Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifverträge über differenzierte Arbeitszeiten

 

Orientierungssatz

Parallelsache zu BAG Beschluß vom 18.8.1987 - 1 ABR 65/86.

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 15.10.1985; Aktenzeichen 16 TaBV 91/85)

ArbG Wuppertal (Entscheidung vom 13.06.1985; Aktenzeichen 5 BV 24/85)

 

Gründe

A. Der Arbeitgeber sowie Betriebsrat und Gewerkschaft (Antragsteller) streiten um die Wirksamkeit des Spruchs einer tariflichen Einigungsstelle vom 15. April 1985. Diese Einigungsstelle wurde gemäß § 19 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) gebildet, weil sich Arbeitgeber und Betriebsrat nicht auf eine Betriebsvereinbarung zur Umsetzung der neuen tarifvertraglichen Arbeitszeitregelung in der Metallindustrie (Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 zur Änderung des Manteltarifvertrags vom 30. April 1980) einigen konnten.

Der Arbeitgeber betrieb ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Er war tarifgebunden. Die maßgebenden Bestimmungen des Tarifvertrags vom 3. Juli 1984, an dem die IG Metall als vertragschließende Partei beteiligt war, lauteten:

"§ 2

Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit/Ausbil-

dungszeit

1. Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit

ohne Pausen beträgt 38 1/2 Stunden. Die

individuelle regelmäßige wöchentliche

Arbeitszeit kann zwischen 37 und 40 Stun-

den betragen (Vollzeitbeschäftigte).

Die Spanne zwischen 37 und 40 Stunden

soll angemessen ausgefüllt werden. Dabei

sind die betrieblichen Bedürfnisse zu be-

rücksichtigen (§ 3).

2. Die regelmäßige wöchentliche Ausbildungs-

zeit beträgt 40 Stunden.

.....

§ 3

Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit/Aus-

bildungszeit

1. (Regelung der Arbeitszeit durch Betriebs-

vereinbarung)

Die Arbeitszeit im Betrieb wird im Rahmen

des Volumens, das sich aus der für den Be-

trieb nach § 2 Nr. 1 Abs. 1 festgelegten

Arbeitszeit ergibt, durch Betriebsverein-

barung näher geregelt. Dabei können für

Teile des Betriebes, für einzelne Arbeit-

nehmer oder für Gruppen von Arbeitnehmern

unterschiedliche wöchentliche Arbeitszei-

ten zwischen 37 und 40 Stunden festgelegt

werden.

Der Durchschnitt der tariflichen wöchent-

lichen Arbeitszeit im Betrieb wird monat-

lich erfaßt und dem Betriebsrat mitge-

teilt. Weicht der Durchschnitt von 38 1/2

Stunden ab, so ist mit dem Betriebsrat

eine Anpassung unverzüglich zu vereinba-

ren.

.....

2. (Verteilung der individuellen regelmäßi-

gen Wochenarbeitszeit)

Die individuelle regelmäßige wöchentliche

Arbeitszeit kann gleichmäßig oder ungleich-

mäßig auf fünf Werktage in der Woche ver-

teilt werden. Sie muß im Durchschnitt von

zwei Monaten erreicht werden.

Diese Regelung gilt nicht für die von § 2

Nr. 8 erfaßten Arbeitnehmer sowie für Teil-

zeitbeschäftigte.

Aufgrund einer besonderen im voraus mit

dem Betriebsrat vereinbarten Verteilung

der individuellen regelmäßigen wöchentli-

chen Arbeitszeit kann diese ausnahmsweise

auch so verteilt werden, daß in einer Zeit-

spanne bis zu drei Wochen die individuelle

regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im

Durchschnitt nicht überschritten wird.

.....

