Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifauslegung. Kumulierung von Zuschlägen. Betriebliche Übung

 

Orientierungssatz

  • Das tarifliche Kumulierungsverbot von Zuschlägen in Ziff. 39  MTS, das die Ausnahmefälle im einzelnen benennt, erfaßt auch den Zuschlag für regelmäßige Samstagsarbeit im Schichtbetrieb gem. Ziff. 16b Nr. 4  MTS.
  • Eine abweichende betriebliche Handhabung begründet jedenfalls dann keine betriebliche Übung, wenn sie auf einem unbewußten Abweichen von der tariflichen Regelung beruht.
 

Normenkette

TVG § 1 Auslegung; Manteltarifvertrag für die Holzbearbeitung (Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel im Lande Nordrhein-Westfalen (MTS) vom 8. März 1995/8. Juli 1999 Ziff. 16b Nr. 4; Manteltarifvertrag für die Holzbearbeitung (Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel im Lande Nordrhein-Westfalen (MTS) vom 8. März 1995/8. Juli 1999 Ziff. 39

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 19.02.2002; Aktenzeichen 13 Sa 1482/01)

ArbG Arnsberg (Urteil vom 14.08.2001; Aktenzeichen 3 Ca 1299/00)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der tarifliche Zuschlag für regelmäßige Samstagsarbeit im Dreischichtbetrieb zusätzlich zu anderen tariflichen Zuschlägen oder ob nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen ist.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 6. Juni 1994 als Arbeitnehmer beschäftigt. Er arbeitet in einem vollkontinuierlichen Drei-Schicht-System, in das Samstage, Sonntage und Feiertage einbezogen sind. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für die Holzbearbeitung (Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel im Lande Nordrhein-Westfalen ( MTS) vom 8. März 1995/8. Juli 1999 Anwendung.

Die Beklagte zahlte bis Ende 1999 zumindest teilweise Zuschläge nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS (regelmäßige Samstagsarbeit im Dreischichtbetrieb) zusätzlich zu den sonstigen Zuschlägen nach Ziffer 39 MTS. In der Folgezeit leistete sie nur noch den jeweils höheren Zuschlag.

Mit der vorliegenden Klage, die die Parteien in Abstimmung mit dem Betriebsrat als Musterprozeß betreiben, begehrt der Kläger die Feststellung, daß der Zuschlag nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS zusätzlich zu den Zuschlägen nach Ziffer 39 MTS zu zahlen sei, und macht darüber hinaus die Differenzbeträge geltend, die sich bei Kumulierung der Zuschläge gem. Ziffer 16b Nr. 4 und Ziffer 39b MTS für die Arbeit am 3. und 10. Juni 2000, am 15. Juli 2000 sowie am 5., 12. und 19. August 2000 ergeben.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Samstagszuschläge nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS unterfielen nicht dem Kumulierungsverbot nach Ziffer 40 MTS. Dieses beziehe sich nur auf die in Ziffer 39 MTS geregelten Zuschläge. Zwar seien die Zuschläge nach Ziffer 16b Nr. 4 in Ziffer 40 nicht ausdrücklich vom Kumulierungsverbot ausgenommen worden. Aus der systematischen Stellung der Regelung in Ziffer 40 im Unterabschnitt “Zuschläge” ergebe sich jedoch, daß sie nur die Zuschläge nach Ziffer 39 erfasse. Bei dem möglichen Zusammentreffen des Zuschlags zB gem. Ziffer 16b Nr. 4  MTS mit einem Zuschlag von 25 % nach Ziffer 39c (Nachtschichtarbeit und sonstige regelmäßige Nacharbeit) bzw. einem Zuschlag von 5 % nach Ziffer 39h (Arbeitsstunden zwischen 14 und 20 Uhr Wechselschichtzuschlag) müßten deshalb beide Zulagen kumulativ gezahlt werden. Auch Sinn und Zweck der Regelungen stünden der Anwendung von Ziffer 40 auf die Zuschläge nach Ziffer 16b Nr. 4 entgegen. Im übrigen habe die Beklagte drei Jahre lang bis Ende 1999 die Zuschläge nach Ziffer 16b Nr. 4 zusätzlich zu denen nach Ziffer 39 gezahlt.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

