Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung des grunderwerbsteuerlichen Begriffs Gegenleistung bei Erwerb im Zwangsversteigerungsverfahren durch einen Gläubiger

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Auslegung des Begriffs der „Gegenleistung/Leistung” in § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG durch den BFH entspricht dem im Rechtsstaatsprinzip Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, wenn zur Gegenleistung i. S. von § 8 und § 9 GrEStG – einem eigenständigen grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff – alle Leistungen zählen, die der Erwerber eines Grundstücks als Entgelt (im weiteren Sinne) dem Veräußerer für den Erwerb gewährt. Die Berücksichtigung von Beträgen, durch die ein Gläubiger als Erwerber den früheren Grundstückseigentümer im Zwangsversteigerungsverfahren von einer Schuld befreit, obwohl diese Befreiung nicht freiwillig vorgenommen, sondern vom Gesetz angeordnet wird (§ 114a ZVG), steht einer solchen Auslegungsmöglichkeit nicht entgegen.

2. Die Auslegung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn die Differenzierung, wonach der zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigte gem. § 114a ZVG einen Teil seiner Forderungen preiszugeben hat, was dem Schuldner bzw. Veräußerer des Grundstücks zugute kommt, während ein anderer Ersteher diesen Forderungsverzicht nicht zu erbringen hat, ist im Hinblick auf das Ziel des GrEStG, den Wert der Gegenleistung beim Grundstückserwerb zu erfassen, rechtserheblich und durch sachliche Erwägungen begründet.

 

Normenkette

GrEStG §§ 8, 9 Abs. 2 Nr. 1; ZVG § 114a; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1

 

Verfahrensgang

BFH (Urteil vom 15.11.1989; Aktenzeichen II R 86/87)

 

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, denn die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.

1. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach bei einem Grundstückserwerb durch Abgabe des Meistgebots seitens eines Gläubigers auch der Betrag zur Gegenleistung gemäß §§ 8, 9 GrEStG gehört, in dessen Höhe der Gläubiger, der das Meistgebot abgegeben hat, mit dem Zuschlag gemäß § 114a ZVG als aus dem Grundstück befriedigt gilt, verstößt nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Das angegriffene Urteil des Bundesfinanzhofs hält sich in den Grenzen, die dem Richter bei der Auslegung und Anwendung von Gesetzen durch die Gesetzesbindung und den Grundsatz der Funktionentrennung gezogen sind. Es verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.

a) Auslegung und Anwendung von Vorschriften durch ein Gericht können vom Bundesverfassungsgericht nur in engen Grenzen nachgeprüft werden. Es ist nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Auslegung verfassungsrechtlicher Gesetze und ihre Anwendung im konkreten Fall auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Das Bundesverfassungsgericht hat daher nicht zu entscheiden, ob die Auslegung und Anwendung der grunderwerbsteuerlichen Vorschriften im vorliegenden Fall vom Standpunkt des Steuerrechts richtig ist.

Der Bundesfinanzhof hat die Berücksichtigung des § 114a ZVG im Rahmen der Gegenleistung gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG mit rechtlich nachvollziehbarer und sachlich einleuchtender Begründung bejaht. Eine grob fehlerhafte Rechtsanwendung, die einen Verfassungsverstoß begründen könnte, ist nicht ersichtlich.

b) Die Auslegung des § 9 GrEStG durch den Bundesfinanzhof hält sich in den dem Richter durch die Bindung an das Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) gezogenen verfassungsrechtlichen Grenzen.Insbesondere handelt es sich bei der Auslegung durch den Bundesfinanzhof nicht um eine verfassungswidrige Ausweitung eines gesetzlichen Steuertatbestandes oder um eine unzulässige Analogie. Die Regelung des § 9 GrEStG ist auslegungsfähig und gestattet die Interpretation, daß auch der Betrag zur Gegenleistung gehört, in dessen Höhe ein zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigter gemäß § 114 a ZVG als befriedigt gilt.

Bei der Gegenleistung im Sinne von §§ 8, 9 GrEStG handelt es sich um einen eigenständigen grunderwerbsteuerrechtlichen Begriff, der nicht an außerhalb des Grunderwerbsteuergesetzes gebildete Tatbestände anknüpft. Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn der Bundesfinanzhof zu dieser Gegenleistung alle Leistungen zählt, die der Erwerber eines Grundstücks als Entgelt (im weiteren Sinne) für den Erwerb des Grundstücks gewährt, soweit sie nicht nur dem Erwerber selbst, sondern dem Veräußerer zugute kommt. Der Begriff der „Leistung” in § 9 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG ist auslegungsfähig; er verbietet nicht die Berücksichtigung von Beträgen, durch die der Erwerber den früheren Grundstückseigentümer von einer Schuld befreit. Daß diese Befreiung nicht freiwillig vorgenommen, sondern vom Gesetz angeordnet wird, steht einer solchen Auslegungsmöglichkeit nicht entgegen. Das Urteil beachtet somit den im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung.

2. Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG. Es ist grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpft und die er deshalb im Rechtssinne als gleich ansieht. Was dabei in Anwendung des Gleichheitssatzes sachlich vertretbar oder sachfremd ist, läßt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern nur in bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll. Der Gleichheitssatz verlangt, daß eine vom Gesetz vorgenommene unterschiedliche Behandlung sich – sachbereichsbezogen – auf einen vernünftigen oder sonstwie einleuchtenden Grund zurückführen läßt. Ein Verstoß gegen das Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht nur dann vor, wenn der Gesetzgeber mehrere Personengruppen ohne sachlichen Grund verschieden behandelt, sondern auch dann, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu einer derartigen, dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen.

Der Beschwerdeführer verweist darauf, daß er durch die Berücksichtigung des Betrages gemäß § 114a ZVG schlechtergestellt werde als ein Ersteigerer, der nicht aus dem Grundstück berechtigt sei. Derjenige, der zur Befriedigung aus einem Grundstück berechtigt ist, unterscheidet sich im Zwangsversteigerungsverfahren jedoch in den rechtserheblichen Merkmalen wesentlich von jedem anderen Erwerber. Die unterschiedliche Behandlung bei der Bemessung der Grunderwerbsteuer ist durch sachliche Erwägungen begründet. Der zur Befriedigung aus dem Grundstück Berechtigte hat gemäß § 114a ZVG einen Teil seiner Forderung preiszugeben, was dem Schuldner bzw. Veräußerer des Grundstücks zugute kommt. Ein anderer Ersteher hat diesen Forderungsverzicht nicht zu erbringen. Diese Unterschiede sind im Hinblick auf das Ziel des Grunderwerbsteuergesetzes, den Wert der Gegenleistung beim Grundstückserwerb zu erfassen, rechtserheblich und rechtfertigen die verschiedene Behandlung bei der Bemessung der Grunderwerbsteuer.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1552252

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