Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückzahlung von Fortbildungskosten aufgrund Tarifvertrages. tarifdispositives Richterrecht

 

Leitsatz (redaktionell)

vgl. Urteile vom 6. September 1995 – 5 AZR 174/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen, sowie – 5 AZR 172/94 – und – 5 AZR 744/94 –, beide n.v.

 

Normenkette

BGB § 611; Knappschafts-AngestelltenTV Nr. 7 SR 2a; BAT Nr. 7 SR 2a; GG Art. 9 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Urteil vom 20.04.1994; Aktenzeichen 10 Sa 1871/93)

ArbG Dortmund (Urteil vom 07.05.1993; Aktenzeichen 2 Ca 5522/92)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 20. April 1994 – 10 Sa 1871/93 – aufgehoben.

2. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 7. Mai 1993 – 2 Ca 5522/92 – abgeändert.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.478,02 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 9. Dezember 1992 zu zahlen.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Rückzahlung von Fortbildungskosten nach Maßgabe einer tarifvertraglichen Rückzahlungsklausel.

Der am 14. August 1955 geborene Beklagte war seit dem 1. April 1982 als Krankenpflegeschüler für den Beruf des Krankenpflegers im Knappschaftskrankenhaus D. der Klägerin tätig. Nachdem er die Abschlußprüfung am 6. März 1985 bestanden hatte, wurde er seit dem 7. März 1985 als Krankenpfleger weiterbeschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages vom 7. März 1985 bestimmte sich das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Knappschafts-Angestelltentarifvertrag (KnAT) vom 12. Juni 1961 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen. Der Beklagte wurde zunächst in die Vergütungsgruppe Kr. III zum KnAT eingruppiert.

Seit dem 1. Oktober 1989 übte der Beklagte die Funktion eines stellvertretenden Stationsleiters aus und war in die Vergütungsgruppe Kr. VI Fallgruppe 15 der Anlage 1 b zum KnAT eingruppiert.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1989 bewarb sich der Beklagte für eine Weiterbildung zur Stationsleitung. Ob die Bewerbung auf Initiative und Anraten der Klägerin oder auf eigenen Wunsch beruhte, ist zwischen den Parteien streitig. Die Parteien streiten ferner darum, ob der Beklagte im Rahmen der Vorgespräche über diesen Lehrgang mündlich darauf hingewiesen wurde, daß er bei vorzeitigem Ausscheiden auch die fortgezahlten Gehälter zurückerstatten müsse.

In der Zeit vom 2. April 1990 bis zum 8. Juni 1990 nahm der Beklagte durchgehend am ersten Teil des vom Deutschen Berufsverband für Krankenpfleger durchgeführten Fortbildungslehrgang zur „Leitung des Pflegedienstes einer Station” teil. Den zweiten Teil dieses Lehrgangs absolvierte der Beklagte in der Zeit vom 19. November 1990 bis zum 11. Dezember 1990. Am 11. Dezember 1990 bestand der Beklagte die Abschlußprüfung und erhielt hierüber ein Abschlußzeugnis.

Nach dem ersten und vor dem zweiten Teil des Fortbildungslehrgangs hatten die Parteien unter dem 13. Juni 1990 eine schriftliche Nebenabrede zum Arbeitsvertrag geschlossen. Darin heißt es u.a.:

4. Aufwendungen:

Die Gebühren für den Weiterbildungskurs setzen sich zusammen aus:

Lehrgangsgebühr

Verwaltungsgebühr

Lehrmittel

Prüfungsgebühr

Die Bundesknappschaft trägt die Aufwendungen dieser Weiterbildung gemäß § 7 Abs. 1 der Sonderregelung SR 2a … in der ab 1. August 1989 geltenden Fassung, sofern die/der Weiterzubildende keine Ansprüche gegen andere Kostenträger hat. Danach werden von der Bundesknappschaft die Teilnahme- und Prüfungsgebühr, die entstehenden Fahrtkosten im Rahmen des Bundesreisekostengesetzes, sofern die/der Weiterzubildende freigestellt werden muß, für die notwendige Weiterbildungszeit die bisherige Vergütung (§ 26 KnAT) und die Kosten für unbedingt erforderliche Lernmittel getragen.

