Rz. 90

In der Praxis kam die Fragestellung auf, wie mit noch bestehenden Verbindlichkeiten in einer Liquidationsschlussbilanz umzugehen sei. Betroffen hiervon sind typischerweise vermögenslose Kapitalgesellschaften, die über Gesellschafterverbindlichkeiten (oder Verbindlichkeiten ggü. verbundenen Unternehmen) verfügen, für die ein Rangrücktritt ausgesprochen wurde, um die insolvenzrechtliche Überschuldung zu vermeiden. Sofern ein Verzicht auf die Verbindlichkeit ausgesprochen würde, hätte dies die steuerpflichtige Ausbuchung zur Folge, da die Forderung bei Vermögenslosigkeit nicht werthaltig ist und in voller Höhe zu einem steuerpflichtigen Ertrag führt.[1] Eine Löschung im Handelsregister scheint möglich zu sein. Der BFH hat die Frage der steuerlichen Behandlung im Ergebnis mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen. Lediglich in einem obiter dictum wurde angemerkt, dass Schulden generell zum Nennwert zu passivieren sind und lediglich außer Ansatz bleiben, sofern mit der bestehenden Schuld keine wirtschaftliche Belastung mehr verbunden ist.[2]

 

Rz. 91

Die h. M. geht davon aus, dass die betroffene Gesellschaft ertragsteuerneutral zu liquidieren ist, d. h. die Verbindlichkeit ist in der Schlussbilanz in voller Höhe anzusetzen.[3]

Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung im Wesentlichen angeschlossen und lediglich offengelassen, ob in Fällen einer fehlenden wirtschaftlichen Belastung eine etwaige Verbindlichkeit aufzulösen sei.[4]

 

Rz. 92

In der jüngeren Vergangenheit ist die Diskussion allerdings neu entstanden, da mit Rechtsprechung des BGH[5] z. T. die Auffassung vertreten wird, dass derartige Verbindlichkeiten (namentlich Verbindlichkeiten, für die ein Rangrücktritt ausgesprochen worden ist) zumindest handelsrechtlich nicht mehr zu passivieren sein sollen.[6]

 Hierbei besteht das "Risiko", dass eine Passivierung aufgrund der Maßgeblichkeit gem. § 5 Abs. 1 EStG, welche wegen der generellen Geltung der allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung nach § 11 Abs. 6 KStG auch für die Liquidationsschlussbilanz respektive das Abwicklungs-Endvermögen gelten könnte, auch für steuerliche Zwecke zu unterbleiben hätte.

 

Rz. 93

M.E. sind derartige Verbindlichkeiten im Abwicklungs-Endvermögen zum Nennwert zu passivieren. Eine Auflösung derartiger Verbindlichkeiten sollte anhand der Vorschriften des BewG nur dann erfolgen können, sofern der Gläubiger eindeutig erkennen lässt, die Forderung nicht mehr geltend zu machen. Bei einem Rangrücktritt (unabhängig davon, ob dieser qualifiziert oder einfach erfolgt) wird ein solch endgültiger Verzicht indes nicht ausgesprochen. Die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft selbst kann hierbei unbeachtet bleiben. Sollte sich nachträglich herausstellen, dass noch Vermögenswerte vorhanden sind, ist i. d. R. davon auszugehen, dass die Gläubiger ihre Forderung entsprechend geltend machen würden. Auch bestehen insoweit keine "stillen Reserven" in Form einer niedrigeren Verbindlichkeit. Stille Reserven sind typischerweise die Differenz zwischen dem Buchwert (hier: Nennwert) einer Bilanzposition (Aktiva als auch Passiva) und dem gemeinen Wert (Verkehrswert).[7]

 Bei der Beurteilung, ob stille Reserven vorliegen, ist im Hinblick auf die Verbindlichkeit diese und nicht die hiermit verbundene Forderung zu betrachten. Sofern die (abzuwickelnde) Schuldnerin versuchen würde, sich der Verbindlichkeit zu entledigen, ist anzunehmen, dass diese an einen fremden Dritten den Nennwert der Verbindlichkeit zu zahlen hätte. Es ist nicht ersichtlich, weshalb ein fremder Dritter als vertragswillige Partei einen geringeren Betrag für die Übernahme der Verbindlichkeit einfordern würde.

 

Rz. 94

Hiervon abzugrenzen sind ggf. bestehende Darlehen in Fremdwährung. Diese sind zum Stichtag der Abwicklungsschlussbilanz entsprechend zum gemeinen Wert zu bewerten, d. h. es kann sich sowohl eine Erhöhung als auch eine Herabsetzung der Verbindlichkeit, je nach Wechselkurs zum Bewertungsstichtag[8], ergeben.

[1] Rödding/Scholz, DStR 2013, 993.
[3] Rödding/Scholz, DStR 2013, 993, 996ff.; Frey/Mückl, GmbHR 2012, 98; Kahlert, DStR 2014, 1906; Mayer/Wagner, DStR 2017, 2025; Moritz, in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl 2018, § 11 KStG Rz. 140; wohl auch Münch, in H/H/R, EStG/KStG, § 11 KStG Rz. 45.
[6] W. Müller, BB 2016, 491; Replik von Kahlert, BB 2016, 878; Duplik von W. Müller, BB 2016, 880; Oser, DStR 2017, 1889, Replik von Briese, DStR 2017, 2832; Duplik von Oser, DStR 2017, 2835, Replik von W. Müller, DStR 2018, 486.
[7] Z. B. Art. 4 Abs. 1 FusionsRL 90/434/EWG.
[8] Rz. 72.

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