Digitaler Reifegrad: Immobilienunternehmen nur im Mittelfeld

In der Immobilienwirtschaft überschätzen vor allem Führungskräfte den digitalen Reifegrad ihres Unternehmens. Das ist ein zentrales Ergebnis einer Studie von IIWM und Drees & Sommer. Top-down gelingt die Transformation nicht. Was die Experten empfehlen.

In der Immobilienwirtschaft gibt es besonders auf Führungsebene eine Verzerrung zwischen der eigenen Einschätzung des digitalen Reifegrads und inwieweit digitale Anwendungen – vor allem im Bereich Datenmanagement, Datenanalyse oder Prozessautomatisierung – tatsächlich zum Einsatz kommen. Das zeigt die Studie "Transform to Succeed" des IIWM Instituts für Immobilienwirtschaft und -management der Technischen Hochschule (TU) Aschaffenburg und des Beratungshauses Drees & Sommer. Jüngere Fachkräfte halten ihr Unternehmen bei der Digitalisierung für deutlich weniger fortgeschritten, wie die Umfrage auch zeigt.

Digitalisierung: Gap zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit

Knapp zwei Drittel der 155 interviewten Fach- und Führungskräfte gaben an, dass im Unternehmen auf die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI), Internet der Dinge (IoT), Blockchain und Augmented Realitiy verzichtet wird.

Nur ein Viertel nutzt Verfahren wie Predictive Analytics. Business-Intelligence-Tools kommen bei einem Drittel der Immobilienunternehmen zur Anwendung. Bei 39 Prozent fehlen messbare Ziele für die digitale Transformation. Eine klar formulierte und kommunizierte Digitalstrategie ist der Hälfte der Studienteilnehmer unbekannt. Und für mehr als jedes zweite Unternehmen ist es außerdem unüblich, mit Proptechs zusammenzuarbeiten.

In einem starken Kontrast zu diesen Ergebnissen stehen die hohen Zustimmungswerte zu folgenden Aussagen: Knapp zwei Drittel (64 Prozent) sehen sich von der Unternehmenskultur zu lebenslangem Lernen ermutigt – und mehr als die Hälfte (55 Prozent) schätzt die optimale Unterstützung durch die IT-Infrastruktur. Die digitalen Fähigkeiten der Mitarbeiter stehen ebenfalls für etwa die Hälfte der Teilnehmer außer Frage.

"Unternehmen spüren einen starken digitalen Veränderungsdruck", beobachtet Dr. Chris Richter, als Associate Partner bei Drees & Sommer für den Bereich Digital Services verantwortlich. Wie weit die digitale Transformation aber faktisch vorangeschritten ist – insbesondere hinsichtlich der Effizienz- und Umsatzwachstumsziele – dafür soll ein digitales Reifegradmodell Anhaltspunkte liefern.

Digitaler Reifegrad: Immobilienunternehmen im Mittelfeld

Für die Studie haben Prof. Dr. Verena Rock, Studiengangsleiterin Digitales Immobilienmanagement an der TU Aschaffenburg, und ein ein Drees & Sommer-Projektteam gemeinsam ein digitales Reifegradmodell entwickelt und ausgewertet. Das Modell gibt anhand der drei Dimensionen Strategie, Digitalisierung und Transformation Aufschluss darüber, wie weit die digitale Transformation in den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens vorangeschritten ist.

Als Basis diente eine quantitative Umfrage: Die Teilnehmer verschiedener Altersklassen setzten sich jeweils zu einem Drittel aus Geschäftsführern, Team- und Bereichsleitern oder Fachexperten zusammen, wie die Studienautoren berichten. Kleine Unternehmen mit weniger als 50 Mitarbeitern waren mit einem Anteil von 35 Prozent am häufigsten vertreten.

Insgesamt erreicht die Branche ein Reifegrad-Scoring von 3,37 aus fünf möglichen Punkten. Die Kategorie Transformation weist dabei mit einem Score von 4,44 einen vergleichsweise hohen Wert auf, die Bereiche Strategie (3,0) und Digitalisierung (2,67) landen hingegen nur im Mittelfeld. Vor allem beim Datenmanagement und der Datenanalyse, aber auch bei der Entwicklung digitaler Innovationen und neuer Geschäftsmodelle zeigt das Scoring bei vielen Unternehmen Nachholbedarf auf.

