur soweit ihre Arbeitnehmer selbst Demontagearbeiten ausführten, seien diese Arbeiten nebst Zusammenhangstätigkeiten als bauliche Leistungen zu werten.

Konkret seien von den Arbeitnehmern der Beklagten im Jahre 1998 auf Baustellen 18.437 Stunden gearbeitet worden. Hierbei seien durch eigene Arbeitnehmer Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV in Form von Demontagearbeiten in einem Umfang von 4.094 Stunden durchgeführt worden. Insgesamt seien 5.270 Stunden Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken und hinzuzurechnende Nebenarbeiten angefallen, was 28,58 % der insgesamt auf Baustellen der Beklagten geleisteten Stunden entspreche. Gleiches gelte für 1999. Hier seien von ihren Arbeitnehmern auf Baustellen insgesamt 15.894 Stunden gearbeitet worden. Mit Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken seien diese Arbeitnehmer in einem Umfang von 2.797 Stunden und bei Hinzurechnung sonstiger Nebenarbeiten der Asbestsanierung in einem Umfang von 4.587 Stunden beschäftigt gewesen, dh. 28,86 % der Gesamtarbeitszeit.

Die ZVK hat sich diese Angaben der Beklagten zum Inhalt und zeitlichen Umfang der jeweiligen Tätigkeiten auf den einzelnen Baustellen hilfsweise zu eigen gemacht. Sie ist der Auffassung, daß die Beklagte auch bei Zugrundelegen dieser Tatsachenbehauptungen arbeitszeitlich überwiegend Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken ausgeführt habe. Die als sonstige Arbeiten aufgeführten Nebenarbeiten der Asbestsanierung seien überwiegend Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgerichts hat das Urteil des Arbeitsgericht abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist begründet. Geht man mit dem Landesarbeitsgerichts allein vom Vorbringen der Beklagen aus, unterfällt ihr Betrieb nicht dem Anwendungsbereich des VTV.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, daß die Beklagte mit ihrem Betrieb Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV ausgeübt habe. Asbestsanierungsarbeiten unterlägen den technischen Regeln für Gefahrstoffe TRGS 519 „Asbest”. Aus diesen ergebe sich auch für § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV, was unter dem Begriff Asbestsanierungsarbeiten zu verstehen sei. Entsprechend der TRGS 519 „Asbest” seien Asbestsanierungsarbeiten das Entfernen, das Verfestigen und das Beschichten von Bauwerken. Diese Tätigkeiten seien auch als Beispielstätigkeiten in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV aufgeführt. Das eigentliche Entfernen des Asbestmaterials sei jedoch nicht Grundvoraussetzung für die Annahme einer baulichen Tätigkeit in diesem Sinne. Die weiteren, nach dem eigentlichen Entfernen der Asbestprodukte anfallenden Arbeiten zum Verfestigen und Beschichten seien als eigenständige bauliche Tätigkeiten anzusehen. Jeder einzelne in den TRGS 519 „Asbest” aufgeführte Arbeitsvorgang stelle eine Einheit im Bereich der verfolgten Zielsetzung der Wiederherstellung der Benutzbarkeit des Bauwerkes dar und damit eine bauliche Leistung im Sinne des VTV. Unter den so zu verstehenden Begriff der Asbestsanierungsarbeiten fielen daher auch das Einrichten von Baustellen, Transportarbeiten, der Aufbau von Luftaustausch- und Schleusenanlagen, die Abfallbehandlung, das Sortieren von Asbestabfällen, das Abschotten, das Reinigen der Baustellen, das Verpacken und Versiegeln der Asbestmaterialien und die Demontage der Baustellen. Sämtliche dieser arbeitszeitlich weit überwiegenden Tätigkeiten seien Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV, unabhängig davon, ob die Beklagte auf den jeweiligen Baustellen selbst Demontagearbeiten durchgeführt habe. Hierfür spreche auch, daß die Beklagte für die Winterbauförderung zugelassen worden sei.

