Betriebsaufspaltung und minderjährige Kinder
Hintergrund: 50 %-Anteil an der Betriebskapitalgesellschaft
V war bis zu seinem Tod am 3.1.2010 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der V-GmbH. Er wurde von seiner Witwe (W) zu ½ und von den beiden Söhnen (S1 und S2) zu je ¼ beerbt. Nach dem Gesellschaftsvertrag reicht für die Beschlussfassung die einfache Stimmenmehrheit aus. Das Betriebsgrundstück steht im Alleineigentum der W. Sie hat es seit 2001 an die GmbH verpachtet.
Am 11.1.2010 wurde W von der Gesellschafterversammlung zur Geschäftsführerin bestellt und vom Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB) befreit. Für den minderjährigen S2 unterzeichnete sie als Erziehungsberechtigte.
Am 7.6.2010 wurde für S2 eine Ergänzungspflegschaft angeordnet, die die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte und -pflichten in der GmbH umfasste. Am 17.6.2010 beschloss die Gesellschaftsversammlung wiederum, W zur Geschäftsführerin zu bestellen. Diesen Beschluss unterschrieb die Ergänzungspflegerin für S2. Eine Befreiung der W von § 181 BGB enthält dieser Beschluss nicht.
Das FA ging davon aus, mit der Bestellung der W zur Geschäftsführerin am 17.6.2010 sei neben der bereits bestehenden sachlichen Verflechtung auch eine personelle Verflechtung mit der GmbH eingetreten. Gegen ihren Willen habe sie als Geschäftsführerin nicht abberufen werden können. Aufgrund der deshalb vorliegenden Betriebsaufspaltung sei das Grundstück in das Besitzunternehmen der W einzulegen gewesen. Für die Zeit ab dem 17.6.2010 habe sie folglich aus der Verpachtung gewerbliche Einkünfte erzielt. Für 2012 nahm das FA aufgrund der Bestellung der S1 und S2 zu weiteren Geschäftsführern die Beendigung der Betriebsaufspaltung und einen Aufgabegewinn an.
Das FG gab der Klage statt. W habe lediglich über 50% der Stimmen und damit nicht über die Stimmenmehrheit verfügt. Der Anteil des minderjährigen S2 sei ihr nicht zuzurechnen. Dass W die Vermögenssorge zugestanden habe, reiche dafür nicht aus.
Entscheidung: Eine "Patt-Situation" reicht für die personelle Verflechtung nicht aus
Der BFH bestätigt die Auffassung des FG. Es fehlt an der für die Betriebsaufspaltung erforderlichen personellen Verflechtung zwischen der W und der GmbH.
50% sind nicht die Mehrheit
Für eine personelle Verflechtung ist (abgesehen vom Sonderfall der faktischen Beherrschung) erforderlich, dass der Gesellschafter nach den gesellschaftsrechtlichen Stimmverhältnissen in der Lage ist, seinen Willen in beiden Unternehmen durchzusetzen (BFH v. 26.11.1992, IV R 15/91, BStBl II 1993, 876). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt. W war zwar Alleineigentümerin des überlassenen Betriebsgrundstücks, nicht aber in der Lage, auch in der GmbH ihren Willen durchzusetzen. Damit ein Gesellschafter eine GmbH beherrscht, ist es gesellschaftsrechtlich ausreichend (aber auch notwendig), dass er über die Stimmrechtsmehrheit verfügt, die der Gesellschaftsvertrag für Gesellschafterbeschlüsse vorschreibt. Dies gilt selbst dann, wenn der Gesellschafter ansonsten die laufende Geschäftsführung innehat (sog. Geschäfte des täglichen Lebens). Die auf die W entfallenden 50% der Stimmen in der Erbengemeinschaft führen folglich nur zu einer Patt-Situation bei der Betriebs-GmbH. W kann die Betriebs-GmbH ohne Mehrheitsbeteiligung nicht beherrschen.
