Rz. 21

Rechtsfolge einer fehlenden, unvollständig oder unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung ist ausschließlich die in § 55 FGO geregelte Modifikation der gesetzlichen Rechtsbehelfsfrist, nicht aber die Anfechtbarkeit oder Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Entscheidung .[1] Allerdings kann eine fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung dann zu einem revisiblen Verfahrensfehler i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO führen, wenn die Klagefrist mangels ordnungsgemäßer Belehrung noch nicht abgelaufen war und das FG daher zu Unrecht die Klage durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat, statt zur Sache zu entscheiden.[2] Eine Belehrung, die auf einen nicht statthaften Rechtsbehelf hinweist, führt indes weder zu dessen Zulässigkeit noch ermöglicht sie eine Umdeutung der nicht zugelassenen Revision in einen Antrag auf mündliche Verhandlung oder in eine Nichtzulassungsbeschwerde[3], weil deren Zulässigkeit von anderen Voraussetzungen abhängt. Ebenso wenig wird eine ohne postulationsfähigen Vertreter beim BFH eingelegte Beschwerde oder Revision wegen einer insoweit fehlerhaften Belehrung zulässig.[4] Der nicht statthafte oder unzulässig eingelegte Rechtsbehelf wird daher trotz fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung als unzulässig verworfen. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das nicht statthafte Rechtsmittelverfahren wird allerdings in der Regel gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG abgesehen, wenn in der Rechtsmittelbelehrung ein unzulässiges Rechtsmittel als gegeben bezeichnet wird und der Rechtsmittelführer dadurch veranlasst wird, dieses einzulegen.[5]

 

Rz. 22

Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, führt dies dazu, dass die reguläre Rechtsbehelfsfrist nicht zu laufen beginnt[6] und die Einlegung des (richtigen) Rechtsbehelfs grundsätzlich noch innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe des Bescheids oder der gerichtlichen Entscheidung zulässig ist.[7] Dies gilt auch dann, wenn die Frist für das unrichtig angegebene Rechtsmittel genauso lange läuft wie die Frist für das zutreffende Rechtsmittel[8] oder wenn statt der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eine zu lange Frist angegeben wurde.[9] Auch im letztgenannten Fall gilt die in § 55 Abs. 2 FGO genannte Jahresfrist und nicht nur die fehlerhaft genannte zu lange Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs.[10] Im Interesse der Rechtsmittelklarheit knüpft § 55 FGO seine Rechtsfolgen allein an die objektiv feststellbare Tatsache des Fehlens oder der Unrichtigkeit der Belehrung und gibt damit sämtlichen Verfahrensbeteiligten gleiche und sichere Kriterien für das Bestimmen der formellen Rechtskraft bzw. Bestandskraft.[11] Ohne Bedeutung ist daher, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für das Unterbleiben oder die Verspätung des Rechtsbehelfs war.[12] Unerheblich ist zudem, ob der Rechtsschutzsuchende den zutreffenden Rechtsbehelf und die Voraussetzungen für dessen Einlegung kennt oder ob er sachkundig vertreten war.[13]

 

Rz. 23

Für die Berechnung der Jahresfrist gilt § 54 FGO. Es handelt sich insoweit um eine gesetzliche Ausschlussfrist, innerhalb derer der Rechtsbehelf grundsätzlich sowohl eingelegt als auch begründet werden muss.[14] Eine Verlängerung durch das Gericht ist nicht möglich. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO ist auch bei zu entschuldigender Versäumnis der Jahresfrist grundsätzlich ausgeschlossen.[15]

 

Rz. 24

Nach Ablauf der Jahresfrist ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur zulässig, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.[16]

 

Rz. 25

Höhere Gewalt in diesem Sinne ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte; der Begriff der höheren Gewalt ist demnach enger als der Begriff "ohne Verschulden" in § 56 Abs. 1 FGO.[17] Darunter kann aber auch ein Umstand fallen, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist.[18] Ein Fall der höheren Gewalt kann z. B. darin liegen, dass ein Verfahrensbeteiligter durch ein über die fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrung hinausgehendes Verhalten des Gerichts von einer fristgebundenen Prozesshandlung abgehalten wird.[19] Dies hat der BFH z. B. angenommen, wenn der Rechtsschutzsuchende nicht nur durch das Verhalten des FG davon abgehalten wurde, eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, sondern auch der BFH die Klägerin während des Revisionsverfahrens nicht rechtzeitig innerhalb der Jahresfrist auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen hat.[20] Entsprechendes gilt, wenn der Betroffene durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert worden ist oder wenn die Fristversäumnis auf das rechts- oder treuwidrige Verhalten der Behörde zurü...

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