  • festzustellen, daß beim Zusammentreffen des Zuschlags nach Ziffer 16b Nr. 4 mit Zuschlägen nach Ziffer 39 MTV Sägeindustrie NRW ( MTS) bei auf Grund Betriebsvereinbarung angeordneter Samstagsarbeit diese zusammengezählt werden,
  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 262,70 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Wortlaut der Regelung in Ziffer 40 MTS sei eindeutig. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge sei nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen, soweit nicht einer der dort geregelten Ausnahmefälle vorliege; dazu zählt nicht der Zuschlag nach Ziffer 16b Nr. 4. Die systematische Stellung der Ziffer 40 im Unterabschnitt “Zuschläge” spreche nicht gegen die Einbeziehung des Zuschlags nach Ziffer 16b Nr. 4 in das Kumulierungsverbot. Auch Sinn und Zweck der tariflichen Regelung erforderten nicht, daß dieser Zuschlag zusätzlich gezahlt werde.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seine Klagebegehren der Sache nach weiter, allerdings stellt er den Zahlungsantrag – wie schon beim Arbeitsgericht – nur hilfsweise.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.

  • Der vom Kläger gewählte Feststellungsantrag ist nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Für eine Feststellungsklage ist trotz der Möglichkeit einer Leistungsklage für die Vergangenheit bzw. trotz der gleichzeitig erhobenen Leistungsklage das erforderliche Feststellungsinteresse vorhanden, wenn durch sie der Streit insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (st. Rspr., vgl. etwa BAG 15. November 1978 – 5 AZR 199/77 – AP BGB § 613a Nr. 14 = EzA BGB § 613a Nr. 21, zu I 2b der Gründe; 22. April 1986 – 3 AZR 100/83 – BAGE 51, 387, 390 f. = AP BetrVG 1972 § 87 Altersversorgung Nr. 13 = EzA BetrVG 1972 § 87 Altersversorgung Nr. 1; 16. Juli 1998 – 6 AZR 672/96 – AP TVG § 4 Rationalisierungsschutz Nr. 27, zu II 1 der Gründe). So liegt der Fall hier. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Zuschlag nach Ziffer 16b Nr. 4 dem Kumulierungsverbot nach Ziffer 40 MTS unterliegt oder nicht. Die Klärung dieser Frage wird entsprechende Leistungsklagen zukünftig überflüssig machen, zumal die Parteien dieses Verfahren als Musterprozeß betreiben. Hinzu kommt, daß der Leistungsantrag nur das Zusammentreffen der Zuschläge gem. Ziffer 16b Nr. 4 und Ziffer 39b MTS betrifft, der Feststellungsantrag aber auch das Zusammentreffen des Zuschlags gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS mit anderen Zuschlägen gem. Ziffer 39 MTS.

    Der Umstand, daß der Kläger in der Revisionsinstanz den Antrag zu 2) nicht mehr als Haupt-, sondern – wie bereits in der ersten Instanz – nur als (uneigentlichen) Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Hauptantrag stellt, ist lediglich eine Beschränkung des früheren Antrags, die auch im Revisionsverfahren zulässig ist (vgl. auch BGH 28. September 1989 – IX ZR 180/88 – WM 1989, 1873).

  • Der Feststellungsantrag ist nicht begründet, so daß über den uneigentlichen Hilfsantrag nicht zu entscheiden war.

    1. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien gilt der  MTS kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).

    2. Die vom Kläger begehrte Kumulierung des Zuschlags nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS und der Zuschläge nach Ziffer 39 MTS ist gemäß Ziffer 40 MTS ausgeschlossen. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Vorschriften.

    a) Die tariflichen Vorschriften, soweit sie für das Verfahren von Interesse sind, haben folgenden Wortlaut:

    “Arbeitszeit

    Allgemeine Arbeitszeitbestimmungen

    16. b) Von Ziffer 16. a) Abs. 1 (Anm.: dh. die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf Montag bis Freitag) kann durch Betriebsvereinbarung abgewichen werden:

    1. Für Arbeitnehmer in dreischichtiger Arbeitsweise durch Einbeziehung des Samstags in die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit, wenn die besonderen Verhältnisse des Betriebes unter Berücksichtigung der Interessen der Arbeitnehmer dies erfordern, oder

    2. für Arbeitnehmer in zweischichtiger Arbeitsweise …

    3. In diesen Fällen ist eine unregelmäßige Verteilung der Wochenarbeitszeit gem. Ziffer 15 a) innerhalb von acht Wochen zulässig, wenn …

    4. Für Samstagsarbeit gemäß Ziffer 16. b) wird ein Zuschlag von 20 % (bis 14.00 Uhr) bzw. 25 % (ab 14.00 Uhr) gezahlt.

    Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit

    35. Als zuschlagspflichtige Nachtarbeit im Sinne dieses Tarifvertrages gilt die in der Zeit von 20.00 bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit.

