Wohnungsbau: Auf dem Land zu viel, in den Städten zu wenig

In den Großstädten wird es immer enger, weil zu wenig Wohnraum gebaut wird – auf dem Land hingegen häufig zu viel. Dort droht Leerstand. Das geht aus einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) hervor. "Von bedarfsgerechtem Neubau kann keine Rede sein", heißt es da.

Die Wissenschaftler des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln gehen davon aus, dass allein in den sieben größten deutschen Städten (Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart) bis zum Jahr 2025 rund 58.100 Wohnungen jährlich neu gebaut werden müssen. Auch wenn immer mehr Deutsche mobil arbeiten und seltener pendeln, werde sich an der Orientierung an den Metropolen nichts ändern, heißt es in einer Studie, die das IW im Auftrag der Deutschen Reihenhaus AG erstellt hat.

Deutschlandweit müssen demnach bis 2025 jährlich 308.000 neue Wohnungen gebaut werden. "Die Ampel-Parteien planen mit 400.000 neuen Wohnungen – und schießen damit über das Ziel hinaus", meinen die Autoren.

Wohnungsbedarf: In den Ballungsräumen groß

Der IW-Studie zufolge sind Wohnungen vor allem in deutschen Städten ein knappes Gut. Zwar würden derzeit rund 306.000 neue Wohnungen gebaut, allerdings entstehe zu viel Wohnraum in Regionen, die künftig stagnieren oder sogar schrumpfen werden – dort drohe dann Leerstand. Großstädte bauen dagegen viel zu wenig.

In Berlin sind es zum Beispiel jedes Jahr 22.200 neue Wohnungen, die bis 2025 neu gebaut werden müssten, in Hamburg 10.500 und in München 7.800. In Köln, wo laut IW in den kommenden vier Jahren jeweils 5.700 Wohnungen fehlen, ist die Differenz zwischen Bedarf und fertiggestellten Neubauten bundesweit am größten: Nur 40 Prozent der benötigten Wohnungen wurden im untersuchten Zeitraum von 2016 bis 2020 gebaut. Noch schlechter schneiden in Deutschland nur Kiel (28 Prozent) und Erfurt (38 Prozent) ab. Unter den Top-7-Städten war der Wohnungsbau zwischen 2016 und 2020 in Hamburg am erfolgreichsten: Die Relation aus Fertigstellungen und Wohnungsbedarf erreichte hier einen Wert von 93 Prozent.

"Um den Wohnungsmangel zu beseitigen, muss in vielen Großstädten und in deren Umland deutlich mehr als bisher gebaut werden", sagt IW-Immobilienökonom Ralph Henger. Das betrifft laut Studie alle sieben Metropolen und 45 der insgesamt 71 kreisfreien Großstädte. In 22 der 71 kreisfreien Großstädte wird es in den nächsten fünf Jahren zudem einen höheren Wohnungsbedarf als bisher geben. Zu diesen Städten gehören auch Berlin, Hamburg und Frankfurt.

Leerstand und Verfall: Umbau statt Neubau auf dem Land

Gleichzeitig wird dem IW zufolge die Bevölkerung in 209 von 401 deutschen Kreisen in den kommenden Jahren schrumpfen. In jedem zweiten Kreis (202) entstehen derzeit mehr Wohnungen als nötig. In vielen ländlichen Regionen drohen massiver Leerstand und Verfall – vor allem in Sachsen-Anhalt und im Saarland. "Von bedarfsgerechtem Neubau kann keine Rede sein", sagt Henger. Sinnvoller wäre es, die Einzugsbereiche der Großstädte zu erweitern und mehr in die angrenzende Infrastruktur zu investieren. Auf dem Land müsse es dagegen das Ziel sein, mehr zu sanieren und zu erhalten und dafür deutlich weniger neu zu bauen.

In Regionen mit rückläufigem Bedarf raten die IW-Experten, das Hauptaugenmerk auf den Erhalt der Wohnungsbestände zu richten. Neubau in neu ausgewiesenen Standorten führe unter anderem zu sinkenden Siedlungsdichten, zum Verlust von Freiflächen und einer Zersiedlung der Landschaft, während in die zentralen Lagen der Städte und Dörfer zu wenig investiert werde, was die Chancen für lebendige Stadt- und Ortskerne mindere. "In den hiervon betroffenen Landesteilen muss weiterhin der Grundsatz 'Umbau vor Neubau' gelten", so die Studienautoren.

Die Unterschiede zwischen den Kreisen und Regionen sind groß, wie sich aus der Studie ergibt. Während in weiten Teilen Bayerns und Baden-Württembergs, in der Rhein-Main-Schiene sowie in Hamburg und Berlin mit Umland die Bautätigkeit hoch bleiben muss, reicht in vielen Kreisen die Fertigstellung von weniger als einer Wohnung pro 1.000 Einwohner. Die hohen Wohnungsbedarfe erklären sich laut IW vorrangig aus der demografischen Entwicklung. In 83 der 401 Kreise besteht nur Ersatzbedarf: Das betrifft vor allem Kreise in Ostdeutschland (51 von 81). Auffällig ist laut IW, dass alle sechs Kreise im Saarland und alle 14 Kreise in Sachsen-Anhalt keinen demografisch bedingten Wohnungsbedarf aufweisen.

IW: Doppelstrategie für Stadt und Land

Um die aktuellen Probleme des Wohnungsmarktes zu lösen, brauche es eine Doppelstrategie, fasst die Studie zusammen: Einerseits muss das Angebot in den angespannten Wohnungsmärkten etwa durch Nachverdichtung und Mobilisierung unbebauter baureifer Grundstücke ausgeweitet werden, anderseits müssten die weniger angespannten Märkte gefördert werden, damit die Stadt-Land-Disparitäten nicht zu groß würden. Letztlich gehe es darum, den Erhalt "gleichwertiger Lebensverhältnisse" zu sichern.

Hier muss laut IW der Ausbau verkehrstechnischer und digitaler Infrastruktur ganz oben auf der Liste stehen, um den Einzugsbereich der Großstädte zu erweitern, die Städte zu entlasten und möglichst vielen Kommunen Perspektiven zu geben und wirtschaftliche Entwicklungspotenziale zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu stärken.

Das IW-Wohnungsbedarfsmodell basiert auf mehreren Komponenten, die den Wohnungsbedarf auf Ebene der 401 kreisfreien Städte und Landkreise abbilden. Zentrale Komponente ist der demografiebedingte Bedarf. Der kalkuliert den Wohnflächenbedarf auf Basis der prognostizierten Veränderungen der Bevölkerung auf Kreisebene und des Wohnflächenkonsums unter Berücksichtigung der Leerstände. Die zweite Komponente ist der Ersatzbedarf. Der beschreibt den auch qualitativ genannten Bedarf an neuen Wohnungen für die zu erwartenden Wohnungsabgänge, die aus einem Abbruch, einer Umwidmung oder einer Zusammenlegung von mehreren Wohnungen resultieren.

IW-Gutachten 2021 "Wohnungsbedarfe" (PDF)


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Schlagworte zum Thema:  Leerstand, Wohnungswirtschaft