Von Bauturbo und Bürokratie
In einem Punkt waren sich die Teilnehmer des 32. Brandenburger-Hof-Gesprächs nicht einig. Sollte das Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung, das der Bundestag im Oktober beschlossen hat, nun (wie es sich eingebürgert hat) Bauturbo heißen? Oder sollte man besser vom Baulandturbo sprechen, wie Axel Gedaschko, der Präsident des GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V., meinte? Oder ist vielmehr Baurechtsturbo die richtige Bezeichnung, wie Dr. Ernst Böhm, Gründungsgesellschafter der B&O Gruppe, anregte?
So oder so: In der Runde, die sich Anfang November in Berlin zum 32. Brandenburger-Hof-Gespräch versammelte, herrschte die Meinung vor, dass der Bauturbo eine Chance für den Wohnungsbau sei. Von einem "Paradigmenwechsel" sprach Gedaschko, der die Möglichkeit biete, schneller Bauland zu schaffen. Und Dirk Lange, Dezernent für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Jena, attestierte dem Gesetz, es schaffe mehr Flexibilität, auch wenn es die Verwaltung vor Herausforderungen stelle.
Spielräume werden nicht genutzt
Beim traditionsreichen Gesprächsformat, das unter dem Titel "Entbürokratisierung des Bausektors" stand und von Thomas Tuma, Mitglied der Chefredaktion des Magazins "Focus", moderiert wurde, ging es jedoch nicht nur um aktuelle politische Entwicklungen. Auch die grundsätzliche Frage, wie sich die Bürokratie abbauen lässt, wurde diskutiert. Eingeladen war deshalb Prof. Dr. Nathalie Behnke. Die Inhaberin eines Lehrstuhls am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt hatte 2025 im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen die Studie "Kulturelle Ursachen der Überbürokratisierung" verfasst.
Bürokratie, hielt Behnke in der Runde fest, sei nicht nur negativ zu sehen. "Bürokratie bedeutet auch Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit", betonte sie. Die Herausforderung bestehe darin, die Balance mit der Eigenverantwortung zu finden. Momentan, so ihr Eindruck, dominiere Ängstlichkeit. "Die Bereitschaft, Spielräume auszunutzen, die die Rechtslage bietet, ist noch viel geringer, als ich erwartet hätte", sagte sie mit Blick auf die Verwaltung. Damit sprach sie die notwendige Änderung der Mentalität an: "Lasten werden nicht nur durch Gesetze verursacht, sondern auch dadurch, wie man diese Gesetze anwendet."
Zwar gebe es Mitarbeitende, die ihre Verantwortung wahrnähmen; viele nutzten ihren Ermessensspielraum jedoch nicht und verstünden sich ausschließlich als Vollzugsinstanz. "Wir alle, auch wir Bürgerinnen und Bürger, müssen wieder stärker bereit sein, gesunden Menschenverstand einzusetzen und Eigenverantwortung zu übernehmen", forderte die Politikwissenschaftlerin. Grundsätzlich seien die Regelungen in fast jedem Politikbereich "zu kleinteilig und zu kontrolllastig", führte Behnke weiter aus. "Wir leiden unter bürokratischen Lasten." Dies zu ändern sei ein schwieriger, mühsamer und langwieriger Prozess.
Wo bleibt die Revoluzzer-Mentalität?
Einen Einblick in diesen Prozess gab Dirk Lange, der als ehemaliger Unternehmer seit 2025 das Dezernat für Stadtentwicklung und Umwelt in Jena leitet. Ihn überraschte bei Aufnahme seiner Tätigkeit nach eigenen Worten, dass es in der Verwaltung keine klare Kenntnis der Zuständigkeiten und der Schnittstellen gibt. Die Stringenz, wie sie die Automobilindustrie auszeichne, fehle in der Verwaltung, stellte Lange fest. Bei älteren Mitarbeitern, die noch die Aufbauzeit der 1990er Jahre miterlebt hätten, nehme er eine Hands-on-Mentalität wahr, während er sich bei jüngeren Kollegen "manchmal eine Revoluzzer-Mentalität" wünschen würde. Dabei handle es sich allerdings auch um eine Führungsfrage, betonte er: "Wir müssen die Leute bestärken, Lösungen zu finden und nicht nur nach Problemen zu suchen."
Die ersten Monate seiner Tätigkeit, sagte der Jenaer Dezernent weiter, hätten ihm gezeigt, dass vieles in die richtige Richtung gehe. Durchschnittlich dauert die Aufstellung eines Bebauungsplans in Jena laut Lange zwei bis drei Jahre – ein Zeitraum, von dem Wohnungsunternehmen und Projektentwickler in Berlin nur träumen können. In manchen Berliner Bezirken brauche es für einen Bebauungsplan zehn Jahre und mehr, berichtete Sandra Wehrmann, zum Zeitpunkt des Gesprächs Vorständin der Berliner Degewo AG.
