Entscheidungsstichwort (Thema)

Ablösende Betriebsvereinbarung über Altersgrenze für Arbeitsverhältnisse

 

Leitsatz (redaktionell)

Bei einer vertraglichen Abrede über das Ende des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen einer bestimmten Altersgrenze kann durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung keine niedrigere Altersgrenze festgelegt werden.

 

Verfahrensgang

BAG (Entscheidung vom 19.09.1985; Aktenzeichen 2 AZR 188/83)

 

Gründe

A. Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien darüber, ob das Arbeitsverhältnis des Klägers, der seit dem 1. Oktober 1965 bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt war, am 30. November 1981 oder erst am 31. Mai 1982 beendet wurde.

Im Arbeitsvertrag vom 17. September 1965 hatten die Parteien vereinbart, daß eine demnächst abzuschließende Betriebsvereinbarung Bestandteil des Anstellungsvertrages wird. Diese Betriebsvereinbarung wurde am 1. Januar 1969 abgeschlossen, in der es unter § 10 Abs. 1 Buchst. e) heißt:

"Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung

grundsätzlich sechs Monate nach Vollendung des

65. Lebensjahres, gerechnet vom Ende des Mo-

nats, in dem diese Altersgrenze erreicht wurde."

Diese Betriebsvereinbarung wurde vom Betriebsrat zum 31. Dezember 1971 gekündigt. Mit Wirkung vom 1. August 1981 wurde am 31. Juli 1981 zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat eine neue Betriebsvereinbarung abgeschlossen, in der unter Nr. 2 folgendes bestimmt ist:

"Das Beschäftigungsverhältnis endet ohne Kündigung

mit Ablauf des Monats, in dem das 65. Lebensjahr

vollendet wird. Das Beschäftigungsverhältnis kann

auf Antrag des Mitarbeiters um höchstens 6 Monate

verlängert werden, wenn nicht Gründe, die in der

Person oder im Verhalten des Antragstellers liegen,

oder dringende betriebliche Erfordernisse einer

Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Die Entscheidung

über einen solchen Antrag erfolgt nach Beratung mit

dem Betriebsrat."

In Durchführung dieser Bestimmung der Betriebsvereinbarung teilte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 3. August 1981 mit, daß sein Arbeitsverhältnis wegen Vollendung des 65. Lebensjahres am 30. November 1981 endet. Dem widersprach der Kläger. Gleichzeitig beantragte er vorsorglich, sein Arbeitsverhältnis um sechs Monate zu verlängern. Das lehnte die Beklagte ab.

Der Kläger, der ab 1. Dezember 1981 eine Betriebsrente von monatlich 411,-- DM und eine gesetzliche Altersrente von monatlich 1.100,-- DM bezieht, hat daraufhin Klage erhoben und zuletzt beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. November 1981 hinaus bis einschließlich 30. Mai 1982 fortbestanden hat.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts ist der Auffassung, daß es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Frage ankomme, ob eine vom Arbeitgeber auf vertraglicher Grundlage einheitlich angewendete Regelung über das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis bei Erreichen eines bestimmten Alters durch eine freiwillige Betriebsvereinbarung zum Nachteil des betroffenen Arbeitnehmers abgeändert werden kann. Er hat mit Beschluß vom 19. September 1985 (2 AZR 188/83 - AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 15) dem Großen Senat folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:

"Kann eine vom Arbeitgeber einheitlich (hier: für

sog. außertarifliche Angestellte) angewandte,

auf vertraglicher Grundlage beruhende Regelung,

nach der das Arbeitsverhältnis mit dem Erreichen

einer bestimmten Altersgrenze (hier: sechs Monate

nach Vollendung des 65. Lebensjahres) endet, durch

Betriebsvereinbarung dahin abgeändert werden, daß

eine niedrigere Altersgrenze (hier: Vollendung

des 65. Lebensjahres) festgelegt wird?"

