Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung von Fortbildungskosten aufgrund Tarifvertrages. tarifdispositives Richterrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Urteile vom 6. September 1995 – 5 AZR 174/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen, sowie – 5 AZR 618/94 – und – 5 AZR 744/94 –, beide n.v.

 

Normenkette

BGB § 611; Berufsgenossenschafts-AngestelltenTV Nr. 7 SR 2a; BAT Nr. 7 SR 2a; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Urteil vom 22.09.1993; Aktenzeichen 5 Sa 35/93)

ArbG Hamburg (Urteil vom 16.11.1992; Aktenzeichen 25b Ca 327/92)

 

Tenor

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 22. September 1993 – 5 Sa 35/93 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Kosten des ersten Rechtszuges zu 87 % von der Beklagten und zu 13 % von dem Kläger zu tragen sind.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erstattung von Weiterbildungskosten nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Rückzahlungsklausel.

Die am 26. Juli 1963 geborene Beklagte schloß am 4. März 1986 ihre Ausbildung zur Krankenschwester ab. Vom 1. April 1986 bis zum 31. Mai 1988 war sie bei dem Kläger als Krankenschwester tätig. Vom 1. Juni bis zum 31. August 1988 war sie als Krankenschwester im Krankenhaus I. und vom 1. September 1988 bis zum 5. Mai 1989 als Krankenschwester im OP-Dienst in der P.-Klinik in G. tätig. Gemäß Arbeitsvertrag vom 2. Mai 1989 wurde sie mit Wirkung ab 6. Mai 1989 erneut vom Kläger eingestellt und in die Vergütungsgruppe Kr. V eingereiht. Nach § 1 dieses Vertrages richtete sich das Arbeitsverhältnis „nach den Bestimmungen des Tarifvertrags für die Angestellten in Berufsgenossenschaftlichen Rehabilitationseinrichtungen (…) sowie des Tarifvertrags über die Zahlung von Zulagen in ihrer jeweils geltenden Fassung”. Die Beklagte wurde im OP-Dienst eingesetzt.

Im Herbst 1989 kam es zu Gesprächen über die Teilnahme der Beklagten an einem einjährigen Lehrgang, mit dem diese zur Fachkrankenschwester im Operationsdienst fortgebildet werden sollte. Am 13. Oktober 1989 richtete der Kläger folgendes Schreiben an die Beklagte:

„…

Gemäß Änderung des Tarifvertrages werden Sie unter Fortzahlung der Vergütung für den oben genannten Zeitraum freigestellt.

Die Kosten der Fortbildung werden vom Arbeitgeber getragen.

Sie verpflichten sich, nach der Fortbildung die Kosten dem Arbeitgeber aufzuzeigen.

Wenn das Arbeitsverhältnis auf Ihren Wunsch oder von einem von Ihnen zu vertretenden Grund beendet wird, sind Sie weiterhin verpflichtet

  • die Gehaltsfortzahlung
  • sowie die zusätzlichen Aufwendungen

im 1. Jahr nach Abschluß der Fortbildung mit 100,00 %

im 2. Jahr nach Abschluß der Fortbildung mit 66,66 %

im 3. Jahr nach Abschluß der Fortbildung mit 33,33 %

zurückzuzahlen.”

Die Beklagte nahm in der Zeit vom 2. Januar bis zum 21. Dezember 1990 erfolgreich an dem im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Altona abgehaltenen Lehrgang teil. Ihre Bezüge wurden fortgezahlt. Insgesamt wandte der Kläger einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung 54.782,05 DM auf. Die Beklagte leistete auch in der Zeit ihrer Weiterbildung Ruf- und Bereitschaftsdienste bei dem Kläger; diese wurden gesondert vergütet.

Nach Abschluß der Weiterbildung wurde die Klägerin ab 22. Dezember 1990 in die Vergütungsgruppe Kr. V a BG-AT Fallgruppe 1 eingereiht.

