Leitsatz (amtlich)

Der Streitwert (Gegenstandswert) für das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EGH bestimmt sich nach dem Streitwert des Ausgangsverfahrens.

 

Normenkette

FGO a.F. § 140 Abs. 3, § 146 Abs. 1; BRAGO §§ 113, 113a; GKG n.F. § 13; KostÄndG 1975 Art. 5 § 2 Abs. 4

 

Tatbestand

Im vorliegenden Verfahren ging es um die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides über 404 DM. Nach erfolgreicher Klage legte der Beklagte, Revisionskläger und Antragsgegner (HZA) Revision ein, die er nach einer vom erkennenden Senat eingeholten Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EGH) zurücknahm. Der Senat legte darauf mit Beschluß vom 25. März 1976 die Kosten des Revisionsverfahrens dem HZA auf.

Mit Schreiben vom 15. April 1976 beantragte die Klägerin, Revisionsbeklagte und Antragstellerin (Klägerin), den Gegenstandswert des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EGH durch Beschluß festzusetzen. Zur Begründung führte sie aus, der Streitwert sei insbesondere nach der Bedeutung der Sache festzusetzen. Dabei sei maßgebend, welches Interesse die Klägerin an der Vorabentscheidung habe. Ihr Ergebnis sei ausschlaggebend gewesen dafür, ob die Klägerin eine Erstattung der gesamten von ihr gezahlten Ausgleichsabgaben habe erwarten können. Dieses Interesse der Klägerin liege bei 220 472,70 DM. Es werde beantragt, diesen Betrag als Gegenstandswert für das Vorabentscheidungsverfahren festzusetzen.

Das HZA hält den Antrag, einen höheren Gegenstandswert als den streitigen Ausgleichsabgabebetrag von 404 DM festzusetzen, für unbegründet. Es ist der Ansicht, in Fällen, in denen wie hier ein bestimmter Steuerbetrag streitig sei, bilde dieser den Wert des Streitgegenstandes.

 

Entscheidungsgründe

Der Antrag der Klägerin ist zulässig. Es kann dahingestellt bleiben, ob sich seine Zulässigkeit aus § 113 a Abs. 1 Satz 5 der BRAGebO ergibt; dieser wäre auch im vorliegenden Fall anwendbar, wenn man Art. 5 § 2 Abs. 4 des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. August 1975 (BGBl I 1975, 2189, BStBl I 1975, 950) dahin auslegte, daß bei laufenden Verfahren zwar das neue materielle Kostenrecht nicht anwendbar ist, wohl aber das neue Verfahrensrecht. Jedenfalls ist der Antrag auch bei Anwendung des früheren Rechts als zulässig zu erachten. Er ist zwar, da er im Namen der Klägerin gestellt worden ist, kein Antrag nach §§ 9 oder 10 BRAGebO. Er ist aber als Antrag nach § 146 Abs. 1 FGO a. F. auf Feststellung des Streitwerts des Vorabentscheidungsverfahrens anzusehen, der nach §§ 7 bis 9 BRAGebO für die Gebühren des Rechtsanwalts in diesem Verfahren maßgebend ist. Für die Entscheidung ist der BFH zuständig, da das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EGH im Rahmen des Revisionsverfahrens stattgefunden hat und eine Zuständigkeit des EGH dafür fehlt; denn der EGH hat entschieden, daß die Kostenentscheidung dem BFH obliege, da das Verfahren vor dem EGH ein Zwischenstreit des Ausgangsverfahrens sei.

Der Streitwert bemißt sich nach dem vor dem 15. September 1975 geltenden Recht. Nach § 140 Abs. 3 FGO a. F. ist er unter Berücksichtigung der Sachanträge der Beteiligten nach freiem Ermessen zu bestimmen. Nach diesen Anträgen ging es um die Rechtmäßigkeit der Erhebung eines Steuerbetrages von 404 DM. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, von der abzugehen der Senat keinen Anlaß sieht, bemißt sich der Wert des Streitgegenstandes nach dem Steuerbetrag, um den in einem Steuerverfahren unmittelbar gestritten wird. Es ist also nicht das geldwerte Interesse in seiner Gesamtheit maßgebend, das ein Steuerpflichtiger an der Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens hat. Dieses Interesse wäre oft kaum einigermaßen zuverlässig festzustellen. Bei der Streitwertfestsetzung müssen daher Umstände außer Betracht bleiben, die zwar das finanzielle Interesse des Steuerpflichtigen am Streitgegenstand berühren, mit dem Verfahren aber nicht unmittelbar zusammenhängen (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 10. September 1974 VII B 60/73, BFHE 113, 407, BStBl II 1975, 196, mit weiteren Nachweisen).

Der Streitwert des Vorabentscheidungsverfahrens ist daher auf 404 DM festzusetzen. Ihn niedriger deswegen festzusetzen, weil in diesem Verfahren nur über eine präjudizielle Rechtsfrage, nicht über die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids selbst entschieden wird, erscheint im Hinblick auf die Bedeutung der Entscheidung des EGH für den Ausgang des Rechtsstreits nicht angemessen. So hat der erkennende Senat bereits im Beschluß vom 29. Oktober 1968 VII B 106/67 (BFHE 94, 49, BStBl II 1969, 83) entschieden; danach bildet das Verfahren der Vorabentscheidung vor dem EGH kostenrechtlich einen Abschnitt des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht und ist ein besonderer - geringerer - Streitwert für das Verfahren vor dem EGH nur in jenen Fällen festzusetzen, in denen die dem EGH zur Entscheidung vorgelegte Rechtsfrage lediglich für einen Teil des Streitgegenstandes des Ausgangsverfahrens Bedeutung hat.

