Entscheidungsstichwort (Thema)

Pflegezulage. gelähmte Patienten. Bestätigung der Rechtsprechung aus dem Urteil vom 23. Februar 2000 – 10 AZR 91/99 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 27. Zulage für Pflege bei gelähmten Patienten zusätzlich zur sogenannten Intensivzulage. Tarifauslegung. Tarifrecht öffentlicher Dienst. Zulage

 

Orientierungssatz

  • In ein künstliches Koma versetzte Patienten sind gelähmt iSv. Abs. (1) Buchst. d der Protokollerklärung Nr. 1 zur Anlage 1b zum BAT
  • Pflegepersonen, die die Grund- und Behandlungspflege bei solchen Patienten zeitlich überwiegend ausüben, haben einen Anspruch auf eine Zulage nach der genannten Tarifbestimmung auch dann, wenn zugleich die Voraussetzungen für einen Anspruch auf die sogenannte Intensivzulage nach Abs. (1a) der Protokollerklärung erfüllt sind. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall beide Zulagen kumulativ zu gewähren, weil der Tarifvertrag, anders als im Fall des Abs. (3) der Protokollerklärung, keine Anrechnung vorsieht.
 

Normenkette

BAT Anlage 1b Protokollerklärung Nr. 1; BGB § 133

 

Verfahrensgang

LAG Nürnberg (Urteil vom 10.04.2003; Aktenzeichen 1 Sa 502/02)

ArbG Würzburg (Urteil vom 13.06.2002; Aktenzeichen 8 Ca 2708/01)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf eine Zulage für die Pflege gelähmter Patienten.

Die Klägerin ist seit 1992 beim Beklagten als Krankenschwester beschäftigt. Seit Februar 1995 arbeitet sie auf einer anästhesiologischen Intensivstation der vom Beklagten betriebenen Universitätsklinik Würzburg.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden auf Grund beiderseitiger Tarif bindung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) und die diesen ändernden und ergänzenden Tarifverträge Anwendung. Die Klägerin ist in die Vergütungsgruppe Kr. VI des Abschnitts A der Anlage 1b zum BAT eingruppiert.

Ihr obliegt in der Intensivstation die Grund- und Behandlungspflege an Patienten, die ua. an septischem Schock mit Lungenversagen, Multiorganversagen, Polytrauma oder Thoraxtrauma leiden und die überwiegend durch Verabreichung von Opiaten, Sedativa und Muskelrelaxantien aus therapeutischen Gründen in ein sogenanntes künstliches Koma versetzt sind.

Für diese Tätigkeit erhält die Klägerin nach der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. (1a) zur Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst (Anlage 1b zum BAT) eine monatliche Zulage in Höhe von 46,02 Euro (sogenannte Intensivzulage).

Soweit hier von Interesse lautet die genannte Protokollerklärung:

“Nr. 1 (1) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei

d) gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten,

ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,- DM.

(1a) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die zeitlich überwiegend in Einheiten für Intensivmedizin Patienten pflegen, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,- DM.

(2) Krankenschwestern/Altenpflegerinnen der Vergütungsgruppen Kr. Va bis Kr. VIII, die als

a) Stationsschwestern/Gruppenschwestern/Stationspflegerinnen oder

b) Krankenschwestern/Altenpflegerinnen in anderen Tätigkeiten mit unterstellten Pflegepersonen eingesetzt sind, erhalten die Zulage nach Absatz 1 oder 1a ebenfalls, wenn alle ihnen durch ausdrückliche Anordnung ständig unterstellten Pflegepersonen Anspruch auf eine Zulage nach Absatz 1 oder 1a haben. Die Zulage steht auch Krankenschwestern/Altenpflegerinnen zu, die durch ausdrückliche Anordnung als ständige Vertreterinnen einer in Satz 1 genannten Anspruchsbe rechtigten bestellt sind.

(3) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, welche die Grund- und Behandlungspflege bei schwer brandverletzten Patienten in Einheiten für schwer Brandverletzte, denen durch die Zentralstelle für die Vermittlung schwer Brandverletzter in der Bundesrepublik Deutschland bei der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg, Schwerbrandverletzte vermittelt werden, ausüben, erhalten eine Zulage von 10 v.H. der Stundenvergütung (§ 35 Abs. 3) der Vergütungsgruppe Kr. V für jede volle Arbeitsstunde dieser Pflegetätigkeit. Eine nach Absatz 1, 1a oder 2 zustehende Zulage vermindert sich um den Betrag, der in demselben Kalendermonat nach Satz 1 zusteht.”

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe die Zahlung einer weiteren Zulage für die Pflege gelähmter Patienten in Höhe von monatlich 90,00 DM brutto nach der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. (1) Buchst. d zu, weil sie die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei gelähmten Patienten ausübe. Diesen Anspruch hat sie für den Zeitraum März 2000 bis September 2001 geltend gemacht und beantragt:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 874,31 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 24. Oktober 2001 zu bezahlen.

