Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätet abgesetztes Urteil

 

Leitsatz (amtlich)

Haben gegen ein Berufungsurteil beide Parteien Revision eingelegt, erhebt aber nur eine Partei die Rüge des § 551 Nr. 7 ZPO, das Urteil sei wegen verspäteter Absetzung nicht mit Gründen versehen, so ist das Berufungsurteil insgesamt aufzuheben und der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ob dies auch dann gilt, wenn die Revisionen beider Parteien unterschiedliche Sachverhalte und Streitgegenstände betreffen, bleibt offen.

 

Normenkette

ZPO § 551 Nr. 7

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.06.1994; Aktenzeichen 2 Sa 124/93)

ArbG Ulm (Urteil vom 12.10.1993; Aktenzeichen 5 Ca 25/93)

 

Tenor

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der beklagte Herzog betreibt Weinbau sowie Land- und Forstwirtschaft. Für seine unternehmerische Tätigkeit unterhält er unter der Bezeichnung “Hofkammer” eine Verwaltung, die seine Hofhaltung abwickelt und der auch die Einstellung von Arbeitnehmern obliegt. Die Hofkammer steht unter der Leitung einer dreiköpfigen Direktion. Als nachgeordnete Leitungsebene besteht ein Hofkammerforstamt, das ein Forstdirektor leitet. In der “Hofkammer” beschäftigt der Beklagte ca. 160 Mitarbeiter, davon 50 außerhalb Deutschlands. Er bewirtschaftet im Betriebsbereich Forstwirtschaft im Inland eine Waldfläche von etwa 5.500 ha, die in mehrere Forstreviere aufgeteilt ist. Für jedes Revier ist ein Revierleiter bestellt, der in der Regel das Forsthaus bewohnt. Im Revier arbeitet eine geringe Zahl von ständigen Waldarbeitern, außerdem werden dort während der Saison Aushilfskräfte eingesetzt. Die in den einzelnen Revieren tätigen Arbeitskräfte unterstehen den jeweiligen Revierleitern.

Der 1945 geborene Kläger, der zuvor im Staatsdienst tätig war, wurde 1981 vom Beklagten als Revierleiter eingestellt und bezog zuletzt ein Monatsgehalt von 6.700,00 DM. Im Herbst 1992 beschloß der Beklagte, das vom Kläger zuvor geleitete Revier aufzulösen, und kündigte deshalb nach Unterrichtung des Angestelltenvertreters im Betriebsrat das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 22. Dezember 1992 zum 30. Juni 1993. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Der Beklagte begehrt mit der Begründung, der Kläger sei leitender Angestellter i.S. des § 14 Abs. 2 KSchG, hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.

Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Er macht geltend, dringende betriebliche Gründe, die seine Entlassung erforderlich gemacht hätten, hätten nicht vorgelegen. Jedenfalls habe der Beklagte keine ausreichende Sozialauswahl getroffen, weil drei namentlich benannte Revierleiter jünger als er seien, eine kürzere Betriebszugehörigkeitsdauer aufwiesen und auch sonst sozial weniger schutzbedürftig seien als er. Als leitender Angestellter sei er nach der tatsächlichen Ausgestaltung seiner Arbeit als Revierleiter nicht anzusehen. Er sei nicht zur selbständigen Einstellung und Entlassung von Waldarbeitern berechtigt gewesen und habe während seiner zwölfjährigen Betriebszugehörigkeit lediglich nach Rücksprache mit dem Hofkammerforstamt und mit dessen Genehmigung zwei Waldarbeiter eingestellt und einen Saisonarbeiter spontan wegen eines Fehlverhaltens entlassen. Wesentliche Leitungskompetenzen in dem von ihm betreuten Revier habe er nicht gehabt, die unternehmerischen Aufgaben hätten allein dem Forstdirektor oblegen.

Der Kläger hat beantragt,

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 22. Dezember 1992 nicht aufgelöst worden ist,
  • den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Der Beklagte hat beantragt,

  • die Klage abzuweisen,
  • hilfsweise

    das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung unter Anrechnung des Übergangsgeldes aufzulösen.

Er hat geltend gemacht, die Kündigung sei aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen. Der Kläger habe auch in dem von ihm betreuten Revier selbständig wie ein Betriebsleiter alle wichtigen unternehmerischen Entscheidungen getroffen und sei insbesondere zur selbständigen Einstellung und Entlassung befugt gewesen. Jedenfalls sei auf eine etwa zu zahlende Abfindung das dem Kläger nach dem Arbeitsvertrag zustehende Übergangsgeld anzurechnen. Dieses trete an die Stelle einer Abfindung.

Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung des Beklagten nicht aufgelöst worden ist, hat aber auf den Auflösungsantrag des Beklagten das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 32.160,00 DM aufgelöst. Dabei hat es das Übergangsgeld teilweise auf die Abfindung angerechnet. Die gegen dieses Urteil von beiden Parteien eingelegte Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Dagegen richten sich die Revisionen beider Parteien. Der Kläger wendet sich mit seiner Revision gegen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und rügt, das Urteil des Landesarbeitsgerichts sei wegen verspäteter Absetzung als ein Urteil ohne Gründe i.S. des § 551 Nr. 7 ZPO anzusehen. Der Beklagte wendet sich mit seiner Revision gegen seine Verurteilung zur Zahlung einer Abfindung.

 

Entscheidungsgründe

I. Die von dem Kläger auf § 551 Nr. 7 ZPO gestützte Rüge, das Urteil des Landesarbeitsgerichts sei als ein nicht mit Gründen versehenes Urteil anzusehen, ist begründet. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.

1. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat mit Beschluß vom 27. April 1993 (– GmS-OGB 1/92 – AP Nr. 21 zu § 551 ZPO) erkannt, daß abweichend von der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefaßtes Urteil im Sinne von § 551 Nr. 7 ZPO als nicht mit Gründen versehen anzusehen ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind. Dieser Rechtsprechung hat sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen (BAG Urteil vom 4. August 1993 – 4 AZR 501/92 – AP Nr. 22 zu § 551 ZPO, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; Senatsurteil vom 7. Oktober 1993 – 2 AZR 293/93 – n.v.; Urteile vom 24. November 1992 – 10 AZR 371/93 –, vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 114/93 – beide n.v., vom 8. Februar 1994 – 9 AZR 591/93 – AP Nr. 23 zu § 72 ArbGG 1979, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).

2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist im Sinne der vorstehend wiedergegebenen Auffassung als eine nicht mit Gründen versehene Entscheidung zu werten. Das Landesarbeitsgericht hat sein Urteil am 22. Juni 1994 verkündet. Es lag zu diesem Zeitpunkt noch nicht vollständig abgefaßt vor. Das Urteil ist erst am 7. Dezember 1994 vollständig abgefaßt zur Geschäftsstelle gelangt. Das angefochtene Urteil ist danach nicht innerhalb von fünf Monaten nach seiner Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von allen Richtern unterschrieben zur Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts gelangt.

II. Der Beklagte hat zwar im Rahmen seiner von ihm gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts eingelegten Revision die Rüge aus § 551 Nr. 7 ZPO nicht selbst erhoben. Da aber auf die Rüge des Klägers davon auszugehen ist, daß die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht mit Gründen versehen ist, fehlt es auch an einer Grundlage für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der vom Beklagten eingelegten Revision (vgl. BAG Urteil vom 6. Oktober 1993 – 5 AZR 289/91 – n.v.). Der Verfahrensmangel berührt die gesamte Entscheidung, die nicht einerseits als existent, andererseits als nichtexistent angesehen werden kann. Die Einhaltung der Fünf-Monats-Frist dient der Sicherung der Beurkundungsfunktion. Ein Urteil, das die Fünf-Monats-Frist überschreitet, erfüllt diese Beurkundungsfunktion nicht mehr (Beschluß vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – zu II 4 der Gründe). Wenn die Urteilsgründe einer gerichtlichen Entscheidung aus diesem Grund keine Grundlage mehr für die Überprüfung durch das Revisionsgericht bilden, so kann dies nur einheitlich für die gesamte Entscheidung gesehen werden.

Ob dies auch dann gilt, wenn die Revisionen beider Parteien eindeutig voneinander abgrenzbare unterschiedliche Sachverhalte und Streitgegenstände betreffen, das Urteil gedanklich also ohne weiteres in zwei Teilurteile aufzuspalten wäre, kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall richtet sich sowohl die Revision des Klägers als auch die Revision des Beklagten gegen eine einheitliche Entscheidung über den vom Beklagten gestellten Auflösungsantrag nach § 9 KSchG, die Erfolgsaussichten beider Revisionen können deshalb nicht unabhängig voneinander beurteilt werden.

III. Im Hinblick darauf, daß die Revisionsinstanz für die Parteien wegen der verspäteten Absetzung des Urteils ohne Klärung der anstehenden Rechtsprobleme verloren gegangen ist, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 8 GKG die Gerichtskosten außer Ansatz zu lassen.

 

Unterschriften

Etzel, Bröhl, Fischermeier, Timpe, Fischer

 

Fundstellen

Haufe-Index 872253

BB 1996, 115

NJW 1996, 870

NZA 1996, 277

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