Rz. 134

Beherrschungsidentität kann in Ausnahmefällen auch dann vorliegen, wenn die Person oder Personengruppe zwar eines der beiden Unternehmen beherrscht, jedoch am anderen Unternehmen nicht über ausreichende gesellschaftsrechtliche Einflussrechte (z. B. kein die Mehrheit vermittelnder Anteilsbesitz, Geltung des Einstimmigkeitsprinzips) verfügt, sie aber gleichwohl aufgrund wirtschaftlichen Druckpotenzials oder Druckpotenzials aus anderen Gründen eine besondere tatsächliche Machtstellung (sog. faktische Beherrschung)[1] innehat, um mittels dieser auch im anderen Unternehmen ihren Willen durchzusetzen.[2]

 

Rz. 135

Ein auf lediglich schuldrechtlicher Rechtsbeziehung beruhender wirtschaftlicher Druck ist nicht ausreichend für die Annahme einer faktischen Beherrschung.[3] Für die Annahme einer faktischen Beherrschung ist es vielmehr erforderlich, dass der gesellschaftsrechtlich Beteiligte nach den Umständen des Einzelfalls darauf angewiesen ist, sich dem Willen eines anderen so unterzuordnen, dass er keinen eigenen geschäftlichen Willen entfalten kann. Eine solche faktische Machtstellung liegt z. B. dann vor, wenn ein Gesellschafter der Gesellschaft unverzichtbare Betriebsgrundlagen zur Verfügung stellt, die er der Gesellschaft jederzeit wieder entziehen kann.[4]

 

Rz. 136

Die faktische Beherrschung verdrängt die gesellschaftsrechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten.[5] Dadurch wird eine mangelnde Beteiligung an der Betriebsgesellschaft überkompensiert.[6] Als Folge dieser Verdrängung können der faktisch Herrschende und der gesellschaftsrechtlich Beteiligte keine Personengruppe mit gleichgerichteten Interessen bilden.[7]

 

Rz. 137

Ein bloßer maßgeblicher Einfluss auf die kaufmännische oder technische Betriebsführung (wie sie z. B. der Geschäftsführer einer GmbH oder – in verstärktem Maß – der Vorstand einer AG hat) reicht für eine faktische Beherrschung nicht aus; es ist vielmehr eine Einwirkung auf die zur Beherrschung führenden Stimmrechte erforderlich.[8]

Einer faktischen Beherrschung allein aufgrund der beruflichen Vorbildung und Erfahrung des Geschäftsführers der Betriebsgesellschaft bei gleichzeitiger kaufmännischer und technischer Unerfahrenheit des Gesellschafters hat der BFH wiederholt eine Absage erteilt.[9] Auch in diesem Fall müssen weitere Anzeichen hinzukommen, denen zufolge der Gesellschafter keinen eigenen geschäftlichen Willen entfalten kann (vgl. jedoch den Ausnahmefall unter Rz. 138 erster Spiegelstrich).

Zwar führt der BFH mit Urteil v. 29.7.1976 aus[10], dass eine wirtschaftliche Machtstellung durchaus auch durch eine Großgläubigerstellung vorliegen kann. Diese allein genügt jedoch für die Annahme einer tatsächlichen Beherrschung nicht. Vielmehr muss für eine solche Art der tatsächlichen Beherrschung hinzukommen, dass der Großgläubiger die Geschäftsführung vollständig an sich zieht. Ein weiterer, neben dem "Großgläubiger-Geschäftsführer", bestellter alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer ist schädlich und führt nicht zur faktischen Beherrschung.[11]

 

Rz. 138

Die Rspr. hat die faktische Beherrschung z. B. (auch) bejaht

  • bei einer Betriebsgesellschaft durch die dort als Geschäftsführer angestellten Besitzgesellschafter und Ehemänner der fachunkundigen Gesellschafterinnen der Betriebsgesellschaft.[12] In vergleichbaren Fällen wurde zwischenzeitlich jedoch die Annahme einer faktischen Beherrschung verneint[13], obgleich jedoch Ausnahmen weiterhin für möglich gehalten werden[14]
  • bei Geschäftsführung durch den Besitzgesellschafter, der aufgrund einer (widerruflichen) Vollmacht oder Option jederzeit in der Lage ist, seinen Minderheitsanteil an der Betriebskapitalgesellschaft durch erheblichen Hinzuerwerb von Anteilen in einen Mehrheitsbesitz zu wandeln[15]
  • bei Beherrschung einer Betriebspersonengesellschaft über eine zwischengeschaltete rechtsfähige Familienstiftung.[16]
 

Rz. 139

Maßgebend für das Vorliegen einer faktischen Beherrschung sind stets die Umstände des Einzelfalls. An den Nachweis, dass der oder die eigentlich rechtlich herrschenden Gesellschafter den Willen des faktisch Herrschenden befolgen müssen, sind strenge Anforderungen zu stellen.[17] Die objektive Feststellungslast trägt derjenige, der hieraus günstigere Folgen für sich ableitet.

Jahrelanges konfliktfreies Zusammenwirken allein lässt den Schluss auf eine faktische Beherrschung ebenso wenig zu wie eine bloße eheliche Beziehung (Rz. 113ff.).[18]

Die Rspr. hat darüber hinaus z. B. auch in den folgenden Fällen eine faktische Beherrschung verneint:

  • Möglichkeit der Einziehung der Anteile der Ehefrauen am Betriebsunternehmen[19];
  • Beteiligung nur eines der beiden Geschäftsführer der Besitz-GbR (mit Einstimmigkeitsabrede) an der Betriebs-GmbH[20];
  • Verpachtung mindestens einer wesentlichen Betriebsgrundlage durch einen Einzelunternehmer an eine Betriebs-GmbH, deren alleinige Gesellschafterin die Ehefrau des Einzelunternehmers ist und der Ehemann als Geschäftsführer der GmbH angestellt wird und ihr aufgrund seiner beruflichen Erfahrung und Ausbildung ...

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