    Zuschläge

    39. Die Zuschläge betragen:

    a) 

    Für Mehrarbeit bis zu

    2 Stunden täglich

    25 %

    ab

    3. Stunde täglich

    50 %

    b) 

    für Arbeit an Samstagen, die zuschlagspflichtige Mehrarbeit ist,

    für alle Stunden bis

    12 Uhr

    25 %

    ab

    12 Uhr

    50 %

    c) 

    für Nachtschichtarbeit und sonstige regelmäßige Nachtarbeit

    25 %

    d) 

    für unregelmäßige Nachtarbeit

    30 %

    e) 

    für Arbeit an Sonntagen

    100 %

    f) 

    für Arbeit an gesetzlichen Feiertagen, für die ein Lohnausfallanspruch nicht besteht, sowie für Arbeiten am Oster- und Pfingstsonntag und am 24. Dezember

    100 %

    g) 

    für Arbeit an lohnzahlungspflichtigen Feiertagen

    150 %

    h)

    für die Arbeitsstunden zwischen 14.00 Uhr und 20.00 Uhr Wechselschichtzuschlag

    5 %

    40. Beim Zusammentreffen mehrerer Zuschläge ist nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen; ausgenommen hiervon ist ein Zusammentreffen des Zuschlages nach Ziffer 39. c) mit einem Zuschlag von 25 % nach Ziffer 39. a) und b) sowie dem Zuschlag von 100 % nach Ziffer 39. e).”

    b) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dieser zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senat 9. August 2000 – 4 AZR 466/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Holz Nr. 21 = EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr. 35; 5. Oktober 1999 – 4 AZR 578/98 – AP TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 15 = EzA TVG § 4 Verdienstsicherung Nr. 8).

    aa) Der Wortlaut des ersten Halbsatzes von Ziffer 40 spricht für die von dem Landesarbeitsgericht vertretene Auslegung. Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich daraus nicht, daß er sich nur auf Zuschläge nach Ziffer 39 bezieht. Ziffer 40 MTS enthält keine derartige Einschränkung. Der Wortlaut der Regelung in Ziffer 16b Nr. 4 bietet ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, daß das Kumulierungsverbot für diesen Zuschlag nicht gelten soll.

    bb) Entgegen der Auffassung des Klägers kann aus dem Gesamtzusammenhang und der Systematik des Tarifvertrags kein vom Wortlaut abweichendes Auslegungsergebnis abgeleitet werden. Richtig ist zwar, daß die Regelungen in Ziffer 40 und in Ziffer 39 MTS im Abschnitt “Mehrarbeit, Nachtarbeit, Sonn- und Feiertagsarbeit”, Unterabschnitt “Zuschläge” stehen, während der Zuschlag nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS im Abschnitt “Arbeitszeit”, Unterabschnitt “Allgemeine Arbeitszeitbestimmungen” zu finden ist. Es trifft auch zu, daß die nach Ziffer 40 folgenden Regelungen in Ziffer 41 bis 43 Sonderregelungen nur zu den Zuschlägen gem. Ziffer 39 beinhalten. Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, daß Ziffer 40 den Zuschlag nach Ziffer 16b Nr. 4 nicht erfaßt.

    Denn die im  MTS enthaltenen Abschnittsüberschriften besagen nicht, daß die in einem Abschnitt enthaltenen Regelungen das von der jeweiligen Überschrift erfaßte Sachgebiet erschöpfend behandeln. Das zeigt sich schon daran, daß der Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4  MTS eben nicht in die Regelung der sonstigen Zuschläge in Ziffer 39 MTS aufgenommen worden ist, sondern – offensichtlich wegen des engen Sachzusammenhangs – im Rahmen der Arbeitszeitregelung über die Einbeziehung des Samstags in die Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit bei Schichtbetrieb. Das nimmt diesen Zuschlag aber nicht den Charakter eines Zuschlages im tariflichen Sinne. Deshalb kann aus der Stellung der Zuschlagsregelung gem. Ziffer 16b Nr. 4  MTS unter dem Kapitel “Arbeitszeit” nicht abgeleitet werden, daß das Kumulierungsverbot gem. Ziffer 40 MTS unter der Überschrift “Zuschläge” nicht für diesen Zuschlag gilt.

