Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Irrtum über Pflichtveranlagungsvoraussetzungen

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der zweijährigen Frist für die Antragsveranlagung kann nicht gewährt werden, wenn der Steuerpflichtige einerseits irrtümlich angenommen hat, er unterliege der Pflichtveranlagung, andererseits aber die hieraus folgende Steuererklärungspflicht bewusst verletzt hat (Putativverschulden).
  2. Ein Rechtsirrtum über die materiellrechtliche Geltung der Antragsfrist des § 46 Abs. 2 Nr. 8 Satz 2 EStG rechtfertigt jedenfalls dann keine Wiedereinsetzung, wenn der Steuerpflichtige es in der Konsequenz seiner irrigen Auffassung zum Vorliegen der Pflichtveranlagungsvoraussetzungen bewusst unterlassen hat, die Rechtslage zu prüfen.
  3. Wiedereinsetzung wegen Arbeitsüberlastung kommt nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige seinen steuerlichen Obliegenheiten eine grundsätzlich nachrangige Priorität gegenüber seinen beruflichen Belangen zuweist.
 

Normenkette

EStG § 46 Abs. 2; AO §§ 110, 149 Abs. 2

 

Streitjahr(e)

1996, 1997

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 21.09.2006; Aktenzeichen VI R 47/05)

 

Tatbestand

Die Kläger sind Eheleute, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Ehemann, der Kläger, war in den Streitjahren 1996/1997 Sparkassendirektor, die Ehefrau Hausfrau.

Die Kläger reichten am 20.3.2000 beim Beklagten die Einkommensteuererklärungen für 1996 und 1997 ein. Darin waren Bruttoarbeitslöhne des Klägers von jeweils über 300.000,-- DM und Verluste aus Land- und Forstwirtschaft von ./. 21.506,-- DM (1996) und ./. 28.593,-- DM (1997) sowie Einnahmen aus Kapitalvermögen unterhalb des Sparerfreibetrags erklärt. Später - im Einspruchsverfahren – erklärte der Kläger zusätzlich sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) aus der Vermietung eines PKW's an einen Herrn CA, woraus sich laut der -seitens des Beklagten nach Grund und Höhe nicht akzeptierten - Berechnung des Klägers Einkünfte von 1.842,20 DM (1996) und 963,60 DM (1997) ergaben. Die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft basierten auf Feststellungsbescheiden vom 17.7.1998 (für 1996) und vom 11.6.1999 (für 1997).

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22.5.2000 die Durchführung der Einkommensteuerveranlagungen ab und begründete dies unter anderem damit, daß der Kläger zwar zu dem Personenkreis des § 10 c Abs. 3 EStG gehöre, die Lohnsteuer in den genannten Jahren aber nicht nach der allgemeinen, sondern nach der besonderten Lohnsteuertabelle erhoben worden sei.

Der Einspruch der Kläger gegen die Ablehnung der Veranlagungen blieb erfolglos. Der Beklagte führte in der Einspruchsentscheidung vom 11.4.2001 und in seinen vorausgegangenen Schreiben u.a. folgendes aus:

Auch unter Berücksichtigung der behaupteten Einnahmen aus der Vermietung eines Kraftfahrzeugs seien neben den einem Lohnsteuerabzug unterliegenden Arbeitseinkünften keine anderen Einkünfte von saldiert mehr als 800,-- DM (Veranlagungsfall des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG) erzielt worden, so daß mangels anderer Pflichtveranlagungsumstände eine Veranlagung für 1996 und 1997 nur nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG, d.h. aufgrund eines fristgerechten Antrags, durchgeführt werden dürfe. Da aber dieser Antrag nicht bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden jeweiligen zweiten Kalenderjahres gestellt worden sei (für 1996 also bis zum 31.12.1998 und für 1997 bis zum 31.12.1999), komme eine Veranlagung nicht in Betracht. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abgabenordnung –AO-) wegen Versäumung der zweijährigen Antragsfrist könne nicht gewährt werden, weil die Verspätung verschuldet sei. Die behauptete Unkenntnis des Klägers hinsichtlich der Notwendigkeit eines Veranlagungsantrags rechtfertige keine Wiedereinsetzung. Der Hinweis des Klägers auf das komplizierte Steuerrecht, das er nicht zu durchschauen vermöge, ändere daran nichts, denn der Kläger sei als Vorstandsmitglied einer der größten Sparkassen in den neuen Bundesländern mit einem Bildungsniveau und mit Kenntnissen im täglichen und außerordentlichen Geschäftsverkehr ausgestattet, die über den Stand des einfachen Bürgers lägen. In den Anleitungen zu den Einkommensteuererklärungsvordrucken sowie im „Kleinen Ratgeber für Lohnsteuerzahler” seien außerdem entsprechende Hinweise enthalten. Weder die berufliche Belastung des Klägers noch seine Krankheit, die ihn nach eigenen Angaben vom 9.8. bis 18.8.1999 und vom 23.8. bis 3.9.1999 zur stationären Behandlung im Krankenhaus gezwungen habe, entschuldige, daß er in der übrigen Zeit seine Steuererklärungen nicht ordnungsgemäß erledigt und die Antragsfristen gewahrt habe. Ihm habe auch zugemutet werden können, einen Steuerberater zu beauftragen. Zudem habe seine Ehefrau, die Klägerin, gleichfalls die Steuererklärungen anfertigen und abgeben müssen, ohne daß insoweit Hinderungsgründe angegeben worden seien. Nicht die Arbeitsüberlastung und die Erkrankung des Klägers, sondern das Hinausschieben der Steuererklär...

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