Rz. 4

Rechtsnormen und damit Gesetz i. S. d. AO und der Einzelsteuergesetze sind zunächst als geschriebene Rechtsnormen:

  • das GG,
  • völkerrechtliche Normen,
  • das EU-Recht,
  • die Steuergesetze und andere Gesetze im formellen Sinn des Bundes und der Länder,
  • die Rechtsverordnungen von Bund und Ländern,
  • die Landesverfassungen,
  • die autonomen Satzungen.

Daneben sind ungeschriebene Rechtsnormen:

  • das Gewohnheitsrecht (Rz. 26 ff.),
  • die allgemeinen Grundsätze des Steuerrechts (Rz. 29 ff.).
  • Keine Rechtsnormen i. S. d. § 4 AO sind, obgleich für die steuerliche Praxis von großer Bedeutung: die Verwaltungsvorschriften (dazu Rz. 108ff.).
  • Auch das Richterrecht ist keine Rechtsnorm i. S. d. § 4 AO.

2.1 Grundgesetz

 

Rz. 5

Das GG hat als Verfassung den obersten Rang unter den innerstaatlichen Rechtsnormen und Rechtsquellen. Die Steuergesetze und ihr Vollzug müssen wegen des Vorrangs der Verfassung[1] den Vorgaben des GG hinsichtlich der Steuergesetzgebungskompetenz[2], der Steuerertragshoheit[3] und der Steuerverwaltungshoheit[4] entsprechen.

 

Rz. 6

Bindungen ergeben sich ferner aus dem Rechtsstaatsprinzip[5] sowie insbesondere aus den Grundrechten. Größte Bedeutung kommt dem Gleichheitssatz[6] zu, der den Gesetzgeber zur Gleichmäßigkeit der Besteuerung verpflichtet.[7] Bindungen ergeben sich ferner aus den Freiheitsrechten, insbesondere aus dem Schutz von Ehe und Familie[8], der Berufsfreiheit[9] und der Eigentumsgarantie.[10]

2.2 Völkerrechtliche Normen

 

Rz. 7

Sie erzeugen nur dann unmittelbare Rechte und Pflichten für Bewohner des Bundesgebiets, wenn sie als allgemeine Regeln des Völkerrechts gemäß Art. 25 S. 1 GG Bestandteile des Bundesrechts sind. Diese allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehen den (einfachen) Gesetzen vor; sie stehen aber im Rang unterhalb der Verfassung.

 

Rz. 8

Das auf bilateralen oder multilateralen Vereinbarungen beruhende Völkervertragsrecht[1] erlangt erst durch Umwandlung in innerstaatliches Recht unmittelbare Rechtswirkung. Auf dem Gebiet des Steuerrechts betrifft dies insbesondere die von der Bundesrepublik mit anderen Staaten geschlossenen DBA und die Vereinbarungen über die Behandlung von Diplomaten. Der Inhalt solcher Verträge erlangt erst durch ein Transformationsgesetz gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG den Rang einfachen Bundesrechts.

[1] Z. B. EMRK; dazu z. B. Stelkens, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl 2018, EuR Rz. 16 ff.

2.3 Unionsrecht

 

Rz. 9

Rechtsnorm i. S. d. § 4 AO ist auch das EU-Recht. Diesem kommt ein Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht zu, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Bundes-, Landes- oder gemeindliches Satzungsrecht handelt.[1] Grundsätzlich gilt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor nationalem Recht aufgrund Art. 23 Abs. 1 GG auch für entgegenstehendes deutsches Verfassungsrecht und führt bei einer Kollision im konkreten Fall in aller Regel zu dessen Unanwendbarkeit.[2]

 

Rz. 10

Wie das deutsche Recht weist auch das Unionsrecht eine Normhierarchie auf. Zum primären Unionsrecht gehören das Vertragsrecht (insbesondere EUV, AEUV, EAGV und GRCh) sowie das ungeschriebene primäre Unionsrecht.[3] Sekundäres Unionsrecht sind insbesondere die von den Organen der EU erlassenen Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse.

 

Rz. 11

Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV haben Verordnungen allgemeine und unmittelbare Geltung in jedem Mitgliedstaat. Auf dem Gebiet des Steuerrechts ist vor allem die MwSt-ZVO und VerbrauchSt-ZVO von Bedeutung. Im Bereich des Steuerrechts der Zölle und anderen Eingangsabgaben ist mit dem UZK eine Vollharmonisierung erreicht.

 

Rz. 12

Richtlinien (z. B. die MwStSystRL) verpflichten dagegen gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV die Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sind. Sie lassen jedoch den innerstaatlichen Stellen und damit vor allem dem nationalen Gesetzgeber die Wahl der Form und der Mittel. Deswegen bedarf es auch für die Anwendbarkeit der Richtlinien-Regelungen grundsätzlich einer gesetzlichen Transformierung. Allerdings hat der EuGH einzelnen Richtlinien-Regelungen unter besonderen Voraussetzungen unmittelbare Wirkungen für und – in selteneren Fällen – auch gegen den Einzelnen zugemessen.[4] Beschlüsse sind nach Art. 288 Abs. 4 AEUV in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnen.

[1] Schaumburg, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4 Rz. 18 ff.
[2] Zu Grund und Grenzen zuletzt BVerfG v. 15.12.2015, 2 BvR 2735/14, EuGRZ 2016, 33; eingehend zur Rechtsentwicklung Wernsmann, in HHSp AO/FGO, § 4 AO Rz. 100ff.
[3] Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts; Schaumburg, in Schaumburg/Englisch, Europäisches Steuerrecht, 2. Aufl. 2020, Kap. 4 Rz. 6ff.; Wernsmann, in HHSp, AO/FGO, § 4 AO Rz. 105 ff.

2.4 Gesetz im formellen Sinn

 

Rz. 13

Gesetze im formellen Sinn sind die wichtigsten Rechtsquellen...

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