Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersparte Mietaufwendungen von Genossenschaftsmitgliedern für die von ihnen bewohnte Genossenschaftswohnung als Einkünfte aus Kapitalvermögen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG enthält keine umfassende Definition oder erschöpfende Aufzählung aller denkbaren Einnahmen, die aus diesen Kapitalanlageformen erzielt werden können, sondern beschränkt sich darauf, lediglich typische Beispiele für derartige Einnahmen anzuführen.

2. Die zivilrechtliche Bezeichnung der Gegenleistung für die Kapitalnutzung ist für die steuerliche Erfassung im Rahmen des § 20 EStG ohne Bedeutung.

3. Der unmittelbar mit zusätzlichen, freiwillig erworbenen und kraft Satzung von der Gewinnberechtigung ausgeschlossenen Genossenschaftsanteilen verbundene Anspruch von Genossenschaftsmitgliedern auf Minderung des Nutzungsentgelts für die von ihnen bewohnte Genossenschaftswohnung stellt einen „besonderen Vorteil” im Sinne des § 20 Abs. 3 EStG dar, der ihnen „an Stelle” der in § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG aufgeführten Einnahmeform des „Gewinnanteils aus Anteilen an Wirtschaftsgenossenschaften” gewährt worden ist.

4. Eine der Genossenschaft erteilte verbindliche Auskunft entfaltet keine Bindungswirkung nach Treu und Glauben zugunsten deren Mitgliedern, wenn das Finanzamt eine Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedern in der erteilten Auskunft ausdrücklich ausgeschlossen hat.

 

Normenkette

EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3; AO § 89

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger werden als Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie sind Mieter einer in C… gelegenen Wohnung, die im Eigentum der D… e. G. steht, sowie Mitglieder der Genossenschaft.

Mit Schreiben vom 24.04.2012 beantragte die Genossenschaft bei dem für sie zuständigen Finanzamt E… die Erteilung einer verbindlichen Auskunft zu folgender Rechtsfrage:

„Handelt es sich bei der Vereinbarung von geminderten Netto-Soll Mieten für Mitglieder, die weitere freiwillige Genossenschaftsanteile zeichnen, welche weder an Gewinnausschüttungen teilhaben noch verzinst werden, – unter der vertraglich vereinbarten Voraussetzung, dass sich der Vorteil der Wohnkostenreduzierung und der Vorteil der Zinsersparnis betragsmäßig entsprechen – um einen Vorteilsausgleich, der weder zu steuerpflichtigen Belastungen bei der Genossenschaft noch ihrer Genossenschaftsmitglieder führt?”

Unter Nr. 3 der Anfrage führte die Genossenschaft u. a. aus, dass mit dem „Programm” die Bindung der Mitglieder an die Genossenschaft bis ins hohe Alter verbessert werden sollte. Es sei angestrebt, die Mieter zu entlasten und die Wohnraumversorgung auch bei sinkenden Einkommen der Genossen durch langfristige Stabilisierung der Mieten zu gewährleisten. Dies würde durch Steuerbelastungen konterkariert, wenn in der Vereinbarung kein steuerlich anzuerkennender Vorteilsausgleich gesehen würde. Die Vereinbarung würde ins Leere laufen und praktisch nicht umsetzbar sein. Von dem Vorteilsausgleich profitierten beide Vertragsparteien.

Eine verdeckte Gewinnausschüttung an Genossen liege nicht vor, weil dem Vorteil des Mitglieds in Form der geringeren Miete ein gleich hoher Vorteil der Genossenschaft in Form der zinslosen Nutzung des erhaltenen Kapitals liege.

Sofern etwaige Steuerbelastungen für das zeichnende Mitglied oder die Genossenschaft anfallen sollten, würde die Genossenschaft von diesem Programm Abstand nehmen.

Das Finanzamt erteilte am 15.06.2012 folgende verbindliche Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AbgabenordnungAO – :

„Die Vereinbarung von geminderten Netto-Soll Mieten für Mitglieder, die weitere freiwillige Genossenschaftsanteile zeichnen, welche weder an Gewinnausschüttungen teilhaben noch verzinst werden, stellt einen Vorteilsausgleich im Sinne des H 36 KStG dar, soweit sich der Vorteil des Mieters auf geringere Miete und der Vorteil der Genossenschaft auf Zinsersparnis für die freiwilligen Anteile, die zur Mietminderung geführt haben, gegenseitig auch der Höhe nach ausgleichen. (…)

Aus verfahrensrechtlichen Gründen entfaltet sie (die verbindliche Auskunft) Bindungswirkung nur für die Antragstellerin selbst, nicht für deren Mitglieder”.

Daraufhin setzte die Genossenschaft das geplante Konzept um und änderte die Genossenschaft ihre Satzung u. a. folgendermaßen:

  • § 15 Abs. 6: „Die Mitglieder können über die Geschäftsanteile gemäß Abs. 2, 4 und 5 hinaus zusätzliche Geschäftsanteile zum Zwecke der Verringerung der Nutzungsgebühr übernehmen, wenn die vorhergehenden Anteile bis auf den zuletzt übernommenen voll eingezahlt sind und der Vorstand die Übernahme zugelassen hat. Über die Verringerung der Nutzungsgebühr wird für jeden Einzelfall eine gesonderte Vereinbarung getroffen.”
  • Die Regelung in § 16 Abs. 1 zur Kündigung von über die Pflichtanteile hinaus übernommenen weiteren Anteilen wurden ergänzt um die zusätzlichen Geschäftsanteile nach § 15 Abs. 6 der Satzung.
  • § 40 Abs. 2 letzter Satz: „Auf die zusätzlichen Geschä...

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