Nahversorgung in neuen Wohnvierteln: Die Mega-Trends

Wohnen, arbeiten, sich erholen, in Gemeinschaft leben – wer neue Wohnviertel plant, muss wissen, was die Leute wollen und brauchen. Dazu gehört auch eine bedürfnisgerechte Nahversorgung. Worauf müssen Quartiersentwickler künftig achten? Eine Studie hat die Mega-Trends identifiziert.

Die Bedürfnisse der Städter wandeln sich. Wo wollen sie wohnen? Und vor allem, wie wollen sie in wohnen? Die Ansprüche der Menschen an ihren Lebensraum sind gestiegen, ein Wohnquartier muss heute viele Möglichkeiten im Alltag bieten. Wohnen, arbeiten, sich bilden, am Verkehr teilnehmen, sich erholen, in Gemeinschaft leben, sich schnell, bequem und unkompliziert versorgen – "diese Bedürfnisse umfassend zu verstehen und bei der Planung neuer Wohngebiete von Anfang an zu berücksichtigen ist eine Kernaufgabe", erklärt Alexander Heinzmann, Geschäftsführer von BPD (Bouwfonds Immobilienentwicklung) Deutschland. Das betrifft Wohnentwickler ebenso wie etwa Logistiker und Verkehrsplaner.

Gemeinsam mit der BBE Handelsberatung hat die BPD eine Studie zur Zukunft der Nahversorgung in Wohnquartieren veröffentlicht, die Mega-Trends identifiziert, die in den kommenden zehn bis 15 Jahren die Nahversorgung für jung und alt prägen werden: Urbanisierung, eine wachsende Bevölkerung bei immer höherer Lebenserwartung ("Silver Society"), Digitalisierung und Automatisierung ("Konnektivität"), neue Arbeitswelten ("New Work"), Mobilität sowie Nachhaltigkeit ("Neo-Ökologie"). Analysiert wurden auch internationale Konzepte.

Mega-Trend #1: Urbanisierung

Seit Anfang des 21. Jahrhunderts leben den Studienautoren zufolge weltweit zum ersten Mal mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Bis 2050 werden es laut Prognosen der Vereinten Nationen knapp 70 Prozent sein. Daraus werden sich Ansprüche an Siedlungsräume ergeben: Neue Formen der Kommunikation und Mobilität erlauben eine räumliche Entkopplung von Wohn- und Arbeitsort. Die historische Rolle der Städte als Orte des Handels wird weiter gestärkt, Konsummuster diffundieren zwischen Stadt und Umland. Nahversorgungskonzepte müssen mehr auf lokale Bedürfnisse und Anforderungen zugeschnitten sein und führen zu einer stärkeren Differenzierung einzelner Quartiere.

Mega-Trend #2: Silver Society

Die Lebenserwartung und damit die Zahl älterer Menschen nimmt weltweit zu. Der Prozess der Überalterung zeigt sich besonders deutlich in Industriestaaten, darunter auch Deutschland. Die Menschen bleiben zudem länger gesund und aktiv. Für den Handel gilt es, mit entsprechenden Formaten darauf zu reagieren. Gerade für aktive Ruheständler kann Nahversorgung ein zentraler Bestandteil der Freizeitgestaltung sein. Das Einkaufserlebnis ist in diesem Fall wichtiger als die räumliche Entfernung zum Händler. Für Hochaltrige gilt es hingegen, eine barrierearme und niederschwellige Versorgung zu ermöglichen, die zugleich soziale Interaktionsmöglichkeiten bietet. Die Nahversorgung muss hier näher an die Wohnorte dieser Menschen heranrücken.