Die/Der Weiterzubildende ist gem. Nr. 7 Abs. 2 der SR 2a verpflichtet, der Bundesknappschaft die Aufwendungen für die Weiterbildung zu ersetzen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des/der Weiterzubildenden oder aus einem von ihr/ihm zu vertretenden Grunde endet. Dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Schwangerschaft oder Niederkunft in den letzten drei Monaten durch eigene Kündigung oder Auflösungsvertrag beendet worden ist.

Eine Rückzahlungsverpflichtung besteht auch dann nicht mehr, wenn das Arbeitsverhältnis nach Abschluß der Weiterbildungsmaßnahme mindestens drei Jahre weiter bestanden hat. Im übrigen ermäßigt sich die Rückzahlungsverpflichtung nach Abschluß der Weiterbildung nach jedem vollen Jahr um ein Drittel.

Für die Zeit des Lehrgangs zahlte die Klägerin an den Beklagten Gehalt in Höhe von insgesamt 11.665,95 DM brutto. Hinzu kamen Lehrgangsgebühren in Höhe von 2.500,00 DM und eine Fahrtkostenerstattung in Höhe von 398,00 DM.

Nach Abschluß des Lehrgangs war der Beklagte bis zum 30. September 1991 weiter als stellvertretender Stationsleiter tätig. Mit Schreiben vom 31. Juli 1991 übertrug ihm die Klägerin mit Wirkung vom 1. Oktober 1991 befristet bis zum 30. September 1993 die Stationsleitung der Medizinischen-Intensivstation. Der Beklagte erhielt nunmehr eine Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. VII Fallgruppe 5 der Vergütungsordnung zum KnAT. Der Mehrbetrag zur bisher gewährten Vergütung nach der Vergütungsgruppe Kr. VI betrug monatlich 292,50 DM brutto. Allerdings erhielt der Kläger ab 1. Oktober 1991 nicht mehr die bisher gezahlte Wechselschichtzulage von monatlich 200,00 DM, weil die Stationsleiter nur Tagschichten ableisten.

Mit Schreiben vom 10. November 1991 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristgerecht zum 31. März 1992. Seiner Bitte um ein einvernehmliches Ausscheiden schon zum 01. Januar 1992 kam die Klägerin nicht nach.

Die Klägerin machte den Beklagten in der Folgezeit darauf aufmerksam, daß er ihr aufgrund der Nebenabrede vom 13. Juni 1990 2/3 der Weiterbildungskosten von insgesamt 14.563,95 DM zurückerstatten müsse. Im Hinblick auf diesen Rückerstattungsanspruch verrechnete die Klägerin einen Betrag von insgesamt 2.231,28 DM mit den Gehaltsansprüchen des Beklagten für Januar und Februar 1992. Mit mehreren Schreiben forderte die Klägerin vom Beklagten Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 7.478,02 DM. Der Beklagte kam dieser Aufforderung nicht nach.

Die Klägerin hat ihren Rückforderungsanspruch sowohl auf die Nebenabrede vom 13. Juni 1990 als auch auf Nr. 7 der Sonderregelungen für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlichen Behandlungen stehen, – SR 2a KnAT – gestützt. Diese Tarifvorschrift lautet:

„Nr. 7

Zu Abschnitt VII – Vergütung –

(1) Wird ein Angestellter im Pflegedienst, der unter Abschnitt A der Anlage 1b fällt, auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers fort- oder weitergebildet, werden, sofern keine Ansprüche gegen andere Kostenträger bestehen, vom Arbeitgeber

  1. dem Angestellten, soweit er freigestellt werden muß, für die notwendige Fort- oder Weiterbildungszeit die bisherige Vergütung (§ 26) fortgezahlt und
  2. die Kosten der Fort- oder Weiterbildung getragen.

(2) Der Angestellte ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die Aufwendungen für eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1 nach Maßgabe des Unterabsatzes 2 zu ersetzen, wenn das Arbeitsverhältnis auf Wunsch des Angestellten oder aus einem von ihm zu vertretenden Grunde endet. Satz 1 gilt nicht, wenn die Angestellte,

  1. wegen Schwangerschaft oder
  2. wegen Niederkunft in den letzten drei Monaten

gekündigt oder einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat.