Mit Schreiben vom 2. Januar 1992 teilte die Beklagte dem Kläger mit, daß ihr in einem anderen Krankenhaus die Stelle der stellvertretenden OP-Leitung zum 1. Februar 1992 angeboten worden sei. Sie würde gerne wissen, ob es die Möglichkeit einer monatlichen Rückzahlung gebe. Sie kündigte mit Schreiben vom 23. Januar 1992 fristgemäß zum 31. März 1992. In einem Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 29. Januar 1992 heißt es, der gemäß dem Schreiben vom 13. Oktober 1989 zurückzuzahlende Betrag mindere sich um ein 1/36 für jeden Monat, den das Arbeitsverhältnis nach Weiterbildungsende bestanden habe. Die im Schreiben vom 13. Oktober 1989 genannten Rückzahlungsbedingungen würden durch die aus der – für die Beklagte günstigeren – Betriebsvereinbarung ersetzt. In einem Schreiben der Beklagten an den Kläger vom selben Tag heißt es:

„…

1990 habe ich die Ausbildung zur OP-Schwester im AK A. absolviert. Für diese Ausbildung ist noch ein Restbetrag von 31.956,20 DM zurückzuzahlen. Ich möchte um eine monatliche Rückzahlung (19 Monate) bitten.”

Ab 1. April 1992 nahm die Beklagte eine neue Tätigkeit als stellvertretende Leitende OP-Schwester im Krankenhaus J. in H. unter Einreihung in die Vergütungsgruppe Kr. VI auf.

Der Kläger forderte die Beklagte zur Rückzahlung der Weiterbildungskosten in Höhe von 21/36 von 54.782,05 DM, also von 31.956,20 DM auf. Er rechnete in Höhe von 915,88 DM gegen eine Forderung der Beklagten auf. Den Restbetrag in Höhe von 31.040,32 DM hat er mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. Er hat sich auf Nr. 7 der Sonderregelungen des Tarifvertrages für die Angestellten in Berufsgenossenschaftlichen Rehabilitationseinrichtungen (im folgenden: SR 2a BG-AT) und die sie abwandelnde Betriebsvereinbarung berufen. Diese tarifvertragliche Vorschrift lautet wie folgt:

„(1) Wird ein Angestellter im Pflegedienst, der unter die Anlage 1 b fällt, auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers fort- oder weitergebildet, werden, sofern keine Ansprüche gegen andere Kostenträger bestehen, vom Arbeitgeber

  1. dem Angestellten, soweit er freigestellt werden muß, für die notwendige Fort- oder Weiterbildungszeit die bisherige Vergütung (§ 26) fortgezahlt

    und

  2. die Kosten der Fort- und Weiterbildung getragen.

(2) Der Angestellte ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Aufwendungen für eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1 nach Maßgabe des Unterabsatzes 2 zu ersetzen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Angestellten oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde endet. Satz 1 gilt nicht, wenn die Angestellte

  1. wegen Schwangerschaft oder
  2. wegen Niederkunft in den letzten drei Monaten,

gekündigt oder einen Auflösungsvertrag geschlossen hat.

Zurückzuzahlen sind, wenn das Arbeitsverhältnis endet

  1. im ersten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, die vollen Aufwendungen,
  2. im zweiten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, zwei Drittel der Aufwendungen,
  3. im dritten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, ein Drittel der Aufwendungen.”