II. Dem folgt der Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht faßt den Begriff der Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV zu weit.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wird ein Betrieb vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt, wenn arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschn. I bis V des § 1 Abs. 2 VTV fallen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte wie Umsatz oder Verdienst bzw. auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dabei nicht an (BAG 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 110; 22. April 1987 – 4 AZR 496/86 – BAGE 55, 223 mwN). Ebenfalls unerheblich ist, ob für die Beklagte die gesetzlichenVorschriften über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (§§ 209 ff. SGB III) zur Anwendung kommen. Aus den Feststellungen und rechtlichen Schlußfolgerungen des Arbeitsamtes für die Teilnahme der Beklagten an der Winterbauförderung können keine maßgeblichen Folgerungen für den vorliegenden Streit gezogen werden (BAG 15. November 2000 – 10 AZR 621/99 – nv.). Ob ein Betrieb der gesetzlich geregelten Winterbauförderung unterfällt, ist für die Frage, ob dieser Betrieb zugleich nach tarifvertraglichen Gesichtspunkten von den Normen der Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes erfaßt wird, nicht entscheidend. Die Gerichte für Arbeitssachen sind bei ihrer Beurteilung nicht an die rechtliche und tatsächliche Würdigung der Verwaltungsbehörden über die Geltung oder Nichtgeltung der §§ 209 ff. SGB III gebunden.

Führt ein Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV genannten Tätigkeiten aus, wird er vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt, ohne daß die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschn. I bis III zusätzlich geprüft werden müssen (BAG 18. Januar 1984 – 4 AZR 41/83 – BAGE 45, 11).

2. Legt man mit dem Landesarbeitsgericht die Ausführungen der Beklagten über die in ihrem Betrieb ausgeführten Tätigkeiten zu Grunde, wurden sowohl bauliche Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV als auch sonstige, nicht vom VTV erfaßte Leistungen erbracht. Soweit Arbeitnehmer der Beklagten Asbestprodukte von Bauwerken oder Bauwerksteilen entfernt, diese an Bauwerken oder Bauwerksteilen verfestigt oder beschichtet haben, sind diesen baulichen Leistungen die zur fachgerechten Erledigung erforderlichen Kontroll-, Sicherungs- und Entsorgungsarbeiten als Nebenarbeiten hinzuzurechnen. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellen diese Nebenarbeiten selbst jedoch keine Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV dar. Sie sind nur insoweit hinzuzurechnen, als sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit eigenen baulichen Leistungen erbracht werden. Dies folgt aus der Auslegung der tariflichen Regelung.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm sind mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben Zweifel, können Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (BAG 21. März 2001 – 10 AZR 41/00 – AP TVG Tarifverträge: Einzelhandel § 1 Nr. 75 = EzA TVG § 4 Einzelhandel Nr. 43).

b) Nach dem Wortlaut des Tarifvertrages gehören zu den in § 1 Abs. 2 Abschn. I bis III VTV genannten Betrieben des Baugewerbes insbesondere die in Abschn. V aufgeführten Betriebe. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV liegt ein vom Geltungsbereich des VTV erfaßter Betrieb vor, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend

„Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken und Bauwerksteilen (z.B. Entfernen, Verfestigen, Beschichten von Asbestprodukten)”

ausgeführt werden. Eine weitere Konkretisierung der erfaßten Sanierungsarbeiten enthält der VTV nicht.

Das Tätigkeitsbeispiel der Nr. 3 wurde erstmalig mit der Fassung des VTV vom 6. März 1992 in den Beispielskatalog des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV aufgenommen. Der Wortlaut der Tarifnorm orientiert sich ersichtlich an den zu dieser Zeit bereits geltenden bauordnungsrechtlichen und arbeitssicherheitsrechtlichen Vorschriften zur Ausführung von Asbestsanierungsarbeiten. Bauordnungsrechtlich dürfen Asbestsanierungsarbeiten nur unter Beachtung der „Richtlinien für die Bewertung und Sanierung schwach gebundener Asbestprodukte in Gebäuden” (Asbest-Richtlinien; vgl. exemplarisch für das Land Bayern: AllMBl Nr. 18/1989) und arbeitssicherheitsrechtlich nur unter Beachtung der „Technischen Regeln für Gefahrstoffe – Asbest – Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten” (TRGS 519 „Asbest” BArbBl. 3/1995) durchgeführt werden. Der Begriff „Asbestsanierungsarbeiten” wird durch diese Festlegungen über die einzelnen Arbeitsvorgänge einer Asbestsanierung maßgeblich geprägt. Der so ausgeformte Begriff „Asbestsanierungsarbeiten” wird in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV aufgegriffen, mit den Beispielstätigkeiten des Klammersatzes hinsichtlich einzelner in den TRGS 519 „Asbest” und den Asbest-Richtlinien genannter Arbeitsvorgänge konkretisiert und mit dem Erfordernis von Arbeiten „an Bauwerken und Bauwerksteilen” entsprechend dem Regelungszweck des VTV auf bauliche Leistungen der Asbestsanierung beschränkt.