Zurückzuzahlen sind, wenn das Arbeitsverhältnis endet

  1. im ersten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, die vollen Aufwendungen,
  2. im zweiten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, zwei Drittel der Aufwendungen,
  3. im dritten Jahr nach Abschluß der Fort- oder Weiterbildung, ein Drittel der Aufwendungen.”

Die Klägerin hat vorgetragen: Die Fortbildungsmaßnahme sei für den Beklagten auch außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs von erheblicher beruflicher und finanzieller Bedeutung. Es bestehe ein genereller Bedarf an ausgebildeten Pflegekräften, die eine Station leiten könnten. Die Ausbildung habe dem Beklagten immerhin den Aufstieg in die VergGr. Kr. VII mit weiteren Aufstiegsmöglichkeiten bis in die VergGr. Kr. IX KnAT ermöglicht. Auf den Wegfall der Wechselschichtzulage könne sich der Beklagte in diesem Zusammenhang nicht berufen, weil diese Zulage lediglich die besonderen Erschwernisse ausgleichen solle, die er in seiner Position als Stationsleiter nicht mehr gehabt habe. Der Beklagte könne sich auch nicht darauf stützen, daß die Nebenabrede vom 13. Juni 1990 erst nach Beginn der Weiterbildungsmaßnahme unterzeichnet worden sei. Bereits im Verlauf der Vorgespräche sei er auf die von ihm zu unterzeichnende schriftliche Nebenabrede hingewiesen worden. Der Aufforderung, die Nebenabrede zu unterzeichnen, sei der Beklagte erst nach Abschluß des ersten Unterrichtsblocks nachgekommen.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 7.478,02 DM zuzüglich 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen: Die Nebenabrede sei schon deshalb unwirksam, weil sie erst nach Beginn der Weiterbildungsmaßnahme getroffen worden sei. Ihm sei es verwehrt gewesen, vor Beginn der Maßnahme Vor- und Nachteile des Lehrgangs abzuwägen. Die Teilnahme an dem Lehrgang sei ihm von der Klägerin selbst angetragen worden, da sie ab Herbst 1991 einen neuen Stationsleiter gesucht habe. Nur auf drängendes Anraten der Klägerin habe er die Bewerbung vom 19. Dezember 1989 geschrieben. Im übrigen sei die Bindungsdauer von drei Jahren im Verhältnis zur Ausbildungsdauer zu lang und benachteilige ihn unangemessen. Da er bereits seit einiger Zeit stellvertretender Stationsleiter gewesen sei, hätte ihm der Kurs keinen weiteren Vorteil gebracht. Die Klägerin könne sich auch nicht auf etwaige Vorteile des Beklagten im Zusammenhang mit einem möglichen Bewährungsaufstieg berufen. Ein Bewährungsaufstieg nach fünf Jahren könne keinen anrechenbaren Vorteil darstellen, da ihm die Stationsleitung nur für zwei Jahre befristet übertragen worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Verurteilung des Beklagten. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Rückzahlung der Fortbildungskosten in Höhe der Klageforderung. Der Anspruch ergibt sich aus Nr. 7 SR 2a KnAT in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag.

I. Nach dieser Tarifvorschrift ist der Arbeitnehmer zur Rückzahlung der Aufwendungen verpflichtet, die der Arbeitgeber für „eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1” getragen hat. Der Arbeitnehmer muß also „auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers fort- oder weitergebildet” worden sein. Das ist hier der Fall.

1. Es kann dahinstehen, ob die Initiative zur Teilnahme an dem Weiterbildungslehrgang von der Klägerin oder vom Beklagten ausgegangen ist. Denn auch wenn die Anregung vom Beklagten kam, wie die Klägerin behauptet, nahm dieser doch „auf Veranlassung” des Arbeitgebers daran teil.

Das Tatbestandsmerkmal „auf Veranlassung des Arbeitgebers” bedeutet hier wie bei der gleichlautenden Nr. 7 SR 2a BAT, daß die Fort- oder Weiterbildung vom Arbeitgeber erkennbar gewollt sein muß. Es reicht nicht aus, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nur die Möglichkeit einräumt, sich innerhalb der Arbeitszeit weiterzubilden. Unerheblich ist, ob die Weiterbildung zugleich einem vorher oder nachher geäußerten Wunsch des Angestellten entspricht (so zutreffend Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand April 1995, SR 2a Nr. 7 Rz 5; unklar dagegen Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1995, SR 2a Nr. 7 Anm. 2 und Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand 1. Februar 1995, SR 2a Anm. 7).