    cc) Der aus dem Tarifzusammenhang erkennbare Sinn und Zweck der Regelungen rechtfertigt keine einschränkende Auslegung von Ziffer 40 MTS im Hinblick auf den Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4  MTS. Diese Regelung, die für Samstagsarbeit im Schichtbetrieb einen Zuschlag von 20 % (bis 14.00 Uhr) bzw. von 25 % (ab 14.00 Uhr) anordnet, bezweckt erkennbar die Verteuerung der Schichtarbeit am Samstag für den Arbeitgeber auf der einen und die Schaffung eines Ausgleichs für den Freizeitverlust der von regelmäßiger Samstags-Schichtarbeit betroffenen Arbeitnehmer auf der anderen Seite. Diese Zielsetzung wird durch die Einbeziehung in das Kumulierungsverbot nach Ziffer 40 MTS nicht vereitelt. Denkbar ist zB das Zusammentreffen eines Zuschlags nach Ziffer 16b Nr. 4  MTS mit einem Zuschlag von 25 % nach Ziffer 39c MTS (Nachtschichtarbeit und sonstige regelmäßige Nachtarbeit), von 100 % nach Ziffer 39f MTS (Arbeit zB am 24. Dezember), von 150 % nach Ziffer 39g MTS (Arbeit an lohnzahlungspflichtigen Feiertagen) und von 5 % nach Ziffer 39h MTS (Wechselschichtarbeit zwischen 14.00 und 20.00 Uhr). Die Anwendung der Ziffer 40 MTS auf den Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS führt nicht dazu, daß dieser Zuschlag von 20 bis 25 % für die regelmäßige Samstagsarbeit unterschritten wird, sondern lediglich dazu, daß bei einem Zusammentreffen mit dem Zuschlag nach Ziffer 39c bzw. 39h MTS kein durch Kumulation höherer Zuschlag gezahlt wird und daß beim Zusammentreffen mit dem Zuschlag nach Ziffer 39f bzw. 39g MTS der insoweit höhere Zuschlag nicht noch durch den Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS aufgestockt wird. Dadurch wird die erkennbare Zielsetzung der Zuschlagsregelung für regelmäßige Samstagsarbeit im Schichtbetrieb nicht in Frage gestellt. Die Regelung der Kumulierung von Zuschlägen eröffnet ganz unterschiedliche und ggf. ausdifferenzierte Regelungsalternativen, von denen die Tarifvertragsparteien in Ausübung ihrer Gestaltungsfreiheit ganz unterschiedlich Gebrauch machen können und machen. Deshalb verbietet es sich, eine durch den Wortlaut und den systematischen Zusammenhang nicht gestützte Auslegung nur deshalb vorzunehmen, weil sie Regelungen in anderen Tarifverträgen entspricht oder – aus der Sicht des Klägers oder des Gerichts – “sachgerechter” erscheint.

    dd) Auch die Entstehungsgeschichte der Tarifregelung spricht nicht gegen die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung. Die Regelung über den Zuschlag bei regelmäßiger Samstagsarbeit im Dreischichtbetrieb war erstmals in den Bundesmanteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Sägeindustrie und übrigen Holzbearbeitung (BMS) vom 7. Februar 1990 aufgenommen worden, während die Regelungen über die sonstigen Zuschläge und das Kumulierungsverbot einschließlich der Ausnahmen schon im früheren BMS vom 13. März 1986 enthalten waren. Daraus kann aber entgegen der Auffassung der Revision nicht abgeleitet werden, daß die Einbeziehung des Zuschlags gem. Ziffer 16a Nr. 4 MTS in das Kumulierungsverbot ausdrücklich hätte geregelt werden müssen oder daß die Tarifvertragsparteien nicht bedacht hätten, daß das Kumulierungsverbot auch auf den Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS bezogen werden könnte. Denn weder der Zeitpunkt der Aufnahme der Regelung in den Tarifvertrag noch die Stellung innerhalb des Tarifvertrages ändern etwas daran, daß es sich bei dem Zuschlag gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS um einen Zuschlag im tariflichen Sinne handelt. Im übrigen haben die Tarifvertragsparteien ergänzende Regelungen zu der regelmäßigen Schichtarbeit am Samstag getroffen, zB in Ziffer 25 Abs. 1 MTS (zusätzliche bezahlte Pause), in Ziffer 26 Abs. 1 MTS (bezahlte Freischicht) und in Ziffer 76 Abs. 2 MTS (Urlaubsgewährung). Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Tarifvertragsparteien die sich aus Ziffer 40 MTS ergebenden Konsequenzen bei dem Zusammentreffen des Zuschlags gem. Ziffer 16b Nr. 4 MTS mit anderen Zuschlägen nicht gewollt haben.