Der Kläger hat vorgetragen: Die Beklagte habe durch den erfolgreichen Abschluß des Lehrgangs zur Fachkrankenschwester einen unmittelbaren finanziellen Vorteil gehabt, da sie sofort nach Vergütungsgruppe Kr. V a höhergruppiert worden sei und die Vergütungsgruppe Kr. VI bereits nach einer dreijährigen Bewährungszeit habe erreichen können anstelle einer sechsjährigen Bewährungszeit ohne diesen Abschluß. Im übrigen bestehe auf dem Arbeitsmarkt ein großer Bedarf an Fachkrankenschwestern mit entsprechenden Aufstiegsmöglichkeiten im Leitungsbereich. So würden im großen Umfang Leitende OP-Schwestern, aber auch Stellvertreterinnen hierfür gesucht, die nach Vergütungsgruppe Kr. VI bzw. Kr. VII bezahlt würden. Bedingung sei in den meisten Fällen der Erwerb der Qualifikation zur Fachkrankenschwester. In den anderen Fällen sei diese Qualifikation zumindest erwünscht. Der Kläger hat dazu eine Vielzahl von Stellenangeboten aus der Zeit von Oktober 1989 bis April 1990 vorgelegt. Daher seien im Streitfall die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen erfüllt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, daß diese Forderung nicht auf Einzelarbeitsvertrag, sondern auf Tarifvertrag gestützt werde. Die Tarifvertragsparteien seien berechtigt, von den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen abweichende Regelungen zu vereinbaren. Der Rückzahlungsanspruch ergebe sich weiter aus dem Schreiben der Beklagten vom 29. Januar 1992; darin sei ein Schuldanerkenntnis zu sehen.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 31.040,32 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. April 1992 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat im Wege der Widerklage beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 915,88 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1992 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen: Die tarifvertragliche Regelung führe im Hinblick auf Art. 12 GG zu einer unangemessen langen Bindung des Arbeitnehmers. Dieser Bindung stünden keine ausreichenden konkreten Vorteile gegenüber. Sie sei ohnehin beinahe zeitgleich nach Vergütungsgruppe Kr. V a zu vergüten gewesen. Sie hätte auf Dauer auch ohne die Qualifikation als Fachkrankenschwester im Wege des Bewährungsaufstiegs in die Vergütungsgruppe Kr. VI gelangen können. Dem Rückforderungsanspruch des Klägers in Höhe von ursprünglich ca. 55.000,00 DM stehe nur eine monatliche Gehaltssteigerung von 206,00 DM gegenüber. Die Qualifikation zur Fachkrankenschwester sei tatsächlich nicht Voraussetzung für die Erlangung gehobener Positionen. Aufgrund des allgemeinen Pflegenotstandes würden Leitungs- und Stellvertreterpositionen auch mit Kräften ohne entsprechende Lehrgangsabschlüsse besetzt, wenn diese aufgrund ihrer Tätigkeit über entsprechende Erfahrung verfügten. Sie sei im Krankenhaus J. nicht aufgrund ihrer Weiterbildung, sondern wegen ihrer praktischen Erfahrung als OP-Schwester eingestellt worden. Die zahlreichen Stellenanzeigen spiegelten nur die Wünsche der Arbeitgeber wieder. Aufgrund der Arbeitsmarktlage (Pflegenotstand) eröffneten sich aber in der Realität Krankenschwestern mit entsprechender praktischer Erfahrung die gleichen Chancen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Mit der Berufung hat der Kläger seine Klage in Höhe eines Teilbetrages von 26.985,29 DM weiterverfolgt und die Abweisung der Widerklage beantragt. Er hat das Urteil erster Instanz insoweit nicht angegriffen, als die Klage hinsichtlich der anteiligen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung abgewiesen worden war. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 26.985,29 DM verurteilt und die Widerklage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag, die Klage insgesamt abzuweisen, und ihren Widerklageantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung der Weiterbildungskosten nach Nr. 7 SR 2a BG-AT. Die Forderung der Beklagten in Höhe von 915,88 DM ist durch Aufrechnung erloschen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

I. Nach der genannten Tarifvorschrift ist der Arbeitnehmer zur Rückzahlung der Aufwendungen verpflichtet, die der Arbeitgeber für „eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1” getragen hat. Der Arbeitnehmer muß also „auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers fort- oder weitergebildet” worden sein. Das ist hier der Fall.