B. Die Vorlage ist zulässig.

I. Gegenstand der Vorlage ist die Frage, ob eine vom Arbeitgeber einheitlich angewandte und arbeitsvertraglich festgelegte Altersgrenze für das Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung herabgesetzt werden kann. Gefragt ist nach dem Inhalt einer Kollisionsnorm: Ist die arbeitsvertraglich festgelegte Altersgrenze maßgebend oder die in der späteren Betriebsvereinbarung festgelegte Altersgrenze ?

II. Mit diesem Inhalt ist die Vorlage zulässig.

1. Der Zweite Senat hat die Vorlage gem. § 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG auf grundsätzliche Bedeutung gestützt. Eine Rechtsfrage hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn das Bedürfnis besteht, sie über den Einzelfall hinaus für eine Vielzahl gleich oder ähnlich liegender Fälle richtungsweisend zu lösen, oder wenn es sich um eine umstrittene Frage von wesentlichem Gewicht für die Rechtsordnung und das Rechtsleben handelt (BAGE 20, 175, 180 = AP Nr. 13 zu Art. 9 GG, zu II 1 der Gründe; BAGE 53, 42, 45 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu B II der Gründe). Ein Bedürfnis zur Klärung der Rechtsfrage wird regelmäßig dann zu bejahen sein, wenn sie noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (Kissel, GVG, § 137 Rz 4 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die vom Zweiten Senat vorgelegte Rechtsfrage, wie sich zwei verschiedene, den Inhalt eines Arbeitsverhältnisses berührende Rechtsquellen zueinander verhalten, betrifft eine Grundfrage des Arbeitsrechts. Ob und unter welchen Voraussetzungen vertraglich vereinbarte Altersgrenzen durch Betriebsvereinbarung herabgesetzt werden können, ist in der Literatur umstritten. Die Antwort auf diese Frage hat bei der zunehmenden Tendenz, aus arbeitsmarktpolitischen Gründen die Altersgrenzen herabzusetzen, große praktische Bedeutung (vgl. Schlüter/Belling, Die Zulässigkeit von Altersgrenzen im Arbeitsverhältnis, NZA 1988, 297).

2. Die Rechtsfrage hat ihre grundsätzliche Bedeutung nicht durch den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 16. September 1986 (GS 1/82 - BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972) verloren. Der Beschluß behandelt zwar die Kollision zwischen den Normen einer Betriebsvereinbarung und einzelvertraglichen Einheitsregelungen. Die Antwort auf die seinerzeitige Vorlage schließt das Bedürfnis zur Klärung der vom Zweiten Senat vorgelegten Rechtsfrage jedoch nicht aus. Der Große Senat hat im Beschluß vom 16. September 1986 (aaO) nur darüber entschieden, ob und inwieweit vertraglich begründete Ansprüche des Arbeitnehmers auf Sozialleistungen durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung aufgehoben oder beschränkt werden können. Über die Aufhebung oder Einschränkung anderer arbeitsvertraglicher Abreden durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung hat er nicht entschieden. Die Frage, welchen Inhalt eine Kollisionsnorm hat, kann für Abreden über soziale Leistungen anders als für Abreden über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beantwortet werden. Während es bei sozialen Leistungen mit kollektivem Bezug vorrangig um die Verteilungsgerechtigkeit mit unterschiedlicher Betroffenheit der einzelnen Arbeitnehmer geht, rückt dieser Gesichtspunkt bei der Kollisionsfrage von Absprachen über das Ende des Arbeitsverhältnisses in den Hintergrund.

3. Weitere Voraussetzungen für die Entscheidung über die Vorlage hat der Große Senat nicht zu prüfen. Nach der im Vorlagebeschluß vom 19. September 1985 (2 AZR 188/83 - AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972 = EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 15) näher dargelegten Auffassung des Zweiten Senats ist die Entscheidung über die vorgelegte Rechtsfrage zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich und für den Ausgang des Rechtsstreits auch tragend. An diese Beurteilung ist der Große Senat gebunden.

