Rz. 62

Der Gesetzgeber hat die Fürsorge- und Prozessförderungspflicht gem. § 76 Abs. 2 FGO dem Vorsitzenden auferlegt, um so eine zügige und sachgerechte Behandlung der Verfahren zu gewährleisten. In der Praxis jedoch werden die einzelnen Fälle regelmäßig bereits in einem frühen Stadium durch den Berichterstatter[1] bearbeitet, sodass sich die Tätigkeit des Vorsitzenden nach § 76 Abs. 2 FGO auf die mündliche Verhandlung beschränkt. Im Rahmen der Bearbeitung des Falles durch den Berichterstatter nach § 79 FGO treffen diesen gleichfalls die Verpflichtungen aus § 76 Abs. 2 FGO.[2]

 

Rz. 63

Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben[3], ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird.[4] Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten hängen von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falls sowie von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten ab.[5] Erscheint ein Beteiligter beispielsweise zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt nicht, kann er anschließend regelmäßig nicht die Verletzung der Hinweispflicht rügen.[6] Die Sache ist des Weiteren in jeder Hinsicht mit dem Ziel einer nach fairem Verfahren möglichen Entscheidung über den Klagegegenstand zu fördern. Dabei ist auch das Zeitmoment zu berücksichtigen. Droht durch Zeitablauf Beweisverlust, ist bei der Vorbereitung der Sache darauf Rücksicht zu nehmen.[7]

 

Rz. 64

Auch wenn die gesetzliche Hinweispflicht des § 76 Abs. 2 FGO in besonderer Weise zu beachten ist, wenn der Kläger nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird und selbst erkennbar nicht fachkundig ist[8], begründet die Vorschrift auch bei Rechtsunkundigen keine umfassende Hinweispflicht.[9] Es macht grundsätzlich keinen Unterschied hinsichtlich der Intensität der richterlichen Pflichten, ob der jeweilige Beteiligte sachkundig vertreten ist oder nicht, auch wenn faktisch das Gericht bei Rechtskundigen eher seltener Anlass zu Hinweisen haben dürfte.[10]

 

Rz. 65

Der Vorsitzende hat im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflichten u. a. darauf hinzuweisen, dass Formfehler beseitigt werden. Der Erfolg einer Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit des Klägers, zumal in Formsachen, scheitern. Insbesondere hat das Gericht auf fehlende Prozessvoraussetzungen hinzuweisen und Anregungen zu ihrer Beseitigung zu geben, damit das Rechtsschutzbegehren nicht schon im formellen Bereich scheitert, obwohl das vermeidbar gewesen wäre. So sind z. B. fehlende Vollmachten und Unterschriften anzufordern.

 

Rz. 66

Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass sachdienliche Anträge gestellt und unklare Anträge erläutert werden. Dabei ist die Beschränkung durch das Klagebegehren[11] zu beachten. Das Gericht darf den Kläger nicht sehenden Auges ohne Belehrung einen unzulässigen Antrag stellen lassen, wenn ein zulässiger prozessual möglich ist. Auf der anderen Seite muss dem Kläger allerdings nicht zu einem anderen, zulässigen Antrag geraten werden, wenn die Klage in jedem Fall (als unbegründet) abzuweisen wäre.[12] Jedenfalls hat der Richter auf eine sachgerechte Fassung der Anträge hinzuwirken, nicht aber den Inhalt des Begehrens zu beeinflussen oder gar zu bestimmen. Das Gericht ist deshalb gehalten, durch Hinweise den Weg zu zeigen, wie das erstrebte Prozessziel am wirksamsten und einfachsten erreicht werden kann. Auf der anderen Seite ist es jedoch nicht Aufgabe des Gerichts, neue, weitergehende Prozessziele anzuregen. Die Grenze richterlicher Hilfe verläuft dort, wo der Richter, statt auf die äußere "Fassung" des Antrags hinzuwirken, über das Klagebegehren inhaltlich disponiert.[13] Es ist zudem nicht Aufgabe des Richters, Rechtsauskunft oder Rechtsrat zu erteilen[14] oder die Entscheidung in eine bestimmte Richtung zu lenken.

 

Rz. 67

Die Hinweispflicht erfasst danach ggf. auch solche Anträge, die ein Prozessbeteiligter aus Versehen nicht oder nicht richtig gestellt hat, ohne dass ihm der an sich erkennbare Mangel bewusst geworden ist.[15] Die Anregung kann sich auf rechtzeitige Anträge auf Wiedereinsetzung gem. § 56 FGO oder Verweisungsanträge und Erledigungserklärungen beziehen.

 

Rz. 68

Nach § 76 Abs. 2 FGO hat der Vorsitzende ferner darauf hinzuwirken, dass ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Beteiligte zuvor bereits konkrete Angaben gemacht hatte, diese dem Gericht aber nicht ausreichen.[16] Grundsätzlich ist das FG aber nicht verpflichtet, die Beteiligten zu einer Substanziierung ihres Sachvortrags zu veranlassen, wenn die rechtliche Bedeutung der vorzutragenden Tatsachen für den Ausgang des Klageverfahrens auf der Hand liegt und der Kläger steuerlich beraten und im Prozess entsprechend vertreten wird.[17] Im Ü...

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