1. Es ist nicht festgestellt, ob die Initiative zur Teilnahme an dem Fortbildungslehrgang von der Beklagten oder vom Kläger ausging. Zugunsten der Beklagten kann ersteres unterstellt werden. Denn daran scheitert das Rückzahlungsverlangen nicht.

Das Tatbestandsmerkmal „auf Veranlassung des Arbeitgebers” bedeutet hier wie bei der gleichlautenden Nr. 7 SR 2a BAT, daß die Fort- oder Weiterbildung vom Arbeitgeber erkennbar gewollt sein muß. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur die Möglichkeit einräumt, sich innerhalb der Arbeitszeit weiterzubilden. Unerheblich ist, ob die Weiterbildung zugleich einem vorher oder nachher geäußerten Wunsch des Angestellten entspricht (so zutreffend Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand April 1995, SR 2a Nr. 7 Rz 5; unklar dagegen Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1995, SR 2a Nr. 7 Anm. 2 und Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand 1. Februar 1995, SR 2a Anm. 7).

Hat der Arbeitgeber die Weiterbildung erkennbar befürwortet, so besteht kein sachlicher Grund, Angestellte, die selbst initiativ werden und eine Weiterbildung beim Arbeitgeber anregen, anders zu behandeln als Arbeitnehmer, die dazu vom Arbeitgeber erst aufgefordert werden müssen (BAG Urteil vom 14. Juni 1995 – 5 AZR 960/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen gegeben. Der Kläger hat durch sein Schreiben vom 13. Oktober 1989, mit dem er die Kosten übernommen hat, die Fortbildung erkennbar befürwortet und damit im Sinne von Nr. 7 Abs. 1 SR 2a BG-AT „veranlaßt”.

2. Die Beklagte ist auch „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” fortgebildet worden.

a) Bei diesem unbestimmten Rechtsbegriff handelt es sich um eine zusätzliche Voraussetzung. Ginge es nur darum, daß die Weiterbildung dem Arbeitgeber nicht aufgezwungen werden darf (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1995, SR 2a Nr. 7 Anm. 2), so wäre dieses Kriterium neben dem „auf Veranlassung” überflüssig. Eine Auslegung, daß jede „Veranlassung” durch den Arbeitgeber zugleich „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” geschieht, scheidet daher aus (zutreffend Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O.).

b) Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. Juni 1995 zur gleichlautenden Nr. 7 SR 2a BAT entschieden hat, dürfen allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O.). Der Personalbedarf eines Arbeitgebers ist, zumal wenn es um längere Zeiträume geht, nicht sicher abschätzbar. Er ist von vielen Unwägbarkeiten abhängig. Für die Personalbedarfsplanung gibt es keine feststehenden Grundsätze. Ein aktueller oder gar dringender Personalbedarf ist daher nicht erforderlich. Andererseits kann die bloße Möglichkeit, daß beim Arbeitgeber irgendwann einmal entsprechende Stellen frei werden, nicht ausreichen. Das Merkmal „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” hätte dann keine eigenständige Bedeutung mehr. Die Fort- oder Weiterbildung erfolgt vielmehr dann „im Rahmen des Personalbedarfs”, wenn beim Arbeitgeber in dem dreijährigen Bindungszeitraum (Nr. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 SR 2a BG-AT) wahrscheinlich Stellen zu besetzen sind, für die eine durch die Weiterbildung zu erwerbende Qualifikation Voraussetzung ist. Dabei ist es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, mehr Arbeitnehmern die Weiterbildung zu finanzieren, als Stellen frei werden.

c) Diese Auslegung des Abs. 1 von Nr. 7 SR 2a BG-AT erweist sich auch im Hinblick auf die in Abs. 2 geregelten Rückzahlungspflichten als sinnvoll: Je eher der auf Kosten seines Arbeitgebers weitergebildete Arbeitnehmer damit rechnen kann, bei diesem entsprechend seiner Weiterbildung beruflich aufzusteigen, desto eher ist ihm die Rückzahlung der vom Arbeitgeber aufgewandten Beträge zuzumuten, wenn er gleichwohl das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer beendet. Im übrigen verlieren länger zurückliegende Fort- oder Weiterbildungen ohne entsprechende berufliche Tätigkeit regelmäßig an Wert.