4. Der Große Senat hat allerdings zu prüfen, ob es zu der vom Zweiten Senat für möglich gehaltenen Kollision zwischen arbeitsvertraglichen Abreden und einer späteren Betriebsvereinbarung kommen kann. Eine solche Kollision ist nur möglich, wenn sowohl vertragliche Abreden über Altersgrenzen als auch Betriebsvereinbarungen über Altersgrenzen rechtlich wirksam sein können. Für Arbeitsverträge ist die Regelungskompetenz der Vertragspartner - innerhalb der Schranken von Recht und Billigkeit - nicht bestritten. Für Betriebsvereinbarungen muß dies geprüft werden (vgl. Abschnitt C I). Könnten Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung keine Altersgrenze für die Arbeitnehmer des Betriebs festlegen, wäre die Kollision nicht möglich. Das wäre dann die Antwort auf die vom Zweiten Senat vorgelegte Frage.

C. Arbeitgeber und Betriebsrat können im Rahmen und in den Grenzen der allgemeinen Schranken der betrieblichen Regelungsmacht und unter Beachtung zwingender gesetzlicher Bestimmungen Betriebsvereinbarungen abschließen, die Regelungen über das Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis beim Erreichen eines bestimmten Alters zum Inhalt haben (I). Für das Verhältnis dieser Betriebsvereinbarungen zu vertraglichen Abreden gilt das Günstigkeitsprinzip (II).

I. Die Befugnis von Arbeitgeber und Betriebsrat, Betriebsvereinbarungen über eine Altersgrenze für die Arbeitnehmer des Betriebs schließen zu können, folgt aus allgemeinen Grundsätzen des Betriebsverfassungsrechts, die in § 77 Abs. 3 (Tarifvorrang) und § 88 BetrVG (freiwillige Betriebsvereinbarungen) zum Ausdruck kommen.

1. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts leitet die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien zur Festlegung einer Altersgrenze in einer Betriebsvereinbarung aus § 88 BetrVG ab. Es handele sich hierbei um eine soziale Angelegenheit, "obwohl eine derartige Regelung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand und deshalb einen personellen Einschlag" habe (Vorlagebeschluß vom 19. September 1985 - 2 AZR 188/83 - AP Nr. 11 zu § 77 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 20. November 1987 - 2 AZR 284/86 - BAGE 57, 30 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze).

Das Schrifttum teilt weitgehend diese Auffassung (vgl. Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 88 Rz 4 und 5; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 88 Rz 2; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 88 Rz 3; KR-Hillebrecht, 3. Aufl., § 620 BGB Rz 30; Hoppe, BlStSozArbR 1974, 29; Richardi, SAE 1972, 139; Säcker, Die Regelung sozialer Angelegenheiten im Spannungsfeld zwischen tariflicher und betriebsvereinbarungsrechtlicher Normsetzungsbefugnis, ZFA/Sonderheft 1972, 41, 47 f.; Wiese, GK-BetrVG, Stand Juni 1985, § 88 Rz 10; a.A. Joost, Anm. zu AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze, der jede Regelungsbefugnis leugnet).

2. Für soziale und personelle Angelegenheiten (§§ 87 ff. und §§ 92 ff. BetrVG) besteht eine umfassende Regelungskompetenz der Betriebsparteien (BAGE 3, 1 = AP Nr. 1 zu § 57 BetrVG; BAGE 30, 298 = AP Nr. 1 zu § 88 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, aaO, § 77 Rz 53 und § 88 Rz 5; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, aaO, § 88 Rz 2; Galperin/Löwisch, aaO, § 88 Rz 1; Wiese, aaO, § 88 Rz 7).