6. (Freie Tage als Zeitausgleich bei Diffe-

renzen zwischen Betriebsnutzungszeit und

neu festgelegter Arbeitszeit)

Aus Anlaß der Neufestlegung der Arbeits-

zeit wird die Auslastung der betriebli-

chen Anlagen und Einrichtungen nicht ver-

mindert. Bei einer Differenz zwischen Be-

triebsnutzungszeit und der Arbeitszeit

für die einzelnen Arbeitnehmer kann der

Zeitausgleich auch in Form von freien Ta-

gen erfolgen. Dabei muß zur Vermeidung

von Störungen im Betriebsablauf eine mög-

lichst gleichmäßige Anwesenheit der Ar-

beitnehmer gewährleistet sein. Bei der

Festlegung der freien Tage sind die Wün-

sche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen."

Als Arbeitgeber und Betriebsrat sich nicht über die Umsetzung dieser neuen tariflichen Arbeitszeitvorschriften auf den Betrieb des Arbeitgebers einigen konnten, erließ die tarifliche Einigungsstelle am 15. April 1985 einen Spruch. Danach wurde die individuelle regelmäßige Wochenarbeitszeit für alle Arbeitnehmer des Betriebs mit Ausnahme der außertariflichen Angestellten, der Arbeitnehmer mit Arbeitsbereitschaft sowie der Auszubildenden und Praktikanten auf 38,5 Stunden festgelegt. Gleichzeitig wurde eine unveränderte Betriebsnutzungszeit von 40 Stunden je Woche beschlossen und bestimmt, daß der Arbeitszeitausgleich in den Monaten Januar und Februar sowie August bis Dezember jeden Jahres durch Freischichten vorzunehmen sei. Der Einigungsstellenspruch ist dem Betriebsrat am 18. April 1985 zugestellt worden.

Der Betriebsrat und die IG Metall haben die Auffassung vertreten, der Spruch verstoße gegen den Tarifvertrag vom 3. Juli 1984. Nach dem Tarifvertrag gelte für den Zeitausgleich in Form von freien Tagen die Zeitspanne von zwei Monaten. Außerdem habe die Einigungsstelle den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten, weil sie die betrieblichen Belange eindeutig in den Vordergrund gestellt und die Interessen der Arbeitnehmer außer acht gelassen habe.

Betriebsrat und IG Metall haben beantragt,

1. festzustellen, daß der Spruch der Eini-

gungsstelle vom 15. April 1985 betref-

fend die Verteilung der regelmäßigen Ar-

beitszeit im Betrieb unwirksam sei,

2. hilfsweise, den Spruch der Einigungs-

stelle aufzuheben.

Der Arbeitgeber hat beantragt, die Anträge zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der IG Metall fehle die Antragsbefugnis. Durch die Entscheidung werde die Gewerkschaft nicht in einer betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsposition betroffen. Im übrigen sei der Spruch der Einigungsstelle wirksam. Insbesondere gelte für die Freischichtenregelung in § 3 Nr. 6 des Tarifvertrags nicht die Zwei-Monats-Frist nach § 3 Nr. 2 des Tarifvertrags.

Die Anträge des Betriebsrats und der IG Metall sind in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen Betriebsrat und IG Metall ihre Anträge weiter.

B. Die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und der IG Metall sind nicht begründet.

I. Die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und der IG Metall sind jeweils statthaft. Sie wurden form- und fristgerecht eingelegt und sind somit zulässig.

II. Die Rechtsbeschwerden des Betriebsrats und der IG Metall sind aber unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

1. Der Antrag der IG Metall ist unzulässig. Der Gewerkschaft fehlt - entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts - für den hier gestellten Antrag die Antragsbefugnis.

a) Das Landesarbeitsgericht bezweifelt, ob im Beschlußverfahren die Antragsbefugnis Sachentscheidungsvoraussetzung sei. Jedenfalls fehle die Antragsbefugnis nur, wenn "offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Antragsteller behaupteten Rechte bestehen" könnten. Die Zulässigkeitsprüfung dürfe nicht mit materiellen Rechtsfragen überfrachtet und so bereits eine Entscheidung in der Sache gefällt werden.

b) Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen. Die Antragsbefugnis ist selbständig zu prüfen. Sie ist nicht mit der Beteiligungsbefugnis identisch. Wenn auch der Antragsteller stets "notwendiger" Beteiligter und deshalb beteiligungsbefugt ist, so kann ihm dennoch die Antragsbefugnis fehlen (BAGE 37, 31 = AP Nr. 2 zu § 83 ArbGG 1979). Die Antragsbefugnis folgt nicht aus § 83 Abs. 3 ArbGG. Diese Vorschrift bestimmt allein, welche beteiligungsfähigen Personen oder Zusammenschlüsse im bereits eingeleiteten Beschlußverfahren zu beteiligen sind. Die Norm besagt nichts über das Recht, einen Antrag im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren stellen zu können (Beschluß des Sechsten Senats vom 30. Oktober 1986 - 6 ABR 52/83 -, zu B II 2 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Die Antragsbefugnis ist vielmehr nach den Regeln über die Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zu bestimmen. Von Ausnahmen wie der Prozeßstandschaft abgesehen, kann jemand ein gerichtliches Verfahren nur einleiten, der behauptet, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Bei Streitfragen betriebsverfassungsrechtlicher Art ist zu untersuchen, ob die den Streitgegenstand betreffenden Normen des Betriebsverfassungsgesetzes dem Antragsteller eine eigene Rechtsposition zuordnen, die es erlaubt, sich mittels eigenen Antrages zu schützen (Beschluß des Sechsten Senats vom 30. Oktober 1986, aaO). Die Antragsbefugnis ist gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung betroffen werden kann. Das ist immer dann der Fall, wenn der Antragsteller eigene Rechte geltend macht (Beschluß des Senats vom 10. Juni 1986 - 1 ABR 59/84 -, zu B III 4 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).

Eine das Antragsrecht der Gewerkschaft begründende betriebsverfassungsrechtliche Betroffenheit liegt nicht vor. Maßgebend ist der Streitgegenstand, der vom Antrag bestimmt wird. Beantragen die Tarifvertragsparteien eine Entscheidung über die Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung oder eines Einigungsstellenspruchs, machen sie keine eigenen betriebsverfassungsrechtlichen Rechte geltend. Sie sind ebensowenig von dieser Entscheidung betroffen wie von der Entscheidung, ob und inwieweit dem Betriebsrat in einer bestimmten Angelegenheit ein Mitbestimmungsrecht zusteht oder nicht. Daß ein zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat umstrittenes Mitbestimmungsrecht in seinem Bestand oder seinem Umfang von tariflichen Regelungen abhängig sein kann, steht dem nicht entgegen (vgl. Beschluß des Senats vom 25. Mai 1982 - 1 ABR 19/80 - BAGE 39, 86, 89 f. = AP Nr. 2 zu § 87 BetrVG 1972 Prämie, zu B I 2 der Gründe, mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Beschluß des Sechsten Senats vom 9. Februar 1984 - 6 ABR 10/81 - BAGE 45, 132, 136 f. = AP Nr. 9 zu § 77 BetrVG 1972, zu II 2 der Gründe).

Auch wenn Arbeitgeber und Betriebsrat nach einem Tarifvertrag die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer ungleichmäßig über die Wochen zu verteilen, handelt es sich bei einem Streit über die Wirksamkeit eines Spruchs der Einigungsstelle nur um einen Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Die Verteilung der tariflichen Arbeitszeit innerhalb der Woche oder über mehrere Wochen hinweg ist originäre Aufgabe von Arbeitgeber und Betriebsrat (Buchner, NZA 1986, 377, 380, unter III 1 d). Das Interesse der Verbände, daß anläßlich einer Entscheidung in einer betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheit tarifliche Bestimmungen in bestimmter Weise verstanden werden, ist allgemeiner Art und vermag eine materielle betriebsverfassungsrechtliche unmittelbare Betroffenheit nicht zu begründen (vgl. Beschluß des Senats vom 25. Mai 1982, aaO). Das Betriebsverfassungsgesetz hat weder den Gewerkschaften noch den Arbeitgeberverbänden eine allgemeine Aufsichtsfunktion gegenüber Betriebsvereinbarungen oder Sprüchen der Einigungsstelle zugewiesen.