3. Die Voraussetzungen der Nr. 7 Abs. 1 SR 2a BG-AT sind hier erfüllt. Da der Sachverhalt abschließend geklärt ist, kann der Senat diese Feststellung selbst treffen. Der Kläger hatte die Beklagte bereits einige Monate im OP-Dienst eingesetzt und wollte sie auch nach dem Lehrgang dort einsetzen. Das tat er auch.

II. Die Fortbildung zur Fachkrankenschwester im Operationsdienst, die die Beklagte durchlaufen hat, fällt unter Nr. 7 SR 2a BG-AT.

1. Nach ihrem Wortlaut erfaßt die genannte tarifliche Bestimmung ebenso wie Nr. 7 SR 2a BAT alle Fort- und Weiterbildungen unabhängig von ihrer Art und Dauer. Sie ist jedoch einschränkend auszulegen: Unter Fort- und Weiterbildungen im Sinne dieser Tarifvorschrift sind nur solche Bildungsmaßnahmen zu verstehen, die in der Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst ausdrücklich als anspruchsbegründend genannt werden und solche, die – ohne genannt zu werden – diesen gleichwertig sind. Dies ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und der Tarifgeschichte (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

Die hier maßgeblichen Vorschriften des BG-AT entsprechen denen des BAT, Nr. 7 SR 2a BAT wurde mit Wirkung vom 1. August 1989 neu gefaßt durch den 62. Änderungstarifvertrag vom 30. Juni 1989. Zum selben Zeitpunkt wurde die Anlage 1b – Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst – völlig neu gefaßt. Gleichermaßen wurde der BG-AT geändert.

2. a) Mit Fort- und Weiterbildungen im Sinne der Nr. 7 SR 2a BG-AT bzw. BAT sind zunächst diejenigen Bildungsveranstaltungen gemeint, die in 1989 neu eingefügten Fallgruppen als anspruchsbegründend genannt sind. Es handelt sich dabei um die „Weiterbildung für den Operationsdienst bzw. für den Anästhesiedienst” und die „Weiterbildung in der Psychiatrie”, die ab 1989 Voraussetzung für eine Vergütung nach VergGr. Va Fallgruppen 1 und 3 waren und seit 1991 Voraussetzung für eine Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppen 6 a und 6 c sind, sowie um die Fortbildung in der Krankenhaushygiene, die seit 1989 Voraussetzung für eine Eingruppierung nach VergGr. Kr. V Fallgruppe 18 ist.

b) Weiter erfaßt Nr. 7 SR 2a BG-AT bzw. BAT alle anderen in der jeweiligen Anlage Ib als anspruchsbegründend genannten Bildungsmaßnahmen. Dabei handelt es sich um die „erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung in der Intensivpflege/-medizin”, die bis 1990 Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. V a Fallgruppe 2 war und nunmehr Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppe 6 b ist. Ferner sind zu nennen die „erfolgreich abgeschlossene sozial-psychiatrische Zusatzausbildung”, die Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppe 7 ist, sowie die „mindestens einjährige erfolgreich abgeschlossene Fachausbildung an Schulen für Unterrichtsschwestern”, die Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. VII Fallgruppe 12 ist. Diese neuen Fallgruppen entsprechen schon früher vorhandenen Fallgruppen (Crisolli/Tiedtke, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Juni 1995, Teil III Abschnitt B Erläuterungen 3 – B V 6 bis 8, S. 436, 437).