Mega-Trend #3: Konnektivität

Die digitale Vernetzung des Alltags nimmt zu: Kommunikation, Mobilität, Bildung, Arbeit, Versorgung und Sozialleben werden immer vernetzter. Interaktion wird einfacher, das bringt neue Lebensstile, Konsum- und Verhaltensmuster hervor. Offline- und Online-Welten verschmelzen. Für den Bereich der Nahversorgung bringt das neue Anforderungen an die digitale Transformation bestehender Geschäftsmodelle mit sich: von Serviceleistungen, über die Bezahlung bis hin zur Bestellung und Lieferung. Der Megatrend Konnektivität reicht weit über den reinen E-Commerce hinaus. Online-Lieferdienste, Online-Supermärkte oder Kochbox-Anbieter setzen erfolgreich auf den virtuellen Markt. Händler treten auf viele Arten mit dem Kunden in Kontakt, entkoppelt von räumlichen und zeitlichen Restriktionen (Öffnungszeiten) des stationären Handels.

Mega-Trend #4: New Work

Auch die Arbeitswelt macht einen strukturellen Wandel mit. Neue Technologien, Digitalisierung, Konnektivität, Automatisierung, Globalisierung und neue Formen der Mobilität beeinflussen die Art und Weise, wie wir arbeiten. Räumliche, zeitliche und organisatorische Konzepte der Arbeit werden hinterfragt. Bei New Work geht es um die Symbiose zwischen Berufs- und Privatleben. Das macht sich räumlich bemerkbar. Für die Standortwahl der stationären Nahversorgung hat das enorme Auswirkungen: Sie verlieren die Sicherheit, dass sich die Kunden werktags an Bürostandorten aufhalten und sich in ihrer Freizeit am Wohnort versorgen. In Zukunft wird sich die Nahversorgung räumlich und zeitlich flexibler gestalten müssen.

Mega-Trend #5: Mobilität

Entwicklungen wie das autonome Fahren, Sharing-Konzepte, Elektromobilität und der Mega-Trend Konnektivität ebnen den Weg in ein nachhaltiges und multimobiles Zeitalter. Hierdurch ergeben sich auch für die Nahversorgung neue Möglichkeiten. Mobilitäts-Hubs werden stärker frequentiert, das Einkaufen als Teil einer Wegekette wird häufiger praktiziert, oder am Bahnhof einkaufen und nach Hause liefern lassen – schnell, einfach und bequem. Der Mobilitätswandel wirkt sich auch auf die Abwicklung der Logistik aus, vor allem auf der sensiblen letzten Meile. Schon heute kommen in vielen Städten Lastenfahrräder und Elektrofahrzeuge zum Einsatz. Zukünftig erscheint auch der Einsatz von Drohnen oder autonomen Lieferfahrzeugen denkbar. Kaufen die Kunden im stationären Handel ein, erwarten sie E-Ladestationen und Parkplätze für Lastenfahrräder. Hier liegen die Herausforderungen auch für künftige Handelsimmobilien.

Mega-Trend #6: Neo-Ökologie

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein entwickeln sich vom individuellen Lifestyle hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Bewegung. Die Neo-Ökologie wirkt sich auch auf das Konsumverhalten aus. Diese Entwicklung stellt die Nahversorgung vor große Herausforderungen: Der Wunsch nach nachhaltigem Konsumieren geht einher mit neuen Anforderungen an die Transparenz von Hersteller und Händlern, was Herkunft und Qualität der Produkte betrifft. Der Aufbau einer vertrauensvollen, persönlichen Kundenbeziehung wird zum zentralen Erfolgsfaktor. Auf Ebene von Immobilien rücken Green-Buildings sowie eine nachhaltige und umweltfreundliche Nutzung der Ladenräume (Raumnutzung, Kühlregale etc.) in den Vordergrund. Auch logistische Prozesse müssen neu gedacht werden, von der Wahl der Verkehrsträger bis zur Verpackung der Produkte.

Berücksichtigt wurden in der Studie "Zukunftsszenarien für die Nahversorgung in neuen Wohngebieten" die Bedürfnisse junger Berufseinsteiger gegenüber denen von jungen Familien oder aktiven Ruheständlern, wodurch die Nahversorgungspräferenzen stark abweichen können. Darauf bereits bei der Planung neuer Wohngebiete und der Nahversorgungskonzepte der Zukunft einzugehen, wird von BPD und der BBE Handelsberatung als maßgeblich betrachtet.


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