Damit werden Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat nicht schlechthin einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Zum einen können die tarifvertragschließenden Parteien in einem eigenen Rechtsstreit den Inhalt des Tarifvertrags klären lassen, soweit sie darüber streiten (§ 9 TVG). Diese Entscheidungen sind zwar nur in Rechtsstreitigkeiten zwischen tarifgebundenen Parteien sowie zwischen diesen und Dritten für die Gerichte und Schiedsgerichte bindend. Ein Rechtsstreit aber, in dem der umstrittene Inhalt eines Tarifvertrags festgestellt werden soll, hat darüber hinaus auch tatsächliche Auswirkungen. Es ist kaum anzunehmen, daß sich eine Einigungsstelle nicht an den festgestellten Tarifinhalt halten wird. Außerdem ist kein Arbeitnehmer an eine Betriebsvereinbarung gebunden, die wegen Verstoßes gegen einen Tarifvertrag nichtig ist. Im Rechtsstreit zwischen einem von der Regelung betroffenen Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber muß daher geprüft werden, ob die Betriebsvereinbarung wirksam ist.

2. Der Antrag des Betriebsrats ist in der Sache unbegründet.

a) Gegen eine Sachentscheidung über den Hauptantrag des Betriebsrats bestehen keine verfahrensrechtlichen Bedenken. Über diesen Antrag ist im Beschlußverfahren zu entscheiden. Die Feststellung, ob der Spruch der Einigungsstelle oder der Spruch einer an die Stelle der Einigungsstelle tretenden tariflichen Einigungsstelle (§ 76 Abs. 8 BetrVG) wirksam ist, ist eine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 2 a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. In diesem Beschlußverfahren ist auch zu entscheiden, ob und mit welchem Inhalt ein Spruch der tariflichen Einigungsstelle ergehen durfte.

An der Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs hat der Betriebsrat ein berechtigtes Interesse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO. Diese Bestimmung ist auf das Beschlußverfahren entsprechend anzuwenden. Wäre der Spruch ganz oder teilweise unwirksam, müßten Arbeitgeber und Betriebsrat über die Umsetzung des Tarifvertrags neu verhandeln. Der Betriebsrat wäre nicht an den Spruch gebunden. Der Spruch der tariflichen Einigungsstelle könnte nicht die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzen.

Dagegen ist der Hilfsantrag des Betriebsrats nicht zulässig. Der Spruch einer Einigungsstelle kann nicht aufgehoben werden. Er ist unwirksam, wenn er gegen gesetzliche Bestimmungen oder einen Tarifvertrag verstößt, ohne daß es dazu einer gerichtlichen Entscheidung bedarf. Die Entscheidung des Gerichts hat nur rechtsfeststellende, keine rechtsgestaltende Bedeutung (vgl. BAG Beschluß vom 27. Mai 1986 - 1 ABR 48/84 -, zu B I der Gründe, mit weiteren Nachweisen, zur Veröffentlichung vorgesehen).

b) Der Spruch der tariflichen Einigungsstelle betrifft die zeitliche Lage der Arbeitszeit. Er ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat (§ 87 Abs. 2 Satz 2 BetrVG). Über die zeitliche Lage der Arbeitszeit hat der Betriebsrat mitzubestimmen (§ 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG).