Die Vergütungsordnung schreibt hinsichtlich der Weiterbildungen für den Operationsdienst, in der Intensivpflege, in der Psychiatrie, in der Sozialpsychiatrie und für die Tätigkeit als Unterrichtsschwester eine Mindestdauer von 720 bzw. 900 Stunden bzw. einem vollen Jahr vor. Die Fortbildung der Beklagten genügt diesen Erfordernissen.

c) Neben den in der Vergütungsordnung ausdrücklich als anspruchsbegründend genannten Bildungsveranstaltungen erfaßt Nr. 7 SR 2a BG-AT bzw. BAT nur noch solche Bildungsmaßnahmen, die den in der Vergütungsordnung aufgeführten gleichwertig sind. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien unter Fort- oder Weiterbildung im Sinne der Nr. 7 SR 2a auch solche Bildungsmaßnahmen verstanden haben, die weder unmittelbar noch mittelbar zu einer höheren Vergütung führen können (ähnlich LAG Niedersachsen Urteil vom 22. September 1992 – 11 Sa 1026/92 – EzBAT SR 2a BAT, Rückzahlung von Fort- bzw. Weiterbildungskosten Nr. 1 = ZTR 1993, 162; a.A. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O., SR 2a Nr. 7 Rz 13). Auch der Gruppenausschuß der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände für Kranken- und Pflegeanstalten hat in der Sitzung vom 24. Mai 1991 die Auffassung vertreten, daß kurze Fort- und Weiterbildungen, die innerbetrieblich im Rahmen der normallaufenden Qualifizierung durchgeführt werden, keine Rückzahlungspflichten auslösen (zitiert nach Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand November 1994, SR 2a, Erl. 2 zu Nr. 7).

III. Nr. 7 SR 2a BG-AT und die gleichlautende Vorschrift Nr. 7 SR 2a BAT sind wirksam, obwohl sie nicht nach Dauer und Umfang der Fort- oder Weiterbildung unterscheiden und nur eine jährliche Abstufung der Rückzahlungspflicht vorsehen.

1. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß Tarifverträge nicht in demselben Umfang der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen wie Einzelarbeitsverträge.

Die Rechtsprechung des Senats zur Kontrolle einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln geht weiter. Sie beruht auf der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber und der daraus folgenden ungleichen Verhandlungsstärke (Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A II 1 b, cc, dd der Gründe).

Hier ergibt sich die Rückzahlungspflicht aus einer tarifvertraglichen Norm. Tarifverträge werden von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt und genießen eine Institutsgarantie gem. Art. 9 Abs. 3 GG. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien ist zunächst davon auszugehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen. Sie haben die Vermutung für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach im Unterschied zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob dabei jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde. Die Tarifverträge sind allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen (BAGE 38, 118, 129 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 49, 281, 287 = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation).

In dem danach verbleibenden Gestaltungsspielraum kann einer Tarifnorm erst dann die Anerkennung versagt werden, wenn sie zu einer grundlegenden Schlechterstellung von Arbeitnehmern im Vergleich zu einer sachlich vertretbaren Lösung führt. Wegen der generellen Tarifwirkung ist dabei eine generelle und nicht eine individuelle Betrachtungsweise geboten. Den Tarifvertragsparteien muß es überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen.

2. Nr. 7 SR 2a BG-AT und Nr. 7 SR 2a BAT verstoßen nicht gegen höherrangiges zwingendes Recht, obwohl die Rückzahlungsklauseln erheblich von der Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln abweichen.

a) Maßstab für die Kontrolle einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln ist § 242 BGB, der in Fällen der vorliegenden Art seinen spezifischen Inhalt aus Art. 12 Abs. 1 GG erfährt. Die zulässigen Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln. Der Arbeitnehmer muß mit der Bildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung erhalten haben; er ist besonders vor sehr langfristigen Bindungen zu schützen. Insgesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein.