Der Beklagte hat zu seinem Klageabweisungsantrag vorgetragen, aus der Entstehungsgeschichte der streitgegenständlichen Protokollerklärung Nr. 1 ergebe sich, dass Patienten, die auf Grund Bewusstlosigkeit lediglich vorübergehend bewegungsunfähig seien, nicht unter den Begriff “gelähmte Patienten” in Abs. (1) Buchst. d der Protokollerklärung fielen. Auch widerspräche es der Systematik des BAT, für ein und dieselbe mit einer bestimmten Tätigkeit zusammenhängende Erschwernis zwei Zulagen aus unterschiedlichen Vorschriften zahlen zu müssen. Da sowohl die Zulage nach Abs. (1) wie diejenige nach Abs. (1a) eine “zeitlich überwiegende” Tätigkeit verlange, sei inhaltlich klar, dass nur jeweils ein Anspruchstatbestand verwirklicht sein könne.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Beklagte weiterhin Klageabweisung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet.

  • Das Landesarbeitsgericht hat im Anschluss an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Februar 2000 – 10 AZR 91/99 – (AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 27) angenommen, auch bei Patienten, deren Bewegungsunfähigkeit künstlich durch Medikamente herbeigeführt wurde, handle es sich um “gelähmte Patienten” im Sinne des Abs. (1) Buchst. d der Protokollerklärung Nr. 1 zur Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst (Anlage 1b zum BAT). Da die Klägerin die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei solchen Patienten ausübe, sei ihr die Zulage zu zahlen. Dass die Klägerin bereits die sogenannte Intensivzulage gemäß Abs. (1a) der Protokollerklärung erhalte, stehe nicht entgegen, weil der Tarifvertrag insoweit kein Kumulierungsverbot vorsehe.
  • Dem folgt der Senat im Ergebnis und in der Begründung. Die Angriffe des Beklagten gegen die genannte Senatsrechtsprechung überzeugen nicht.

    1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausgegangen, dass die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln folgt. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Über den reinen Tarifwortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm nur mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen berücksichtigt werden muss, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und so nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnormen zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben bei entsprechender Auswertung des Tarifwortlauts und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auch auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden, wobei es für die Gerichte eine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel nicht gibt. Auch die Praktikabilät denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; dabei gebührt im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (zB BAG 20. April 1994 – 10 AZR 276/93 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 11).

    Dass es für die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages entgegen der Ansicht des Beklagten nicht auf den subjektiven, im Wortlaut und systematischen Zusammenhang ohne Niederschlag gebliebenen Willen der Tarifvertragsparteien ankommen kann, folgt aus der Verbindlichkeit für die Tarifunterworfenen, dh. der Rechtsnatur des Tarifvertrages als Gesetz im materiellen Sinne (vgl. BVerfG 15. Juli 1980 – 1 BvR 24/74, 1 BvR 439/79 – BVerfGE 55, 7; BAG 23. März 1957 – 1 AZR 326/56 – BAGE 4, 240, 251 f.; Schaub ArbR-Hdb. 10. Aufl. § 198 Rn. 16). Die Normunterworfenen müssen erkennen, welchen Regelungsinhalt die Normen haben. Würde man auf den in keiner Weise verobjektivierten subjektiven Willen der Tarifvertragsparteien abstellen, verstieße dies gegen das Prinzip der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit (vgl. BAG 23. Februar 1994 – 4 AZR 224/93 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Kirchen Nr. 2; Schaub aaO Rn. 28).

    2. Die Auslegung der Protokollerklärung Nr. 1 zur Anlage 1b zum BAT ergibt, dass mit dem Begriff “gelähmte Patienten” in Abs. (1) Buchst. d der Protokollerklärung auch solche Patienten gemeint sind, deren Lähmung durch Opiate, Sedativa und Muskelrelaxantien herbeigeführt ist. Da die Tarifvertragsparteien den Begriff “gelähmte Patienten” nicht ausdrücklich bestimmt haben, ist für die Auslegung des Begriffs davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien ihn so verwendet haben, wie er von den beteiligten Berufskreisen verstanden wird.

    a) Unter einer Lähmung wird die Minderung oder der Ausfall der Funktionen eines Körperteils oder Organsystems verstanden; im engeren (neurologischen) Sinne handelt es sich um eine Minderung oder den Ausfall der motorischen oder sensiblen Funktionen eines Nervs mit Bewegungseinschränkung bzw. -unfähigkeit oder quantitativen Sensibilitätsstörungen. Dabei sind zentrale und periphere Lähmungen zu unterscheiden (Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 258. Aufl. S. 883).