    ee) Die ergänzende Berücksichtigung der praktischen Tarifübung (Senat 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308 = AP TVG § 1 Auslegung Nr. 135 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 14) führt zu keinem anderen Ergebnis. Nach den verbindlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann lediglich davon ausgegangen werden, daß die Beklagte bis einschließlich 1999 mindestens teilweise den Zuschlag nach Ziffer 16b MTS zusätzlich zu den sonstigen Zuschlägen nach Ziffer 39 MTS gezahlt hat. Aus dieser Handhabung bei der Beklagten als eines einzelnen Arbeitgebers kann aber nicht auf die praktische Tarifübung hinsichtlich des  MTS als Verbandstarifvertrag geschlußfolgert werden.

    Insoweit rügt die Revision ohne Erfolg als Verletzung von § 286 ZPO, daß das Landesarbeitsgericht nicht die auch vom Kläger zum Beweis angebotenen Tarifauskünfte eingeholt bzw. die angebotenen Zeugen gehört habe. Denn ohne substantiierten Vortrag des Klägers zur praktischen Tarifübung bestand dazu kein Anlaß. Der Kläger hat aber konkret nur zur praktischen Handhabung der Regelung in dem Betrieb der Beklagten vorgetragen. Der Vortrag zur Tarifpraxis in der Revisionsbegründung ist als neuer Tatsachenvortrag nach § 559 Abs. 1 Satz 1 ZPO nF nicht beachtlich. Im übrigen hat der Kläger die Beweisangebote ausdrücklich auf seine Behauptungen zur Entstehungsgeschichte und nicht zu der Tarifpraxis bezogen.

    3. Diese vom Kläger behauptete jahrelange Praxis der Beklagten, den Zuschlag aus Ziffer 16b Nr. 4 MTS zusätzlich zu anderen Zuschlägen aus Ziffer 39 zu zahlen, hat das Landesarbeitsgericht unter dem Gesichtspunkt der Begründung einer betrieblichen Übung zutreffend als rechtlich unerheblich angesehen. Eine betriebliche Übung entsteht nicht allein schon durch die faktische Leistungsgewährung ohne Rücksicht auf deren Begründung und Anlaß (Senat 25. Oktober 2000 – 4 AZR 574/99 – nv.). Voraussetzung wäre vielmehr, daß die Beklagte in der Vergangenheit die Zuschläge erkennbar entgegen oder zumindest ohne Rücksicht auf die Regelung in Ziffer 40  MTS kumulativ zahlen wollte und bei dem Kläger und seinen Arbeitskollegen ein entsprechendes Vertrauen erweckt hätte. Dafür hat der Kläger jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen. Vielmehr hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, daß die kumulative Auszahlung der Zuschläge in der Vergangenheit, soweit sie erfolgt sei, auf einem unbewußten Abweichen von den tariflichen Regelungen beruht habe. Damit wird keine – vertragliche – Bindung iSd. betrieblichen Übung begründet (vgl. Senat 25. Oktober 2000 – 4 AZR 574/99 – nv.; 7. Mai 1986 – 4 AZR 556/83 – BAGE 52, 33, 49 f. = AP BAT § 4 Nr. 12; 21. April 1982 – 4 AZR 671/79 – BAGE 38, 291, 297 = AP TVG § 1 Tarifverträge: Bundesbahn Nr. 5 = EzA TVG § 4 Eingruppierung Nr. 1).

  • Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
 

Unterschriften

Schliemann, Friedrich, Wolter, Kralle-Engeln, Umlandt

 

Fundstellen

Haufe-Index 1063483

NZA 2004, 1240

EzA-SD 2003, 15

EzA

NJOZ 2004, 3780

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