Keine Beherrschung aufgrund der Geschäftsführer-Stellung
Eine Beherrschung der GmbH ergibt sich auch nicht daraus, dass die W zugleich Geschäftsführerin der GmbH wurde und so die sog. Geschäfte des täglichen Lebens der GmbH bestimmen konnte. Es fehlt die weiterhin notwendige Mehrheitsbeteiligung an der GmbH. Denn für eine Beherrschung im Sinne der Betriebsaufspaltung kommt es auf das für die Geschäfte des täglichen Lebens maßgebende Stimmrechtsverhältnis an (BFH v. 30.1.2013, III R 72/11, BStBl II 2013, 684, Rz 12). Bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer ist insoweit erforderlich, aber auch ausreichend, dass er über eine Beschlussmehrheit i.S. von § 47 Abs. 1 GmbHG verfügt. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der über die Mehrheit der Stimmen verfügt, beherrscht deshalb dann die Geschäfte des täglichen Lebens in der Betriebsgesellschaft, wenn ihm – abgesehen vom Vorliegen eines wichtigen Grundes –die Geschäftsführungsbefugnis nicht gegen seinen Willen entzogen werden kann (BFH v. 30.11.2005, III R 56/04, BStBl II 2006, 415).
Keine Zurechnung der Stimmen des minderjährigen Sohns
Die Stimmen des minderjährigen S2 können der W mangels gleichgelagerter wirtschaftlicher Interessen nicht zugerechnet werden. Die Ergänzungspflegerin vertritt die Interessen des S2 in der GmbH unabhängig von den Interessen der W, so dass die Vermutung gleichgelagerter wirtschaftlicher Interessen dieser beiden Beteiligten nicht zum Tragen kommt. Die elterliche Sorge umfasst zwar auch die Vermögenssorge (§ 1626 Abs. 1 Satz 2 BGB). Aufgrund der Bestellung der Ergänzungspflegerin sind die Stimmrechte des S2 im Verhältnis zur GmbH nicht mehr Teil der Vermögenssorge der W (§ 1630 Abs. 1 BGB). Es besteht deshalb keine Vermutung, dass die Interessen der W und des S2 gleichgelagert sind.
Auch keine Zusammenfassung der Stimmen für die Zeit vor der Bestellung der Ergänzungspflegerin
Vor der Bestellung der Ergänzungspflegerin konnte die Gesellschafterversammlung nicht wirksam gegenüber S2 einberufen und W nicht wirksam zur Geschäftsführerin bestellt werden. An einer Stimmabgabe für S2 war W wegen des Verbots des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) gehindert. Es fehlt die nachträgliche Genehmigung der Ergänzungspflegerin. In dem (wirksamen) Gesellschafterbeschluss v. 17.6.2020 kann keine Genehmigung des (schwebend unwirksamen) Beschlusses v. 11.1.2020 gesehen werden, Denn im Gesellschafterbeschluss vom 17.6.2010 wurde W gerade nicht - wie im ursprünglichen Beschluss vorgesehen - vom Selbstkontrahierungsverbot (§ 181 BGB) befreit.
Keine faktische Beherrschung der GmbH
Eine für die Bejahung einer Betriebsaufspaltung genügende faktische Beherrschung liegt vor, wenn auf die Gesellschafter, deren Stimmen zur Erreichung der erforderlichen Stimmenmehrheit fehlen, aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen Druck ausgeübt werden kann, dass sie sich dem Willen der beherrschenden Person unterordnen (BFH v. 21.1.1999, IV R 96/96, BStBl II 2002, 771). Eine solche Beherrschung liegt im Streitfall nicht vor. Schon aufgrund der Bestellung der Ergänzungspflegerin ergeben sich genügend Anhaltspunkte dafür, dass S2 sich nicht dem Willen seiner Mutter unterordnen muss.
Hinweis: Keine Vermutung gleichgerichteter Interessen
Der BFH wendet sich gegen die Zurechnung der Stimmrechte eines minderjährigen Kindes zum Stimmrechtsanteil eines Elternteils. Eine generelle Vermutung gleichgerichteter Interessen besteht nicht. Für den Streitfall sieht der BFH als entscheidend an, dass für den minderjährigen Sohn eine Ergänzungspflegschaft angeordnet war. Bei hinreichenden Anhaltspunkten für eine gleichgerichtete Interessenlage dürfte indes eine Zusammenrechnung (wie nach Abschn. 15.7 Abs. 8 EStR) in Betracht kommen.
BFH Urteil vom 14.04.2021 - X R 5/19 (veröffentlicht am 09.09.2021)
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