Rz. 35

Da über die Aufhebung d. V. damit auch eine Erstattung bereits erbrachter oder einbehaltener Leistungen erreicht werden könnte[1], schränkt § 361 Abs. 2 S. 4 AO den Umfang der Aufhebung ein. Die Aufhebung darf regelmäßig nur für den Unterschiedsbetrag (s. Rz. 27 und 93) gewährt werden, d. h. für die um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, die anzurechnende KSt und die festgesetzten Vorauszahlungen geminderte festgesetzte Steuer. Die Regelung gilt nur für Steuerbescheide, mithin nicht für Haftungsbescheide.[2]

 

Rz. 35a

Die Einschränkung gilt aber nicht, wenn die AdV zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die Formulierung des Gesetzes entspricht insoweit § 114 Abs. 1 S. 2 FGO, sodass für die Auslegung der Vorschrift auf die Rspr. zur einstweiligen Regelungsanordnung durch das FG zurückgegriffen werden kann.[3] Demnach müssen die Gründe für eine vorzeitige Erstattung bereits erbrachter oder einbehaltener Leistungen so schwerwiegend sein, dass sie diese einstweilige Regelung unabweisbar machen.[4] Die die einstweilige Regelung gebietenden Umstände müssen über die Nachteile hinausgehen, die sich durch die Vollziehung im Regelfall ergeben.

Wesentliche Nachteile i. d. S. sind demgemäß nur gegeben, wenn durch die Vollziehung der angefochtenen Steuerbescheide die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Stpfl. unmittelbar und ausschließlich bedroht sein würde, mithin genügen bloße Zins- oder Liquiditätsnachteile als solche nicht.[5] Allein der Umstand, dass die verlangten Mittel und Zahlungen im Weg der Kreditaufnahme finanziert werden müssen, ist kein wesentlicher Nachteil i. d. S.[6] Wesentliche Nachteile liegen auch bei zu erwartenden erheblichen Grundrechtsverletzungen vor.[7]

 

Rz. 35b

Zwar hat die Finanzbehörde über das Vorliegen der wesentlichen Nachteile von Amtswegen zu entscheiden[8], aber der Regelungsgrund (Vorliegen wesentlicher Nachteile) muss vom Antragsteller schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht werden.[9]

[2] Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 94.
[3] Vgl. auch Rz. 93; AEAO zu § 361 Nr. 4.6.1; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 361 Rz. 43.
[4] BFH v. 26.1.1983, I B 48/80, BStBl II 1983, 233 unter Hinweis auf BVerfG v. 7.12.1977, 2 BvF 1/77, BVerfGE 46, 337; AEAO zu § 361 Nr. 4, 4.6.1.
[5] BFH v. 22.11.2001, V B 100/01, BFH/NV 2002, 519; Klein/Rätke, AO, 16. Aufl. 2022, § 361 Rz. 43; Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 100; AEAO zu § 361 Nr. 4.6.1.
[8] Koenig/Cöster, AO, 4. Aufl. 2021, § 361 Rz. 101.

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