Die Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln hängt auch von der Fortbildungs- und Bindungsdauer ab. Beide müssen in angemessenem Verhältnis stehen (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A III 2 der Gründe). Weil der Arbeitgeber während der Fortbildung üblicherweise die Vergütung fortzahlt oder einen Unterhaltszuschuß gewährt, hängt von ihrer Dauer im Regelfall die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen maßgeblich ab. Entscheidend ist aber, daß die Dauer der Fortbildung ein starkes Indiz für den Wert der erworbenen Qualifikation ist.

Der Senat hat im wesentlichen entschieden: Bei einer Lehrgangsdauer von bis zu zwei Monaten ohne gleichzeitige Arbeitsverpflichtung darf einzelvertraglich im Regelfall höchstens eine einjährige Bindung vereinbart werden (BAG Urteil vom 15. Dezember 1993 – 5 AZR 279/93 – AP Nr. 17 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine Lehrgangsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr ohne Arbeitsverpflichtung rechtfertigt im Regelfall keine längere Bindung als drei Jahre (BAGE 42, 48, 54 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAG Urteil vom 11. April 1984 – 5 AZR 430/82 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe). Bei einer mehr als zweijährigen Dauer der Fortbildungsmaßnahme ohne Arbeitsleistung hat der Senat eine Bindungsdauer von fünf Jahren für zulässig gehalten (Urteile vom 19. Juni 1974 – 5 AZR 299/73 – und vom 12. Dezember 1979 – 5 AZR 1056/77 – AP Nr. 1, 4 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).

b) Bei der Prüfung, ob tarifvertragliche Bestimmungen gegen höherrangiges Recht verstoßen, ist jedoch zwischen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen einerseits und den konkreten Einzelregeln andererseits zu unterscheiden (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 1992, § 1 Rz 243 ff., 616 f.; Käppler, Voraussetzungen und Grenzen tarifdispositiven Richterrechts, 1977, S. 91 f.). Zwingendes – auch die Tarifvertragsparteien bindendes – Recht sind nur die aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze, nicht aber die zur Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln aufgestellten richterrechtlichen Regeln. Diese sind vielmehr tarifdispositiv. Die Tarifvertragsparteien können davon abweichen. Sie haben dabei einen weitgehenden Gestaltungsspielraum.

c) Nr. 7 Abs. 2 SR 2a BG-AT und Nr. 7 Abs. 2 SR 2a BAT vorstoßen nicht gegen die aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Die Bindungsdauer beläuft sich auf drei Jahre. Die Rückzahlungspflicht ist jährlich abgestuft. Bildungsmaßnahmen, die keine Bedeutung für die Vergütung haben, sind nach der Auslegung des Senats nicht als Fort- oder Weiterbildung im Sinne der Tarifverträge anzusehen und lösen demnach keine Rückzahlungspflicht aus.

3. Der Senat verkennt nicht, daß die Tarifvertragsparteien eine sehr grobe, wenig differenzierende Regelung getroffen haben. Es läge nahe, die Bindungsdauer von der Dauer der Fortbildung oder den dafür aufgewandten Kosten abhängig zu machen und für die Verringerung des Rückzahlungsbetrages auf kürzere Zeiträume als nur auf volle Jahre abzustellen. Indessen haben die Tarifvertragsparteien mit der derzeitigen Regelung die Grenzen ihrer Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.

IV. Die Beklagte schied im zweiten Jahr nach Abschluß ihrer Fortbildung beim Kläger aus. Anhaltspunkte dafür, daß die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs im Streitfall rechtsmißbräuchlich ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Beklagte hatte daher mindestens 21/36 der vom Kläger für die Fortbildung aufgewandten Kosten zurückzuzahlen. Der Kläger hat somit wirksam in Höhe von 915,88 DM gegen die Gehaltsansprüche aufgerechnet. Er hat weiter Anspruch auf Rückzahlung der ihm vom Landesarbeitsgericht zugesprochenen 26.985,29 DM nebst Zinsen.

 

Unterschriften

Schliemann, Reinecke, Mikosch, Werner, Kessel

 

Fundstellen

Haufe-Index 1093288

BB 1995, 1961

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