aa) Die in Nr. 3 aufgeführten Beispielstätigkeiten „Entfernen, Verfestigen und Beschichten” entsprechen weitgehend den in den TRGS 519 „Asbest” genannten Sanierungsarbeiten. Nach Ziffer 2.2 TRGS 519 „Asbest” umfassen Asbestsanierungsarbeiten „das Entfernen asbesthaltiger Materialien und erforderlichenfalls das Ersetzen durch asbestfreies Material sowie Beschichten oder räumliche Trennung von schwach gebundenen Asbestprodukten”. Diese Tätigkeiten werden begleitet durch „erforderliche Nebenarbeiten, um die Gefahr der ungewollten Faserfreisetzung zu beseitigen”. Zur Durchführung der eigentlichen Sanierungsarbeiten (Entfernen, Beschichten und räumliches Trennen) benennen die TRGS 519 „Asbest” je nach der Art des Asbestprodukts und dessen Verarbeitung in dem Bauwerk verschiedene Arbeitsmethoden. Zum Entfernen von Asbestprodukten können diese abgesaugt, abgenommen, ausgebaut, abgetragen, ausgehängt, herausgehebelt, von der Unterkonstruktion abgelöst oder aus einer Steckverbindung gezogen werden (Ziffer 15 TRGS 519 „Asbest”). Bauordnungsrechtlich sind nach den Asbest-Richtlinien drei Verfahren zur endgültigen Asbestsanierung vorgesehen. Die räumliche Trennung, das Entfernen durch og. Arbeitsmethoden und das Beschichten des Asbestprodukts (Ziffer 4.3.1 Asbest-Richtlinien). Durch das Beschichten soll das im Bauwerk verbleibende Asbestprodukt staubdicht eingeschlossen werden. Weist das Asbestprodukt eine stark aufgelockerte Faserstruktur auf, etwa Spritzasbest, muß dessen Oberfläche vor dem Beschichten zunächst verfestigt werden, um eine ausreichende Querzug-, Abreiß- und Haftzugfestigkeit des Asbestprodukts zu erreichen (Ziffer 4.3.3 u. Anhang 2 Asbest-Richtlinien).

bb) Die in § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV genannten Asbestsanierungsarbeiten beziehen sich ausschließlich auf das Entfernen, Verfestigen und Beschichten „von Asbestprodukten”. Asbestprodukte iSd. TRGS 519 „Asbest” und der Asbest-Richtlinien sind die in den baulichen Anlagen eingebauten, die Sanierung auslösenden Asbesterzeugnisse. Nur diese Arbeiten werden von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV erfaßt. Mit dem Entfernen des Asbesterzeugnisses vom Bauwerk verliert dieses nach der Terminologie der TRGS 519 „Asbest” und der Asbest-Richtlinien seine Eigenschaft als Asbestprodukt. Es entsteht Asbestabfall. Dieser muß am Entstehungsort aufgenommen werden. Insbesondere bei schwach gebundenem Asbest ist durch „Aufsaugen”, „Verfestigen” und „Binden” der anfallenden Asbestabfälle eine spätere kontaminierungsfreie Entsorgung sicherzustellen (Ziffer 2.5 „Abfallentsorgung”, Ziffer 13 „Abfälle” iVm. Ziffer 14.1.7 u. 14.1.8 TRGS 519 „Asbest”). Nach dem klaren Wortlaut der Nr. 3 des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV sind baugewerbliche Asbestsanierungsarbeiten allein das Entfernen, Verfestigen und Beschichten von „Asbestprodukten”, nicht aber das Entfernen, Verfestigen und Binden von Asbestabfällen. Trotz der Ähnlichkeiten ihrer Bezeichnung stellen die Arbeiten der Asbestabfallbehandlung keine baulichen Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV dar.

