Wiedereinsetzung bei Fehl-Adressierung einer E-Mail durch einen Boten

Vor dem FG Hamburg wurde folgender Fall verhandelt: Die Familienkasse hat die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Mutter – der späteren Klägerin – für den Sohn (S) am 2.6.2021 aufgehoben und den überzahlten Betrag von 7.434 EUR zurückgefordert. Am 20.7.2021 ging ein Einspruch der Mutter per E-Mail bei der Familienkasse ein. Dieses E-Mail war von dem jüngeren Sohn der Mutter abgesandt worden. Hierin heißt es: "Wiederholt hatte ich versucht, sie per E-Mail zu kontaktieren und die Immatrikulationsbescheinigung fristgerecht zu senden. Hiermit sende ich Ihnen die Unterlagen und noch einen Screenshot der E-Mail vom 2.7.2021, die ich fristgerecht mit den Unterlagen gesendet hatte und lege wiederholt Einspruch auf die Forderung ein."
Einspruch per E-Mail
Der Screenshot mit dem Betreff "Einspruch auf die Rechnung vom 2.6.2021" hatte folgenden Inhalt: "Hiermit reiche ich ihnen einen Einspruch ein zu der Rechnung von 7.434 EUR. Die Begründung für den Einspruch ist, dass ich (Sohn S) keine Exmatrikulation bekommen habe, sondern weiter studiere an derselben Uni. Anbei sende ich meine gesamten Immatrikulationsbescheinigungen. Mit freundlichen Grüßen, S".
Nach Anhörung zum Grund des Fristversäumnisses erläuterte die Mutter, sie sei zunächst davon ausgegangen, dass die E-Mail vom 2.7.2021 angekommen sei. Auf zeitnahe telefonische Nachfrage habe sie erfahren, dass dies nicht der Fall gewesen sei. Sie habe eine Woche warten müssen, da die Wartezeit, bis eine E-Mail bei der Familienkasse ankomme, eine Woche betragen könne. Man habe ihr empfohlen, die E-Mail einfach durch Weiterleiten erneut an die Familienkasse zu senden.
Tippfehler in der E-Mail-Adressierung
Nach einer erneuten Wartezeit von einer Woche habe sich bei einem weiteren Telefonat herausgestellt, dass die E-Mail wieder nicht angekommen sei. Erst daraufhin sei ein Tippfehler in der E-Mail-Adressierung aufgefallen. Die Familienkasse verwarf den Einspruch als unzulässig. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren. Die Mutter habe sich eine Versäumnis des beauftragten S zurechnen zu lassen. Es liege im Verantwortungsbereich der Mutter, die E-Mail ohne Schreibfehler in der Adressierung an die Familienkasse zu versenden. Das Risiko einer fehlgeschlagenen Übermittlung trage der Absender.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Das FG hat entschieden, dass die Mutter einen Anspruch auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung hat, denn die Familienkasse habe den Einspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen. Nach § 110 Abs. 1 AO sei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Das Verschulden eines Vertreters sei dem Vertretenen zuzurechnen.
Vertreter könne neben dem gesetzlichen Vertreter auch ein gewillkürter Vertreter (§ 80 AO) sein. Erforderlich sei aber, dass die Person mit der Vornahme der fristwahrenden Handlung mit eigener Entscheidungsbefugnis im entsprechenden ihm zugewiesenen Aufgabenbereich tätig werden solle.
Verschulden der Hilfsperson
Ziehe ein Beteiligter zur Unterstützung bei der Fristwahrung Hilfspersonen ohne eigene Entscheidungsbefugnis zu, so sei deren Verschulden dem Beteiligten nicht zuzurechnen. Insoweit könne ein eigenes Verschulden des Steuerpflichtigen lediglich dann angenommen werden, wenn er eine für die konkrete Aufgabe erkennbar ungeeignete Hilfsperson hinzugezogen oder wenn er die Hilfsperson unzureichend unterwiesen oder beaufsichtigt habe.
S sei demnach lediglich als Hilfsperson ohne eigene Entscheidungsbefugnis eingesetzt gewesen. Die Klägerin habe ihn gebeten, sämtliche Immatrikulationsbescheinigungen an die Familienkasse zu übersenden. Dabei habe sie ihm gerade nicht die Entscheidung überlassen, ob und ggf. inwieweit hier Einspruch eingelegt werden sollte. Er sollte lediglich die ohnehin bei ihm befindlichen Immatrikulationsunterlagen an die Familienkasse senden. Die Entscheidung, dass sich die Klägerin gegen den Bescheid vom 2.6.2021 wenden wollte und welche Unterlagen sie zur Begründung vorlegen wolle, habe die Klägerin allein getroffen. Auch habe die Klägerin entschieden, dass die Unterlagen an die Familienkasse gesandt werden sollten. Lediglich die Ausführung habe sie überlassen. Dabei habe die Klägerin auch die konkrete Formulierung der E-Mail dem S überlassen.
Da die Klägerin mit S eine geeignete Hilfsperson ausgewählt und diesen ordnungsgemäß unterwiesen und überwacht habe, sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Antragsteller muss Umstände für Fristversäumnis darlegen
Nach § 110 Abs. 2 Satz 1 AO ist erforderlich, dass der Antragsteller innerhalb der Antragsfrist von einem Monat diejenigen Umstände darlegt, aus denen sich ergibt, dass ihn hinsichtlich der Versäumung der gesetzlichen Frist kein Verschulden trifft. Nach Ablauf dieser Frist können (selbständige) Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr nachgeschoben werden. Jedoch können unklare oder unvollständige Angaben auch nach Ablauf der Antragsfrist noch erläutert oder ergänzt werden, sofern innerhalb der Frist der Kern der Wiedereinsetzungsgründe in sich schlüssig vorgetragen ist. Das erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Umstände innerhalb der Monatsfrist.
Für den Fall, dass dem Steuerpflichtigen selbst bei der Adressierung einer E-Mail ein Tippfehler unterlaufen ist, soll nach Auffassung des FG München, Urteil v. 29.1.2019, 12 K 1888/18, innerhalb der Monatsfrist vorzutragen sein, wer die E-Mail verfasst hat, ob die Klägerin (oder ein Dritter) vor Versendung die E-Mail auf korrekte Adressierung kontrolliert hat, ob bei diesem Adressierungsfehler ein Hinweis auf die Unzustellbarkeit dieser E-Mail zurückgekommen ist und ob eine Kontrolle auf den Zugang einer solchen Unzustellbarkeits-Nachricht erfolgt ist.
FG Hamburg, Urteil v. 5.5.2022, 5 K 93/21
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