Zwar gebe es in Berlin "Bürokratie ohne Ende", bedauerte Wehrmann. Aber auch Fortschritte seien festzustellen. Als Beispiel nannte sie die Bauantragskonferenz, die das Berliner Schneller-Bauen-Gesetz für größere Bauvorhaben vorsieht und die frühzeitig alle betroffenen Fachbereiche einbezieht.
"Optimismus ist Pflicht"
Ein Plädoyer für Optimismus hielt Dr. Ernst Böhm von B&O, wobei er den Philosophen Karl Popper ("Optimismus ist Pflicht") zitierte. "Wir brauchen positive Erzählungen", forderte Böhm, der Mitglied der vom Bayerischen Landtag eingesetzten Enquete-Kommission zum Bürokratieabbau ist. Objektiv, so Böhm, sei die Ausgangslage in Deutschland gut: "Wir sind nicht in Aleppo oder Charkiw."
Ein Stichwort, das Prof. Dr. Nathalie Behnke aufnahm: Krisensituationen, wie sie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt habe, böten die Möglichkeit, Dinge neu zu gestalten. Heute arbeite man in einem "Dornengestrüpp des gewachsenen Regelbestandes, das praktisch kein Mensch mehr durchblickt." Das Problem sei, dass es viele widersprüchliche Regeln gebe, die am Ende verhindernd wirkten. Die Lösung sei aber nicht, jedes Schutzrecht (also etwa Umweltschutz, Denkmalschutz und Lärmschutz) über Bord zu werfen. "Was wir brauchen", so Behnke, "ist eine ehrliche politische Debatte über die Priorisierung von solchen Schutzrechten."
Dass diese Debatte auch eine internationale Dimension hat, machte Dr. Christian Ricken deutlich, der Vorstandsvorsitzende der Aareal Bank AG, die das Brandenburger-Hof-Gespräch auch bei dieser Auflage unterstützte. Er berichtete, dass die US-amerikanische Bankbranche derzeit eine Welle der Deregulierung (beispielsweise in Bezug auf die ESG-Berichterstattung) erlebe, was für Europa einen Wettbewerbsnachteil bedeute. Was die Aussichten auf einen Bürokratieabbau betrifft, zeigte Ricken sich pessimistisch: Es sei "extrem schwierig", die Entbürokratisierung voranzutreiben. "Die Politik", begründete er dies mit Blick auf den wachsenden Staatskonsum und die steigenden Gehälter der Beschäftigten im öffentlichen Dienst, "hat ein Interesse daran, dass ihre Apparate weiter aufgebläht werden, um ein Pseudowachstum ausweisen zu können."
Baukosten um 50 Prozent senken?
Auf die praktische Ebene ging Dr. Ernst Böhm ein, als er eine heftig kritisierte Aussage von Bundesbauministerin Verena Hubertz aufgriff. Diese hatte in einem Interview gesagt, die Baukosten ließen sich unter anderem durch serielle und modulare Bauweisen um 50 Prozent senken. Ja. das sei durchaus möglich, erklärte Böhm und nahm dabei die Bauwirtschaft in die Pflicht: Diese sei die einzige Branche, die 30 Jahre lang keinen Produktivitätsfortschritt gehabt habe. "Wir praktizieren immer noch Mittelalter" sagte Böhm. Da müsse man sich nicht wundern, wenn das Bauen teuer werde, wobei das Problem durch die niedrigen Zinsen lange kaschiert worden sei. Deshalb müsse die Gewerketrennung fallen. Erforderlich seien stattdessen Plattformen und serielle Planungsprozesse, wie sie bei Bädern im Hotelbau angewandt würden.
Dass das Einsparpotenzial wirklich so groß ist wie von Böhm behauptet, stellte Sandra Wehrmann in Frage. Die Baukosten seien in den letzten zehn Jahren um 100 Prozent gestiegen, weshalb sie nicht erkennen könne, wie eine so deutliche Reduktion möglich sei. Er beziehe sich nicht auf die reinen Baukosten, präzisierte daraufhin Böhm seine Äußerung: Auch durch eine Senkung der Grundstückspreise und der Umsatzsteuer ließen sich Kostenvorteile erzielen.
Hoffen auf den Bauturbo
Damit war der Weg nicht mehr weit zum Bauturbo. Trotz seines Namens führe dieser nicht dazu, dass schneller gebaut werde, gab GdW-Präsident Axel Gedaschko zu bedenken; deshalb sei er dafür, das Instrument Baulandturbo zu nennen. Dr. Ernst Böhm begründete seinen Namensvorschlag ("Baurechtsturbo") damit, dass das Gesetz nicht bewirken werde, dass überall mehr Bauland zur Verfügung stehen werde. Landeigentümer im Umland Münchens beispielsweise hätten kein Interesse daran, ihre Grundstücke zu Bauland zu machen. Warum? Böhm: "Die sind schon sehr reich."