Betriebsvereinbarungen und Sprüche der Einigungsstellen, die über eine Angelegenheit nach § 87 Abs. 1 BetrVG zustande kommen, müssen tarifliche Regelungen beachten. Tarifliche Regelungen in diesen Angelegenheiten begrenzen den Gestaltungsspielraum für Betriebsvereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Der Betriebsrat hat nur mitzubestimmen, soweit eine tarifliche Regelung nicht besteht (§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG). Im vorliegenden Fall enthält der Tarifvertrag einzelne Bestimmungen über die Lage der Arbeitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage. Diese Vorgaben sind für Arbeitgeber und Betriebsrat sowie für einen Spruch der Einigungsstelle bindend. Die Beteiligten dürfen sich durch Betriebsvereinbarung nicht über tarifliche Regelungen hinwegsetzen. Geschieht das doch, ist die Betriebsvereinbarung wegen Verstoßes gegen tarifliche Regelungen unwirksam und damit nichtig.

Die Regelungen des Spruchs der tariflichen Einigungsstelle, die sich mit der wöchentlichen betrieblichen Nutzungszeit und mit dem Ausgleich der Differenz zwischen der vereinbarten individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und der wöchentlichen betrieblichen Arbeitszeit befassen, verstoßen nicht gegen den Tarifvertrag.

Für die Arbeitnehmer des Betriebs beträgt nach dem Spruch der tariflichen Einigungsstelle die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden. Dennoch soll die wöchentliche betriebliche Arbeitszeit (Nutzungszeit) nach wie vor 40 Wochenstunden betragen. Auf diese Weise entsteht eine Differenz zwischen der Betriebsnutzungszeit und der Arbeitszeit für die einzelnen Arbeitnehmer. Diese Differenz beträgt 1,5 Stunden je Woche (40 - 38,5 Stunden). Sie kann nach dem Tarifvertrag (§ 3 Nr. 6 MTV) in Form von freien Tagen ausgeglichen werden. Von dieser Möglichkeit ("Freischichtenmodell") hat die tarifliche Einigungsstelle Gebrauch gemacht.

Die Freischichten sollen nach dem Spruch der tariflichen Einigungsstelle im wesentlichen im Herbst und Winter gewährt und genommen werden. Der Zeitausgleich kann nach dieser Regelung nicht im Durchschnitt von zwei Monaten erreicht werden.

Zu Unrecht meint der Betriebsrat, diese Regelung verstoße gegen den Manteltarifvertrag. Er stützt sich dabei auf die Bestimmung in § 3 Nr. 2 Abs. 1 MTV. Danach muß die individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt von zwei Monaten erreicht werden. Diese Bestimmung gilt aber nicht für die Fälle, in denen wegen einer Differenz zwischen betrieblicher Nutzungszeit und der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ein Zeitausgleich in Form von freien Tagen vorgesehen ist (§ 3 Nr. 6 MTV). Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Es befindet sich damit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung anderer Landesarbeitsgerichte und der Literatur (vgl. LAG Niedersachsen vom 4. Februar 1986 - 6 Ta BV 7/85 - NZA 1986, Beilage 2, S. 15; LAG Schleswig-Holstein vom 27. August 1986 - 5 Ta BV 10/86 - NZA 1986, 795; vgl. auch die Übersicht bei Brunz, NZA 1986, Beilage 2, S. 6 f.; Buchner, NZA 1986, 377, 381; von Hoyningen- Huene, NZA 1985, 9, 10; Küttner/Schlüpers-Oehmen/Rebel, DB 1985, 172, 178; Schüren, RdA 1985, 22, 28; Ziepke, BB 1985, 281, 283; ders., Kommentar zum Tarifvertrag vom 3. Juli 1984 zur Änderung des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie NW, § 3 Anm. 36, S. 92; a.A. Linnenkohl/Rauschenberg, BB 1984, 2197, 2201).

