In der Bundesrepublik Deutschland sind die europarechtlich bereits sehr weit gehenden Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmer vor belastenden Arbeitszeiten noch umfassender ausgestaltet worden. So enthält § 3 Arbeitszeitgesetz die europarechtlich nicht geregelte Begrenzung, dass die werktägliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer grundsätzlich acht Stunden nicht überschreiten darf. Auf bis zu zehn Stunden kann die Arbeitszeit hiernach nur verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden.

Die in der Praxis sehr bedeutsamen Einschränkungen des § 3 und weitere Schutzvorschriften des ArbZG können jedoch durch abweichende Regelungen gemäß § 7 ArbZG und § 12 ArbZG weit gehend verändert werden. Voraussetzung hierfür ist eine Regelung in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung. Die Tarifvertragsparteien haben im TVöD die zweite Variante gewählt und in § 6 Abs. 4 TVöD eine Öffnungsklausel für Betriebs- und Dienstvereinbarungen vereinbart. Die Vorschrift lautet:

"Aus dringenden betrieblichen/dienstlichen Gründen kann auf der Grundlage einer Betriebs-/Dienstvereinbarung im Rahmen der §§ 7 und 12 ArbZG von den Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes abgewichen werden."

2.8.1 Voraussetzungen der Öffnung für Betriebs-/Dienstvereinbarungen nach §§ 7 und 12 Arbeitszeitgesetz

Die Öffnungsklausel des § 6 Abs. 4 TVöD gilt für alle Arbeitnehmer eines tarifgebundenen Arbeitgebers. Dies folgt für nichtorganisierte Arbeitnehmer aus § 3 Abs. 2 Tarifvertragsgesetz.[1] Nicht tarifgebundene Arbeitgeber können von der Regelung des § 6 Abs. 4 entsprechend § 7 Abs. 3 Satz 2 ArbZG ebenfalls Gebrauch machen.

Einzige Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Betriebs-/Dienstvereinbarung nach § 6 Abs. 4 TVöD sind "dringende betriebliche/dienstliche Gründe". Ob diese gegeben sind, entscheiden zunächst die Betriebsparteien. Die Tarifvertragsparteien haben die Hürde für die Möglichkeit einer Regelung in Betriebs- oder Dienstvereinbarung bewusst niedrig angesetzt. So enthält § 6 Abs. 4 TVöD im Unterschied zu der im Übrigen wortgleichen Regelung im Tarifvertrag für Versorgungsbetriebe (TV-V) nicht den sog. Klammerzusatz "(z. B. Revision, Störungen, außergewöhnliche Reparaturarbeiten)". Dadurch wird deutlich, dass die "dringenden betrieblichen Gründe" nicht nur auf Gründe von gleicher Gewichtigkeit beschränkt werden sollten, wie sie im TV-V ausdrücklich als Beispiele aufgeführt sind. Die Betriebsparteien haben somit keinerlei Vorgaben von den Tarifvertragsparteien vorgegeben bekommen. Sie können weitgehend frei bestimmen, welche betrieblichen Gründe für abweichende Regelungen nach den §§ 7 und 12 ArbZG sie als "dringend" ansehen. Es ist zu erwarten, dass sich die Rechtsprechung auf der Grundlage der Vorgaben der Tarifvertragsparteien auf eine Missbrauchskontrolle beschränken wird.

§ 6 Abs. 4 TVöD gibt aus den genannten Gründen den Betriebsparteien sehr weit gehende Möglichkeiten, von den engen Grundregelungen des Arbeitszeitgesetzes abweichen zu können. Dies ist nicht zuletzt deswegen von großer Bedeutung, weil der Arbeitgeber durch ordnungsgemäße Anwendung einer Betriebs-/Dienstvereinbarung auf der Grundlage des § 6 Abs. 4 TVöD straf- und bußgeldfrei von den Grundnormen des Arbeitszeitgesetzes abweichen darf.

[1] Zmarlik/Anzinger, § 7 Rdnr. 102.

2.8.2 Umfang der Öffnung für Betriebs-/Dienstvereinbarungen nach §§ 7 und 12 Arbeitszeitgesetz

§ 6 Abs. 4 TVöD enthält hinsichtlich des Umfangs der abweichenden Regelungen nach den §§ 7 und 12 ArbZG keinerlei Beschränkungen.

 
Wichtig

Auf der Grundlage von § 6 Abs. 4 TVöD sind sämtliche Abweichungen zulässig, die sich aus dem Arbeitszeitgesetz selbst (§§ 7 und 12) ergeben. Durch Betriebs-/Dienstvereinbarung kann somit zugelassen werden:

 
Abweichend von § x ArbZG auf der Grundlage von § y ArbZG Inhalt der abweichenden Regelung Bemerkungen/Hinweise
Abweichungen auf der Grundlage von § 7 Abs. 1 ArbZG   Die Abweichungen auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 ArbZG sind im Unterschied zu denen nach § 7 Abs. 2 zulässig, ohne dass allgemein ein Zeitausgleich vorgeschrieben ist.
§ 3/§ 7 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. a) die Arbeitszeit über zehn Stunden werktäglich auch ohne Ausgleich zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt Der TVöD kennt den Begriff der Arbeitsbereitschaft nicht mehr; für die Möglichkeit der Verlängerung der Arbeitszeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a ArbZG kommt es auf den arbeitsschutzrechtlichen Begriff der Arbeitsbereitschaft an:
§ 3/§ 7 Abs. 1 Ziff. 1 Buchst. b) einen anderen Ausgleichszeitraum festzulegen Die Länge des neu festgesetzten Ausgleichszeitraums ist auf zwölf Monate beschränkt, § 7 Abs. 8 ArbZG.
§ 4 Satz 2/§ 7 Abs. 1 Ziff. 2 die Gesamtdauer der Ruhepausen in Schichtbetrieben und Verkehrsbetrieben auf Kurzpausen von angemessener Dauer aufzuteilen Schichtbetriebe: Es genügt, wenn ein bedeutender Teil der Belegschaft in mehreren Gruppen von Arbeitnehmern arbeitet und diese Gruppen sich gegenseitig an ihren Arbeitsplätzen in zeitlicher Reihenfolge nacheinander ablösen.[1] Verkehrsbetriebe: Die Ö...

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