cc) Dies wird mit dem Erfordernis von Arbeiten „an Bauwerken und Bauwerksteilen” klargestellt. Die von § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV erfaßten Asbestsanierungsarbeiten müssen auf die Veränderung von Bauelementen gerichtet sein. Sie müssen die bauliche Substanz als solche betreffen und dürfen sich gerade nicht auf Entsorgungs-, Reinigungs-, Schutz- und Kontrollarbeiten beschränken (BAG 3. November 1993 – 10 AZR 319/91 – nv.; 26. Januar 1994 – 10 AZR 603/92 – nv.). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts stellen damit Arbeitsvorgänge, die zwar im Rahmen einer Asbestsanierung nach den TRGS 519 „Asbest” zwingend durchzuführen sind, selbst aber keine unmittelbare Veränderung der baulichen Substanz eines Bauwerks oder Bauwerksteils bewirken, keine selbständigen baulichen Leistungen iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV dar.

dd) Diese nicht unmittelbar die bauliche Substanz selbst betreffenden Arbeitsvorgänge können allenfalls sog. Zusammenhangstätigkeiten darstellen. Die Tarifbeispiele des § 1 Abs. 2 Abschn. V VTV erfassen nicht nur den eigentlichen Kern der jeweiligen baugewerblichen Tätigkeit, sondern darüber hinaus alle Arbeiten, die branchenüblich und zur sachgerechten Ausführung der baulichen Tätigkeiten notwendig sind. Diese Arbeiten werden regelmäßig als Nebenarbeiten von den Betrieben des Baugewerbes mit erledigt. Die Vor-, Nach- oder Hilfsarbeiten dienen den eigentlichen baulichen Haupttätigkeiten und können diesen somit zugeordnet werden (BAG 25. Februar 1987 – 4 AZR 240/86 – BAGE 55, 78). Ziffer 2.2 TRGS 519 „Asbest” nimmt Bezug auf „erforderliche Nebenarbeiten” im Rahmen der Asbestsanierung. Sie werden exemplarisch in Ziffer 2.4 TRGS 519 „Asbest” aufgezählt. In den folgenden Regelungen werden neben dem Einrichten von Baustellen, verschiedenen Reinigungsarbeiten und dem betrieblichen Transport asbesthaltiger Gefahrstoffe zusätzlich weitere Nebenarbeiten benannt (Ziffer 14.1 und 14.2 Abschotten von Arbeitsbereichen; Ziffer 7 und 14 Arbeiten zum Luftaustausch; Ziffer 7.3 Abs. 9 Wartungsarbeiten; Ziffer 13 Aufnahme, Sortieren, Verpacken und Transport von Asbestabfällen; allg.: Sicherungsmaßnahmen für Baustellen). Diese Arbeiten sind keine Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken. Sie können jedoch den baugewerblichen Arbeiten hinzugerechnet werden, wenn sie in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV ausgeführt werden.

ee) Erbringt ein Betrieb ausschließlich Nebenarbeiten, ohne zugleich baugewerbliche Asbestsanierungsarbeiten der Nr. 3 auszuführen, unterfällt er nicht dem VTV (vgl. BAG 26. September 2001 – 10 AZR 669/00 – aaO; 24. August 1994 – 10 AZR 67/94 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 182; 18. Januar 1984 – 4 AZR 41/83 – aaO). Führt ein Betrieb baugewerbliche Asbestsanierungsarbeiten inklusive der hierzu erforderlichen Nebenarbeiten aus, erledigt er jedoch zudem auf anderen Baustellen ausschließlich Nebenarbeiten, ohne selbst bauliche Leistungen der Asbestsanierung zu erbringen, liegt ein sog. Mischbetrieb vor. Die Geltung des VTV richtet sich in diesem Fall danach, ob die baulichen Leistungen nebst hinzuzurechnenden Zusammenhangstätigkeiten oder die sonstigen, nicht baugewerblichen Leistungen arbeitszeitlich überwiegen (BAG 13. Dezember 1978 – 4 AZR 399/77 – nv.).