a) Für soziale Angelegenheiten folgt die umfassende Regelungsbefugnis zum Abschluß (freiwilliger) Betriebsvereinbarungen aus § 88 BetrVG. Die Regelungsbefugnis läßt sich jedoch inhaltlich nicht auf soziale Angelegenheiten beschränken. Die Grenzen zwischen sozialen, personellen (§§ 92 ff. BetrVG) und wirtschaftlichen Angelegenheiten (§§ 106 ff. BetrVG) sind fließend (Dietz/Richardi, aaO, Vorbem. § 87 Rz 4 und § 88 Rz 4). Die allgemeinen personellen Angelegenheiten im Sinne der §§ 92 bis 95 BetrVG haben vielfach einen Bezug zu wirtschaftlichen Entscheidungen des Unternehmers und zu sozialen Angelegenheiten. Im Rahmen von Personalplanungen (§ 92 BetrVG) und Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG) werden z.B. die Voraussetzungen für die Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern und der Wechsel des Arbeitsplatzes festgelegt (vgl. dazu Dietz/Richardi, aaO, Vorbem. § 87 Rz 4; Galperin/Löwisch, aaO, § 88 Rz 3; Wiese, aaO, § 88 Rz 10). Ebenso verhält es sich mit einer Betriebsvereinbarung, die eine Altersgrenzenregelung zum Gegenstand hat; auch dieser schwerpunktmäßig den personellen Angelegenheiten zuzuordnende Regelungstatbestand weist einen Bezug zu sozialen Angelegenheiten auf. Insoweit ist es richtig, mit der herrschenden Meinung und entgegen der Auffassung von Joost (aaO), § 88 BetrVG gleichsam als Auffangnorm zu betrachten und als ausreichend tragende Grundlage für eine derartige freiwillige Betriebsvereinbarung anzusehen.

b) § 77 Abs. 3 BetrVG spricht ebenfalls für eine solche Regelungskompetenz. Nach dieser Bestimmung haben Arbeitgeber und Betriebsrat, wenn auch mit den dort angeführten Beschränkungen, eine umfassende Regelungskompetenz (vgl. Kreutz, Grenzen der Betriebsautonomie, 1979, S. 206 ff., 211 f.).

Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können, sofern der Tarifvertrag den Abschluß ergänzender Betriebsvereinbarungen nicht ausdrücklich zuläßt, Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Positiv ausgedrückt bedeutet dies, daß in den Schranken des § 77 Abs. 3 BetrVG jede durch Tarifvertrag gem. § 1 Abs. 1 TVG regelbare Angelegenheit grundsätzlich Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein kann. Neben betrieblichen und betriebsverfassungsrechtlichen Fragen können daher von Arbeitgeber und Betriebsrat in einer Betriebsvereinbarung nähere Regelungen über Inhalt, Abschluß und Beendigung von Arbeitsverhältnissen getroffen werden.

c) Die Annahme einer globalen Regelungskompetenz der Betriebsparteien steht in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. VI/1786, S. 47; auch zu der Vorgängervorschrift § 59 BetrVG 1952, BT-Drucks. I/3585, S. 10). Sie wird schließlich auch durch § 28 Abs. 1 des Gesetzes über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2316, 2321) bestätigt. Nach dieser dem § 1 Abs. 1 TVG nachgebildeten Vorschrift können Arbeitgeber und Sprecherausschuß Richtlinien über den Inhalt, den Abschluß oder über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen der leitenden Angestellten schriftlich vereinbaren, und zwar mit unmittelbarer und zwingender Wirkung für die Arbeitsverhältnisse, wenn und soweit dies zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuß vereinbart wird (§ 28 Abs. 2 Satz 1 SprAuG). Zu den Bestimmungen über die Beendigung der Arbeitsverhältnisse gehören Regelungen über Dauer und Befristung des Arbeitsverhältnisses (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rz 227), mithin also auch Bestimmungen über eine Altersgrenze, bei denen es sich um eine auflösende Bedingung oder um eine Befristung des Arbeitsverhältnisses handelt. Da nicht angenommen werden kann, daß der Gesetzgeber dem Sprecherausschuß eine größere Regelungsbefugnis als dem Betriebsrat einräumen wollte, verdeutlicht das Sprecherausschußgesetz durch seine Regelung, was nach dem Betriebsverfassungsgesetz schon bislang Rechtens ist.

d) Betriebsvereinbarungen mit diesem Inhalt können nur als freiwillige Betriebsvereinbarungen zustandekommen, da die Festlegung einer Altersgrenze nicht zu den Gegenständen zählt, für die das Betriebsverfassungsgesetz eine Mitbestimmung des Betriebsrats vorsieht (vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 77 Rz 15).

