Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergabe einer Kündigung in Kopie statt im Original

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Kündigungserklärung nach § 623 BGB muß nicht nur in der vorgeschriebenen Form „erstellt”, sondern im allgemeinen auch in dieser Form „zugegangen” sein. Es reicht deshalb nicht aus, daß das Schriftstück dem Adressaten nur zum Durchlesen überlassen wird. Die bloße (Möglichkeit der) Kenntnisnahme des Inhalts genügt nicht, vielmehr muß der Adressat die (alleinige) Verfügungsgewalt über das Schriftstück erlangt haben.

2. Für die gewillkürte Schriftform im Sinne des § 127 BGB ist anerkannt, daß diese unter besonderen Umständen auch durch Aushändigung einer unbeglaubigten Fotokopie der ordnungsgemäß unterzeichneten Originalurkunde gewahrt werden kann, wenn dem Empfänger in Anwesenheit des Erklärenden (oder dessen Vertreters) eine Fotokopie der Erklärung übergeben wird und eine sofortige Einsicht in das unterschriebene Original möglich ist (BAG v. 20.08.1998 – 2 AZR 603/97, AP Nr. 5 zu § 127 BGB).

3. Diese Grundsätze lassen sich auf den Fall der gesetzlichen Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB übertragen, wenn dem Arbeitnehmer versehentlich das Original des Kündigungsschreibens zur Empfangsbestätigung vorgelegt und ihm nach Unterzeichnung eine Fotokopie zum Verbleib ausgehändigt wird. Der Arbeitnehmer kann sich in einem solchen Fall sofort an Ort und Stelle davon überzeugen, daß die Fotokopie mit dem Original übereinstimmt. Die Übergabe der Fotokopie steht bei einer solchen Fallgestaltung, was den Schutz des Empfängers anbelangt, dem Original gleich.

4. Der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, der nach heutigem Verständnis zusammen mit dem Vergütungsanspruch eine Einheit bildet und in der Bündelung dieser Berechtigungen den Hauptanspruch des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne des § 611 BGB ausmacht (LAG Hamm v. 05.05.1983 – 8 Sa 255/83, EzA § 102 BetrVG 1972 Nr. 52), kann – wenn die Wirksamkeit der Kündigung festgestellt wird – nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden.

 

Normenkette

BGB §§ 126-127, 130, 611, 623

 

Verfahrensgang

ArbG Paderborn (Urteil vom 10.04.2003; Aktenzeichen 4 Ca 1651/02)

 

Nachgehend

BAG (Urteil vom 04.11.2004; Aktenzeichen 2 AZR 17/04)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 10.04.2003 – 1 Ca 1651/02 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 16.200,00 EUR festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen sowie den Anspruch des Klägers auf Weiterbeschäftigung.

Der Beklagte ist der durch Beschluß des Amtsgerichts Paderborn vom 01.07.2002 (2 IN 225/02) über das Vermögen der Firma W… M… GmbH bestellte Insolvenzverwalter. Die Insolvenzschuldnerin hatte Produktionswerke in D…, P…, A… und W…. Im Werk W… war der am 04.08.1967 geborene, ledige Kläger, der einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, als Holzmechaniker zu einem monatlichen Bruttolohn von zuletzt 2.700,00 EUR beschäftigt.

Am 15.08.2002 schloß der Beklagte mit den vier „Standortbetriebsräten” und dem bei der Insolvenzschuldnerin gebildeten Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich, in dem u.a. die Schließung des Werkes W… vorsah. Nach Abschluß des Interessenausgleichsverfahrens unterzeichnete der Beklagte am 28.08.2002 die Kündigungsschreiben für 166 Arbeitnehmer. Diesen wurden die Kündigungsschreiben vom Betriebsratsvorsitzenden F… und vom Betriebsleiter H… am 29.08.2002 übergeben. Bei der Übergabe hatten die beiden Handelnden einen Stapel mit Originalkündigungsschreiben und einen Stapel mit Kopien. Bei 138 Arbeitnehmern wurde der handschriftliche Vermerk

Empfangsbestätigung:

29. Aug. 2002

auf die Kopie des Kündigungsschreibens gesetzt und sodann von dem einzelnen Arbeitnehmer, dem Betriebsratsvorsitzenden F… und dem Betriebsleiter H… unterzeichnet. Danach wurde das Originalkündigungsschreiben dem Arbeitnehmer ausgehändigt. In 28 Fällen, zu denen auch der Kläger gehörte, steht der handschriftliche Vermerk

Empfangsbestätigung:

29. Aug. 2002

nicht auf der Kopie, sondern auf dem Originalkündigungsschreiben. Der Kläger hat seine Unterschrift auf dem Originalkündigungsschreiben unter der des Betriebsratsvorsitzenden F… gesetzt, unter ihm hat der Betriebsleiter H… unterschrieben. Dem Kläger wurde sodann die Kopie des Kündigungsschreibens ausgehändigt.

Gegen die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der Drei-Monats-Frist des § 113 InsO zum 30.11.2002 hat sich der Kläger mit Klageschrift vom 05.09.2002, bei dem Arbeitsgericht am 17.09.2002 eingegangen, zur Wehr gesetzt. Gleichzeitig hat er einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung geltend gemacht. In seinem Schriftsatz vom 15.10.2002, welcher dem Beklagten im Gütetermin vom gleichen Tage übergeben worden ist, hat der Kläger erstmals den ordnungsgemäßen Zugang des Kündigungsschreibens wie folgt in Abrede stellen lassen:

Hinsichtlich der Kündigung bestreiten wir bereits deren ordnungsgemäßen Zugang. Die Origin...

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