Digital Leadership gegen den Generationenkonflikt

Ältere Mitarbeiter und Führungskräfte bescheinigen der Studie zufolge dem Unternehmen im Schnitt einen deutlich höheren Reifegrad als jüngere Mitarbeiter und Fachkräfte. Das lege nahe, dass Führungskräfte, die tendenziell auch älter seien, den Stand der Digitalisierung im Unternehmen überschätzten, meint Rock – möglicherweise im Glauben daran, dass Thema strategisch bereits gut aufgegriffen zu haben.

Gleichzeitig hinterfragen die Führungskräfte in den Interviews die eigene Rolle und geben mangelndes Digital Leadership, falsche Priorisierung im Management und fehlendes Commitment der Führungsetage als wichtigste Gründe für die stockende Digitalisierung an.

Rund ein Viertel der Befragten hält Mentalitäts- und Kulturfragen für ein Hindernis bei der erfolgreichen digitalen Transformation. Jeder Fünfte stellt eine generelle Widerstandshaltung gegenüber Veränderungen im Unternehmen fest. Aber auch organisatorische und strategische Hindernisse (18 Prozent) sowie technologische und prozessuale Barrieren (14 Prozent) stehen dem digitalen Wandel im Weg.

Damit die digitale Transformation gelingt, gilt es den Studienexperten zufolge vor allem, den Generationenkonflikt zu überwinden, die Veränderungsbereitschaft in der Belegschaft zu fördern und zu incentivieren und die mit Zweifel, Unwillen und Angst belegten Themen in den Griff zu bekommen.

Digitalstrategie: Basis für den Unternehmenserfolg

Für Richter sind Digitalisierungsstrategien die wesentliche Grundlage des Erfolgs: "Die dürfen nicht isoliert betrachtet werden, sondern als integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie." Richtig eingesetzt bilden die Bausteine einer solchen Strategie dem Experten zufolge die Grundlage auch für erfolgreiche ESG-Maßnahmen oder senken die Kosten in den eigenen Prozessen. "Langfristig gedacht bedeutet das mehr Wettbewerbsfähigkeit und damit eine wichtige Investition in die Zukunft eines Unternehmens."

Vor wahllosen Investitionen warnt Richter jedoch: "Der Grundsatz 'Viel hilft viel' ist bei der Digitalisierung kein guter Ratgeber. Hier gibt es keine allgemeingültige Blaupause. Was notwendig ist und für das eigene Geschäftsfeld Sinn macht, muss jedes Unternehmen im Blick auf Wachstums- und Effizienzziele analysieren."

Fazit der Analyse: Die Immobilienbranche braucht eine ausgewogene Mischung aus Führungsstärke und operativer Exzellenz, um die digitale Transformation erfolgreich zu bewältigen und sich für zukünftige Herausforderungen im Wettbewerb optimal aufzustellen.

Über das Reifegradmodell

Das Reifegradmodell wurde unter anderem auf Basis der "Integralen Landkarte" des imu Augsburg und auf dem Bitkom-Reifegradmodell "Digitale Geschäftsprozesse" iterativ entwickelt und für die Studie an die Besonderheiten der digitalen Transformation von Bau- und Immobilienunternehmen angepasst.

Bei der Ermittlung des Reifegrads konzentriert sich die Studie auf drei Dimensionen, die jeweils mehrere Faktoren umfassen. Im ersten Bereich geht es um den Schlüsselfaktor Strategie. Kernfragen sind beispielsweise, inwieweit ein Unternehmen klar formulierte und messbare Digitalisierungsziele hat, inwieweit es Raum für Innovationen und neue Geschäftsmodelle gibt und wie es um die Zusammenarbeit mit Ökosystem-Partnern bestellt ist. Im zweiten Bereich sollten die Befragten Angaben zum Stand der digitalen Transformation im Unternehmen machen. Dazu gehören etwa kulturelle Faktoren, Mitarbeiterkompetenzen und Change Management. Der dritte Schwerpunkt liegt auf der technischen Digitalisierung, also auf der technologischen Infrastruktur, der Datenanalyse und dem Datenmanagement sowie auf Prozessdigitalisierung und -automatisierung.


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