3. Die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien besteht nur in den Grenzen von Recht und Billigkeit (§ 75 Abs. 1 BetrVG). Höherrangiges und zwingendes Recht darf nicht verletzt werden. Bei der Ausübung und Ausgestaltung ihrer Regelungsbefugnis haben die Betriebsparteien den Grundsätzen des freiheitlichen und sozialen Rechtsstaats (Art. 20 GG) und der individuellen Entfaltungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 GG) Rechnung zu tragen.

a) Betriebsvereinbarungen, die das Ausscheiden der Arbeitnehmer bei Erreichen eines bestimmten Alters aus dem Arbeitsverhältnis vorsehen, dürfen durch ihre inhaltliche Ausgestaltung nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer führen. Alle im Betrieb tätigen Personen, gleich welchen Alters, sind gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit gleichzubehandeln. So haben Arbeitgeber und Betriebsrat nach § 75 Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch darauf zu achten, daß Arbeitnehmer nicht wegen Überschreitung bestimmter Altersstufen benachteiligt werden. Die Altersgrenzenregelung stellt eine Konkretisierung des allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes dar (BAG Beschluß vom 18. August 1987 - 1 ABR 30/86 - BAGE 56, 18 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972). Sie dient nicht der Verlängerung des Erwerbslebens (BAGE 31, 20, 22 = AP Nr. 9 zu § 99 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 20. November 1987 - 2 AZR 284/86 - BAGE 57, 30 = AP Nr. 2 zu § 620 BGB Altersgrenze) und auch nicht dem Bestandsschutz (Schröder, Altersbedingte Kündigungen und Altersgrenzen im Individualarbeitsrecht, 1984, S. 201).

b) Die Betriebsparteien haben auch darauf zu achten, daß sie mit der Altersgrenzenregelung, die sich rechtlich als auflösende Bedingung oder als Befristung des Arbeitsverhältnisses darstellt, nicht gegen zwingende kündigungsschutzrechtliche Vorschriften verstoßen. Betriebsvereinbarungen, die Altersgrenzen für das Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis festlegen, dürfen nicht zu einer Umgehung des gesetzlichen Kündigungsschutzes führen. Die Betriebsvereinbarung muß Raum für eine individuelle Beurteilung lassen und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts zur Befristung von Arbeitsverhältnissen stehen und inhaltlich so gestaltet sein, daß dem Arbeitnehmer der Kündigungsschutz ohne sachlichen Grund weder verkürzt noch genommen wird (vgl. grundlegend BAG Großer Senat Beschluß vom 12. Oktober 1960 - GS 1/59 - BAGE 10, 65 = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag).

c) Die Festlegung einer Altersgrenze für das Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis in einer Betriebsvereinbarung darf schließlich auch nicht den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern die Möglichkeit einer freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit nehmen oder mehr als sachlich geboten einschränken. § 75 Abs. 2 BetrVG verweist auf die Freiheitsrechte des Grundgesetzes, insbesondere die Grundrechte auf den Schutz der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG und der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG, die mittelbar auf das Arbeitsverhältnis einwirken (vgl. BVerfGE 7, 198, 205 ff.; 25, 256, 263; 42, 143, 148; 73, 261, 269; BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht).

4. Ob die Parteien im Ausgangsverfahren diese Grenzen der Regelungsbefugnis beachtet haben, wird der vorlegende Senat zu entscheiden haben. Nach den Grenzen der Regelungsbefugnis ist nicht gefragt. Rechtswirksame Betriebsvereinbarungen über Altersgrenzen sind jedenfalls möglich, wenn die Grenzen der Regelungsbefugnis beachtet werden.

II. Maßgebende Kollisionsnorm ist das Günstigkeitsprinzip. Der Große Senat beurteilt diese Rechtsfrage wie in seinem Beschluß vom 16. September 1986 (GS 1/82 - BAGE 53, 42 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972). Nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gelten Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend. Die Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung verdrängen danach vertragliche Regelungen. Doch schließt diese Bestimmung das Günstigkeitsprinzip nicht aus. Dieses Prinzip gilt auch für das Verhältnis von vertraglichen Regelungen über Altersgrenzen zu den Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung.