Der Wortlaut des Tarifvertrags spricht gegen die vom Betriebsrat vertretene Auslegung. In § 3 Nr. 6 MTV fehlt jede Regelung über den Zeitraum, innerhalb dessen die freien Tage liegen müssen. Nur Satz 3 und 4 dieser Bestimmung enthalten Regelungen über die zeitliche Lage der freien Tage. Nach § 3 Nr. 6 Satz 4 MTV sind bei der Festlegung der freien Tage die Wünsche der Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Nach Satz 3 dieser Bestimmung muß zur Vermeidung von Störungen im Betriebsablauf eine möglichst gleichmäßige Anwesenheit der Arbeitnehmer gewährleistet sein. Betriebliche Interessen und Wünsche der Arbeitnehmer sind deshalb aufeinander abzustimmen. Eine zeitliche Begrenzung auf einen Zwei-Monats-Zeitraum folgt daraus nicht.

Die Regelung in § 3 Nr. 2 Abs. 1 MTV, wonach die wöchentliche Arbeitszeit im Durchschnitt von zwei Monaten erreicht werden muß, steht in einem anderen sachlichen Zusammenhang. Sie kann nicht auf die Regelung in § 3 Nr. 6 MTV übertragen werden. In § 3 Nr. 2 Abs. 1 MTV geht es um die Verteilung der individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die Werktage einer Woche. Vorgesehen ist eine Verteilung auf fünf Werktage. Arbeitgeber und Betriebsrat können eine davon abweichende Verteilung vereinbaren. Nur in diesem Zusammenhang wird ein Zeitausgleich im Durchschnitt von zwei Monaten vorgeschrieben. Diese Bestimmung bezieht sich nur auf die vorangegangene Regelung über die Verteilung der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit auf die Werktage. Hätten die Tarifvertragsparteien den Zeitausgleich innerhalb von zwei Monaten auch für den Fall vorgeschrieben, daß er in Form von freien Tagen erfolgt, hätten sie dies deutlicher zum Ausdruck bringen müssen. Das wäre etwa der Fall gewesen, wenn diese Regel als allgemeiner Grundsatz beiden Fallgestaltungen vorangestellt worden wäre.

Aus dem Wort "auch" in § 3 Nr. 6 Satz 2 MTV läßt sich für die Auffassung des Betriebsrats nichts gewinnen. Wenn der Zeitausgleich auch in Form von freien Tagen erfolgen kann, wird nur auf diese Möglichkeit hingewiesen, die neben der Möglichkeit einer ungleichen Verteilung der Arbeitszeit auf die Werktage in Betracht kommt.

So wie der Betriebsrat § 3 Nr. 6 MTV verstehen will, wäre er in der Praxis nur schwer anwendbar. Bei einem Ausgleich von wöchentlich 1,5 Stunden kämen in zwei Monaten nicht einmal zwei Freischichten zusammen.

Nach Wortlaut und Aufbau der tariflichen Bestimmung ist daher ein Ausgleichszeitraum für das Freischichtenmodell nicht vorgeschrieben. Danach kommt es auf weitere Auslegungsmerkmale nicht an (vgl. zur Entstehungsgeschichte Ziepke, aaO, § 3 Anm. 36, S. 92). Der Zweck der tariflichen Regelung wird durch diese Auslegung nicht verfehlt. Es mag sein, daß ein Freischichtenmodell, bei dem die freien Tage vorzugsweise in die Zeiten gelegt werden, in denen im Betrieb nicht oder nur beschränkt gearbeitet wird, nicht in allen Fällen zur vermehrten Einstellung von Arbeitnehmern führt. Auch wenn der Tarifvertrag mit dem Ziel abgeschlossen wurde, Arbeitsplätze zu schaffen, ist der Weg, auf dem dies geschehen soll, nicht vorgeschrieben. Es ist nicht ausgeschlossen, daß bei einem Freischichtenmodell Arbeitsplätze geschaffen werden, auch wenn die Verteilung der freien Tage nicht an die Zwei-Monats-Grenze gebunden ist.

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Breier H. Paschen

 

Fundstellen

BB 1987, 1670

DB 1987, 2263-2264 (T)

CR 1988, 928-929 (S)

NZA 1987, 626

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