1 Rechtsanspruch auf rechtliches Gehör

 

Rz. 1

Der dem Bürger grundgesetzlich garantierte formelle Rechtsschutz erfordert inhaltlich, dass er Gelegenheit hat, im Verfahren seine Ansicht vorzutragen und sich zu den entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen zu äußern. Dies setzt umgekehrt voraus, dass der Beteiligte des Verfahrens von der Finanzbehörde auch informiert wird, dass er sachgerecht seine Ansicht vortragen und seine Rechte wahrnehmen kann. Wesentliches Kriterium eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens ist die Gewährung rechtlichen Gehörs für den Bürger, der hierauf einen Rechtsanspruch hat.[1]

 

Rz. 2

Das Grundrecht auf rechtliches Gehör ist durch Art. 103 Abs. 1 GG für das gerichtliche Verfahren gewährleistet. § 364 AO, in Zusammenwirken mit § 364a AO, mit § 365 Abs. 1 AO i. V. m. § 91 Abs. 1 AO, mit § 365 Abs. 2 AO und mit § 367 Abs. 1 S. 2 AO, erweitert und sichert das Grundrecht auf rechtliches Gehör auch für das finanzbehördliche Einspruchsverfahren.[2] Der Rechtsanspruch besteht grundsätzlich, also unter Berücksichtigung des Eilcharakters und der Vorläufigkeit der Entscheidung[3] auch im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung.[4]

[1] Werth, in Gosch, AO/FGO, § 364 AO Rz. 2.
[2] BFH v. 23.2.2010, VII R 19/10, BStBl II 2010, 729; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 364 AO Rz. 21.
[3] S. § 361 AO Rz. 55, 90.
[4] Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 364 AO Rz. 18.

2 Mitteilung der Besteuerungsunterlagen

2.1 Pflicht der Finanzbehörde

 

Rz. 3

§ 364 AO begründet für die Finanzbehörde die Rechtspflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen bzw. zur Ergänzung der Mitteilung, wenn die "Unterlagen der Besteuerung" im Verfahren bei Erlass des Verwaltungsakts dem Beteiligten noch nicht vollständig mitgeteilt worden sind. Die Behörde muss die Pflicht gegenüber jedem Beteiligten grds. nur einmal erfüllen. Ein Beraterwechsel begründet allerdings regelmäßig eine erneute Mitteilungspflicht.[1] Die Rechtspflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Behörde Akteneinsicht anbietet.[2] Die Rechtspflicht zur Mitteilung der Besteuerungsunterlagen wird auch nicht durch ein anhängiges Steuerstrafverfahren hinsichtlich des im Bescheid geregelten Anspruchs ausgeschlossen, wenn dort die Akteneinsicht nach § 147 Abs. 1 StPO versagt worden ist.[3]  Nach § 393 Abs. 1 AO bestimmen sich die Rechte im Besteuerungsverfahren nach der AO unabhängig von den Regularien des Strafverfahrens.

2.2 Berechtigte

 

Rz. 4

Ein Informationsrecht besteht nur für Beteiligte i. S. v. § 359 AO, also für den Einspruchsführer und die Hinzugezogenen.[1] Diesen dürfen die "Unterlagen der Besteuerung" für den angefochtenen Verwaltungsakt nicht bekannt sein.[2] Hierbei ist jeder einzelne Beteiligte für sich zu betrachten.

2.3 Unterlagen der Besteuerung

 

Rz. 5

"Unterlagen der Besteuerung" i. S. v. § 364 AO sind alle Erkenntnisse und Feststellungen der Finanzbehörde über die Besteuerungsgrundlagen i. S. v. § 199 Abs. 1 AO, d. h. über die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die für die Steuerpflicht und die Bemessung der "Steuer" maßgebend sind. § 364 AO gilt für alle Einspruchsverfahren, also nicht nur, soweit sie sich unmittelbar auf Steuern beziehen, sondern auch für solche, die sonstige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis betreffen.[1]

"Unterlagen der Besteuerung" i. d. S. sind alle entscheidungserheblichen Sachverhalte, Beweismittel[2] und Beweisergebnisse im weitesten Sinn, die für die Sachentscheidung der Finanzbehörde im Einspruchsverfahren von Bedeutung sein können.[3] Hierzu gehören z. B. Gutachten[4], Zeugenaussagen, Urkunden, Kontrollmitteilungen, Schätzungs- oder Bewertungsunterlagen sowie Berechnungsgrundlagen.

 

Rz. 6

Das Informationsrecht des Beteiligten findet seine Grenze am Steuergeheimnis.[5] Mitzuteilen sind nur Unterlagen des jeweiligen Verfahrens. Die Finanzbehörde ist nach § 364 AO nicht befugt und nicht verpflichtet, Verhältnisse Dritter zu offenbaren.[6] Allerdings sind bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners diesem die die Ausübung des Auswahlermessens der Finanzbehörde betreffenden Unterlagen des Abgabenschuldners oder anderer Haftender bekannt zu geben.[7] Das Steuergeheimnis wird insoweit nicht verletzt, auch wenn dadurch fremde steuerliche Verhältnisse offenbart werden müssen.

[3] FG Düsseldorf v. 19.3.2007, 16 V 4828/06 A(H[L]), EFG 2007, 1053; Birkenfeld, in HHSp, AO/FGO, § 364 AO Rz. 26; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 364 AO Rz. 4; Werth, in Gosch, AO/FGO, § 364 AO Rz. 8.

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