1. Als allgemeiner Grundsatz gilt das Günstigkeitsprinzip auch für das Verhältnis von Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung zu günstigeren vertraglichen Abreden. Der Wortlaut des § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG steht nicht entgegen. Die Norm muß wegen der Bedeutung des Günstigkeitsprinzips für die gesamte Arbeitsrechtsordnung und im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte und systematische Überlegungen um die Kollisionsnorm des Günstigkeitsprinzips ergänzt und damit im Ergebnis eingeschränkt werden (vgl. Großer Senat, aaO, Abschnitt C II 3 b = BAGE 53, 42, 60).

Dieser Teil des Beschlusses hat weitgehende Zustimmung in der Literatur gefunden (vgl. Belling, DB 1987, 1888; Däubler, AuR 1987, 349, 351; Höfer/Kisters-Kölkes/Küpper, DB 1987, 1585; Hromadka, NZA Beil. 3/1987, 2, 4 f.; Joost, RdA 1989, 7; Moll, NZA Beil. 1/1988, 17, 20; Richardi, NZA 1987, 185, 187; Schäffl, DRdA 1988, 195). Der Große Senat hat keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.

Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung des Großen Senats nachträglich bestätigt. Er hat das Günstigkeitsprinzip als Kollisionsnorm im Sprecherausschußgesetz anerkannt (§ 28 Abs. 2 Satz 1 und 2 SprAuG). Nach dieser Bestimmung gilt der Inhalt der Richtlinien (dazu gehören auch Richtlinien über die Beendigung von Arbeitsverhältnissen) unmittelbar und zwingend für die Arbeitsverhältnisse, soweit dies zwischen Arbeitgeber und Sprecherausschuß vereinbart ist. Abweichende Regelungen zugunsten leitender Angestellter sind zulässig. Dafür, daß der Gesetzgeber die Anwendung des Günstigkeitsprinzips nur auf die Arbeitsverhältnisse der leitenden Angestellten beschränken wollte, gibt es keine Anhaltspunkte.

2. Bei diesem Günstigkeitsvergleich sind jeweils einzelne Abreden miteinander zu vergleichen die vertragliche Abrede über das Ende des Arbeitsverhältnisses und die in der Betriebsvereinbarung getroffene Regelung über denselben Gegenstand (individueller Günstigkeitsvergleich). Ein kollektiver Günstigkeitsvergleich kommt für Fallgestaltungen der vorliegenden Art nicht in Betracht.

Der Große Senat (Beschluß vom 16. September 1986, aaO, zu C II 4 der Gründe) hält einen kollektiven Günstigkeitsvergleich nur dann für erforderlich, wenn Ansprüche auf freiwillige soziale Leistungen mit kollektivem Bezug sowohl im Einzelarbeitsvertrag als auch in der Betriebsvereinbarung geregelt werden. Durch den kollektiven Bezug der Ansprüche wird die Eigenart der geschützten Rechtsposition eines einzelnen Arbeitnehmers gekennzeichnet. Die inhaltlichen Besonderheiten dieser Ansprüche bestimmen die Kriterien des Vergleichsmaßstabs bei der Anwendung des Günstigkeitsprinzips. Nur bei diesen Ansprüchen mit kollektivem Bezug fordert die Anwendung des Günstigkeitsprinzips eine dem Schutzzweck der Norm entsprechende Einschränkung. Nur wenn die kollektiven Voraussetzungen und ein Verteilungsplan das Bild einer vertraglichen Einheitsregelung bestimmen, dürfen bei der Anwendung des Günstigkeitsprinzips nicht die einzelnen Zusagen und individuellen Besitzstände in die Vergleichsbetrachtung einbezogen werden. Nur in diesen Fällen kann es auf den wirtschaftlichen Wert der Zusagen insgesamt ankommen.