    Der medikamentös verursachte Zustand des “künstlichen Komas” bei den von der Klägerin gepflegten Patienten erfüllt den Begriff der Lähmung. Die den Patienten verabreichten Opiate und Sedativa wirken auf das Zentralnervensystem und verursachen eine zentrale neurogene Lähmung; durch Muskelrelaxantien wird eine periphere Lähmung hergestellt (vgl. auch BAG 23. Februar 2000 – 10 AZR 91/99 – AP BAT §§ 22, 23 Zulagen Nr. 27).

    b) Der Wortlaut der Norm lässt keine Differenzierung zwischen den oben genannten Lähmungsformen und keine Einschränkung dahin erkennen, dass für die Pflege von ins “künstliche Koma” versetzten Patienten in Intensivstationen keine Pflegezulage gewährt werden soll. Der Sinn und Zweck dieser Zulage besteht gerade darin, Erschwernisse bei der Pflege gelähmter Patienten auszugleichen (vgl. BAG 10. Februar 1999 – 10 AZR 711/97 – AP BAT § 34 Nr. 5). Diese Erschwernisse bei der Pflege sind somit durch die Lähmung der Patienten bedingt, gleichgültig auf welchen Ursachen sie beruht und ob die Ursachen behebbar sind oder nicht oder ob der Patient bei Bewusstsein ist oder nicht. Auf die Möglichkeit bzw. das Erfordernis der Kommunikation mit den gelähmten Patienten und den Gesichtspunkt der Rehabilitation unter aktiver Mitwirkung des Patienten stellt der Wortlaut der Tarifnorm nicht ab.

    3. Dass die Zulage gemäß Abs. (1) Buchst. d der Protokollerklärung nur für die Pflege von Patienten außerhalb von Einheiten der Intensivmedizin zu zahlen wäre, lässt sich weder dem Tarifwortlaut noch dem Sinn und Zweck oder dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Bestimmungen entnehmen; insbesondere hat dies in den tariflichen Normen keinen Niederschlag gefunden. Aus den Bestimmungen in der Protokollerklärung folgt im Gegenteil, dass die Buchstaben a bis g in Abs. (1) in der Regel Belastungen für das Pflegepersonal auf Grund der Besonderheiten der jeweiligen Patientengruppen erfassen, während Abs. (1a) auf die spezielle organisatorische Einheit abstellt, in der die Pflege geleistet wird (vgl. BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 480/92 – ZTR 1994, 380). Durch die Einfügung des eigenen Abs. (1a) in die Protokollerklärung wurde ein gegenüber Abs. (1) Buchst. a bis g andersartiger Zulagentatbestand geschaffen, der neben die in Abs. (1) geregelten Zulagen tritt. Die unterschiedlichen Zulagen können insoweit auch im Hinblick auf das jeweils geforderte zeitliche Überwiegen der Pflegetätigkeit nebeneinander stehen (vgl. BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 480/92 – aaO).

    Einen gegenseitigen Ausschluss bzw. eine gegenseitige Anrechnung der Zulagenzahlung sehen die tariflichen Bestimmungen nicht vor. Der entgegenstehenden Auffassung von Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese (BAT VergO BL Stand Oktober 2003 Anlage 1b Erl. 85.2.1) kann nicht gefolgt werden. Aus Abs. (3) der Nr. 1 der Protokollerklärung folgt vielmehr, dass die Tarifvertragsparteien dann, wenn sie die Anrechnung einer Zulage auf eine andere gewollt haben, dies auch ausdrücklich bestimmt haben. Mit der Einfügung des Abs. (1a) in die Protokollerklärung ist eine Anrechnungsbestimmung aber nicht aufgenommen worden. Dass in Abs. (2) der Protokollerklärung die Zulagentatbestände des Abs. (1) und des Abs. (1a) mit dem Wort “oder” verbunden sind, führt zu keiner anderen Beurteilung. Das Wort “oder” dient ersichtlich nicht dazu, Aussagen über das Verhältnis der patientenbezogenen Zulagen nach Abs. (1) zu der Zulage für eine Pflegetätigkeit in Einheiten der Intensivmedizin nach Abs. (1a) zu treffen, sondern soll sicherstellen, dass die in Abs. (2) der Protokollerklärung bezeichneten Krankenschwestern/Altenpflegerinnen immer schon dann einen Anspruch auf die jeweilige Zulage haben, wenn die unterstellten Pflegepersonen eine der Zulagen nach Abs. (1) oder Abs. (1a) beanspruchen können (vgl. BAG 26. Januar 1994 – 10 AZR 480/92 – ZTR 1994, 380). Das Wort “oder” kann im Übrigen entgegen der Ansicht des Beklagten auch Möglichkeiten aneinander reihen, die kumulativ bestehen (“Sie können Herrn X… oder auch Frau Y … fragen.”, vgl. Duden Band 10 Das Bedeutungswörterbuch 2. Aufl. S. 472 Alternative 2. b) mit weiteren Beispielen); in diesem Sinne hat es dieselbe Bedeutung wie die Kombination “und/oder”.

