Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutterschutz für Alleinerziehende. AGB-DDR 1990

 

Leitsatz (amtlich)

Der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG Urteil vom 24. April 1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133) bezeichnete Mutterschutz erfaßt Schwangere sowie Mütter, sofern das Kind vor dem 1. Januar 1991 geboren wurde, während des Wochenurlaubs von 20 bzw. 22 Wochen Dauer (§ 244 Abs. 1 AGB-DDR 1990)

 

Normenkette

AGB-DDR 1990 § 58; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2 S. 5; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 03.02.1992; Aktenzeichen 12 Sa 84/91)

ArbG Berlin (Urteil vom 24.09.1991; Aktenzeichen 61 A Ca 11846/91)

 

Tenor

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, wann das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag i.Verb.m. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Absatz 3 in Verbindung mit Absatz 2 Satz 5 (fortan: Abs. 2 Satz 5 Einigungsvertrag) geendet hat.

Die Klägerin war seit dem 1. April 1990 beim Stadtbezirksgericht Berlin-… als Sachbearbeiterin beschäftigt. Zum Zeitpunkt des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland war die Klägerin alleinstehend und hatte ein zweijähriges Kind.

Das Stadtbezirksgericht Berlin-… ist vom beklagten Land nicht überführt worden. Die Klägerin ist der Auffassung, sie gehöre zu dem Personenkreis, gegenüber dem die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (– 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133) verfassungswidrig und damit unwirksam sei.

Die Klägerin hat zunächst beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 2. April 1991 hinaus unbefristet fortbestehe. In der mündlichen Verhandlung vom 3. September 1991 hat sie den Antrag beschränkt und nur noch Feststellung begehrt, daß das Arbeitsverhältnis bis zum 31. August 1991 fortbestanden habe.

Das beklagte Land hat Klagabweisung beantragt. Es hat geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe mit Ablauf des 2. April 1991 geendet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.

Das Landesarbeitsgericht hat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

I. Die Klage ist als Feststellungsklage nicht deshalb unzulässig, weil es der Klägerin zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht möglich gewesen wäre, ihren restlichen Vergütungsanspruch zu beziffern. Das besondere Rechtsschutzinteresse, statt auf Leistung zulässig auf Feststellung klagen zu können, muß dann nicht gegeben sein, wenn auch eine aus dem gleichen Sachverhalt hergeleitete bezifferte Leistungsklage – als unbegründet abzuweisen wäre. Das Urteil, mit dem eine Leistungsklage abgewiesen wird, ist ein negatives Feststellungsurteil. Das Feststellungsinteresse ist daher echte Prozeßvoraussetzung nur für das stattgebende Urteil (RGZ 158, 145, 152; BGHZ 11, 222, 225; 12, 308, 316; BGH Urteile vom 14. März 1978 – VI ZR 68/76 –, 19. November 1971 – I ZR 72/70 – und 27. November 1957 – IV ZR 121/57 – NJW 1978, 2031; 1972, 198; 1958, 384; Zöller/Stephan, ZPO, 17. Aufl., § 256 Rz 7; Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., Vorbem. § 253 Rz 129, 130; § 256 Rz 120). Im vorliegenden Fall wäre eine Leistungsklage aus Rechtsgründen unbegründet, so daß auch die Feststellungsklage als unbegründet abzuweisen ist.

II.1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Abs. 2 Satz 5 Einigungsvertrag geendet hat. Die Klägerin gehört nicht zu dem Personenkreis, der nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 1991 (– 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133, 155 f.) von der Rechtsfolge des Abs. 2 Satz 5 Einigungsvertrag ausgenommen ist. Nach dem Leitsatz dieser Entscheidung sind die Regelungen des Einigungsvertrages, nach der Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten bei abzuwickelnden öffentlichen Einrichtungen zum Ruhen gebracht und befristet werden, mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig, soweit dadurch die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen werden. Die besondere Lage von Schwerbehinderten, älteren Arbeitnehmern, Alleinerziehenden und anderen in ähnlicher Weise Betroffenen muß bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst berücksichtigt werden.

In den Entscheidungsgründen hat das Bundesverfassungsgericht dazu ausgeführt, die angegriffene Regelung sei mit Art. 12 Abs. 1 i.Verb.m. Art. 6 Abs. 4 GG insoweit unvereinbar und nichtig, als dadurch die Kündigungsvorschriften im Bereich des Mutterschutzrechts durchbrochen werden. Für Schwangere und Mütter nach der Entbindung stelle die angegriffene Regelung eine unzumutbare Härte dar. Ihnen gegenüber könne der Eingriff auch durch die wichtigen Gemeinschaftsgüter nicht gerechtfertigt werden, deren Schutz die angegriffene Regelung diene. Das Grundgesetz gewähre ihnen in Art. 6 Abs. 4 einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft (vgl. BVerfGE 32, 273, 277; 52, 357, 365). Der Gesetzgeber habe ihre Arbeitsverhältnisse nicht ohne weiteres beenden und sie von einem Tag auf den anderen in eine Lage bringen dürfen, die der Arbeitslosigkeit zumindest nahekomme. Dem Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG trage das geltende Mutterschutzrecht durch Kündigungsverbote Rechnung. Entgegenstehende Arbeitgeberinteressen müßten weitgehend zurückstehen (vgl. BVerfGE 52, 357, 367). Wie weit diese Regelungen im einzelnen verfassungsrechtlich geboten seien, könne dahingestellt bleiben. Ohne wirksamen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz dürften Schwangere und Mütter nach der Entbindung jedenfalls nicht bleiben. Das gebiete Art. 6 Abs. 4 GG.

2. Unter Zugrundelegung dieser Rechtslage ruhten in diesen Fällen die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-) Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 oder 3 Einigungsvertrag ab dem 3. Oktober 1990, sofern und soweit nicht durch eine Entscheidung der Beginn des Ruhens der Arbeitsverhältnisse um bis zu drei Monate hinausgeschoben war oder dies die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durchbrochen hätte. Kündigungsvorschriften im Sinne des Mutterschutzrechts sind die durch Art. 6 Abs. 4 GG (vgl. dazu Dieterich, RdA 1992, 330, 333) getragenen Kündigungsverbote während der Schwangerschaft und den auf die Entbindung folgenden Wochen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter. Demzufolge sind nach der befristet weitergeltenden DDR-Rechtslage (Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Buchst. b Einigungsvertrag) Schwangere und Mütter während des Wochenurlaubs von 20 bzw. 22 Wochen Dauer (§ 244 Abs. 1 AGB-DDR 1990) vor einer Kündigung und damit auch den Folgen der Abwicklung ihrer Beschäftigungseinrichtung geschützt. Für die nach dem 31. Dezember 1990 geborenen Kinder gelten die Bestimmungen des Mutterschutzgesetzes. Geschützt sind Schwangere und Mütter bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung.

 

Unterschriften

Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Wittendorfer, Dr. Gaber

 

Fundstellen

Haufe-Index 846776

BB 1993, 1437

NZA 1993, 1040

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