3. Nach den Ausführungen der Beklagten zu den einzelnen Arbeitsleistungen und deren zeitlichem Umfang, die sich die ZVK hilfsweise zu eigen gemacht hat, überwogen im Betrieb Nebenarbeiten ohne Zusammenhang zu eigenen baulichen Leistungen. Asbestsanierungsarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 3 VTV wurden danach 1998 von Arbeitnehmern der Beklagten in Form von Demontagearbeiten an Bauwerken in einem Umfang von 4.094 Arbeitsstunden ausgeführt. Bei Hinzurechnung der dabei angefallenen Nebenarbeiten der Asbestsanierung als Zusammenhangstätigkeiten erhöhte sich diese Zahl auf 5.270 Stunden. Alle als sonstige Arbeiten von der Beklagten aufgeführten Tätigkeiten im Umfang von 13.167 Arbeitsstunden sind weder originär noch kraft Zusammenhangs bauliche Leistungen iSd. VTV. Damit überwiegen arbeitszeitlich die sonstigen, nicht baugewerblichen Leistungen der Beklagten. Im Jahr 1999 entfernten die Arbeitnehmer der Beklagten in einem Umfang von 2.797 Stunden Asbestprodukte. Bei Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten ergaben sich 4.587 Stunden bauliche Leistungen. Ohne Zusammenhang mit eigenen Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken erledigten die Arbeitnehmer 11.307 Stunden und erbrachten damit weit überwiegend sonstige, nichtbauliche Leistungen.

III. Da der vom Landesarbeitsgericht zu Grunde gelegte Tatsachenvortrag der Beklagten die Anwendung des VTV nicht rechtfertigt und die schlüssigen Behauptungen der ZVK von der Beklagten substantiiert bestritten wurden, war eine eigene Sachentscheidung des Senats nicht möglich.

1. Die ZVK hat sich das Vorbringen der Beklagten zu Art und Umfang der betrieblichen Tätigkeit nur hilfsweise zu eigen gemacht. Rechtfertigt dieses den Klageanspruch nicht, so bedeutet dies, daß die ZVK nach wie vor ihre möglichen Ansprüche gemäß §§ 24, 27 VTV auf Beitragsforderung, Zinszahlung und Auskunftserteilung auf ihren eigenen Sachvortrag stützt (BAG 24. August 1994 – 10 AZR 974/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 183). Für die Richtigkeit ihrer Behauptungen hat die ZVK Zeugen benannt.

2. Der Tatsachenvortrag der ZVK ist auch schlüssig. Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs dann schlüssig, wenn der Kläger Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen zu lassen. Bei einer Klage, mit der die ZVK einen Arbeitgeber nach Maßgabe der Sozialkassentarifverträge in Anspruch nimmt, bedeutet dies, daß sie Tatsachen vortragen muß, die den Schluß zulassen, der Betrieb werde vom betrieblichen Geltungsbereich des VTV erfaßt. Ergibt sich aus dem Sachvortrag der ZVK, daß in einem Betrieb Arbeiten ausgeführt werden, die die Zuordnung zu einer in § 1 Abs. 2 VTV aufgeführten baugewerblichen Tätigkeit zulassen, so bedarf es zur Schlüssigkeit der Klage der Darlegung, daß diese baugewerbliche Tätigkeit insgesamt arbeitszeitlich überwiegt (BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 603/92 – nv.). Die ZVK hat vorgetragen, daß die Beklagte in den Jahren von 1997 bis 1999 mit 16 namentlich als Zeugen benannten Arbeitnehmern zu mehr als 50 % der betrieblichen Gesamtarbeitszeit Tätigkeiten der Sanierung und Entsorgung von Asbestzementplatten an Dächern, Wänden und Decken, der Entfernung asbesthaltigen Materials an Bauwerken bzw. Bauwerksteilen und dessen Abtransports zu einer zugelassenen Sonderabfalldeponie, der Feinreinigung und der Behandlung der Oberflächen mit einem Restfaserbindemittel im Rahmen der Asbestsanierungsarbeiten an Bauwerken bzw. Bauwerksteilen und der Sanierungsarbeiten zum Brandschutz ausgeübt habe. Dieser Sachvortrag ist von der Beklagten als nicht zutreffend zurückgewiesen und hinsichtlich der Jahre 1998 und 1999 substantiiert bestritten worden. Ob er zutrifft, hat das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt. Aus diesem Grunde war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Bacher, Schlegel

 

Fundstellen

Haufe-Index 742904

NWB 2002, 2037

FA 2002, 286

NZA 2002, 759

EzA

NJOZ 2002, 1622

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