Entscheidungsstichwort (Thema)

Im Regelfall kein Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Merkmale einer Abmahnung. Erhebliche Zweifel an der Anwendung der DSGVO auf in Papierform geführte Personalakten

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hat ein Arbeitnehmer regelmäßig keinen Anspruch mehr auf Entfernung selbst einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Ein solcher Anspruch kann nur ausnahmsweise gegeben sein, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, eine Abmahnung könne dem Arbeitnehmer auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden.

2. Mit einer Abmahnung weist der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge und Dokumentationsfunktion). Zum anderen fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragsgetreuen Verhalten auf und kündigt, sofern ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion).

3. Da in Art. 2 Abs. 1 und Art. 4 Nr. 6 DSGVO der Begriff der Dateisysteme zugrunde gelegt wird, bestehen für den Anwendungsbereich der noch traditionell in Papierform geführten Personalakten erhebliche Zweifel, ob oder wieweit diese vom Regelungsbereich der DSGVO und des BDSG erfasst werden.

 

Normenkette

BGB § 314 Abs. 2, §§ 242, 1004; VO (EU) 2016/679 Art. 17 Abs. 1; DSGVO Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 6, Art. 17 Abs. 3

 

Verfahrensgang

ArbG Chemnitz (Entscheidung vom 20.01.2021; Aktenzeichen 9 Ca 1192/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 20.01.2021 – 9 Ca 1192/20 – wird auf deren Kosten

z u r ü c k g e w i e s e n .

2. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten zweitinstanzlich weiterhin über die Entfernung von zwei Abmahnungen aus der Personalakte der Klägerin nach zwischenzeitlich beendetem Arbeitsverhältnis. Die Klägerin begehrt ferner Schadensersatz vom der Beklagten wegen behaupteter Persönlichkeitsverletzung.

Mit Arbeitsvertrag vom 01.04.2008 wurde die Klägerin bei der Beklagten als Sachbearbeiterin im Sekretariatsbereich eingestellt. Es ergibt eine Stellenbeschreibung vom 03.06.2016. Die Stellenbeschreibung der Klägerin hat unter anderem folgende Inhalte:

1. Gewährleistung eines reibungslosen Informationsflusses baustellenbezogener (relevanter) geschäftlicher und projektbezogener Daten und Fakten

2. …

3. Öffnen und Verteilen der Eingangspost

4. Erledigen der Korrespondenz der Projektleitung nach Diktat und eigenständig

5. Verwaltung der Registratur des Schriftgutes

6. …

Die Klägerin hat ein Zwischenzeugnis vom 04.06.2019 zur Akte gereicht.

Der Lebensgefährte der Klägerin arbeitete ursprünglich als Prokurist mit Einzelprokura in der Firma der Beklagten. Am …2019 wurde sein Arbeitsverhältnis durch die Beklagte beendet. Im Zusammenhang mit dieser Beendigung wurde ein weiterer Gesprächstermin mit dem Lebensgefährten der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten für den 10.09.2019 festgesetzt. Am 04.09.2009 führte der Geschäftsführer der Beklagten ein Personalgespräch mit der Klägerin. Er versicherte ihr, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihres Lebensgefährten keine Auswirkungen auf ihrer Beschäftigung haben soll.

Am 05.09.2019 gab es ein Gespräch zwischen der Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten und der Klägerin. Dabei brachte die Klägerin zum Ausdruck, dass sie die Hoffnung hege, die Kündigung ihres Lebensgefährten könne bei dem für den 10.09.2019 angesetzten Gesprächstermin rückgängig gemacht werden. Bei dem Gesprächstermin am 10.09.2019 wurde die Kündigung des Lebensgefährten der Klägerin nicht rückgängig gemacht. Seitens der Beklagten wurde hierzu keinerlei Veranlassung gesehen.

Der Postausgang des E-Mail Accounts der Klägerin war auf ihrem Computer bis einschließlich 10.09.2019 vollständig gelöscht. Aus Sicherheitsgründen wurde vom Systemadministrator für alle Mitarbeiter neue Passwörter vergeben. Wegen dieses Sachverhalts wurde gegenüber der Klägerin die Abmahnung vom 07.10.2019 ausgesprochen. Ebenfalls am 10.09.2019 hatte die Klägerin ihre persönlichen Sachen aus dem Rollcontainer ihres Schreibtisches geräumt und mitgenommen. Ab dem 11.09.2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Der Geschäftsführer der Beklagten hatte sich daraufhin entschieden, der Klägerin den Zugang zu ihrem Arbeitsplatz nur während der üblichen Arbeitszeiten zu gewähren. Dies wurde der Klägerin in einem Personalgespräch am 30.09.2019 mitgeteilt.

Aufgrund des neuen Passwortes hatte die Klägerin zunächst keinen Zugang zu ihrem Computer. Der Klägerin wurde ein neues Passwort zugeteilt. Dieses Passwort hat sie offen über der Tastatur Ihres Computers liegen lassen. Hierfür erhielt die Klägerin die Abmahnung vom 17.12.2019.

Vom 11.09.2019 bis zum 29.09.2019 war die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.Vom 13.10. 2019 bis zum 20.10.2019 befand sich die Klägerin im Urlaub. Vom...

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