Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutz bei Freistellung nach Wochenurlaub. AGB-DDR 1990

 

Leitsatz (amtlich)

Der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG Urteil vom 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133) bezeichnete Mutterschutz erfaßt nicht Mütter, die nach der befristet weitergeltenden DDR-Rechtslage nach dem Wochenurlaub gemäß § 246 AGB-DDR von der Arbeit freigestellt waren und Kündigungsschutz nach § 58 AGB-DDR hatten (im Anschluß an das Urteil des Senats vom 10. Dezember 1992 – 8 AZR 134/92 – AP Nr. 2 zu § 58 AGB-DDR).

 

Normenkette

GG Art. 6 Abs. 4; AGB-DDR 1990 §§ 58, 244, 246; BErzGG § 18; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 14.01.1993; Aktenzeichen 4 Sa 90/92)

ArbG Berlin (Urteil vom 12.02.1992; Aktenzeichen 69 Ca 11417/90)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 14. Januar 1993 – 4 Sa 90/92 – wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 (fortan: Abs. 2 EV) ab 1. November 1990 geruht und mit Ablauf des 30. April 1991 geendet hat.

Die 1956 geborene Klägerin war seit 1980 bei dem Ministerium der Finanzen (fortan: MdF) der ehemaligen DDR beschäftigt. Wegen ihres am 22. August 1989 geborenen dritten Kindes war der Klägerin vom MdF bezahlte Freistellung von der Arbeit bis 21. Februar 1991 gewährt worden.

Durch eine Organisationsverfügung des Bundesministers der Finanzen (fortan: BMF) vom 1. Oktober 1990 wurde in Berlin mit Wirkung ab 3. Oktober 1990 eine Außenstelle des Bundesministeriums der Finanzen errichtet und gleichzeitig das MdF aufgelöst.

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1990 teilte der BMF der Klägerin mit, daß ihr Arbeitsverhältnis nach dem 31. Oktober 1990 von der Beklagten nicht mehr weitergeführt werden könne und es daher ab 1. November 1990 nach dem Einigungsvertrag ruhen werde. Falls bis zum Ablauf von sechs Monaten nach dem 31. Oktober 1990 keine weitere Beschäftigung gefunden werde, ende das ruhende Arbeitsverhältnis mit diesem Zeitpunkt.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, als von der Arbeit freigestellte Mutter dreier Kinder gehöre sie zu dem Personenkreis, gegenüber dem die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (– 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133) verfassungswidrig und damit unwirksam sei. Die Beklagte müsse sie weiterbeschäftigen. Ab Beendigung des Mutterjahres am 21. Februar 1991 habe sie Anspruch auf den Unterschiedsbetrag zwischen ihrem bisherigen Bruttoverdienst und dem gezahlten Wartegeld.

Die Klägerin hat beantragt,

  • festzustellen, daß ihr Arbeitsverhältnis auf der Grundlage der Regelungen der Anlage I Kapitel XIX des Einigungsvertrages seit dem 1. November 1990 nicht ruhe und über den 1. Mai 1991 hinaus fortbestehe,
  • die Beklagte zu verurteilen, sie nach Maßgabe des zugrundeliegenden Arbeitsvertrages weiterzubeschäftigen,
  • die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.282,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit 31. Mai 1991 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe aufgrund der Warteschleifenregelung des Eingigungsvertrages seit dem 1. November 1990 geruht und mit Ablauf des 30. April 1991 geendet. Die Warteschleifenregelung gehe dem Kündigungsschutz für Mütter nach § 58 i.V.m. § 246 AGB-DDR vor.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

I. Die Beklagte hat das MdF nicht im Sinne von Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt, sondern aufgelöst und abgewickelt. Dies hat der Senat bereits mit Urteil vom 18. Mai 1995 (– 8 AZR 291/93 – n. v.) entschieden. Über die Abwicklung des MdF streiten die Parteien in der Revision auch nicht mehr.

II. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Ruhens- und Befristungsregelung des Abs. 2 EV gegenüber der Klägerin angewandt. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf den besonderen Kündigungsschutz des Mutterschutzrechts berufen.