§ 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGebO a. F. ist nicht entsprechend anwendbar. Danach ist der Gegenstandswert sonstiger Verfahren vor dem BVerfG "unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen, jedoch nicht unter 5 000 Deutsche Mark und nicht über 5 000 000 Deutsche Mark". Diese Regelung stellt eine Ausnahme von dem oben dargelegten, im finanzgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz dar, daß in Verfahren, in denen es um einen ziffernmäßig belegten Geldbetrag geht, stets dessen Höhe für die Streitwertfestsetzung maßgebend ist (vgl. auch § 13 Abs. 2 des GKG n. F.), es also nicht darauf ankommt, welche Bedeutung die jeweils zu klärende Rechtsfrage für die Allgemeinheit oder für den Kläger hat sowie welchen Umfang und welche Schwierigkeiten die Rechtssache aufweist und welcher Arbeitsaufwand damit für den Steuerpflichtigen oder seinen Prozeßbevollmächtigen verbunden ist. Schon dieser Umstand spricht gegen eine analoge Anwendung des § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGebO im vorliegenden Fall. Hinzu kommt, daß zwischen dem Vorabentscheidungsverfahren beim EGH und dem - allenfalls vergleichbaren - konkreten Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG nach § 13 Nr. 11 des BVerfGG Unterschiede bestehen, die der Annahme entgegenstehen, beide Fälle seien in dem für die analoge Anwendung erforderlichen Maße rechtsähnlich oder wesensgleich. Denn während eine Vorlage an das BVerfG nur geboten ist, wenn das vorlegende Gericht ein Gesetz für verfassungswidrig hält, ist der BFH nach Art. 177 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGV0 schon bei Zweifeln über die Auslegung einfachen Gemeinschaftsrechts zur Vorlage an den EGH verpflichtet. Während die Vorabentscheidung des EGH unmittelbare Bedeutung nur für den Einzelfall hat, hat die Entscheidung des BVerfG im konkreten Normenkontrollverfahren Gesetzeskraft (§ 31 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Sie erledigt damit tatsächlich die bei sog. Musterprozessen noch im Hintergrund stehenden anderen Verfahren. Insbesondere der letztgenannte Umstand rechtfertigt es, im konkreten Normenkontrollverfahren vor dem BVerfG ein Verfahren zu sehen, das nicht nur einen Zwischenstreit des Ausgangsverfahrens darstellt, sondern eine weit darüber hinausgehende selbständige Bedeutung hat und daher hinsichtlich des Streitwertes auch unabhängig vom Streitwert des Ausgangsverfahrens beurteilt werden muß. Dafür, daß das Verfahren vor dem EGH damit nicht vergleichbar ist, spricht auch der Umstand, daß der EGH selbst in Seiner Kostenentscheidung das Verfahren bei ihm als einen "Zwischenstreit in dem vor dem innerstaatlichen Gericht anhängigen Rechtsstreit" bezeichnet hat.

Die Richtigkeit dieser Auffassung wird durch den - im vorliegenden Fall noch nicht anwendbaren - § 113 a Abs. 1 Satz 4 BRAGebO bestätigt. Danach bestimmt sich der Gegenstandswert des Verfahrens vor dem EGH "nach den Wertvorschriften, die für die Gerichtsgebühren des Verfahrens gelten, in dem vorgelegt wird". Das bedeutet, daß § 13 GKG, insbesondere sein Abs. 2, anwendbar ist, wonach der Streitwert der Höhe des strittigen Steuerbetrages entspricht. Die Tatsache, daß der Gesetzgeber des Kostenänderungsgesetzes 1975 es unterlassen hat, für den Gegenstandswert des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EGH eine gleiche Regelung wie nach § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGebO für den Wert des Verfahrens vor dem BVerfG zu treffen, zeigt, daß der Gesetzgeber von unterschiedlichen Gegebenheiten ausging, die unterschiedliche Regelungen erfordern.

Entgegen der Auffassung der Klägerin verstößt diese unterschiedliche Behandlung nicht gegen Art. 3 GG. Ein solcher Verstoß läge nur vor, wenn beide Fälle ohne rechtlich zureichenden Grund - also willkürlich - unterschiedlich behandelt würden (vgl. BVerfG-Beschluß vom 12. Dezember 1967 2 BvL 14/62 usw., BVerfGE 22, 387, 415). Diese Voraussetzungen liegen jedoch, wie die obigen Darlegungen zur Frage der entsprechenden Anwendung des § 113 BRAGebO beweisen, nicht vor.

Auf den Beschluß des erkennenden Senats vom 24. Oktober 1973 VII B 150/70 (BFHE 110, 462, Neue Juristische Wochenschrift 1974 S. 1639) kann sich die Klägerin nicht berufen. Diese Entscheidung hat sich lediglich mit der Frage der Gebühren befaßt und dafür die Sätze 1 und 2 des § 113 Abs. 2 BRAGebO entsprechend angewendet; sie hat aber die Frage der Höhe des Streitbzw. Gegenstandswertes des Vorabentscheidungsverfahrens nicht behandelt. Daß der Senat dabei beide Verfahren für genügend rechtsähnlich gehalten hat, um eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BRAGebO auf das Vorabentscheidungsverfahren vor dem EGH zu rechtfertigen, zwingt nicht zu dem Schluß, daß diese Rechtsähnlichkeit auch im Hinblick auf den Gegenstandswert gegeben ist. Nach den obigen Ausführungen ist das nicht der Fall.

 

Fundstellen

Haufe-Index 71650

BStBl II 1976, 714

BFHE 1977, 397

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