Rz. 19

Voraussetzung für die Beifügung eines Vorbehalts bei einer Steuerfestsetzung ist lediglich, dass die Überprüfung des Steuerfalls noch nicht abgeschlossen ist. Hierbei handelt es sich um eine zu prüfende tatbestandliche Voraussetzung der Norm.[1] Die Prüfung dieser tatbestandlichen Voraussetzung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil die Beifügung des Vorbehalts nach § 164 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 AO keiner Begründung bedarf. Die Finanzbehörde ist deshalb bei der Entscheidung über die Aufnahme des Vorbehalts nicht vollends frei, sodass ihre Entscheidung nur auf grobe Ermessensverstöße überprüft werden könnte.[2] Ergeben sich bei Erlass des Steuerbescheids Anhaltspunkte dafür, dass eine abschließende Prüfung des Steuerfalls bereits erfolgt ist oder nicht beabsichtigt ist, liegt bereits die tatbestandliche Voraussetzung der Norm nicht vor, sodass die Vorbehaltsaufnahme rechtswidrig ist.[3] Gleichwohl ist einzuräumen, dass sich die Nachweisführung für den Stpfl., dass keine abschließende Prüfung mehr beabsichtigt ist, schwierig gestaltet. Die Finanzbehörde braucht lediglich ihre fortbestehende Prüfungsabsicht substantiiert darzulegen.[4] Neben der fehlenden abschließenden Prüfung des Steuerfalls bestehen aber keine weiteren Voraussetzungen der Norm.[5]

Die Beifügung des Vorbehalts bedarf nach § 164 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 AO keiner Begründung. Die Vorschrift befreit die Finanzbehörde aber nur davon, dem Steuerbescheid die nach § 121 Abs. 1 AO grundsätzlich erforderliche Begründung beizufügen. Sie hat nicht zur Folge, dass das (einzige) Tatbestandsmerkmal der fehlenden abschließenden Prüfung keiner Überprüfung zugänglich wäre.

Eine dennoch abgegebene Begründung ist hingegen zulässig und unschädlich.[6] Der Vorbehalt ist daher zulässig, wenn zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids nicht ausgeschlossen werden kann, dass noch eine Überprüfung des Steuerfalls erfolgen wird.

Erfasst wird die Möglichkeit der Überprüfung bei allen Besteuerungsgrundlagen, die in dem fraglichen Steuerbescheid zu erfassen sind bzw. bei denen noch nicht feststeht, ob sie zu erfassen sind oder nicht. Die Nachprüfung kann sich aber auch auf die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts erstrecken. Eine Beschränkung auf die Nachprüfung des der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalts ist dem Wortlaut der Norm nicht zu entnehmen.[7]

Gleichwohl ist es auch nicht erforderlich, dass sich die Finanzbehörde Ermittlungen zu mehr als nur zu einzelnen Punkten vorbehalten will.[8]

Überprüfung ist dabei jede dem Stpfl. gegenüber vorgenommene Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen, also sowohl eine Außenprüfung als auch Einzelermittlungen sowie Ermittlungen bei dem Stpfl. als auch an Amtsstelle. Rein interne Ermittlungen, die nicht gegenüber dem Stpfl. vorgenommen werden, wie die Möglichkeit der Überprüfung durch den Rechnungshof oder die Dienstaufsicht, genügen jedoch nicht.[9] Abschließend geprüft ist ein Steuerfall erst dann, wenn bei Erlass des Steuerbescheids feststeht, dass kein Prüfungsbedürfnis (mehr) besteht oder eine erneute Überprüfung aufgrund einer durchgeführten umfassenden und intensiven Prüfung unwahrscheinlich ist.[10] Eine solche umfassende Überprüfung ist regelmäßig die Außenprüfung i. S. d. §§ 193ff. AO. Aus dem Rechtsgedanken des § 164 Abs. 3 S. 3 AO ergibt sich, dass eine Vorbehaltsfestsetzung nicht erfolgen darf, wenn vor der erstmaligen Steuerfestsetzung (regelmäßig nach Abgabe der Steuererklärung) eine Außenprüfung durchgeführt wurde, die erstmalige Steuerfestsetzung also nach der Außenprüfung erfolgte.[11]

Das aus Sicht des Stpfl. unbefriedigende Ergebnis, dass sich die Frage des Prüfungsbedarfs allein nach den subjektiven Einschätzungen und Prüfungsplanungen der handelnden Amtsträger[12] sowie bei automatisierter Veranlagung nach den – nach § 88 Abs. 5 S. 4 AO nicht zu veröffentlichenden – ausgesteuerten prüfungsbedürftigen Sachverhalten des Risikomanagementsystems richten, ist dem weiten, nahezu voraussetzungslosen Tatbestand des § 164 Abs. 1 S. 1 AO geschuldet, der eine Begründung für die Vorbehaltsfestsetzung nicht erfordert. Diese erhebliche Rechtsunsicherheit für den Stpfl. kann nur der Gesetzgeber korrigieren.[13]

 

Rz. 20

Die umfassende und abschließende Prüfung, die die Beifügung eines Vorbehalts ausschließt, muss jedoch nicht eine Außenprüfung i. S. d. §§ 193ff. AO sein. Auch eine Prüfung an Amtsstelle kann eine abschließende Prüfung sein. Andererseits hat die Finanzbehörde grundsätzlich das Recht, die Steuererklärung zu überprüfen und dabei zutage tretende Fehler zu korrigieren, ohne das Recht, einen Vorbehalt beizufügen, zu verlieren (vgl. Rz. 21).

Mit der Einführung der vollständig oder teilweise automationsgestützten Veranlagung[14] unter Einsatz eines Risikomanagementsystems[15] erscheint es hingegen zweifelhaft, wenn die Finanzbehörde einen Nachprüfungsvorbehalt aufnimmt, obwohl eine Außenprüfung nicht beabsichtigt ist und der Amtsträger sämtliche als prüfungsbedürftig ausgesteuerten Sachverhalte abschließend üb...

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