    4. Da bereits die vom Wortlaut ausgehende, den Gesamtzusammenhang des Tarifvertrages und den Sinn und Zweck der Zulagenregelungen berücksichtigende Auslegung zu einem zweifelsfreien Ergebnis führt, ist auf weitere Auslegungskriterien wie die Tarifgeschichte und die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages nicht mehr zurückzugreifen (vgl. BAG 4. Dezember 2002 – 10 AZR 138/02 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 245 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 3). Davon abgesehen lässt sich die von dem Beklagten vertretene gegenteilige Auslegung auch mit derartigen zusätzlichen Auslegungskriterien nicht begründen.

    a) Dass der Gruppenausschuss der VKA für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen nach Einführung der Zulage für die Pflege gelähmter Patienten darauf hingewiesen hat, bewusstlose Patienten sollten nicht unter den Begriff der “gelähmten Patienten” fallen, belegt keinen entsprechenden übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien. Selbst wenn aber ein solcher übereinstimmender Wille bei den Tarifvertragsverhandlungen und deren Abschluss am 30. Juni 1989 bestanden hätte, hätte dieser nicht nur keinen Niederschlag in den Tarifnormen selbst gefunden. Es besteht nicht einmal ein Anhaltspunkt dafür, dass ein derartiger Wille der Tarifvertragsparteien oder wenigstens der Arbeitgeberseite bei den Tarifvertragsverhandlungen, etwa in entsprechenden Protokollen, zum Ausdruck gebracht worden wäre.

    b) Auch daraus, dass die sogenannte Intensivzulage erst später eingeführt wurde, lässt sich nicht darauf schließen, damit habe erstmals die Zahlung einer Zulage für die Pflege von ins künstliche Koma versetzten Patienten ermöglicht werden sollen. Dagegen spricht, dass diese Zulagenregelung, wie bereits dargelegt, nicht unmittelbar an den Zustand der zu pflegenden Patienten anknüpft, sondern an die Art der organisatorischen Einheit, in der die Pflege zu leisten ist (vgl. BAG 26. September 2001 – 10 AZR 526/00 – BAGE 99, 131). In Einheiten für Intensivmedizin müssen keineswegs alle oder auch nur die überwiegende Zahl der Patienten in ein künstliches Koma versetzt sein, mag Letzteres bei bestimmten Arten von Intensivstationen auch häufig der Fall sein. Der Zulagenanspruch gem. Abs. (1a) besteht unabhängig davon, ob die Pflegeperson überhaupt derartige Patienten zu pflegen hat. Die Erschwernis, für die die Zulage gezahlt werden soll, liegt bereits in den in Einheiten für Intensivmedizin bestehenden besonderen Pflegebedingungen, die sich daraus ergeben, dass in diesen Einheiten vital bedrohte Schwerkranke zusammengefasst sind, die eine intensive Überwachung, Behandlung und Pflege durch besonders geschultes Personal unter Einsatz besonderer technischer Einrichtungen benötigen (vgl. Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern vom 9. September 1974, Das Krankenhaus 1974, 457). Demgegenüber liegt die den Zulagenanspruch auslösende Erschwernis im Fall des Abs. (1) Buchst. d im Umstand der Lähmung bzw. in der speziell bezeichnenden Art der Erkrankung der zu pflegenden Patienten. Es geht somit bei den beiden Zulagen entgegen der Ansicht des Beklagten um unterschiedliche Erschwernisse, die zwar gleichzeitig vorliegen können, aber keineswegs gleichzeitig vorliegen müssen. Ob die Arbeitgeberseite, wie der Beklagte behauptet, eine Anrechnungsregel wie in Abs. (3) bzw. ein Kumulationsverbot für überflüssig hielt, weil sie davon ausging, dass sich die Tatbestände der Abs. (1) und (1a) gegenseitig ausschlössen, bedurfte keiner Aufklärung; ein entsprechender Irrtum könnte die von dem Beklagten befürwortete Auslegung nicht begründen, weil diese Auffassung, soweit ersichtlich, bei den Tarifvertragsverhandlungen nicht zum Ausdruck gebracht wurde und schon deshalb keinen Rückschluss auf einen entsprechenden Normsetzungswillen beider Tarifvertragsparteien ermöglicht.

  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Kiel, Schlegel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1150718

NZA 2004, 752

ZTR 2004, 364

PersR 2005, 129

GesR 2004, 301

PflR 2004, 299

NJOZ 2004, 2437

Tarif aktuell 2004, 12

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