Rz. 29

Die Aufhebung der Vollziehung eines bereits vollzogenen Verwaltungsaktes war ursprünglich nur in § 69 Abs. 3 FGO vorgesehen. Sie ist vom BFH in sinngemäßer Anwendung auf das Einspruchsverfahren übertragen worden[1]. Der Aufhebung sollte dabei nicht entgegenstehen, dass die Leistung freiwillig erbracht worden ist[2]. Obwohl die Aufhebung der Vollziehung an sich die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme nicht berührt (vgl. § 361 Rz. 32), soll diese nach BFH v. 10.12.1986, I B 121/86, BStBl II 1987, 389; BFH v. 30.3.1993, VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4 auch auf die Säumniszuschläge bezogen werden können, da diese zu den primären Vollzugsfolgen eines Steuerbescheides gehörten und eine Aufhebung sich gerade auf die Vergangenheit bezöge. Der BFH sieht eine Vollziehung des Steuerbescheides deswegen schon dann als gegeben an, wenn zwar die Steuerabschlusszahlung nicht geleistet, aber Säumniszuschläge verwirkt worden sind. Die Wirkungen der Aufhebung der Vollziehung auf die Säumniszuschläge begründet BFH v. 10.12.1986, I B 121/86, BStBl II 1987, 389 auch damit, dass die Säumniszuschläge als Druckmittel im Fall ernsthafter Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes keine Rechtfertigung hätten und bei Aufhebung der Vollziehung rückwirkend entfielen.

 

Rz. 30

Gegen die Richtigkeit dieser Auffassung bestehen erhebliche Zweifel. Zum einen meint § 69 Abs. 2 S. 5 FGO (früher Abs. 3 S. 4) mit der Vollziehung des Verwaltungsaktes diejenige des angefochtenen Verwaltungsaktes und nicht den Anfall mittelbarer Folgen bei einem bestimmten Verhalten des Betroffenen des Verwaltungsaktes (Nichtzahlung). Zum anderen richtet sich der Druckmittelcharakter des Säumniszuschlages immer in die Zukunft. Im Zeitpunkt der Verwirkung in den angesprochenen Fällen war das Druckmittel wegen Nichtzahlung jedoch gerechtfertigt. Ein automatischer rückwirkender Wegfall ist durch nichts gerechtfertigt, wie auch der in § 240 Abs. 1 S. 4 enthaltene Gedanke zeigt[3]. Die Verwaltung hat sich allerdings der Auffassung des BFH angeschlossen[4]. Danach hat der BFH es sogar für möglich gehalten, dass zwar die Steuerfestsetzung vollzogen wird, dagegen die Säumnisfolgen im Wege der Aufhebung der Vollziehung beseitigt werden[5].

 

Rz. 31

Durch Änderung des § 361 Abs. 2 S. 3 u. 4[6] im JStG 1997 mit Wirkung ab 28.12.1996 ist die zugelassene Aufhebung der Vollziehung grundsätzlich beschränkt auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende KSt und um die festgesetzten Vorauszahlungen. Die Aufhebung soll sich also nur auf die Abschlusszahlung ­beziehen, nachdem der Große Senat des BFH v. 3.7.1995, GrS 3/93, BStBl II 1995, 730 eine freie Rückzahlung aller auf die Steuerschuld früher geleisteten Tilgungen jeder Art eröffnet hatte. Nur wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint, kann nach § 361 Abs. 2 S. 4 Hs. 2 die Aufhebung weiter greifen. Vgl. zum Anwendungsbereich dieser Vorschrift § 361 Rz. 35a—35c. Für die Beseitigung der Säumnisfolgen durch Aufhebung der Vollziehung besteht im Hinblick auf diese neue Regelung kein Grund, da der Druckmittelcharakter des Säumniszuschlages seinen Sinn verliert (siehe Rz. 30).

[3] Siehe VGH München v. 2.4.1985, 23 C S 85 A. 361, NVwZ 1987, 63; im Ergebnis ebenso OVG Lüneburg v. 13.5.1986, 9 A 46/83, NVwZ 1987, 65; a. A. jetzt Tipke/Kruse, AO, § 240 Rz. 29.
[4] BMF v. 10.7.1990, BStBl I 1990, 33.

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