Ein weiteres Problem führte Axel Gedaschko an: Ausgerechnet Kommunen, die eigentlich schnell Bauland zur Verfügung stellen sollten, hätten signalisiert, dass sie das Instrument nicht nutzen wollten. Sandra Wehrmann berichtete mit Blick auf Berlin, dass die Degewo prüfe, auf welche Grundstücke sich der Bauturbo anwenden lasse. Natürlich müssten trotzdem Punkte wie Nachbarschaftsrechte und Artenschutz beachtet werden. "Aber wir sind optimistisch, dass der Bauturbo uns helfen wird", sagte Wehrmann.
Grundsätzlich wurde Aareal-Vorstandschef Dr. Christian Ricken: "Mehr Marktwirtschaft wagen!", forderte er. Bauen müsse günstiger und damit renditestärker werden, um privates Kapital anzulocken. Würden Umsatzsteuer auf Bauleistungen und Grunderwerbsteuer gesenkt, so hätte der Staat am Ende höhere Steuereinnahmen, erklärte Ricken. Deutschland stecke zu viel Kapital in die Bewahrung von Strukturen, statt neue Unternehmen zu entwickeln. "Lassen Sie uns aufhören mit dem Bewahren dieser alten Strukturen!", forderte Ricken und sprach sich für die Mobilisierung von Kapital im Rahmen einer Modernisierungsoffensive aus.
Von Parkplätzen und DIN-Normen
GdW-Präsident Gedaschko wies darauf hin, dass neun Millionen Menschen in Deutschland in überbelegten Wohnungen lebten. Letztlich gehe es "um die Realisierung des Menschenrechts auf Wohnen", dem in den letzten Jahren immer weniger gerecht worden sei. Gedaschko forderte deshalb einen Abwägungsvorrang für das bezahlbare Wohnen in Gebieten mit Wohnraummangel (den der Koalitionsausschuss der Bundesregierung wenige Wochen später tatsächlich beschloss).
Allerdings wird der Bauturbo allein die Wohnraummisere nicht beheben, wie in der Diskussion deutlich wurde. Dr. Ernst Böhm wies auf die Möglichkeit hin, Parkplätze zu überbauen und über Discountern Wohnungen zu schaffen. Und Dirk Lange brachte die Reduktion von Standards in die Diskussion ein (das Eckpunktepapier zum Gebäudetyp E des Bundesjustiz- und des Bundesbauministeriums lag zum Zeitpunkt des Gesprächs noch nicht vor). Für die Abweichung von Standards brauche es auch Änderungen im Mietrecht, gab Axel Gedaschko zu bedenken. Es gebe GdW-Mitgliedsunternehmen, die von DIN-Normen abgewichen seien und sich dann mit Klagen von Mietern konfrontiert gesehen hätten.
Einmal mehr unerschütterlich optimistisch zeigte sich Dr. Ernst Böhm, dessen Unternehmen mit den Forschungshäusern in Bad Aibling einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung des Gebäudetyps E geleistet hat. Die Senkung von Standards und das einfache Bauen würden kommen, zeigte er sich überzeugt und verwies als Beleg unter anderem auf die Hamburger Initiative kostenreduziertes Bauen (Hamburg-Standard).
Ausblick ins Jahr 2026
Wie die Gesprächsteilnehmer auf das Jahr 2026 blickten, wollte Moderator Thomas Tuma zum Abschluss wissen. Dabei zeigte es sich, dass nach Ansicht mancher Diskutanten die Situation nicht so ausweglos ist, wie sie manchmal erscheint. Wir stünden gar nicht so schlecht da, wie immer gesagt werde, erklärte Prof. Dr. Nathalie Behnke. Sie sei jedenfalls zuversichtlich, dass sich die Rahmenbedingungen verbessern ließen. Und Dirk Lange aus Jena zitierte ein Sprichwort seiner Großmutter: "Am Ende wird alles gut. Und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende."
Das Brandenburger Hof Gespräch fand mit freundlicher Unterstützung der Aareal Bank statt. Dieser Beitrag ist eine Vorabveröffentlichung aus der Ausgabe 02/2026 der "DW Die Wohnungswirtschaft". Sichern Sie sich den vollen Zugang über den Shop. Das ganze Gespräch zum Nachhören finden Sie auch in unserem Podcast L'Immo |
Die Studie von Prof. Dr. Nathalie Behnke („Kulturelle Ursachen der Überbürokratisierung“) finden Sie hier.
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