Hat der Arbeitgeber die Weiterbildung erkennbar befürwortet, so besteht kein sachlicher Grund, Angestellte, die selbst initiativ werden und eine Weiterbildung beim Arbeitgeber anregen, anders zu behandeln als Arbeitnehmer, die dazu vom Arbeitgeber erst aufgefordert werden müssen (BAG Urteil vom 14. Juni 1995 – 5 AZR 960/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

Im Streitfall sind diese Voraussetzungen gegeben. Die Klägerin hat durch Abschluß der Nebenabrede vom 13. Juni 1990 und vorher durch Weiterzahlung des Gehalts die Fortbildung erkennbar befürwortet und damit im Sinne von Nr. 7 Abs. 1 SR 2 a KnAT „veranlaßt”. Das entspricht auch dem Vortrag des Beklagten.

2. Der Beklagte ist auch „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” fortgebildet worden.

a) Bei diesem unbestimmten Rechtsbegriff handelt es sich um eine zusätzliche Voraussetzung. Ginge es nur darum, daß die Weiterbildung dem Arbeitgeber nicht aufgezwungen werden darf (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Januar 1995, SR 2a Nr. 7 Anm. 2), so wäre dieses Kriterium neben dem „auf Veranlassung” überflüssig. Eine Auslegung, daß jede „Veranlassung” durch den Arbeitgeber zugleich „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” geschieht, scheidet daher aus (zutreffend Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O.).

b) Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 14. Juni 1995 zur gleichlautenden Nr. 7 SR 2a BAT entschieden hat, dürfen allerdings keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O.). Der Personalbedarf eines Arbeitgebers ist, zumal wenn es um längere Zeiträume geht, nicht sicher abschätzbar. Er ist von vielen Unwägbarkeiten abhängig. Für die Personalbedarfsplanung gibt es keine feststehenden Grundsätze. Ein aktueller oder gar dringender Personalbedarf ist daher – entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts – nicht erforderlich. Andererseits kann die bloße Möglichkeit, daß beim Arbeitgeber irgendwann einmal entsprechende Stellen frei werden, nicht ausreichen. Das Merkmal „im Rahmen des Personalbedarfs des Arbeitgebers” hätte dann keine eigenständige Bedeutung mehr. Die Fort- oder Weiterbildung erfolgt vielmehr dann „im Rahmen des Personalbedarfs”, wenn beim Arbeitgeber in dem dreijährigen Bindungszeitraum (Nr. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 SR 2a KnAT) wahrscheinlich Stellen zu besetzen sind, für die eine durch die Weiterbildung zu erwerbende Qualifikation Voraussetzung ist. Dabei ist es dem Arbeitgeber nicht verwehrt, mehr Arbeitnehmern die Weiterbildung zu finanzieren, als Stellen frei werden.

c) Diese Auslegung des Abs. 1 von Nr. 7 SR 2a KnAT erweist sich auch im Hinblick auf die in Abs. 2 geregelten Rückzahlungspflichten als sinnvoll: Je eher der auf Kosten seines Arbeitgebers weitergebildete Arbeitnehmer damit rechnen kann, bei diesem entsprechend seiner Weiterbildung beruflich aufzusteigen, desto eher ist ihm die Rückzahlung der vom Arbeitgeber aufgewandten Beträge zuzumuten, wenn er gleichwohl das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer beendet. Im übrigen verlieren länger zurückliegende Fort- oder Weiterbildungen ohne entsprechende berufliche Tätigkeit regelmäßig an Wert.

d) Der Beklagte trägt selbst vor, daß die Klägerin ab Herbst 1991 einen neuen Stationsleiter suchte, also einen entsprechenden Personalbedarf hatte. Dementsprechend wurde dem Beklagten mit Wirkung ab 1. Oktober 1991 die Leitung einer Station übertragen.