1. Die Klägerin gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (– 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 155 f.) von der Rechtsfolge des Abs. 2 EV ausgenommen ist. Nach dem Leitsatz dieser Entscheidung sind die Regelungen des Einigungsvertrages, nach der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten bei abzuwickelnden öffentlichen Einrichtungen zum Ruhen gebracht und befristet werden, mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit dadurch die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen werden. Die besondere Lage von Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern, Alleinerziehenden und anderen in ähnlicher Weise Betroffenen muß bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst berücksichtigt werden.

In den Entscheidungsgründen hat das Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt, die angegriffene Regelung sei mit Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 4 GG insoweit unvereinbar und nichtig, als dadurch die Kündigungsvorschriften im Bereich des Mutterschutzrechts durchbrochen werden. Für Schwangere und Mütter nach der Entbindung stelle die angegriffene Regelung eine unzumutbare Härte dar. Ihnen gegenüber könne der Eingriff auch durch die wichtigen Gemeinschaftsgüter nicht gerechtfertigt werden, deren Schutz die angegriffene Regelung diene. Das Grundgesetz gewähre ihnen in Art. 6 Abs. 4 GG einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 32, 273, 277; 52, 357, 365). Der Gesetzgeber habe ihre Arbeitsverhältnisse nicht ohne weiteres beenden und sie von einem Tag auf den anderen in eine Lage bringen dürfen, die der Arbeitslosigkeit zumindest nahekomme. Dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG trage das geltende Mutterschutzrecht durch Kündigungsverbote Rechnung. Entgegenstehende Arbeitgeberinteressen müßten weitgehend zurückstehen (vgl. BVerfGE 52, 357, 365). Wie weit diese Regelungen im einzelnen verfassungsrechtlich geboten seien, könne dahingestellt bleiben. Ohne wirksamen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz dürften Schwangere und Mütter nach der Entbindung jedenfalls nicht bleiben. Das gebiete Art. 6 Abs. 4 GG.

2. Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage ruhten in diesen Fällen die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-) Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 oder 3 Einigungsvertrag ab dem 3. Oktober 1990, sofern und soweit nicht durch eine Entscheidung der Beginn des Ruhens der Arbeitsverhältnisse um bis zu drei Monate hinausgeschoben war oder dies die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen hätte. Kündigungsvorschriften im Sinne des Mutterschutzrechts sind die durch Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. dazu Dieterich, RdA 1992, 330, 333) getragenen Kündigungsverbote während der Schwangerschaft und den auf die Entbindung folgenden Wochen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter. Demzufolge sind nach der befristet weitergeltenden DDR-Rechtslage (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. b Einigungsvertrag) Schwangere und Mütter während des Wochenurlaubs von 20 bzw. 22 Wochen Dauer (§ 244 Abs. 1 AGB-DDR 1990) vor einer Kündigung und damit auch den Folgen der Abwicklung ihrer Beschäftigungseinrichtung geschützt. Für die nach dem 31. Dezember 1990 geborenen Kinder gelten die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes. Geschützt sind Schwangere und Mütter bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung (Urteil des Senats vom 10. Dezember 1992 – 8 AZR 134/92 – AP Nr. 2 zu § 58 AGB-DDR).

3. Bei Anwendung dieser Grundsätze hat die Klägerin keinen Mutterschutz im vorgenannten Sinne. Die Klägerin hatte ihr drittes Kind am 22. August 1989 geboren. Am 1. November 1990 war ihr Wochenurlaub von 20 bzw. 22 Wochen Dauer (§ 244 Abs. 1 AGB-DDR) längst beendet. Zwar konnte die Klägerin nach dem Wochenurlaub gemäß § 246 AGB-DDR von der Arbeit freigestellt werden und durfte während der Freistellung nach § 58 AGB-DDR nicht ordentlich gekündigt werden. Dieser befristet weitergeltende Kündigungsschutz des DDR-Rechts ist aber lediglich mit dem Kündigungsschutz des im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmers nach § 18 BErzGG vergleichbar. Um Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechtes im Sinne der vorgenannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich in beiden Fällen nicht.

III. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.

 

Unterschriften

Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Plenge, Brückmann

 

Fundstellen

Haufe-Index 871644

NZA 1995, 1161

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