Von einem kollektiven Bezug dieser Art und von einem System, in dem vertragliche Ansprüche zueinander stehen, kann bei Abreden über das Ende des Arbeitsverhältnisses keine Rede sein. In diesen Fällen läßt sich der Günstigkeitsvergleich ohne Rückgriff auf die Einbindung der Ansprüche in ein System von Leistungen, in ein Bezugssystem und in einen Leistungsplan, anstellen. Ein solcher Vergleich berührt nicht die Verteilungsgerechtigkeit.

3. Bei einem einfachen, individuellen Günstigkeitsvergleich ist die rechtliche Lage des Arbeitnehmers in bezug auf die Altersgrenzen einerseits nach seinem Arbeitsvertrag und andererseits nach der Betriebsvereinbarung zu vergleichen. In diesen Vergleich sind ausschließlich die Abreden über die Altersgrenze einzubeziehen. Nur durch den Vergleich einzelner Abreden läßt sich feststellen, welche Regelung im Einzelfall günstiger ist.

a) Vor Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung konnte der Arbeitnehmer seinerseits das Arbeitsverhältnis jederzeit durch eigene Kündigung (unter Einhaltung der Kündigungsfristen) beenden. Die Entscheidung darüber, ob er das Arbeitsverhältnis zu seinem Arbeitgeber fortsetzen oder die Tätigkeit beenden wollte, war nur durch die Abrede über eine Altersgrenze eingeschränkt. Der Arbeitgeber konnte das Arbeitsverhältnis wegen Erreichens einer Altersgrenze wirksam nur unter den Voraussetzungen des § 1 KSchG kündigen (vgl. dazu BAG Urteil vom 28. September 1961 - BAGE 11, 278 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung). Auch die Tatsache, daß ein Arbeitnehmer berechtigt ist, vor Vollendung des 65. Lebensjahres Altersruhegeld der gesetzlichen Rentenversicherung zu beantragen, ist nicht als ein die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber bedingender Grund im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG anzusehen (Art. 6 § 5 Abs. 1 des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 - BGBl. I S. 1965).

b) Nach der Betriebsvereinbarung wird der Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer frei über die Fortsetzung oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses entscheiden kann, um ein halbes Jahr verkürzt.

Die Möglichkeit, über das Ende seines Arbeitsverhältnisses, und im Fall der Einführung einer Altersgrenze praktisch über das Ende des Berufslebens, entscheiden zu können, ist ein rechtlicher Vorteil. Eine Altersgrenzenregelung ist für den Arbeitnehmer umso günstiger, je länger er die Wahlmöglichkeit zwischen Arbeit und Ruhestand hat. Jede Verkürzung der Wahlmöglichkeit ist ungünstiger.

c) Danach ist die Regelung der Betriebsvereinbarung über die Herabsetzung der Altersgrenze eine ungünstigere Regelung. Durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung kann deshalb keine niedrigere Altersgrenze für den Arbeitnehmer verbindlich festgelegt werden. Die für den Arbeitnehmer günstigere Abrede über das Ende des Arbeitsverhältnisses in seinem Arbeitsvertrag bleibt bestehen; sie wird nicht durch die Betriebsvereinbarung verdrängt.

Dr. Kissel Vizepräsident Dr. Neumann ist nach

Eintritt in den Ruhestand an der

Unterschriftsleistung verhindert.

Dr. Kissel

Dr. Thomas

Dr. F. Heither Gnade K. Kehrmann

Dr. Becker Mager Dr. Federlin

Dr. Röhsler

 

Fundstellen

BAGE 63, 211-221 (LT1)

BAGE, 211

BB 1990, 1840

BB 1990, 1840-1841 (LT1)

DB 1990, 1724-1726 (LT1)

BetrVG, (6) (LT1)

BetrAV 1990, 224-225 (LT1)

EWiR 1990, 853-854 (S1-4)

NZA 1990, 816-820 (LT1)

ZIP 1990, 1152-1156 (LT1)

AP § 77 BetrVG 1972 (LT1), Nr 46

AR-Blattei, Betriebsvereinbarung Entsch 52 (LT1)

AR-Blattei, ES 520 Nr 52 (LT1)

EzA § 77 BetrVG 1972, Nr 34 (LT1)

MDR 1990, 1143-1144 (LT1)

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