II. Die Fortbildung zum Stationsleiter, die der Beklagte erfahren hat, fällt unter Nr. 7 SR 2a KnAT.

1. Nach ihrem Wortlaut erfaßt die genannte tarifliche Bestimmung ebenso wie Nr. 7 SR 2a BAT alle Fort- und Weiterbildungen unabhängig von ihrer Art und Dauer. Sie ist jedoch einschränkend auszulegen: Unter Fort- und Weiterbildungen im Sinne dieser Tarifvorschrift sind nur solche Bildungsmaßnahmen zu verstehen, die in der Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst ausdrücklich als anspruchsbegründend genannt werden und solche, die – ohne genannt zu werden – diesen gleichwertig sind. Dies ergibt sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang und der Tarifgeschichte (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung).

Die hier maßgeblichen Vorschriften des KnAT entsprechen denen des BAT. Nr. 7 SR 2a BAT wurde mit Wirkung vom 1. August 1989 neu gefaßt durch den 62. Änderungstarifvertrag vom 30. Juni 1989. Zum selben Zeitpunkt wurde die Anlage 1b – Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst – völlig neu gefaßt. Gleichermaßen wurde der KnAT geändert.

2.a) Mit Fort- und Weiterbildungen im Sinne der Nr. 7 SR 2a KnAT bzw. BAT sind zunächst diejenigen Bildungsveranstaltungen gemeint, die in 1989 neu eingefügten Fallgruppen als anspruchsbegründend genannt sind. Es handelt sich dabei um die „Weiterbildung für den Operationsdienst bzw. für den Anästhesiedienst” und die „Weiterbildung in der Psychiatrie”, die ab 1989 Voraussetzung für eine Vergütung nach VergGr. Va Fallgruppen 1 und 3 waren und seit 1991 Voraussetzung für eine Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppen 6 a und 6 c sind, sowie um die Fortbildung in der Krankenhaushygiene, die seit 1989 Voraussetzung für eine Eingruppierung nach VergGr. Kr. V Fallgruppe 18 ist.

b) Weiter erfaßt Nr. 7 SR 2a KnAT bzw. BAT alle anderen in der jeweiligen Anlage 1b als anspruchsbegründend genannten Bildungsmaßnahmen. Dabei handelt es sich um die „erfolgreich abgeschlossene Weiterbildung in der Intensivpflege/-medizin”, die bis 1990 Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. Va Fallgruppe 2 war und nunmehr Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppe 6 b ist. Ferner sind zu nennen die „erfolgreich abgeschlossene sozial-psychiatrische Zusatzausbildung”, die Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. Kr. VI Fallgruppe 7 ist, sowie die „mindestens einjährige erfolgreich abgeschlossene Fachausbildung an Schulen für Unterrichts Schwestern”, die Voraussetzung für die Eingruppierung in VergGr. VII Fallgruppe 12 ist. Diese neuen Fallgruppen entsprechen schon früher vorhandenen Fallgruppen (Crisolli/Tiedtke, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Juni 1995, Teil III Abschnitt B Erläuterungen 3 – B V 6 bis 8, S. 436, 437).

Die Vergütungsordnung schreibt nur hinsichtlich der Weiterbildungen für den Operationsdienst, in der Intensivpflege, in der Psychiatrie, in der Sozialpsychiatrie und für die Tätigkeit als Unterrichts Schwester eine Mindestdauer von 720 bzw. 900 Stunden bzw. einem vollen Jahr vor, nicht aber für die Fortbildung in der Krankenhaushygiene (VergGr. Kr. V Fallgruppe 18), die in der Praxis teilweise nur sechs Wochen dauert (vgl. Urteil vom selben Tage – 5 AZR 174/94 – zur Veröffentlichung vorgesehen).

c) Neben den in der Vergütungsordnung ausdrücklich als anspruchsbegründend genannten Bildungsveranstaltungen erfaßt Nr. 7 SR 2a KnAT bzw. BAT nur noch solche Bildungsmaßnahmen, die den in der Vergütungsordnung aufgeführten gleichwertig sind. Es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß die Tarifvertragsparteien unter Fort- oder Weiterbildung im Sinne der Nr. 7 SR 2a auch solche Bildungsmaßnahmen verstanden haben, die weder unmittelbar noch mittelbar zu einer höheren Vergütung führen können (ähnlich LAG Niedersachsen Urteil vom 22. September 1992 – 11 Sa 1026/92 – EzBAT SR 2a BAT, Rückzahlung von Fort- bzw. Weiterbildungskosten Nr. 1 = ZTR 1993, 162; a.A. Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, a.a.O., SR 2a Nr. 7 Rz 13). Auch der Gruppenausschuß der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände für Kranken- und Pflegeanstalten hat in der Sitzung vom 24. Mai 1991 die Auffassung vertreten, daß kurze Fort- und Weiterbildungen, die innerbetrieblich im Rahmen der normallaufenden Qualifizierung durchgeführt werden, keine Rückzahlungspflichten auslösen (zitiert nach Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand November 1994, SR 2a, Erl. 2 zu Nr. 7).

