Der Fall: Arbeitnehmerin stürzt vor dem Schichtbeginn auf dem Weg zum Hörgeräteakustiker
Die als Fahrdienstleiterin für die Deutsche Bahn tätige Klägerin litt unter Einschränkungen ihres Hörvermögens. Daher hatte sie mit ihrer Arbeitgeberin vereinbart, bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte zu tragen und hierfür vorsorglich auch immer Ersatzbatterien mitzuführen. Im August 2019 fielen ihre Hörgeräte während der Spätschicht unerwartet aus, sie musste die Batterien wechseln. Daher machte sie sich am Vormittag des folgenden Tages auf den Weg zum Geschäft ihres Hörgeräteakustikers, um neue Ersatzbatterien zu besorgen. Im unmittelbaren Anschluss wollte sie erneut ihre Spätschicht im Stellwerk antreten.
Am Bordstein vor dem Geschäft geriet sie ins Straucheln, stürzte und zog sich einen Bruch am Kopf des Oberarmknochens zu. Die Unfallkasse erkannte den Unfall nicht als Arbeitsunfall an. Auf die Klage der Frau entschied das SG Potsdam, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung auch auf dem Weg bestehe, den sie zurücklege, um Ersatzbatterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Dagegen legte die Unfallkasse Berufung ein.
LSG: Die Hörgeräte sind keine Arbeitsgeräte
Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 10.02.2022, Az. L 3 U 148/20). Persönliche Gegenstände wie Hörgeräte oder Brillen gehörten danach grundsätzlich nicht zu den Arbeitsgeräten, deren (Ersatz-)Beschaffung versichert sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sie nicht nahezu ausschließlich beruflich genutzt würden. Hier hätten die beigezogenen ärztlichen Unterlagen sowie die eigenen Angaben der Frau ergeben, dass sie zum Unfallzeitpunkt auch privat auf die Benutzung der Hörgeräte angewiesen gewesen sei.
Der Unfallversicherungsschutz ließe sich auch nicht aus der mit der Arbeitgeberin getroffenen Nebenabrede herleiten, wonach die Frau bei ihrer Arbeit stets Hörgeräte tragen und Ersatzbatterien mitführen müsse. Durch Nebenpflichten könne der Arbeitgeber den Unfallversicherungsschutz nicht beliebig in den eigentlich privaten Bereich ausdehnen. Es obliege jedem Arbeitnehmer, funktionsfähig zum Dienst zu erscheinen und persönliche Einschränkungen von sich aus soweit wie möglich zu kompensieren (z.B. durch eine Sehhilfe oder ein Hörgerät). Werde diese Verpflichtung arbeitsvertraglich noch einmal ausdrücklich festgehalten, so führe dies nicht dazu, dass Unfälle, die im Zusammenhang mit der Beachtung dieser Verpflichtung eintreten, unter den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz fielen.
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung sei nur dann auf betrieblich veranlasste Vorbereitungshandlungen auszuweiten, wenn diese in einem besonders engen sachlichen, örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Arbeitstätigkeit selbst stünden. Dieser besonders enge Zusammenhang sei hier nicht gegeben. Um ihre Arbeitsfähigkeit zu erhalten, sei die Frau nicht darauf angewiesen gewesen, plötzlich und ohne weiteren Verzug Batterien für ihre Hörgeräte zu besorgen. Vielmehr habe es sich bei dem Kauf der Batterien um die turnusmäßig wiederkehrende Instandhaltung eines Hilfsmittels gehandelt. Hierfür habe sie zeitlich flexibel in ihrer Freizeit tätig werden können und hätte auch vorausschauend einen Vorrat anlegen können.
Die Revision zum BSG wurde zugelassen.
Wichtig für die Praxis
Die Entscheidung macht deutlich, dass vorliegend eine Beschäftigte aufgrund der Tatsache, dass sie zum Tragen des Hörgerätes am Arbeitsplatz vom Arbeitgeber ausdrücklich verpflichtet wurde, bestimmte damit im Zusammenhang stehende Tätigkeiten von ihr praktisch „als Arbeit“ angesehen wurden und sie sich durch die Unfallversicherung geschützt fühlte. Dass das nicht der Fall ist, musste sie nun schmerzlich erfahren, wobei anzunehmen ist, dass ggfs. auch das BSG nicht anders entscheiden wird. Auch in diesem Fall wäre eine kurze Klarstellung in der getroffenen Nebenabrede sicher nicht schädlich gewesen.