d) Die vom Beklagten besuchte Fortbildungsveranstaltung ist zwar in der Vergütungsordnung nicht als Voraussetzung für eine bessere Bezahlung genannt. Sie ist aber den dort ausdrücklich als anspruchbegründend genannten Bildungsmaßnahmen gleichwertig. Die Aufstiegsmöglichkeiten des Klägers sind dadurch erheblich verbessert worden, was sich auch daran zeigt, daß ihm zum 1. Oktober 1991 die Leitung einer Station übertragen wurde. Daß dies zunächst nur befristet für zwei Jahre geschah, ändert daran nichts.

III. Nr. 7 SR 2a KnAT und die gleichlautende Vorschrift Nr. 7 SR 2a BAT sind wirksam, obwohl sie nicht nach Dauer und Umfang der Fort- oder Weiterbildung unterscheiden und nur eine jährliche Abstufung der Rückzahlungspflicht vorsehen.

1. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, daß Tarifverträge nicht in demselben Umfang der gerichtlichen Inhaltskontrolle unterliegen wie Einzelarbeitsverträge.

Die Rechtsprechung des Senats zur Kontrolle einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln geht weiter. Sie beruht auf der strukturellen Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers gegenüber dem einzelnen Arbeitgeber und der daraus folgenden ungleichen Verhandlungsstärke (Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A II 1 b, cc, dd der Gründe).

Hier ergibt sich die Rückzahlungspflicht aus einer tarifvertraglichen Norm in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. Tarifverträge werden von gleichberechtigten Partnern des Arbeitslebens ausgehandelt und genießen eine Institutsgarantie gem. Art. 9 Abs. 3 GG. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifvertragsparteien ist zunächst davon auszugehen, daß bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen die Arbeitnehmerinteressen angemessen berücksichtigt werden. Es besteht insoweit eine materielle Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen. Sie haben die Vermutung für sich, daß sie den Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares Übergewicht vermitteln. Die Tarifvertragsparteien haben hiernach im Unterschied zu den Arbeitsvertragsparteien eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob dabei jeweils die gerechteste und zweckmäßigste Regelung gefunden wurde. Die Tarifverträge sind allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, anderes höherrangiges zwingendes Recht oder die guten Sitten verstoßen (BAGE 38, 118, 129 = AP Nr. 47 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAGE 49, 281, 287 = AP Nr. 123 zu § 611 BGB Gratifikation).

In dem danach verbleibenden Gestaltungsspielraum kann einer Tarifnorm erst dann die Anerkennung versagt werden, wenn sie zu einer grundlegenden Schlechterstellung von Arbeitnehmern im Vergleich zu einer sachlich vertretbaren Lösung führt. Wegen der generellen Tarifwirkung ist dabei eine generelle und nicht eine individuelle Betrachtungsweise geboten. Den Tarifvertragsparteien muß es überlassen bleiben, in eigener Verantwortung Vorteile in einer Hinsicht mit Zugeständnissen in anderer Hinsicht auszugleichen.

2. Nr. 7 SR 2a KnAT und Nr. 7 SR 2a BAT verstoßen nicht gegen höherrangiges zwingendes Recht, obwohl die Rückzahlungsklauseln erheblich von der Rechtsprechung des Senats zur Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln abweichen.

a) Maßstab für die Kontrolle einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln ist § 242 BGB, der in Fällen der vorliegenden Art seinen spezifischen Inhalt aus Art. 12 Abs. 1 GG erfährt. Die zulässigen Bindungen sind aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln. Der Arbeitnehmer muß mit der Bildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung erhalten haben; er ist besonders vor sehr langfristigen Bindungen zu schützen. Ingesamt muß die Erstattungspflicht dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sein.

Die Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln hängt auch von der Fortbildungs- und Bindungsdauer ab. Beide müssen in angemessenem Verhältnis stehen (BAG Urteil vom 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – AP Nr. 18 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu A III 2 der Gründe). Weil der Arbeitgeber während der Fortbildung üblicherweise die Vergütung fortzahlt oder einen Unterhaltszuschuß gewährt, hängt von ihrer Dauer im Regelfall die Höhe der Arbeitgeberaufwendungen maßgeblich ab. Entscheidend ist aber, daß die Dauer der Fortbildung ein starkes Indiz für den Wert der erworbenen Qualifikation ist.

Der Senat hat im wesentlichen entschieden: Bei einer Lehrgangsdauer von bis zu zwei Monaten ohne gleichzeitige Arbeitsverpflichtung darf einzelvertraglich im Regelfall höchstens eine einjährige Bindung vereinbart werden (BAG Urteil vom 15. Dezember 1993 – 5 AZR 279/93 – AP Nr. 17 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine Lehrgangsdauer von sechs Monaten bis zu einem Jahr ohne Arbeitsverpflichtung rechtfertigt im Regelfall keine längere Bindung als drei Jahre (BAGE 42, 48, 54 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe; BAG Urteil vom 11. April 1984 – 5 AZR 430/82 – AP Nr. 8 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe). Bei einer mehr als zweijährigen Dauer der Fortbildungsmaßnahme ohne Arbeitsleistung hat der Senat eine Bindungsdauer von fünf Jahren für zulässig gehalten (Urteile vom 19. Juni 1974 – 5 AZR 299/73 – und vom 12. Dezember 1979 – 5 AZR 1056/77 – AP Nr. 1, 4 zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe).

b) Bei der Prüfung, ob tarifvertragliche Bestimmungen gegen höherrangiges Recht verstoßen, ist jedoch zwischen den allgemeinen Rechtsgrundsätzen einerseits und den konkreten Einzelregeln andererseits zu unterscheiden (vgl. Löwisch/Rieble, TVG, 1992, § 1 Rz 243 ff., 616 f.; Käppler, Voraussetzungen und Grenzen tarifdispositiven Richterrechts, 1977, S. 91 f.). Zwingendes – auch die Tarifvertragsparteien bindendes – Recht sind nur die aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze, nicht aber die zur Zulässigkeit einzelvertraglicher Rückzahlungsklauseln aufgestellten richterrechtlichen Regeln. Diese sind vielmehr tarifdispositiv. Die Tarifvertragsparteien können davon abweichen. Sie haben dabei einen weitgehenden Gestaltungsspielraum.

c) Nr. 7 Abs. 2 SR 2a KnAT und Nr. 7 Abs. 2 SR 2a BAT vorstoßen nicht gegen die aus Art. 12 Abs. 1 GG abgeleiteten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Die Bindungsdauer beläuft sich auf drei Jahre. Die Rückzahlungspflicht ist jährlich abgestuft. Bildungsmaßnahmen, die keine Bedeutung für die Vergütung haben, sind nach der Auslegung des Senats nicht als Fort- oder Weiterbildung im Sinne der Tarifverträge anzusehen und lösen demnach keine Rückzahlungspflicht aus.

3. Der Senat verkennt nicht, daß die Tarifvertragsparteien eine sehr grobe, wenig differenzierende Regelung getroffen haben. Es läge nahe, die Bindungsdauer von der Dauer der Fortbildung oder den dafür aufgewandten Kosten abhängig zu machen und für die Verringerung des Rückzahlungsbetrages auf kürzere Zeiträume als nur auf volle Jahre abzustellen. Indessen haben die Tarifvertragsparteien mit der derzeitigen Regelung die Grenzen ihrer Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.

IV. Der Beklagte schied im zweiten Jahr nach Abschluß seiner Fortbildung bei der Klägerin aus. Anhaltspunkte dafür, daß die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs im Streitfall rechtsmißbräuchlich ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Beklagte hatte daher zwei Drittel der von der Klägerin für die Fortbildung aufgewandten Kosten zu erstatten. Nachdem die Klägerin teilweise gegen die Gehaltsansprüche des Beklagten aufgerechnet hat, hat dieser noch restliche 7.478,02 DM nebst Zinsen zurückzuzahlen.

 

Unterschriften

Schliemann, Reinecke, Mikosch, Werner, Kessel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1093055

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